VG München, Urteil vom 27.04.2009 - M 3 K 06.1835
Fundstelle
openJur 2012, 99910
  • Rkr:
Tenor

I. Der Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 22. November 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. April 2006 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer teilweisen Rückforderung eines Baukostenersatzes für die Errichtung eines Neubaus einer privaten Sonderberufsschule für verhaltensgestörte Lernbehinderte, sowie für den Umbau der privaten Sonderberufsschule für verhaltensgestörte Lernbehinderte - Erweiterung des Gewächshauses und der Gärtnerei, Ausbildungsgang Gartenbau.

Mit Bescheiden vom 15. April 1986, 27. Mai 1986 und 3. Oktober 1986 bewilligte der Beklagte den vom Kläger beantragten Baukostenersatz und leistete an diesen insgesamt einen Betrag in Höhe von 14.510.372, 58 €.

Die Baumaßnahmen wurden in den Jahren 1986 bis 1990 durchgeführt.

Mit Schreiben vom 7. September 1992 legte der Kläger dem Beklagten die entsprechenden Verwendungsnachweise der für die Baumaßnahme gewährten Zuwendungen vor. Die baufachliche Stellungnahme des Landbauamtes … vom 16.5.1994 ging am 20. Mai 1994 bei der Regierung von Oberbayern ein.

Mit Bescheid vom 22. November 2005 setzte die Regierung von Oberbayern in Abänderung der Bewilligungsbescheide vom 15.4.1986, 27.5.1986 und 3.10.1986 die Kosten für die Baumaßnahme auf 13.677.183,20 € fest und forderte einen zu viel ausbezahlten Kostenersatz in Höhe von 833.189,38 € zurück

Den dagegen vom Kläger mit Schreiben vom 12. Dezember 2005 eingelegten Widerspruch wies die Regierung von Oberbayern mit Widerspruchsbescheid vom 6. April 2006, zugestellt am 12. April 2006, zurück.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 9. Mai 2006, eingegangen am selben Tag, erhob der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,

den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 22.11.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.4.2006 aufzuheben, soweit die Bewilligungsbescheide vom 15.4.1986 und vom 27.5.1986 aufgehoben und die notwendigen Baukosten reduziert werden,

sowie den Rückforderungsbescheid aufzuheben und

die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, auf einen Teilwiderruf könne der Rückforderungsbescheid nicht gestützt werden. Dies wäre nur dann möglich, wenn die Zuschussleistung nicht für den im Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet werden könnte. Die Zuschüsse seien jedoch für den vorgesehenen Zweck verbraucht worden.

Grundsätzlich sei die Klagepartei der Auffassung, dass eine Erstattung gemäß Art. 49 a BayVwVfG nicht in Betracht komme, da die Voraussetzungen einer wirksamen Teilaufhebung der Ausgangsbescheide nicht eingetreten seien. Darüber hinaus werde höchst vorsorglich vorgetragen, dass der Rückforderungsbescheid schon deshalb aufzuheben sei, weil er vom Empfängerhorizont her nicht verständlich sei. Die Rückforderungssumme werde im Ergebnis lediglich behauptet, ohne dass diese nachvollziehbar begründet würde.

Der Rückforderungsanspruch sei zum einen verjährt, zum anderen auch verwirkt.

Außerdem seien die angefochtenen Bescheide bereits aus sich heraus nicht verständlich. Allein das Rechenergebnis, wie es in den Bescheiden dargelegt sei, differiere zur Rückzahlungsforderung um 202.839, 56 €.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Rechtsgrundlage für die angefochtene Rückforderung sei in erster Linie Art. 49 a Abs. 1 BayVwVfG i.V.m. Nr. 2.1 der Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung (ANBest-P) sowie hilfsweise Art. 49 Abs. 2 a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG. Die drei Bewilligungsbescheide seien wegen Eintritts einer auflösenden Bedingung von Anfang an teilweise unwirksam geworden, so dass der Rückerstattungsanspruch in der festgesetzten Höhe unmittelbar kraft Gesetzes entstanden und nur noch durch Verwaltungsakt festzusetzen gewesen sei.

