OLG München, Urteil vom 08.04.2009 - 20 U 5212/08
Fundstelle
openJur 2012, 100103
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Landshut vom 23.10.2008, AZ: 23 O 1690/08, in Ziffer 1. und 2. dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger insgesamt EUR 12.597,92 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.Juli 2005 sowie insgesamt EUR 775,52 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 06. Mai 2008 zu bezahlen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Beklagte. Von den Kosten des Rechtsstreits im Berufungsverfahren trägt der Kläger 63% und die Beklagte 37%.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Darstellung eines Tatbestandes bedarf es nicht, denn der Wert der Beschwer des Klägers übersteigt 20.000 EUR nicht (§ 26 Nr. 8 EGZPO). Nach herrschender Meinung ist § 313 a ZPO, auf den § 540 Abs. 2 ZPO ausdrücklich verweist, auch auf Berufungsurteile anwendbar (Thomas/Putzo, ZPO, 29. Auflage, Rn. 2 zu § 313 a und Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Auflage, Rn. 2 zu § 313 a).

Im Rahmen der Sachanträge zur zweiten Instanz erweitert der Kläger sein Klagebegehren auf die sich für die Beklagten nach seiner Aufstellung der „realen Gewinn- und Verlustverteilung, Andrea H., H 55421“ (vgl. Anlage K 11) ergebenden Scheingewinne. Danach soll die Beklagte EUR 18.085,94 an Scheingewinnen erhalten haben.

Er beantragt daher nunmehr,

die Beklagte unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Landshut vom 23. Oktober 2008, AZ: 23 O 1690/08, zu verurteilen,

1) an den Kläger EUR 18.058,94 nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01. Juli 2005 zu bezahlen,

2) an den Kläger EUR 775,52 nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06. Mai 2008 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und tritt dem klägerischen Vortrag weiterhin entgegen.

II.

A.

Die Berufung und gleichzeitige Klageerweiterung ist zulässig.

Der neue Antrag ist eine Klageerweiterung gemäß §§ 525, 264 ZPO, für deren Zulässigkeit keine Zustimmung der Beklagten und auch keine Sachdienlichkeitsprüfung durch das Gericht erforderlich ist. Die Klageerweiterung ist an §§ 533 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO zu messen (BGH NJW 2004, 2152, 2155). Der entsprechende Sachverhalt war unter Vorlage der Anlage K 11 erstinstanzlich schon vorgetragen worden (Schriftsatz vom 26.06.2008 Seite 15). Die Klageerweiterung erfolgte mit Schriftsatz vom 18.12.2008 unter Bezugnahme auf die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 11.12.2008 (IX ZR 195/07). Nachlässigkeit iSv § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO liegt daher nicht vor.

B.

Die Berufung ist teilweise begründet.

Der Kläger hat aus Anfechtung unentgeltlicher Leistungen einen Rückgewähranspruch gegen die Beklagte in Höhe von insgesamt EUR 12.597,92 (§§ 134 Abs. 1, 143 Abs. 1 InsO) sowie einen Anspruch auf Ersatz nicht anrechenbarer außergerichtlicher Anwaltsgebühren in einer Höhe von insgesamt EUR 775,52. Die Beklagte kann gegenüber diesem Rückgewähranspruch nicht mit vor Insolvenzeröffnung entstandenen Schadensersatzansprüchen wegen Einzahlung des Agios und entgangener Zinsgewinne aufrechnen. Sie kann auch nicht so gestellt werden, als ob sie aufrechnen könnte. Es gilt das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO; diesem steht die Kenntnis der Gemeinschuldnerin von der Nichtschuld der Leistung durch Auszahlung von Scheingewinnen (§ 814 BGB) nicht entgegen.

Der weitergehende Anspruch des Klägers ist jedoch unbegründet, da insoweit keine unentgeltlichen Leistungen (Scheingewinne) vorliegen.

151) Zutreffend hat das Landgericht Auszahlungen der Gemeinschuldnerin teilweise als Scheingewinnauskehrungen angesehen und die Anfechtung wegen unentgeltlicher Leistungen gemäß § 134 InsO zugelassen. Nach den unstreitigen Feststellungen des Landgerichts hatte sich die Beklagte am 08.08.1996 an dem von der Gemeinschuldnerin angebotenen Vermögensanlageprodukt „P. M. A.“ (fortan PMA) beteiligt. Entgegen anders lautender Zusagen hatte PMA jedoch bereits seit 1993 hohe Verluste erlitten, die die Gemeinschuldnerin verschleiert hatte. Ab 1998 ging die Gemeinschuldnerin dazu über Börsengeschäfte komplett zu erfinden und baute ein „Schneeballsystem“ auf, welches dadurch aufrechterhalten wurde, dass die Einlagen von Neukunden dazu verwendet wurden, Auszahlungen (Rückzahlungen von Einlagen und „Gewinnen“) an Altkunden zu finanzieren. Die Beklagte erhielt mit Buchungsdatum vom 03.11.2004 einen Gesamtbetrag in Höhe von EUR 20.267,29 ausbezahlt (K 14). Solche Auszahlungen von in „Schneeballsystemen“ erzielten Scheingewinnen durch die spätere Insolvenzschuldnerin sind grundsätzlich eine objektiv unentgeltliche Leistung und nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar (BGH vom 11.12.2008, IX ZR 195/07 Rn. 6).

