Bayerischer VGH, Beschluss vom 07.05.2009 - 11 CE 09.426
Fundstelle
openJur 2012, 100272
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 24. Juni 2004 entzog das Landratsamt Neumarkt i. d. OPf. dem Antragsteller die Fahrerlaubnis, da er der Aufforderung, an einem Aufbauseminar im Sinn von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 8 StVG teilzunehmen, nicht nachgekommen war.

Am 29. Dezember 2005 erlangte die Antragsgegnerin davon Kenntnis, dass der Antragsteller am 26. August 2005 in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis der Klasse B erworben hatte. Als Wohnsitz ist darin "Passau, Spolková Republika Nmecko" eingetragen.

Einen am 4. April 2006 gegen den Antragsteller erlassenen, für sofort vollziehbar erklärten Bescheid, durch den ihm das Recht aberkannt wurde, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, hob die Antragsgegnerin am 26. Juni 2006 wieder auf.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2008 machte die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller unter Bezugnahme auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Juni 2008 (Az. C-329/06 und C-343/06, ZfS 2008, 473; Az. C-334/06 bis C-336/06, DAR 2008, 459) geltend, er sei gemäß § 28 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 FeV nicht berechtigt, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, da im Feld 8 des tschechischen Führerscheins ein deutscher Wohnsitz eingetragen sei; eine Zuwiderhandlung stelle eine Straftat nach § 21 Abs. 1 StVG dar.

Mit der am 21. Januar 2009 zum Verwaltungsgericht Regensburg erhobenen Klage (Az. RN 5 K 09.96) erstrebt der Antragsteller die Feststellung, dass er nach wie vor berechtigt ist, von seiner am 26. August 2005 erworbenen tschechischen Fahrerlaubnis der Klasse B auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen.

Gleichzeitig reichte er beim Verwaltungsgericht einen Antrag nach § 123 VwGO ein, mit dem er die Feststellung begehrte, dass er vorläufig bis zur Entscheidung über das Hauptsacheverfahren berechtigt ist, von seiner am 26. August 2005 in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis der Klasse B auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 3. Februar 2009 ab.

Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde beantragt der Antragsteller, den Beschluss vom 3. Februar 2009 abzuändern und dem im ersten Rechtszug anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzgesuch zu entsprechen. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, für einen Sofortvollzug sei vorliegend keine Eilbedürftigkeit erkennbar; er nehme seit Jahren in Deutschland wieder am Straßenverkehr teil, ohne dass er sich das Mindeste habe zuschulden kommen lassen. Zudem bestünden Zweifel, ob die Bundesrepublik Deutschland von der sich aus Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl EG Nr. L 237 vom 24.8.1991, S. 1) ergebenden Kompetenz wirksam Gebrauch gemacht habe. Die einschlägige Verordnung sei bereits formell gemeinschaftsrechtswidrig, da es an der nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG erforderlichen Zustimmung der Kommission fehle. Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 2004 (Az. C-476/01; DAR 2004, 333) ergebe sich zudem die materielle Rechtswidrigkeit einer (vom Antragsteller nicht ausdrücklich bezeichneten) Bestimmung. Im Anschluss an ein Zitat aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 21. Juni 2004 (NJW 2004, 3058), die sich mit der Tragweite des § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV befasst, macht der Antragsteller geltend, der Wortlaut dieser Vorschrift gebe "nicht das Mindeste dafür her, was der Europäische Gerichtshof in seinen beiden Urteilen vom 26. Juni 2008 an Alternativen eröffnet" habe. Eine teleologische Reduktion scheide schon deshalb aus, da eine bewusste Entscheidung des Gesetz- und Verordnungsgebers inmitten stehe, die dazu diene, "den deutschen Sonderweg in Europa zu bewahren". Aus den Urteilen vom 26. Juni 2008 (a.a.O.) gehe zudem nicht hervor, wer Adressat der sich aus Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG ergebenden Kompetenz sei. In den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Juli 2008 (Az. C-225/07; Blutalkohol 2008, 383) und vom 20. November 2008 (Az. C-1/07; DAR 2009, 26) heiße es, dass diese Befugnis den zuständigen Behörden des jeweiligen Mitgliedstaates zukomme. Diese Auslegung, die allein den praktischen Gegebenheiten gerecht werde, vertrete auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen; der Antragsteller bezieht sich insoweit auf eine Entscheidung dieses Gerichts vom 22. Januar 2009 (Az. nach Darstellung des Antragstellers: 16 A 1877/08). Im Urteil vom 11. Dezember 2008 (DAR 2009, 212) und in einer Parallelentscheidung habe das Bundesverwaltungsgericht der Anwendbarkeit des § 28 Abs. 4 FeV eine Absage erteilt. Die Annahme, die ausländische Fahrerlaubnis des Antragstellers sei in Deutschland von Anfang an ungültig gewesen, sei vor diesem Hintergrund falsch. Vielmehr sei es geboten, von dem insoweit bestehenden "Zugriffsrecht" Gebrauch zu machen; das sei vorliegend jedoch nicht geschehen. Obwohl es sich bei Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG um eine Ermessensvorschrift handele, lasse sich im gegebenen Fall zudem keine Ermessensausübung feststellen.

