VG München, Urteil vom 29.06.2009 - M 8 K 08.3749
Fundstelle
openJur 2012, 101205
  • Rkr:
Tenor

I. Der Bescheid vom … Juli 2008 (Az. …) wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verpflichtet, die Genehmigung zur Fällung einer Esche, Stammumfang: 88 cm, auf dem Grundstück …str. 78, Fl.Nr. 326/11149, Gemarkung … zu erteilen.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen

IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Am 24. April 2008 beantragte der Kläger unter anderem die Erteilung einer Genehmigung für die Fällung einer Esche mit einem Stammumfang von 88 cm auf dem Grundstück …str. 78 Gemarkung ….

Der Antrag wurde damit begründet, dass die in der, auf der Tiefgaragendecke aufgebrachten, relativ dünnen Humusschicht befindliche Esche eine Gefahr für diese Tiefgaragendecke darstelle. Die Esche sei bereits 20 m hoch und entsprechend schwer. Die Humusdecke betrage maximal 60 cm. Der Antragsteller sei von der Hausverwaltung auf die Gefährdung hingewiesen worden.

Nachdem bei einer Ortskontrolle durch einen Außendienstmitarbeiter der Beklagten keine Schäden an der zur Fällung beantragten Esche festgestellt worden waren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom … Juli 2008 den Antrag auf Erteilung einer Fällungsgenehmigung für die streitgegenständliche Esche ab.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass für die Erteilung einer Genehmigung nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BaumSchVO kein ausreichender Grund vorliege. Die Gründe des öffentlichen Interesses am Erhalt des Baumbestandes gingen dem Interesse des Klägers an der Durchführung der beantragten Maßnahme vor. Die zur Fällung beantragte Esche habe bei der Ortskontrolle keine erkennbaren Schäden im Kronen-, Stamm- und Wurzelbereich aufgewiesen; lediglich eine Gabelung in 4 m Höhe und Totholzvorkommen in den Kronen, sowie eine Aufastung in 3 m Höhe im Stammbereich seien ersichtlich. Bei der erhaltenswerten Esche handele es sich um einen gesunden Baum mit nur leicht abbauendem Versorgungszustand. Eine Beseitigung des Baumes würde zu einer wesentlichen Veränderung der örtlichen Grünsituation führen. Auf die besondere Bedeutung für das Straßen- und Ortsbild wegen des Habitus des Baumes werde hingewiesen. Eine Schädigung der Tiefgaragendecke oder der Hausfassade habe bei der Ortsbesichtigung nicht festgestellt werden können. Ein Gutachten, welches eine Schädigung oder Gefährdung der Tiefgarage belegen würde, sei bisher nicht vorgelegt worden. Die reine Vermutung der Beschädigung oder Gefährdung der Tiefgarage sowie eine allgemeine Befürchtung einer erhöhten Bruch-, Sturz- oder Einwurzelungsgefahr sei kein hinreichend konkreter Grund, der die Fällung der Esche rechtfertigen würde.

Die Zustellung des Bescheides vom … Juli 2008 ist aus den Akten nicht ersichtlich.

Mit einem am 4. August 2008 beim Verwaltungsgericht München eingegangenen Schreiben vom 30. Juli 2008 legte der Kläger beim Verwaltungsgericht München „Widerspruch“ gegen den Bescheid vom … Juli 2008 ein.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Befürchtung einer Schädigung der Tiefgaragendecke keineswegs eine reine Vermutung sei. Laut dem Gutachten des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, Herrn … vom 3. Mai 2001 sei die streitgegenständliche Esche ein Tiefwurzler. Die Humusschicht auf der Tiefgaragendecke habe zum Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit der Wohnanlage im Jahre 1982 60 cm betragen. Zusammengesetzt sei diese Schicht aus Feuchtisolierung, Kiesfilter und Humus. Man könne zudem mit Sicherheit von einem deutlichen Humusschwund im Verlauf so vieler Jahre ausgehen. Für einen tiefwurzelnden Baum von 88 cm Stammumfang in 1 m Höhe und einer Baumhöhe von 25 m sei eine so dünne Humusschicht laut Auskunft des Gutachters und eines Mitarbeiters des … riskant. Es sei inakzeptabel, erst eine konkrete Beschädigung der Tiefgaragendecke oder sogar die Verletzung von Menschen in der Tiefgarage abzuwarten, bis der Baum gefällt werden könne.