Bei der Nebenbestimmung handele es sich um eine auflösende Bedingung mit der Folge, dass mit ihrem Eintritt der Zuwendungsbescheid insoweit seine Wirkung verliere und die somit ohne Rechtsgrund bewilligte Leistung zurückzuerstatten sei. Es sei auch unerheblich, auf welche Weise sich die zuwendungsfähigen Ausgaben ermäßigten. Es genüge jeder Unterschied zwischen dem bei der Bewilligung angenommenen und dem später festgestellten Umfang der zuwendungsfähigen Ausgaben.

Der Umfang der zuwendungsfähigen Ausgaben habe sich im vorliegenden Fall um 833.189,38 € ermäßigt. Dieser Betrag sei dem Kläger auch bereits mit dem Anhörungsschreiben der Regierung vom 9.8.2005 nachvollziehbar aufgeschlüsselt worden.

Die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG sei eingehalten worden. Sie habe erst nach Eingang der Stellungnahme des Klägers auf das Anhörungsschreiben der Regierung vom 9.8.2005 zu laufen begonnen.

Der Rückforderungsanspruch sei auch nicht durch Zeitablauf erloschen.

Eine ausreichende positive Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen habe erst mit Prüfung der Unterlagen durch die Regierung im August 2005 vorgelegen.

Im übrigen beginne die Dreijahresfrist erst mit der Fälligkeit des Rückforderungsanspruchs, nämlich dem Widerruf des Bewilligungsbescheids und damit dem Entfallen des Rechtsgrundes.

Auch wenn Art. 71 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz AGBGB mit Wirkung vom 1.1.2003 durch § 1 des Gesetzes vom 24.12.2002 (GVBl S. 975) dahingehend neu gefasst worden sei, dass der Fristbeginn nicht vor dem Schluss des Jahres sei, in dem der Anspruch entstanden sei, könne es dennoch für den Beginn der Erlöschensfristen maßgeblich nur auf das Fällig werden des Erstattungsanspruches ankommen, das erst mit der (teilweisen) Aufhebung des Bewilligungsbescheids bzw. Eintritt der auflösenden Bedingung durch den angefochtenen Bescheid begründet werde.

Eine Verjährung sei auch nach der Neufassung des Art. 71 AGBGB im Hinblick auf die Übergangsvorschrift des Art. 77 a AGBGB nicht eingetreten.

Die Parteien haben mit Schriftsätzen vom 12.11.2007 und vom 29.4.2008 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen

Gründe

Die Klage, über die nach Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und auch begründet.

Der Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 22. November 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. April 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der mit dem Bescheid geltend gemachte Rückforderungsanspruch ist bereits erloschen (Art. 71 Abs. 1 BayAGBGB in der bis zum 31.12.2002 geltenden Fassung - im Folgenden: AGBGB a.F.).

Dabei geht die Kammer davon aus, dass Rechtsgrundlage für die angefochtene Rückforderung Art. 49 a Abs. 1 BayVwVfG i.V.m. Nr. 2.1 der Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung (ANBest-P) ist.

Nach Nr. 2.1 ANBest-P ermäßigt sich die Zuwendung, wenn sich nach der Bewilligung die in dem Finanzierungsplan veranschlagten zuwendungsfähigen Ausgaben ermäßigen. Gemäß Nr. 8.1 ANBest-P ist die Zuwendung zu erstatten, soweit ein Zuwendungsbescheid nach Verwaltungsverfahrensrecht oder anderen Rechtsvorschriften mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder sonst unwirksam geworden ist. Gemäß Nr. 8.2 ANBest-P gilt Nr. 8.1 insbesondere, wenn u.a. eine auflösende Bedingung eingetreten ist (z.B. nachträgliche Ermäßigung der Ausgaben oder Änderung der Finanzierung nach Nr. 2) (Nr. 8.2.3 ANBest-P).

