Bayerischer VGH, Beschluss vom 27.07.2009 - 4 N 09.1300
Fundstelle
openJur 2012, 101535
  • Rkr:
Tenor

I. § 28 Abs. 2 der Bestattungs- und Friedhofssatzung der Stadt Nürnberg vom 6. April 2009 wird für unwirksam erklärt.

II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Beschluss ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Antragstellerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem am 3. Juni 2009 erhobenen Normenkontrollantrag gegen § 28 Abs. 2 der Bestattungs- und Friedhofssatzung (BFS) der Stadt Nürnberg. Der Stadtrat hat die Neufassung der Bestattungs- und Friedhofssatzung am 25. März 2009 einstimmig beschlossen. Sie wurde am 6. April 2009 ausgefertigt und im Amtsblatt Nr. 8 vom 15. April 2009, S. 134 ff. veröffentlicht.

Die angegriffene Bestimmung lautet:

„Es dürfen nur Grabmale aufgestellt werden, die nachweislich in der gesamten Wertschöpfungskette ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne des Übereinkommens über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO-Konvention 182), in Kraft getreten am 19. November 2000, hergestellt wurden.“

Bei der Antragstellerin handelt es sich um einen Steinmetzbetrieb, der – nach eigenen Angaben – vor allem auf den Friedhöfen der Antragsgegnerin tätig ist. Zur Begründung ihres Normenkontrollantrags führte sie aus, sie lehne jede Form von Kinderarbeit ab, sei aber nicht in der Lage, die Wertschöpfungskette darzustellen. Sie beziehe sich auf die Urteile des Senats vom 4. Februar 2009 (Az. 4 N 08.778, BayVBl 2009, 367) und des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. November 2008 (Az. 7 C 10771/08.OVG, NVwZ-RR 2009, 394).

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

§ 28 Abs. 2 der Bestattungs- und Friedhofssatzung der Stadt Nürnberg für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Normenkontrollantrag abzulehnen, hilfsweise die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zuzulassen.

Seit Inkrafttreten der angegriffenen Satzungsbestimmung werde von der Friedhofsverwaltung der Antragsgegnerin vom jeweiligen Grabnutzungsberechtigten, mittelbar dadurch vom beauftragten Steinmetzbetrieb per Formular eine Erklärung und die Vorlage von entsprechenden Nachweisen verlangt. Die Friedhofsverwaltung genehmige Grabmale aus Altbeständen, die vor Inkrafttreten der Satzung am 16. April 2009 angeschafft worden seien, übergangsweise bis zum 30. April 2010 ohne Forderung des vorgenannten Nachweises. Der Nachweis sei problemlos zu erbringen. Unter anderem würden Zertifikate der IGEP Foundation India in Zusammenarbeit mit der Rugmark Foundation India, Bescheinigungen vom Zertifizierungs- und Qualitätsmanagementunternehmen Intertek und „fair-stone“-Bescheinigungen der Firma Win-Win anerkannt. Auch die Abgabe einer vom Zentralverband der Deutschen Natursteinwirtschaft e.V. bestätigten Eigenerklärung werde als ausreichend angesehen. Die Nennung der einzelnen akzeptablen Nachweise in der Satzung selbst sei weder geboten noch praktikabel, da das Angebot an geeigneten Zertifizierungsmöglichkeiten ständig wachse. § 28 Abs. 2 BFS sei hinreichend bestimmt und regele die wesentlichen Gesichtspunkte, die abstrakt-generell zu erfassen seien.

Die Antragsgegnerin tritt den oben genannten Urteilen entgegen und meint, die angefochtene Norm stelle eine einrichtungsbezogene Regelung im Rahmen der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft dar (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO). Die Erfüllung des mit der Einrichtung verfolgten Zwecks – würdevolle Ruhestätte der Toten und Ort zur Pflege ihres Andenkens (Art. 8 Abs. 1 BestG) – würde konterkariert, müsste in Kenntnis der Umstände, die bei der Herstellung der Grabsteine geherrscht haben könnten, die Aufstellung jeglichen Grabmals ohne Nachweis über Herkunft und Herstellung geduldet werden. Da die Regelung nur die Erfüllung des Friedhofszwecks absichern solle, komme es nicht darauf an, dass das Verbot der Kinderarbeit ein weltweites politisches Anliegen sei. Dass für Importregelungen, Fragen des Arbeitsrechts und Arbeitsschutzes und die auswärtigen Angelegenheiten der Bund die Gesetzgebungskompetenz habe, schließe eine – die Wahrnehmung dieser Aufgaben und Kompetenzen durch die dafür zuständigen Stellen unberührt lassende – Befassung durch die Antragsgegnerin nicht aus. Diese nehme nur eine Befugnis wahr, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzele, da das Andenken an die Toten auf den örtlichen Friedhöfen entsprechend ermöglicht werden solle.

§ 28 Abs. 2 BFS schränke weder die Berufsfreiheit noch das Eigentum unverhältnismäßig ein. Die Antragsgegnerin könne bei Beschaffungen im Rahmen des Vergaberechts (§ 97 Abs. 2 GWB) entsprechende Vorgaben machen; wenn nur noch von der Antragsgegnerin eigens beschaffte Grabmale auf den Friedhöfen aufgestellt werden dürften, könne die Antragsgegnerin genau das erreichen, was ihr nach Ansicht der Antragstellerin im Rahmen der Satzungshoheit verwehrt bleiben solle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowohl im Hauptsache- wie im Normenkontrolleilverfahren (Az. 4 NE 09.1301) sowie auf die Akte der Antragsgegnerin über den Normerlass verwiesen.

II.

Über den Normenkontrollantrag kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (vgl. § 47 Abs. 5 S. 1 VwGO), weil der erkennende Senat die aufgeworfenen Rechtsfragen bereits im Urteil vom 4. Februar 2009 (Az. 4 N 08.778, BayVBl 2009, 367) beantwortet hat. Die Antragserwiderung zeigt insoweit keine neuen Gesichtspunkte auf, die einer mündlichen Verhandlung bedürften.

Der Normenkontrollantrag ist zulässig und begründet. Die beanstandete Vorschrift ist für unwirksam zu erklären, weil es der Antragsgegnerin an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für die getroffene Regelung mangelt.

Der Senat hält an seiner im Urteil vom 4. Februar 2009 geäußerten Rechtsauffassung vollumfänglich fest. Wiederholend sei nochmals ausgeführt, dass sich die Antragsgegnerin nicht auf ihr Recht berufen kann, durch Satzung die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen zu regeln (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO). Denn die angefochtene Satzungsregelung hält sich aus mehreren Gründen nicht innerhalb der Grenzen dieser Ermächtigungsgrundlage:

1. Satzungsregelungen über die Benutzung einer Einrichtung müssen geeignet und erforderlich sein, um den Zweck zu erfüllen, dem die Einrichtung zu dienen bestimmt ist; insbesondere dürfen nicht anstaltsfremde Zwecke verfolgt werden. Friedhöfe sind öffentliche Einrichtungen, die den Verstorbenen als würdige Ruhestätte und der Pflege ihres Andenkens gewidmet sind (Art. 8 Abs. 1 BestG). Aus dieser öffentlichen Zweckbestimmung ergibt sich der zulässige Inhalt einer Friedhofsatzung, die Vorschriften enthalten muss, die für eine geordnete Bestattung und würdige Totenehrung notwendig sind (vgl. Klingshirn, Bestattungsrecht in Bayern, Erl. XIII RdNr. 23). Dazu gehören regelmäßig u.a. Vorschriften über die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten auf dem Friedhof, die Gestaltung der Grabstätten, insbesondere die Grabmalgestaltung (Art und Größe), die Instandhaltung der Grabstätte und ihre Pflege sowie die sonstigen Gestaltungsbestimmungen, mit denen die Würde des Ortes gewahrt werden soll. Zu diesem Funktionszusammenhang können auch Bestimmungen gehören, mit denen die Standsicherheit der Grabmale gesichert werden soll (vgl zum Ganzen auch Gaedke, Bestattungsrecht, 9. Aufl. 2004, S. 64 ff, 177 f).