Wegen der Argumente, mit denen die Antragsgegnerin der Beschwerde entgegentritt, wird auf ihren Schriftsatz vom 2. März 2009, wegen des Verfahrensgangs und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die vom Verwaltungsgericht beigezogene, den Antragsteller betreffende Fahrerlaubnisakte verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Denn aus der Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass der Antragsteller berechtigt ist, in Deutschland von seiner tschechischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen.

1. Soweit unter der Nummer 1 der Beschwerdebegründung die Berechtigung einer Anordnung der sofortigen Vollziehung in Abrede gestellt wird, gehen diese Ausführungen ins Leere, da in Bezug auf die tschechische Fahrerlaubnis des Antragstellers und den zugehörigen Führerschein kein sofort vollziehbarer Verwaltungsakt erlassen wurde.

2. Soweit der Antragsteller sinngemäß eine fehlende Zustimmung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft zu § 28 FeV rügt, ist dieser Einwand unbegründet. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-476/01 ("Kapper") erklärt, dass sie ihre nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG erforderliche Zustimmung zu den Bestimmungen des § 28 FeV implizit gegeben habe, da diese ihr notifiziert worden seien und sie gegen diese Bestimmungen keine Einwände gehabt habe. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie verlange von der Kommission keine förmlichen Entscheidungen, mit denen sie den ihr von dem Mitgliedstaat mitgeteilten nationalen Vorschriften ausdrücklich ihre Zustimmung erteile (vgl. EuGH vom 29.4.2004, a.a.O., S. 339, RdNr. 69). Der Senat hält die wiedergegebene Rechtsauffassung der Kommission für zutreffend.

3. Der Antragsteller behauptet zu Unrecht, dass § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV mit dem materiellen Gemeinschaftsrecht nicht im Einklang stehe, was sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 2004 (a.a.O.) und der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 21. Juni 2004 (a.a.O.) ergebe. Insoweit nimmt er zwar die Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung durch die vom Verwaltungsgericht zutreffend wiedergegebenen Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Juni 2008 (a.a.O.) zur Kenntnis, zieht aber aus ihnen nicht die gebotenen Konsequenzen.

4. Die Behauptung des Antragstellers, die vom Europäischen Gerichtshof aus Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG hergeleitete Anerkennungsversagungskompetenz richte sich an die "zuständigen Behörden", nicht aber an den nationalen Gesetz- und Verordnungsgeber, ist weder aus der genannten Führerscheinrichtlinie noch aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Juni 2008 (a.a.O.), vom 3. Juli 2008 (a.a.O.) und vom 20. November 2008 (a.a.O.) ableitbar. Sowohl Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG als auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Juni 2008 (a.a.O.) sprechen vom "Mitgliedstaat" bzw. vom "Aufnahmemitgliedstaat", der unter den dort genannten Voraussetzungen die Anerkennung der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Fahrerlaubnis ablehnen kann. Dabei handelt es sich um eine rechtliche Befugnis der Mitgliedstaaten zu einer entsprechenden Gestaltung ihres innerstaatlichen Rechts und nicht etwa um die Begründung eines Ermessensspielraums der Verwaltungsbehörden. Das folgt schon daraus, dass der Europäische Gerichtshof hier Regelungen einer Richtlinie ausgelegt hat, also eines Instruments des sekundären Gemeinschaftsrechts, das, wie Art. 249 EG-Vertrag zu entnehmen ist, gerade auf die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten angelegt ist und sich an sie richtet (BVerwG 11.12.2008, a.a.O., S. 215, RdNr. 36).

