Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.06.2009 - 15 CS 09.860
Fundstelle
openJur 2012, 101047
  • Rkr:
Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. März 2009 wird in Nummern I. und II. aufgehoben.

II. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 15. Dezember 2008 wird abgelehnt.

III. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen in beiden Rechtszügen.

IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die dem Beigeladenen am 15. Dezember 2008 erteilte Baugenehmigung für die Erweiterung einer Biogasanlage. Er befürchtet insbesondere unzumutbare Lärmbelästigungen durch tieffrequente Geräuschimmissionen.

Am 9. Januar 2009 erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht und beantragte gleichzeitig vorläufigen Rechtsschutz.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 24. März 2009 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass offen sei, ob die Genehmigung den Antragsteller in seinen Rechten verletze. Die vorliegenden fachlichen Stellungnahmen wiesen gravierende Unterschiede auf, die nicht nachvollziehbar seien. Es sei nicht sichergestellt, dass die in der Baugenehmigung vorgegebenen Immissionsrichtwerte tatsächlich eingehalten werden könnten. Bei dieser Sachlage lägen besondere Umstände vor, die ein Abweichen vom gesetzlich angeordneten grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses rechtfertigen würden.

Hiergegen wendet sich der Beigeladene mit der Beschwerde. Er trägt vor, dass mittlerweile ein Schalldämpfer eingebaut sei, der insbesondere im tieffrequenten Bereich bis zu 25 dB(A) aufnehme. Ein beauftragtes Gutachterbüro komme nach einer schalltechnischen Messung zum Ergebnis, dass nunmehr sämtliche Immissionsrichtwerte sowohl zur Tages- als auch zur Nachtzeit eingehalten würden.

Die Antragsgegnerin schloss sich den Ausführungen des Beigeladenen mit Schriftsatz vom 6. Mai 2009 an. Die in der Baugenehmigung zum Immissionsschutz enthaltenen Zielvorgaben seien bei regelmäßigem Betrieb der Biogasanlage nach dem Stand der Technik ohne weiteres einzuhalten.

Der Antragsteller beantragte mit Schriftsatz vom 4. Juni 2009, die Beschwerde zurückzuweisen. Der Vortrag des Beschwerdeführers sei nicht zu berücksichtigen, da er sich auf Umstände beziehe, die erst nach Erlass des Beschlusses des Verwaltungsgerichts entstanden seien. Die Baugenehmigung sei offensichtlich rechtswidrig, da sie nicht in der Lage sei, die auftretenden Lärmkonflikte hinreichend zu bewältigen. Die bloßen Zielvorgaben zu Immissionsrichtwerten seien zur Konfliktbewältigung nicht ausreichend, da nicht klar sei, ob die Richtwerte überhaupt eingehalten werden könnten. Es seien deshalb in die Baugenehmigung konkrete Vorgaben, insbesondere für den einzubauenden Resonanzschalldämpfer aufzunehmen. Im Übrigen seien die Aussagen im vorgelegten Lärmgutachten nicht nachvollziehbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Nach summarischer Prüfung des nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO für die Beschwerdeentscheidung in erster Linie maßgebenden Beschwerdevorbringens verstößt die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nicht gegen Rechte des Antragstellers schützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Damit verbleibt es beim gesetzlich angeordneten grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses (§ 212 a Abs. 1 BauGB).

1. Der mit Schriftsatz vom 27. April 2009 vorgetragene nachträgliche Einbau eines Schalldämpfers und das vorgelegte Lärmgutachten vom 27. April 2009 waren im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu berücksichtigen.

Das Beschwerdeverfahren ist offen für neue Tatsachen, auch soweit diese erst während des Beschwerdeverfahrens eingetreten sind (Happ in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 29 zu § 146; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, RdNr. 42 zu § 146). Der Streitgegenstand wird durch das Beschwerdevorbringen nicht verändert. Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die mit den Auflagen Nr. 4.4.21 und Nr. 4.4.22 in die Baugenehmigung aufgenommenen Zielvorgaben geeignet und ausreichend sind, um den Antragsteller vor schädlichen Lärmeinwirkungen zu schützen. Der Einbau des Schalldämpfers stellt eine technische Umsetzung dieser Zielvorgaben dar. Er kann insoweit allenfalls Indizwirkung im Hinblick auf die Frage entfalten, ob überhaupt technische Möglichkeiten bestehen, die vorgegebenen Richtwerte einzuhalten.