162) In Höhe des von der Beklagten geleisteten Einlagebetrages von EUR 7.669,37 war die Auszahlung keine anfechtbare unentgeltliche Leistung. Die wohl herrschende Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, geht davon aus, dass die erstattete Einlage keine unentgeltliche Leistung und deshalb vom Rückgewähranspruch gemäß § 143 Abs. 1 InsO nicht umfasst ist (BGH vom 29.11.1990 - IX ZR 29/90 -; BGH vom 11.12.2008 - IX ZR 195/07 -). Die vom Kläger vorgelegte Aufstellung der „realen Gewinn- und Verlustverteilung“ für die Beklagte (K 11) rechtfertigt hier ein Anderes nicht. Ausweislich des klägerischen Vortrages (Schriftsatz vom 26.06.2008 Seite 14 iVm Anlage K14) und der unstreitigen Feststellungen des Landgerichts ist der Auszahlungsbetrag für die Beklagte in einer Summe am 03.11.2004 verbucht worden. Einzelauszahlungen sind nicht vorgetragen. Der Senat geht daher davon aus, dass die Beklagte die Auszahlung in einer Summe erhalten hat. Des Weiteren geht der Senat nach dem Gesamtzusammenhang - ebenso wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 11.12.2008 (IX ZR 195/07) zur gleichen Vermögensanlage - davon aus, dass diese Auszahlung sowohl auf die Einlage der Beklagten wie auch auf angebliche Gewinne erfolgt ist. Gleiches hat das Landgericht im unstreitigen Tatbestand festgestellt. In Höhe der Einlagesumme stellt diese Auszahlung damit keine Scheingewinnauskehrung dar. Die vom Kläger dem entgegen gehaltene Aufstellung einer realen Gewinn- und Verlustverteilung (K 11) ist insoweit fiktiv als es unstreitig jedenfalls seit 1998 kein operatives Geschäft der PMA mehr gab, sondern nur noch im „Schneeballsystem“ Gelder verteilt wurden. Die Annahme einer ratierlichen Aufzehrung der Einlage rechtfertigt sich daher wohl nicht. Vielmehr muss der Vorgang einheitlich betrachtet werden, was dazu führt dass die Beklagten im Rahmen der Auszahlung von EUR 20.267,29 ihre Einlage in Höhe von EUR 7.669,37 zurückerhalten hat und in Höhe von EUR 12.597,92 eine Scheingewinnauskehrung.

Nach den dem Senat vorgelegten Unterlagen ergibt sich aus dieser Würdigung kein Widerspruch zu der vom Kläger zitierten Entscheidung des Thüringer Oberlandesgericht vom 16.02.2009 - 9 U 542/08 -, da der zur Entscheidung stehende Sachverhalt nicht mit dem dort entschiedenen vergleichbar ist. In der Entscheidung des Thüringer Oberlandesgerichts stand fest, dass die Einlage des dortigen Beklagten zum 31.01.2002 aufgezehrt war und daher alle darüber hinaus gehenden Zahlungen Scheingewinne sein mussten. Dies ist hier nicht der Fall, da auch bei Zugrundlegung der Anlage K 11 erst im Auszahlungsbetrag der letzte Teil der Einlage verrechnet worden wäre.

3) Gegen den Anspruch des Klägers auf Rückerstattung dieses Scheingewinns in Höhe von EUR 12.597,92 kann die Beklagte nicht mit Schadensersatzansprüchen wegen Einzahlung des Agios und entgangener Zinsgewinne aufrechnen. Sie darf auch nicht so gestellt werden, als ob sie aufrechnen könnte. Es gilt das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO; diesem steht die Kenntnis der Gemeinschuldnerin von der Nichtschuld der Leistung durch Auszahlung von Scheingewinnen (§ 814 BGB) nicht entgegen. Der Senat folgt insoweit der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach sich mit der Einführung der Insolvenzordnung die Rechtslage in dem hier maßgeblichen Punkt geändert hat. Anders als im Anwendungsbereich der Konkursordnung wird durch § 814 BGB kein Normwiderspruch mehr hervorgerufen. Auch wenn es diese Vorschrift nicht gäbe und sich bereits vor Insolvenzeröffnung ein Bereicherungsanspruch der Schuldnerin und der Schadensersatzanspruch des Beklagten gegenübergestanden hätten, wäre eine wirksame Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht in Betracht gekommen (BGH vom 11.12.2008 - IX ZR 195/07 - unter Ziffer II. 2. mit weiteren Ausführungen).

4) Der Beklagte hat daneben Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts hierzu wird Bezug genommen. Dieser Anspruch erhöht sich mit der Erhöhung des Rückgewähranspruches auf insgesamt EUR 775,52.

5) Die klägerischen Ansprüche sind nicht verjährt. Auch insoweit kann auf die Ausführungen des Landgerichts vollinhaltlich Bezug genommen werden. Im Übrigen wird die Einrede der Verjährung von der Beklagten nicht mehr erhoben.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 97, 708 Nr. 10, 711, 713, 543 Abs. 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung der Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Revisionsgerichtes. Der Senat wendet gefestigte Rechtsprechung auf den Einzelfall an.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte