Bayerischer VGH, Urteil vom 01.07.2009 - 2 BV 08.2465
Fundstelle
openJur 2012, 102115
  • Rkr:
Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 4. August 2008 wird abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 31. Oktober 2007 verpflichtet, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt, die Beklagte zur Erteilung einer im Mai 2007 beantragten Baugenehmigung für eine Mega-Light-Wechselwerbeanlage zu verpflichten. Der Standort der geplanten Werbeanlage befindet sich auf einem bahneigenen Grundstück vor einem Brückenbauwerk und neben einem Friedhofsgelände.

Mit Bescheid vom 31. Oktober 2007 lehnte die Beklagte den Bauantrag ab. Dem Vorhaben fehle die sog. „Bahnverträglichkeit“. Ihm stünden daneben auch baurechtliche Gründe entgegen. Es sei bauplanungsrechtlich nicht zulässig, weil es im Außenbereich liege und als nicht privilegiertes Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtige. Außerdem sei es auch bauordnungsrechtlich unzulässig, weil es das Straßen-, Ort- und Landschaftsbild im Sinne des Art. 11 Abs. 2 Satz 1 BayBO verunstalte.

Bereits am 12. September 2007 hatte die Klägerin beim Verwaltungsgericht Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO erhoben. In der - nach Einnahme eines Augenscheins – durchgeführten mündlichen Verhandlung erklärte der Bevollmächtigte der Klägerin, er übe sein Wahlrecht gemäß Art. 83 BayBO 2008 dahingehend aus, dass er eine Beurteilung des streitgegenständlichen Bauvorhabens nach der BayBO 2008 wünsche. Die Vertreterin der Beklagten übergab in der mündlichen Verhandlung einen Schriftsatz vom gleichen Tag, in dem sie u.a. ausführt, dass auch nach der von der Klägerin abgegebenen Erklärung der beantragten Baugenehmigung das Verunstaltungsverbot, und zwar unter dem Gesichtspunkt des mangelnden Sachbescheidungsinteresses, entgegengehalten werden könne.

Mit Urteil vom 4. August 2008 wies das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig ab. Zwar widerspreche das Vorhaben keinen, dem Prüfprogramm des Art. 59 Abs. 1 BayBO 2008 ausschließlich zugrunde liegenden planungsrechtlichen Vorschriften. Im vorliegenden Fall verstoße es jedoch in einer Weise gegen (das Verunstaltungsverbot des) Art. 8 BayBO 2008, dass eine das Sachbescheidungsinteresse ausschließende Offensichtlichkeit hinsichtlich des materiell-rechtlichen Verstoßes angenommen werden müsse, die das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin hinsichtlich der Erteilung der begehrten Baugenehmigung ausschließe. Aufgrund des so massiven wie offensichtlichen Verstoßes gegen Bauordnungsrecht sei die Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der streitgegenständlichen Werbeanlage für die Klägerin nutzlos.

Mit der vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Verpflichtungsbegehren weiter. Das Verwaltungsgericht habe ein Sachbescheidungsinteresse zu Unrecht verneint. Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 4. August 2008 und des Bescheids der Beklagten vom 31. Oktober 2007 zu verpflichten, ihr die begehrte Bauerlaubnis zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Urteil des Verwaltungsgericht sei richtig.

Die Landesanwaltschaft Bayern stellt in Vertretung des öffentlichen Interesses keinen eigenen Antrag.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Die Klägerin hat nach den hierfür maßgeblichen Vorschriften der Bayerischen Bauordnung 2008 (im folgenden: BayBO) einen Anspruch auf Erteilung der für das Vorhaben beantragten Baugenehmigung (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO).

Wie der Senat bereits im Urteil vom 19. Januar 2009 Az. 2 BV 08.2567 ausgeführt hat, kann die sogenannte Überleitungserklärung nach Art. 83 Abs. 1 BayBO auch noch während eines anhängigen Verpflichtungsklageverfahrens abgegeben werden. Die Klägerin konnte daher in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zulässigerweise ihr Wahlrecht dahingehend ausüben, dass sie eine Beurteilung des streitgegenständlichen Bauvorhabens nach der BayBO 2008 wünscht. Da für den Erfolg der Verpflichtungsklage - allein - maßgebend ist, ob die Klagepartei zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung hat (vgl. Eyermann/Rennert, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 30 zu § 121; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, RdNr. 186 zu § 113), kommt es somit bei Vorhaben, die – wie hier – dem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren des Art. 59 BayBO unterliegen, allein auf das Prüfprogramm des Art. 59 Abs. 1 BayBO an. Materielles Bauordnungsrecht ist deshalb nicht (mehr) zu prüfen, es sei denn, dies ist im Rahmen einer vom Bauherrn gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO ausdrücklich beantragten Abweichung geboten (vgl. Simon/Wolf, BayBO, RdNr. 21 f. zu Art. 59).

Der im Bescheid vom 31. Oktober 2007 primär angeführte Versagungsgrund der fehlenden „Bahnverträglichkeit“ steht dem Vorhaben nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Erteilung einer Baugenehmigung für bahnfremde Nutzungen auf planfestgestelltem Bahnbetriebsgelände nicht prinzipiell ausgeschlossen. Aus dem Fachplanungsvorbehalt des § 38 BauGB ergeben sich für ein derartiges Vorhaben keine Einschränkungen, wenn das Vorhaben der fachplanerischen Zweckbestimmung nicht widerspricht (vgl. BVerwG v. 16.12.1988 Az. 4 C 48/86, juris = BVerwGE 81, 111). Die verfahrensgegenständliche Wechselwerbeanlage dient zwar nicht dem fachplanerischen Zweck, dem Betrieb einer Eisenbahn, sie widerspricht ihm aber auch nicht. Allein aus der Betriebsfremdheit einer derartigen Anlage kann nicht geschlossen werden, dass sie die fachplanerische Zweckbestimmung beeinträchtigen oder ihr gar entgegenstehen würde (vgl. BayVGH v. 17.11.2008 Az. 14 B 06.3096, juris). Das Vorhaben entzieht den dem Eisenbahnverkehr gewidmeten Flächen keinen ins Gewicht fallenden Raum und ist auch mit dem ohnehin gegebenen optisch-gewerblichen Charakter von Eisenbahnanlagen vereinbar. Anlagen der Fremdwerbung gehören traditionell zum Erscheinungsbild von Eisenbahneinrichtungen (vgl. BayVGH v. 24.2.1995 Az. 26 B 90.2134); es ist nicht ersichtlich, warum eine Wechselwerbeanlage, wie sie hier verwirklicht werden soll, insoweit rechtlich grundsätzlich anders zu beurteilen wäre wie eine herkömmliche Werbeanlage.

Gegen die vom Verwaltungsgericht aufgrund Augenscheinseinnahme gewonnene Feststellung, dass das streitgegenständliche Vorhaben keinen bauplanungsrechtlichen Vorschriften widerspricht, sind seitens der Beklagten im Berufungsverfahren keine Einwände vorgetragen worden. Auch der Verwaltungsgerichtshof sieht aufgrund der in den Akten befindlichen Lagepläne und Lichtbilder keinen Anlass, die Richtigkeit dieser Einschätzung in Zweifel zu ziehen.

Da somit dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen stehen, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind, war gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO die beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Dass das Vorhaben (möglicherweise) gegen materielles Bauordnungsrecht, hier in Form der Gestaltungsvorschrift des Art. 8 BayBO, verstößt, vermag auch unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Sachbescheidungsinteresses die Versagung der Baugenehmigung nicht zu rechtfertigen, selbst wenn der Verstoß gegen das Verunstaltungsgebot – wie das Verwaltungsgericht angenommen hat – massiv und offensichtlich sein sollte.

17Zu den Voraussetzungen, unter denen ein fehlendes Sachbescheidungsinteresse einem „an sich“ bestehenden Genehmigungsanspruch – ausnahmsweise – mit Erfolg entgegengehalten werden kann, hat der Senat in seiner – zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens ergangenen – rechtskräftigen Entscheidung vom 19. Januar 2009 (a.a.O. RdNrn. 17 bis 22) folgendes ausgeführt:

„Zwar darf eine Genehmigung, auf die „an sich“ Anspruch besteht, grundsätzlich dennoch versagt werden, wenn es dem Antragsteller an einem schutzwürdigen Antrags- (oder Sachbescheidungs-) Interesse fehlt. Das kann vor allem dann der Fall sein, wenn der Antragsteller aus Gründen, die jenseits des Verfahrensgegenstandes liegen, an einer Verwertung der begehrten Genehmigung gehindert und deshalb die Genehmigung ersichtlich nutzlos wäre (BVerwG v. 23.3.1973 Az. 4 C 49/71, juris). Voraussetzung für die Verneinung des Sachbescheidungsinteresses ist dabei, dass sich das Hindernis „schlechthin nicht ausräumen“ lässt (BVerwG v. 24.10.1980 Az. 4 C 3/78; v. 12.8.1973 Az. 7 B 123/93; v. 30.6.2004 Az. 7 B 92/03, jeweils juris), wie dies etwa bei offensichtlichem Fehlen zur Ausführung des Vorhabens unerlässlicher zivilrechtlicher Befugnisse oder bei unanfechtbarer Versagung neben der beantragten (Bau-) Genehmigung erforderlicher weiterer öffentlich-rechtlicher Erlaubnisse angenommen wird (vgl. Nachweise bei Wittrek, Das Sachbescheidungsinteresse im Verwaltungsverfahren, BayVBl 2004, 1993/1996 f.; P. Stelkens/Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., RdNrn. 144 ff. zu § 9). Diese Fälle kennzeichnet, dass sich die Genehmigungsbehörde die anderweitig („jenseits des Verfahrensgegenstandes“) festgestellten Hindernisse ohne selbständige Sachprüfung zu Eigen macht.

Das trifft auf die vorliegende Fallkonstellation aber nicht zu. Für das hier vorgeschriebene vereinfachte Baugenehmigungsverfahren ist durch Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO das Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörde auf die Anforderungen des Bauplanungsrechts nach den §§ 29 bis 38 BauGB und örtliche Bauvorschriften i.S. von Art. 81 Abs. 1 BayBO beschränkt; die Übereinstimmung des Vorhabens mit materiellem Bauordnungsrecht wird nicht geprüft (vgl. LT-Drs. 15/7161 S. 64/65). Das ist - anders als ein Verzicht auf die Prüfung, ob die bundesrechtlichen Vorschriften der §§ 30 ff. BauGB eingehalten sind (vgl. BVerwG v. 19.12.1985 Az. 7 C 65/82, juris) - mit Bundesrecht vereinbar (vgl. BVerwG v. 18.6.1997 Az. 4 B 238/96, juris).

Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Der hiermit normierte Anspruch auf Baugenehmigungserteilung bei bauplanungsrechtlicher Zulässigkeit des Vorhabens wird von etwaigen bauordnungsrechtlichen Mängeln nicht berührt; die Baugenehmigung kann insoweit, weil sie sich zu Fragen des Bauordnungsrechts nicht verhält, auch nicht zu einem rechtswidrigen Zustand führen (vgl. BVerwG v. 18.6.1997 a.a.O.). Sie wäre im Übrigen für den Bauherrn auch dann nicht (mit der Folge fehlenden Sachbescheidungsinteresses an ihr) ersichtlich nutzlos, wenn die Bauaufsichtsbehörde - gewissermaßen bei Gelegenheit - einen Verstoß gegen materielles Bauordnungsrecht festgestellt hätte. Denn während der Bauherr bei Erfüllung der gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen grundsätzlich einen (letztlich durch Art. 14 GG geschützten) Anspruch auf die Baugenehmigung als gebundene Entscheidung hat, stünde eine erst noch zu treffende Entscheidung über ein Einschreiten wegen bauordnungswidriger Zustände, das allenfalls eine Verwertung der Genehmigung nachhaltig verhindern könnte (vgl. BVerwG v. 23.3.1973 a.a.O.), im Ermessen der Bauaufsichtsbehörden, das ohne Berücksichtigung der durch die Genehmigung vermittelten Rechtsposition auch dann kaum fehlerfrei auszuüben ist, wenn der bauordnungswidrige Zustand für sich betrachtet evident zu sein scheint. Die Voraussetzungen dafür, die Ausführung eines wegen planungsrechtlicher Zulässigkeit genehmigten Vorhabens durch sofort vollziehbare bauaufsichtliche Maßnahmen verhindern zu können, werden in der Regel – jedenfalls bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art - nicht gegeben sein.

Die BayBO räumt den Bauaufsichtsbehörden nicht die Möglichkeit ein, die Baugenehmigung zu versagen, wenn Verstöße gegen im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfende (öffentlich-rechtliche) Vorschriften festgestellt werden (so schon BayVGH vom 16.7.2002 Az. 2 B 00.1545, juris, zum Ausschluss der Prüfung möglicher Verkehrsgefährdungen durch Werbeanlagen). Die Bescheidung des Anspruchs des Bauherrn auf Erteilung der Baugenehmigung bei Vorliegen der bundesrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen dürfen die Bauaufsichtsbehörden auch nicht unter Berufung auf - nicht zu prüfende - Vorschriften des Landesrechts unterlassen. Das Bundesverwaltungsgericht hat zu der Beziehung zwischen einem Antrag auf Bebauungsgenehmigung und vorhabenshinderlichen Vorschriften des Landesbaurechts ausgeführt, es wäre „ein Widerspruch in sich, wenn die Rechtsordnung den Bauwilligen zwar einerseits gestattete, ihren Genehmigungsantrag auf die Erteilung einer Bebauungsgenehmigung und damit auf die Prüfung nur der bebauungsrechtlichen Fragen zu beschränken, gleichzeitig aber bei einem derart beschränkten Genehmigungsantrag den Behörden erlaubt wäre, sich der Prüfung der zur Entscheidung gestellten bebauungsrechtlichen Fragen zu enthalten und die Genehmigung schon dann zu versagen, wenn ein das Landesbaurecht betreffender Mangel besteht…“ (BVerwG v. 24.10.1980 a.a.O. RdNr. 16). Dem ist für die hier vorliegende Fallkonstellation umso mehr beizupflichten (vgl. auch BayVGH v. 23.3.2006 BayVBl 2006, 537), als es die Ausklammerung aller bauordnungsrechtlichen Anforderungen aus dem Regelungsgehalt der Baugenehmigung schon von Gesetzes wegen ausschließt, dass die Baugenehmigung bauordnungswidrige Zustände gestattet (vgl. BVerwG v. 16.1.1997 Az. 4 B 244/96, juris).

Dem Ausschluss der Prüfung speziell der Baugestaltung aus dem den Bauaufsichtsbehörden zugewiesenen Prüfprogramm liegt die Erwägung zu Grunde, ihre Beurteilung sei so rechtssicher möglich, dass es einer präventiven Kontrolle auch insoweit nicht mehr bedürfe (vgl. Begründung zu § 1 Nr. 40 des Entwurfs eines Gesetzes zur Deregulierung des Bauordnungsrechts, Stand 22.1.2003 S. 79). In der amtlichen Begründung zum Entwurf des Gesetzes vom 24. Juli 2007 (LT-Drs. 15/7161 S. 64/65) heißt es hierzu, dass sich keine zwingenden Gründe für die Aufnahme bestimmter Gegenstände des materiellen Bauordnungsrechts in das Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens ergeben hätten. Gerade diese - vom Gesetzgeber unerwünschte - Prüfung würden die Bauaufsichtsbehörden aber durchführen, wenn es ihnen gestattet wäre, entgegen Art. 59 Satz. 1 Nr. 1 BayBO die Bescheidung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des zur Genehmigung gestellten Vorhabens mit der Begründung zu unterlassen, dass es dem Bauantrag am Sachbescheidungsinteresse mangele, weil ihm Anforderungen des Bauordnungsrechts, hier etwa des Art. 8 BayBO, entgegenstünden. In diesem Fall würde der Bauantrag ersichtlich nicht aus jenseits des Verfahrensgegenstandes liegenden Gründen, sondern - wie hier - in Wirklichkeit wegen Verstoßes gegen das Verunstaltungsverbot nach Art. 8 BayBO abgelehnt. Ein sich anschließender Rechtsstreit hätte dann im Wesentlichen die Prüfung solcher materieller bauordnungsrechtlicher Vorschriften zum Gegenstand, die im Baugenehmigungsverfahren gerade nicht zu prüfen waren. Darauf, wie offensichtlich oder gravierend ein solcher Verstoß zu bewerten wäre, kommt es hier - anders als bei Überprüfung der Rechtmäßigkeit etwaigen bauaufsichtlichen Einschreitens wegen des Verstoßes - daher nicht an.

Folglich muss es auch den Verwaltungsgerichten verwehrt sein, Verpflichtungsklagen auf Erteilung einer Baugenehmigung bei Erfüllung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach §§ 29 ff. BauGB den Erfolg mit dem Argument zu versagen, dem Vorhaben stünden - wie offensichtlich auch immer - im Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO nicht zu prüfende Vorschriften des Bauordnungsrechts entgegen, weshalb die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses ablehnen dürfe.“

In der mündlichen Verhandlung sind keine Gesichtspunkte zu Tage getreten, die den Senat veranlassen würden, von dieser Rechtsauffassung abzurücken. Schon aus dem (erst) in dieser Verhandlung übergebenen Schriftsatz der Beklagten vom 4. August 2008 wird vielmehr deutlich, dass Rechtsprechung und Literatur zu den Rechtsfolgen der (weitgehenden) Beschränkung des gesetzlichen Prüfprogramms im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren durchaus differenzierte Lösungsansätze vertreten

(vgl. die umfangreiche Darstellung bei Simon/Wolf, BayBO, RdNrn. 30 bis 47 zu Art. 59 BayBO; BayVGH vom 27.10.1999 Az. 2 CS 99.2387 [Nachbarrechtsbehelf; Standsicherheit]; vom 16.7.2002 Az. 2 B 00.1545, juris RdNr. 21 [großflächige Diaprojektions-Werbeanlage; Verkehrssicherheit]: ggf. zeitgleiche bauaufsichtliche Maßnahmen, wenn das Vorhaben die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gefährdet; BayVGH vom 25.7.2002 Az. 2 B 02.164 [Megalight-Wechselwerbeanlage; Verkehrssicherheit]; vom 24.2.2003 Az. 2 CS 02.2730 [Megalight-Wechselwerbeanlage; Verkehrssicherheit; Beschränkung des Bildwechseltakts]; BayVGH vom 28.12.1998 Az. 14 B 95.1255 [Baumwurfgefahr; Sachbescheidungsinteresse]; Beschluss vom 6.6.2002, juris RdNr. 16 = BayVBl 2003, 478 [Nachbarklage; Hochwasserschutz]: selbstständige (wasserrechtliche) Anordnung, die auch mit der zu erteilenden Baugenehmigung in einem Bescheid verbunden werden kann, ohne aber den Regelungsgehalt der Baugenehmigung zu verändern; BayVGH vom 24.1.2006 Az. 14 ZB 04.3116 [Megalight-Wechselwerbeanlage; Verkehrssicherheit; (fehlendes) Sachbescheidungsinteresse]; vom 23.3.2006 Az. 26 B 05.555 BayVBl 2006, 537 [Megalight-Wechselwerbeanlage; Verkehrssicherheit; Sachbescheidungsinteresse]: fehlendes Sachbescheidungsinteresse nur bei „offensichtlichem“ Verstoß; vom 17.11.2008 Az. 14 B 06.3096 a.a.O. [Werbeanlage; Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs; Sachbescheidungsinteresse]; OVG Rh.-Pf. vom 22.10.2008, ZfBR 2009, 167 [Werbeanlage; Verunstaltung; (bejahtes) Sachbescheidungsinteresse]: nur „Evidenzkontrolle“ der nicht zum gesetzlichen Prüfprogramm gehörenden Vorschriften; OVG NRW vom 28.1.2009 Az. 10 A 1075/08 [Einbau eines Giebelfensters; Brandschutz; Abweichung]; HessVGH vom 3.2.2009 Az. 3 A 1207/08, juris RdNr. 47 [Verhältnis von Baugenehmigung zur strahlenschutz- oder atomrechtlichen Genehmigung; (bejahtes) Sachbescheidungsinteresse]; zum Meinungsstand in der Literatur vgl. Jäde BayVBl. 2004, 481/487, 2005, 301 und 2006, 538; Fischer BayVBl. 2005, 299).

Auch soweit eine Problemlösung über das (fehlende) Sachbescheidungsinteresse für zutreffend erachtet wird, besteht wohl weitgehender Konsens darüber, dass aufgrund des klaren und eindeutigen gesetzlichen Wortlauts eine Prüfung nicht unter das Pflichtprogramm fallender Vorschriften grundsätzlich untersagt bzw. ausgeschlossen ist und angesichts der „bewussten und gewollten Zielsetzung des Gesetzgebers“ eine Versagung der Baugenehmigung unter Berufung auf das fehlende Sachbescheidungsinteresse nur in Ausnahmefällen möglich ist (vgl. Simon/Wolf a.a.O. RdNrn. 32 und 47 zu Art. 59 BayBO). Schon an einer solchen Ausnahmesituation fehlt es bezogen auf die baurechtliche Zulässigkeit von Werbeanlagen, weil gerade bei derartigen Anlagen die Vereinbarkeit mit den Vorschriften der Bauordnung über die Verkehrssicherheit (Art. 14 BayBO) und Baugestaltung (Art. 8 BayBO) – auch wegen der bei Werbeanlagen nach wie vor unzulässigen störenden Häufung (Art. 8 Satz 3 BayBO) - häufig problematisch ist; derartige Fragen sind für die Beurteilung der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit von Werbeanlagen geradezu typisch.

Für die Frage, ob eine Verunstaltung vorliegt, ist auch nicht die fachliche Einschätzung der Bauaufsichtsbehörde, sondern das „Empfinden des für ästhetische Eindrücke aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachters“ maßgebend. Das Vorliegen einer Verunstaltung ist, da es sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, im Streitfall gerichtlich voll überprüfbar (vgl. Schwarzer/König, BayBO, 3. Aufl. 2000, RdNr. 1 zu Art. 11). Die Berufung der Beklagten auf die fachliche Kompetenz der Bauaufsichtsbehörde in Gestaltungsfragen ist daher letztlich kein griffiges Entscheidungskriterium.

Die häufig schwierig zu beantwortende Frage, ob eine bauliche Anlage das ästhetische Empfinden des Betrachters nicht nur beeinträchtigt, sondern verletzt und damit verunstaltend ist, beruht auch nicht etwa auf zweifelsfrei feststehenden Umständen (wie z.B. einer bestandskräftig abgelehnten Gestattung) oder kann allein aufgrund der Aktenlage entschieden werden. Die Entscheidung hierüber bedarf vielmehr - sowohl im Verwaltungsverfahren als auch in einem sich etwa anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren - vielfach einer weiteren Sachaufklärung durch Einnahme eines Augenscheins, weil es hierbei häufig auf die konkreten örtlichen Verhältnisse auf dem Baugrundstück und in dessen Umgebung ankommen wird. Eine derartige Sachaufklärung aber unter Berufung auf das Sachbescheidungsinteresse (nur) mit Blick auf die Vereinbarkeit eines Vorhabens mit nicht mehr zum gesetzlichen Prüfprogramm gehörende bauordnungsrechtliche Vorschriften vorzunehmen, würde der gesetzgeberischen Intention einer Verschlankung und Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens widersprechen und dem Sachbescheidungsinteresse im baurechtlichen Genehmigungsverfahren eine Bedeutung zumessen, die ihm nicht zukommt.

In der Grundsatzvorschrift des Art. 55 Abs. 2 Satz 2 BayBO hat der Gesetzgeber ausdrücklich festgelegt, dass die formelle Genehmigungsfreiheit sowie die Beschränkung der bauaufsichtlichen Prüfung im (u.a.) vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen befreit, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen gestellt werden, und die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse, insbesondere also die Eingriffsbefugnisse nach Art. 74 ff. und nach Art. 54 BayBO, unberührt lassen. Über die eingeschränkte Feststellungswirkung einer auf der Grundlage der BayBO 2008 im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erteilten Baugenehmigung sowie über das daraus folgende Risiko, dass eine Bauaufsichtsbehörde bei einem Verstoß gegen materielles Bauordnungsrecht – trotz erteilter Baugenehmigung - bauaufsichtliche Maßnahmen ergreift, kann ein Bauherr, dessen Eigenverantwortlichkeit für die Einhaltung der rechtlichen Vorschriften der Gesetzgeber im Übrigen ebenfalls betont hat, deshalb nicht im Unklaren sein.

Nach all dem verbleibt es bei der Rechtsauffassung des Senats, dass die Beklagte im vorliegenden Verfahren den Bauantrag nicht wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses ablehnen durfte. Es bleibt ihr unbenommen, wegen des von ihr angenommenen schwerwiegenden Verstoßes gegen das Verunstaltungsverbot des Art. 8 BayBO gegebenenfalls zeitgleich mit dem – positiv abzuschließenden - Baugenehmigungsverfahren bauaufsichtliche Maßnahmen gegen die Realisierung des Vorhabens zu ergreifen (vgl. die Senatsentscheidungen vom 16.7.2002 a.a.O. und vom 25.7.2002 a.a.O.). Über die Rechtmäßigkeit derartiger bauaufsichtlicher Maßnahmen wird ggf. in einem gesonderten gerichtlichen Verfahren zu entscheiden sein.

Die Beklagte war daher in Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils und unter Aufhebung ihres entgegenstehenden Bescheids zu verpflichten, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

Die Beklagte hat nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.500,-- Euro festgesetzt (§ 47, § 52 Abs. 1 GKG).