Bayerischer VGH, Beschluss vom 01.07.2009 - 11 CS 09.1177
Fundstelle
openJur 2012, 102117
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.200 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der ihr gegenüber verfügten Verpflichtung, ein Fahrtenbuch für das auf sie zugelassene Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … zu führen.

Der Fahrtenbuchauflage lag eine mit dem Kraftfahrzeug der Antragstellerin begangene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h am 11. August 2008 gegen 21.57 Uhr auf der BAB A 8 bei Kilometer 40,900 (Richtung München) zugrunde. Diese Feststellung wurde durch ein Geschwindigkeitsmessgerät und Frontfoto dokumentiert. Das Foto zeigt eine männliche Person als Fahrer des Pkws.

Nachdem in der Folgezeit der verantwortliche Fahrzeugführer nicht ermittelt werden konnte, verpflichtete der Antragsgegner die Antragstellerin nach erfolgter Anhörung mit Bescheid vom 3. Februar 2009 für den Zeitraum von sechs Monaten ein Fahrtenbuch für das Tatfahrzeug zu führen. Die sofortige Vollziehung der Fahrtenbuchauflage wurde angeordnet.

Am 5. März 2009 gingen beim Verwaltungsgericht München Klage und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ein. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. April 2009, auf den Bezug genommen wird, abgelehnt.

Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Zur Begründung führt ihr Bevollmächtigter aus, das Erstgericht sei nicht darauf eingegangen, dass er im Verwaltungsverfahren beantragt habe, das Lichtbild des Fahrers an ihn zu übersenden, um zeitnah den Fahrer ermitteln zu können. Diesem Antrag sei nicht entsprochen worden. Erst nach Gewährung der Akteneinsicht viele Wochen später sei es ihm möglich gewesen, das Foto einzusehen. Zu diesem Zeitpunkt sei eine Ermittlung des Fahrers nicht mehr möglich gewesen. Das Verwaltungsgericht habe pauschal darauf abgestellt, dass der polizeiliche Ermittlungsaufwand ausreichend gewesen sei und die Antragstellerin sich nicht kooperativ gezeigt habe. Letztlich beruhe die erstinstanzliche Entscheidung auf der Rechtsansicht, dass die Antragstellerin als Formkaufmann verpflichtet sei, Aufzeichnungen über die Benutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu führen. Eine derartig weite Auslegung der einschlägigen handelsrechtlichen Vorschriften zur Führung von Büchern sei jedoch unzulässig.

Der Antragsgegner verteidigt den angegriffenen Beschluss.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg.

9Die Antragstellerin ist Kaufmann im Sinne des Handelsrechts. Nach der Rechtsprechung des Senats (BayVGH vom 29.4.2008 11 CS 07.3429) ergibt sich aus der Buchführungspflicht nach dem Handelsgesetzbuch über die Geschäftsvorfälle „in ihrer Entstehung und Abwicklung“ zwar keine unmittelbare Pflicht, Fahrtenbücher oder Einsatzpläne vorzuhalten. Jedoch entspricht es unabhängig von der Reichweite dieser Vorschriften sachgerechtem kaufmännischen Verhalten, auch die Geschäftsfahrten längerfristig zu dokumentieren. Anders als etwa bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs durch verschiedene Familienmitglieder liegt dies im kaufmännischen Eigeninteresse, schon um Vorkehrungen gegen missbräuchliche Verwendungen der Fahrzeuge für Privatfahrten zu treffen oder in Schadensfällen Ersatzansprüche belegen zu können. Es kann angesichts der Dokumentationsobliegenheit unterstellt werden, dass ein Wirtschaftsbetrieb grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen in der Lage ist, Geschäftsfahrten nach seinen Kontenbüchern in Verbindung mit Belegmappen, Einsatzplänen oder Ähnlichem zu rekonstruieren und den jeweiligen Fahrzeugführer im Einzelfall festzustellen. Nachdem es sich um eine Obliegenheit handelt, kommt es auch nicht darauf an, ob im konkreten Einzelfall tatsächlich eine Dokumentation der Fahrten in der einen oder anderen Form erfolgt ist. Wird, wie im Fall der Antragstellerin, der Obliegenheit nicht entsprochen, trägt der betroffene Betrieb das Risiko, dass die fehlende Feststellbarkeit des Fahrers zu seinen Lasten geht. Eine Ungleichbehandlung der Antragstellerin im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG gegenüber Privaten ist hierin nicht zu erblicken. Der entscheidende Unterschied, der eine unterschiedlich rechtliche Beurteilung rechtfertigt, liegt darin, dass die Firmenfahrzeuge der Antragstellerin im Gegensatz zu Privatautos einem größeren Personenkreis zur Verfügung stehen, was eine Fahrerfeststellung wesentlich erschwert.

10Es kann damit dahinstehen, ob die Qualität des vorliegenden Lichtbilds, welches - worauf der Bevollmächtigte der Antragstellerin in seinem Beschwerdevorbringen nicht eingeht – durch die Polizei dem Geschäftsführer der Antragstellerin zur Einsicht vorgelegt wurde, nicht ausreichend war, um den Fahrer mit Sicherheit feststellen zu können, oder ob diese Vorlage „rechtzeitig“ erfolgte. Denn wenn der Fahrzeughalter trotz bestehender Aufzeichnungsobliegenheit keine Aufzeichnungen führt und deshalb den verantwortlichen Fahrzeugführer nicht benennen kann, ist es nicht Aufgabe der Behörden, innerbetrieblichen Vorgängen nachzugehen und weiter zu ermitteln (BayVGH vom 13.02.2007 11 CS 06.3395 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1, 2 GKG und den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1 und II.46.13 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327).