Der Hinweis des Antragstellers auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Juli 2008 (a.a.O.) und vom 20. November 2008 (a.a.O.), in denen von der auf Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG beruhenden Befugnis der zuständigen Behörden und der Gerichte eines Mitgliedstaats gesprochen wird, die Anerkennung der Gültigkeit des in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Führerscheins abzulehnen (vgl. die RdNr. 41 im Urteil vom 3.7.2008 und die RdNr. 36 im Urteil vom 20.11.2008), gibt keinen Anlass zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Nach Auffassung des Senats sind diese Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs so zu verstehen, dass damit die Befugnis der zuständigen Behörden und Gerichte eines Mitgliedstaats gemeint ist, die Anerkennung der Gültigkeit eines derartigen Führerscheins nach Maßgabe des vom Mitgliedstaat zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen innerstaatlichen Rechts abzulehnen, das - wie § 28 Abs. 4 FeV - unter den vom Europäischen Gerichtshof genannten Voraussetzungen die generelle Ablehnung der Anerkennung des im anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins vorsehen kann. Für dieses Verständnis der EuGH-Entscheidungen vom 3. Juli 2008 und 20. November 2008 sprechen die vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 11. Dezember 2008 (a.a.O.) angestellten, oben wiedergegebenen Erwägungen. Der entgegengesetzten Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zur Nichtanwendbarkeit von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 2 und 3 FeV wegen Unvereinbarkeit mit der Richtlinie 91/439/EWG (vgl. den Beschluss vom 12.1.2009 DAR 2009, 159, sowie die seitens des Antragstellers zitierte Entscheidung des gleichen Gerichts vom 22.1.2009, a.a.O.) folgt der Senat aus diesen Gründen nicht.

5. Auch aus den sonstigen Ausführungen im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2008 (a.a.O.) folgt nicht, dass die Befugnis des Inhabers einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis, von ihr im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, dann durch konstitutiv wirkenden Verwaltungsakt aberkannt werden muss, wenn gegen den Betroffenen - wie hier der Fall - im Aufnahmeland vor dem Erwerb der ausländischen EU-Fahrerlaubnis eine Maßnahme im Sinn von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG ergriffen wurde, und sich unmittelbar aus dem ausländischen EU-Führerschein oder aus anderen, vom ausstellenden Mitgliedstaat stammenden, unbestreitbaren Erklärungen ergibt, dass die Behörden dieses Staates gegen das gemeinschaftsrechtliche Wohnsitzerfordernis (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG) verstoßen haben. Das Bundesverwaltungsgericht, das über die Rechtmäßigkeit von Aberkennungsbescheiden zu befinden hatte, die vor dem Erlass der Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Juni 2008 (a.a.O.) ergangen waren, gelangte zu dem Ergebnis, dass solche Bescheide im Lichte dieser beiden EuGH-Entscheidungen rechtmäßig, insbesondere gemeinschaftsrechtskonform seien; der Umstand, dass die zugrunde liegende tschechische Fahrerlaubnis möglicherweise bereits nach § 28 Abs. 4 (Satz 1) Nrn. 2 und 3 FeV in Deutschland ungültig sei, stehe einem solchen behördlichen Vorgehen nicht entgegen (BVerwG vom 11.12.2008, a.a.O., RdNrn. 14 und 23). Eine Aussage dahingehend, dass es zwingend einer behördlichen Einzelfallentscheidung bedarf, um die sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 2 und 3 FeV ergebende Folge herbeizuführen, enthält das Urteil vom 11. Dezember 2008 gerade nicht.

Auch der Verordnungsgeber geht davon aus, dass sich die mangelnde Berechtigung des Inhabers einer ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, von ihr unter den in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 2 und 3 FeV bezeichneten Voraussetzungen im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, unmittelbar aus § 28 Abs. 4 FeV selbst ergibt, ohne dass es zur Herbeiführung dieser Rechtsfolge eines konstitutiv wirkenden Verwaltungsakts bedarf. Denn durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 7. Januar 2009 (BGBl. I S. 29) wurde § 28 Abs. 4 FeV u. a. um einen Satz 2 ergänzt, in dem klargestellt wurde, dass die Behörde in den von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 2 und 3 FeV erfassten Fällen einen feststellenden Verwaltungsakt erlassen darf, durch den die fehlende Berechtigung des Inhabers einer ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, von ihr im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, mit (nur) deklaratorischer Wirkung ausgesprochen werden kann.

6. Musste dem Antragsteller gegenüber aber kein konstitutiv wirkender Verwaltungsakt erlassen werden, da sich unmittelbar aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 2 und 3 FeV ergibt, dass die ihm in der Tschechischen Republik erteilte Fahrerlaubnis im Bundesgebiet nicht gilt, bedarf es schon deshalb keiner Ermessensentscheidung der Fahrerlaubnisbehörde (vgl. u. a. BayVGH vom 7.8.2008 Az. 11 ZB 07.1259; vom 11.8.2008 Az. 11 CS 08.832; vom 15.1.2009 Az. 11 CE 08.3222).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1 und II.46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327).