Mit Schriftsatz vom 20. August 2008 beantragten die Bevollmächtigten des Klägers,

die Beklagte zu verpflichten, dem klägerischen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung zur Fällung einer Esche zu entsprechen.

Mit Schriftsatz vom 22. September 2008 vertieften die Bevollmächtigten des Klägers das bisherige Vorbringen und legten Auszüge eines Beweisgutachtens des Herrn … vom Mai 2001 vor.

Mit Schreiben vom 2. Oktober 2008 beantragte die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat am 29. Juni 2009 einen Augenschein durchgeführt. Auf die Niederschrift dieses Augenscheins sowie der anschließenden mündlichen Verhandlung, in der die Bevollmächtigte des Klägers ihren Antrag dahingehend vervollständigte, auch den Bescheid vom … Juli 2008 aufzuheben, wird verwiesen.

Aufgrund des fehlenden Verpflichtungsausspruchs im Tenor der Entscheidung vom 25. Juni 2009 wurde das Urteil insoweit am 3. August 2009 ergänzt. Auf das Ergänzungsurteil wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom … Juli 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat Anspruch auf die Erteilung der begehrten Fällungsgenehmigung, § 113 Abs. 5 VwGO.

1. Rechtsgrundlage des Genehmigungserfordernisses für die Fällung der streitgegenständlichen Esche ist die Baumschutzverordnung der Beklagten vom 10. Mai 1992 (MüABl S. 181) in den Änderungsfassungen vom 12. Juli 1994 (MüABl. S. 249) und 18. Dezember 2000 (MüABl. S. 549).

1.1 Zweifel an der Wirksamkeit der Baumschutzverordnung wurden nicht geltend gemacht, solche bestehen auch nicht. Die städtische Baumschutzverordnung wurde auf der Grundlage des Art. 7 Abs. 2, Art. 37 Abs. 2 Nr. 3 und Art. 45 Abs. 1 Nr. 5 BayNatSchG erlassen. Diesen Bestimmungen zufolge kann der Bestand an Bäumen und Sträuchern innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile durch eine gemeindliche Rechtsverordnung geschützt werden - wie das hier für bestimmte Bereiche innerhalb des Stadtgebiets … geschehen ist. Das Grundstück des Klägers liegt innerhalb der Grenzen des geschützten Bereichs, § 1 Abs. 5 BaumSchVO.

1.2 Nach § 5 Abs. 1 BaumSchVO kann das Entfernen, Zerstören oder Verändern geschützter Gehölze auf Antrag genehmigt werden, wenn unter anderem

der Bestand oder die Nutzbarkeit eines Grundstücks oder eines vorhandenen Gebäudes unzumutbar beeinträchtigt wird (Nr. 2).

Eine derartige unzumutbare Beeinträchtigung des vorhandenen Gebäudes ist vorliegend nach Überzeugung des Gerichts eindeutig und zwar in zweifacher Hinsicht gegeben. Die streitgegenständliche Esche, die sich in einem Abstand von ca. 8 m von der rückwärtigen Außenmauer des Gebäudes …str. 78 befindet, gefährdet sowohl den oberirdischen Teil des Gebäudes als auch die Decke dessen Tiefgarage. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig und wird im Übrigen auch durch die vorgelegten Auszüge des Gutachtens aus dem Jahre 2001 belegt, dass die streitgegenständliche Esche ein grundsätzlich tiefwurzelnder Baum ist. Wie sich aus der vorgelegten Kopie des Schnittes des streitgegenständlichen Gebäudes ergibt, beträgt die auf die Tiefgaragendecke aufgebrachte Schicht insgesamt 0,60 m, wobei hiervon ein Teil auf die Feuchtisolierung und den Kiesfilter entfällt, so dass die Humusschicht nicht unerheblich geringer sein dürfte. Ein tiefwurzelnder Baum wie die streitgegenständliche Esche, findet in diesem Bereich keine Bodenbedingungen, die langfristig einen ungefährlichen bzw. ungefährdeten Aufwuchs sichern könnten. Das bedeutet, dass sich mit zunehmendem Alter und Größe dessen Stabilitätsverhältnisse in sicherheitsrelevanter Weise entsprechend verschlechtern. Es bedarf keines Gutachtens, um zu konstatieren, dass die Stabilität des Baumes auf Dauer nicht gesichert sein kann, wenn er einerseits höher und schwerer wird, dem Wurzelwerk andererseits die natürlich vorgegebenen Ausbreitungsmöglichkeiten, vor allem in die Tiefe fehlen. Da die streitgegenständliche Esche bei einer Humusschicht von unter 0,60 m vorliegend sehr schlechte Bodenbedingungen vorfindet, kann bei einer Größe von ca. 16 m und einem Stammumfang von 0,88 m sowie dem geringen Abstand von 8 m zum Gebäude nicht mehr nur von einer abstrakten Gefährdung ausgegangen werden. Vielmehr steht zu befürchten, dass der Baum durch entsprechende Witterungsverhältnisse jederzeit entwurzelt werden kann. Besonders groß ist diese Gefahr bei starkem Sturm nach ergiebigen Regenfällen, da das Wurzelwerk des streitgegenständlichen Baumes dann in dem durchfeuchteten Boden kaum mehr Halt haben dürfte.

Ein Belassen des Baumes ist dem Kläger jedenfalls bei einer sich zumindest in der Zukunft so klar abzeichnenden und nicht zu verhindernden Gefahr nicht zumutbar. An dieser - nach Überzeugung des Gerichts inzwischen durchaus konkreten Gefahr - kann auch die Einschätzung des fachlichen Mitarbeiters der Beklagten, dass der streitgegenständliche Baum derzeit keine größeren Schäden aufweist, nichts ändern

2. Ein Belassen der streitgegenständlichen Esche ist dem Kläger aber auch im Hinblick auf die zu erwartende Beschädigung der Tiefgaragendecke nicht zumutbar.

Zweifellos sind Bäume, wie die streitgegenständliche Esche, mittel- bis langfristig geeignet, Undichtigkeiten von Tiefgaragenabdeckungen zu verursachen. Die feinen Haarwurzeln der Bäume sind bekanntermaßen in der Lage, auch in Betondecken einzudringen, dort wiederum kleine Haarrisse zu verursachen, die durch entsprechenden Bodenfrost weiter aufplatzen und damit zur Undichtigkeit einer solchen Beton- bzw. Tiefgaragenabdeckung führen. Derartige Schäden sind, wie dem Gericht aus mehreren derartigen Verfahren bekannt ist, mit erheblichen Sanierungskosten verbunden.

Auch im Hinblick auf diese durchaus konkrete Schadenseintrittswahrscheinlichkeit ist es dem Kläger nicht zumutbar, die streitgegenständliche Esche auf der Tiefgaragenabdeckung zu belassen. Der Kläger muss sich auch und gerade im Hinblick auf Art. 14 GG nicht darauf verweisen lassen, einen entsprechenden Schadenseintritt abzuwarten, nach dessen Realisierung der streitgegenständliche Baum ohnehin gefällt werden müsste.

Ebenso wenig kann dem Kläger daher zugemutet werden, zunächst noch ein Gutachten einzuholen, das die aktuelle Gefährdung der Tiefgaragendecke, sei es durch die Wurzeln des Baumes, sei es durch dessen Gewicht, derzeit nachweist.

3. Da die unter Ziff. 1 und 2 dargelegten, durch den streitgegenständlichen Baum verursachten, Gefährdungen des Gebäudes und auch der Tiefgarage konkret und auch erheblich sind, verdichtet sich das, der Beklagten in § 5 Abs. 1 BaumSchVO grundsätzlich eingeräumte Ermessen auf eine Pflichtentscheidung zugunsten der Erteilung der Genehmigung.

Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

 

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 1.000,-- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).

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