2. Die Baugenehmigung vom 15. Dezember 2008 verletzt aller Voraussicht nach keine Rechte des Antragstellers.

a) Das Vorhaben des Beigeladenen ist nach den Planunterlagen im Außenbereich gelegen. Da es sich um ein privilegiertes Vorhaben handelt, beurteilt sich die planungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 Abs. 1 BauGB. Der vom Antragsteller geltend gemachte Schutz vor schädlichen Lärmeinwirkungen kann sich deshalb nur aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ergeben, der gleichermaßen für privilegierte und sonstige Vorhaben im Außenbereich gilt (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Oktober 2008, RdNr. 88 zu § 35). Danach müssen im Außenbereich ansässige Betriebe auf die benachbarte Wohnbebauung Rücksicht nehmen, damit diese vor schädlichen Umwelteinwirkungen geschützt wird (BVerwG vom 25.2.1977 BVerwGE 52, 122 ff.). Unzumutbar und für die Nachbarn nicht mehr hinzunehmen sind in der Regel Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen herbeizuführen. Sind – wie hier – Lärmimmissionen zu erwarten, so kann bei der Beurteilung der Zumutbarkeit auf Grundsätze und Begriffe des Bundesimmissionsschutzgesetzes zurückgegriffen werden, die ihrerseits wiederum durch die Bestimmungen der auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 BImSchG erlassenen TA Lärm vom 26. August 1998 (GMBl 1998, S. 503) konkretisiert werden.

b) Die in der Baugenehmigung vom 15. Dezember 2008 enthaltenen Auflagen Nr. 4.4.21 und Nr. 4.4.22 stellen die Einhaltung der nach der TA Lärm von dem Vorhaben einzuhaltenden Immissionsrichtwerte hinreichend sicher.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist es im Grundsatz zulässig, den Lärmschutz in dieser Weise durch zielorientierte Festlegungen zu regeln (vgl. z.B. BayVGH vom 31.5.2007 Az. 15 CS 07.389 - juris -; vom 9.3.2009 Az. 15 CS 09.21 -juris-). Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass die Richtwerte im regelmäßigen Betrieb auch eingehalten werden können. Konkrete nutzungseinschränkende Regelungen muss die Baugenehmigung in einem solchen Fall nicht enthalten (vgl. BayVGH vom 18.7.2002 BayVBl 2003, 503). Nach summarischer Prüfung ergeben sich derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass die vorgegebenen Richtwerte beim regelmäßigen Betrieb des Vorhabens nicht eingehalten werden können.

(1) Dies gilt zunächst für den in Auflage Nr. 4.4.21 festgelegten Beurteilungspegel von 40 dB(A) zur Nachtzeit an den dort genannten Immissionspunkten, u.a. dem Wohnhaus des Antragstellers.

Nach Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. c der TA-Lärm gilt für allgemeine Wohngebiete nachts ein Immissionsrichtwert von 40 dB(A). Ob das Gebiet, wie die Antragsgegnerin vorträgt, aufgrund der situativen Vorbelastung nur das Schutzniveau eines Mischgebiets beanspruchen kann, kann dahingestellt bleiben. In Auflage Nr. 4.4.21 der Baugenehmigung sind die für den Antragsteller insoweit günstigeren Werte für allgemeine Wohngebiete festgesetzt. In dem vom Beigeladenen im Beschwerdeverfahren vorgelegten Lärmgutachten wird ausgeführt, dass nach Einbau des Schalldämpfers messtechnisch ein – tageszeitunabhängiger – Beurteilungspegel von unter 38 dB(A) ermittelt wurde. Der Messung lag der Betrieb der Anlage in der genehmigten Form mit der maximalen Anlagenleistung von 360 kW zugrunde. Damit wird die in der Baugenehmigung enthaltene Zielvorgabe ohne weiteres eingehalten.

Der Antragsteller tritt den gutachterlichen Äußerungen nicht substantiiert entgegen. Er trägt insoweit nur vor, dass im Hinblick auf Nr. 3.2.1 TA Lärm und zur Vermeidung der Berücksichtigung entsprechender Vorbelastungen durch andere Anlagen die einzuhaltenden Immissionsrichtwerte um 6 dB(A), also auf 34 dB(A) hätten reduziert werden müssen. Anhaltspunkte für eine Vorbelastung i.S.v. Nr. 2.4 Abs. 1 TA Lärm, die im Rahmen von Nr. 3.2.1 TA Lärm zu berücksichtigen wäre, ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen jedoch nicht. Vielmehr ist das Wohnhaus des Antragstellers offensichtlich erheblichen Fremdgeräuschen i.S.v. Nr. 2.4 Abs. 4 TA-Lärm ausgesetzt, die von der nahe gelegenen Straße ausgehen. Der Verkehrslärm kann dem genehmigten Vorhaben jedoch nicht zugerechnet werden. Die dem Anlagebezug des deutschen Rechts zugrundeliegende getrennte („segmentierende“) Betrachtung von Gewerbelärm (nach Maßgabe der TA Lärm) und Straßenverkehrs- und Schienenlärm (jeweils nach Maßgabe der 16. BImSchV) sieht die Summierung sämtlicher Lärmquellen nicht vor (BayVGH vom 9.2.2009 Az. 15 ZB 09.127 -juris-). Die definitive rechtliche Grenze bildet insoweit nur der grundrechtliche Schutz von Eigentum und insbesondere Gesundheit (vgl. BVerwG vom 31.3.1996 BVerwGE 101, 1/10 f.). Die in diesem Zusammenhang erörterten kritischen Werte von 70/75 dB(A) tags und 60/65 dB(A) nachts werden auch nach dem Vortrag des Antragstellers nicht annähernd erreicht.

(2) Des weiteren stellt die Auflage Nr. 4.4.22 hinreichend sicher, dass die durch den Betrieb der Anlage hervorgerufenen tieffrequenten Geräusche die Grenze des Zumutbaren nicht überschreiten.

Die Nebenbestimmung schreibt vor, dass die tieffrequenten Geräusche in benachbarten Aufenthaltsräumen, die Wohnzwecken dienen und in benachbarten Räumen mit vergleichbarer Schutzwürdigkeit die in DIN 45680, Beiblatt 1 (Stand 03-1997) genannten Anhaltswerte nicht überschreiten dürfen. Nach Nr. 7.3 und Nr. A.1.5 Abs. 3 TA Lärm enthält die DIN 45680 Hinweise zur Ermittlung und Bewertung tieffrequenter Geräusche. Danach sind schädliche Umwelteinwirkungen nicht zu erwarten, wenn die in Beiblatt 1 genannten Anhaltswerte nicht überschritten werden. Nach summarischer Prüfung ist davon auszugehen, dass diese Anhaltswerte beim Betrieb der Anlage in der genehmigten Form eingehalten werden können. Dies ergibt sich aus dem vom Beigeladenen vorgelegten Lärmgutachten vom 27. April 2009. Dem Gutachten lag die messtechnische Ermittlung der Lärmemissionen der Abgasleitungen und die darauf beruhende Berechnung der tieffrequenten Geräusche zugrunde. Die berechneten tieffrequenten Pegel lagen unter der Hörschwelle, lediglich bei 80 Hz lag der Pegel um 4 dB(A) über der Hörschwelle, aber noch unter dem in Beiblatt 1 zu DIN 45680 genannten Anhaltswert. Damit spricht derzeit Vieles dafür, dass nach Einbau des Schalldämpfers die vorgegebenen Richtwerte eingehalten werden.

Der Antragsteller trägt hierzu vor, dass aussagekräftige Werte zur Belastung durch tieffrequente Geräusche nur nach Messungen in den betroffenen Wohnräumen ermittelt werden könnten. Auch im Vorwort zur DIN 45680 wird ausgeführt, dass wegen der Besonderheiten des tieffrequenten Lärms in der Regel ergänzende Messungen innerhalb der Wohnung notwendig sind. Diese ergänzenden Messungen können jedoch ohne weiteres im Klageverfahren vorgenommen werden. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes kommt demgegenüber dem vorgelegten Gutachten Indizwirkung zu. Soweit sich im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass die vorgegebenen Werte trotz des eingebauten Schalldämpfers nicht eingehalten werden können, kann dies Gegenstand nachträglicher Anordnungen sowohl in bauordnungsrechtlicher als auch in immissionsschutzrechtlicher Hinsicht sein. Anhaltspunkte dafür, dass die Einhaltung der Richtwerte grundsätzlich unmöglich ist, sind nicht ersichtlich. In dem vom Antragsteller in Auftrag gegebenen Gutachten vom 24. Februar 2009 wird ausgeführt, dass die Umsetzung entsprechender Festlegungen zum Lärmschutz für den Anlagenbetreiber mit verhältnismäßigen Mitteln möglich ist. Um die immissionsschutzrechtlichen Anforderungen insbesondere im tieffrequenten Bereich einzuhalten, seien entsprechende Resonanzschalldämpfer einzubauen. Auch dies weist darauf hin, dass die mit den Auflagen formulierten Zielvorgaben mit verhältnismäßigen technischen Mitteln auch eingehalten werden können. Es entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem Betroffenen bei einer solchen Sachlage die Auswahl unter den verschiedenen in Betracht kommenden Mitteln zu überlassen (vgl. BVerwG vom 13.5.1983 Buchholz 406.25 § 22 BImSchG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).