Die angefochtene Satzungsregelung verfolgt der Sache nach einrichtungsfremde Zwecke, nämlich die Bekämpfung der Kinderarbeit weltweit. Sie ist nicht geeignet den Friedhofszweck zu fördern. Sie regelt nicht die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten auf dem Friedhof, sondern allenfalls deren Vorfeld. Es handelt sich auch nicht um Vorschriften zur Grabmalgestaltung, denn die Herkunft und Produktionsbedingungen der Grabsteine, deren Nachweis die Antragsgegnerin verlangt, sind keine die Beschaffenheit des Grabsteins kennzeichnende Eigenschaft. Herkunft und Produktionsbedingungen können bei der Betrachtung des jeweiligen Grabsteins nicht äußerlich festgestellt werden und sind nicht geeignet, das – nur im Rahmen des geltenden Rechts zu berücksichtigende – Empfinden der Gesamtheit der Friedhofsbenutzer zu beeinträchtigen. Schließlich kann sich die Antragsgegnerin zur Rechtfertigung der angegriffenen Satzungsregelung auch nicht auf ihr Eigentum an den Friedhöfen berufen (vgl. allgemein Hölzl/Hien, Gemeindeordnung mit Verwaltungsgemeinschaftsordnung, Landkreisordnung und Bezirksordnung für den Freistaat Bayern, Anm. 2a zu Art. 24 GO), zumal das Grabmal Eigentum des Grabnutzungsberechtigten bleibt (Gaedke, a.a.O., S. 185). Dementsprechend geht auch der Hinweis der Antragsgegnerin auf vergaberechtliche Bestimmungen fehl.

2. Desweiteren überschreitet die angegriffene Bestimmung die Ermächtigungsgrundlage des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO, weil sie sich nicht auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft bezieht. Auf diese Angelegenheiten ist indes die Satzungsbefugnis der Antragstellerin nach Art. 28 Abs. 2 GG von vornherein beschränkt (so schon BVerfG vom 30.7.1958 BVerfGE 8, 122 Leitsatz 3). Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und –wohnen der Menschen in der politischen Gemeinde betreffen (BVerfG vom 23.11.1988 BVerfGE 79, 127/151 f m.w.N.). § 28 Abs. 2 BFS normiert, dass nur Grabmale aufgestellt werden dürfen, die nachweislich in der gesamten Wertschöpfungskette ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinn der ILO-Konvention 182 hergestellt sind. Die Vorschrift zielt darauf ab, den Absatz von Steinmaterial zu verhindern, das in Ländern der Dritten Welt unter Bedingungen gefördert wird, die unter Artikel 3 lit. a) - Sklaverei und ähnliche Praktiken wie Schuldknechtschaft, Leibeigenschaft - und/oder lit. d) - Arbeit, die ihrer Natur nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet wird, voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder Sittlichkeit von Kindern schädlich ist - des ILO-Übereinkommens 182 fallen. Sie dient mithin der Umsetzung eines weltweiten politischen Anliegens (Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation sind alle Staaten mit Ausnahme von Nordkorea und Bhutan; zu den vom Übereinkommen damals erfassten Staaten vgl. Bekanntmachung vom 28.6.2002 BGBl. II S. 2352), das keinen spezifisch örtlichen Bezug aufweist. Damit ergibt sich auch ohne weiteres, dass diese Satzungsbestimmung nicht als örtliche Vorschrift im Sinn des Art. 17 BestG verstanden werden kann.

3. Da sich die angegriffene Satzungsbestimmung auch nicht unmittelbar auf das Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (ILO-Übereinkommen 182) stützen lässt (vgl. im Einzelnen Urteil des Senats vom 4. Februar 2009 Az. 4 N 08.778, juris RdNr. 33 f.) war § 28 Abs. 2 BFS vom 6. April 2009 für unwirksam zu erklären; die Antragsgegnerin hat die Entscheidungsformel in derselben Weise zu veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekannt zu machen wäre (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

 

Beschluss

Der Streitwert wird auf 15.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG; der Senat folgt insoweit der in Nr. 15.4 ausgesprochenen Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit <NVwZ 2004, 1327>).