Sofern eine Ermäßigung der Zuwendung eingetreten ist, was einstweilen dahingestellt bleiben kann, sind die drei Bewilligungsbescheide wegen Eintritts einer auflösenden Bedingung im Sinne des Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG von Anfang an teilweise unwirksam geworden, so dass ein Rückerstattungsanspruch unmittelbar kraft Gesetzes nach Art. 49 a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG entstanden ist und nur noch durch Verwaltungsakt festzusetzen war.

In den Bewilligungsbescheiden wurden die ANBest-P zum wesentlichen Bestandteil des Zuwendungsbescheides erklärt und als Anlage beigefügt. Die Bewilligungsbescheide enthalten auch den Hinweis, dass die Förderung unter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolgt, das heißt, dass zu Unrecht gewährte Subventionen jederzeit wieder zurückverlangt werden können.

Bei der Nebenbestimmung handelt es sich um eine auflösende Bedingung mit der Folge, dass mit ihrem Eintritt der Zuwendungsbescheid insoweit seine Wirkung verliert und die damit ohne Rechtsgrund bewilligte Leistung nach Art. 49 a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG zurückzuerstatten ist.

Dieser Anspruch ist jedoch gemäß Art. 71 Abs. 1 BayAGBGB a.F. erloschen.

Danach erlöschen die auf eine Geldzahlung gerichteten öffentlich-rechtlichen Ansprüche des Freistaates Bayern, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, in drei Jahren.

Der Fristbeginn bestimmt sich nach Art. 71 Abs.1 Satz 2 BayAGBGB a.F. Dabei ist gemäß Art. 229 § 6 Abs.1 Satz 2 Fall 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) i.d.F. der Bekanntmachung vom 21. September 1994 (BGBl I, S. 2494), geändert durch Gesetz vom 26. November 2001 (BGBl I, S. 3138) i.V.m. Art. 77a BayAGBGB die bis zum 31. Dezember 2002 gültige Fassung des Art. 71 Abs.1 Satz 2 BayAGBGB anzuwenden. Danach beginnt die Frist mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Berechtigte von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt, jedoch nicht vor dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Anspruch fällig wird.

Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Verpflichteten hatte die Regierung von Oberbayern spätestens seit dem Eingang der Verwendungsnachweise der Klägerin vom Landbauamt … und dessen baufachlicher Stellungnahme vom 16.5.1994 dazu am 20. Mai 1994.

Wie sich aus den Verwaltungsakten und aus dem Rückforderungsbescheid selbst ergibt, wurden nach diesem Zeitpunkt keinerlei weitere Stellungnahmen mehr eingeholt, die Verwendungsnachweise wurden lediglich stichprobenartig überprüft. Auch aus der mit Schreiben der Regierung von Oberbayern vom 9.8.2005 durchgeführten Anhörung des Klägers und dessen Stellungnahme vom 8.9.2005 ergaben sich keinerlei relevante Erkenntnisse. Somit lagen der Regierung von Oberbayern sämtliche zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs erforderlichen Kenntnisse vor.

Nach Auffassung der Kammer ist zu diesem Zeitpunkt auch die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs eingetreten.

Entstanden ist der Rückerstattungsanspruch durch den Eintritt der auflösenden Bedingung rückwirkend mit der Auszahlung des Subventionsbetrages. Die Fälligkeit ist der Zeitpunkt, von dem ab der Gläubiger die Leistung verlangen kann. Nach § 271 BGB kann der Gläubiger die Leistung grundsätzlich sofort verlangen und der Schuldner sie sofort bewirken, wenn ein anderer Zeitpunkt für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen ist. Daraus ergibt sich, dass die Leistung grundsätzlich mit ihrer Entstehung fällig wird. Allerdings besteht hier die Besonderheit, dass der Erstattungsanspruch rückwirkend entstanden ist. Der Eintritt einer rückwirkenden Fälligkeit ist allerdings sowohl hinsichtlich eines Erstattungsanspruchs als auch hinsichtlich eines in derartigen Fällen ebenfalls rückwirkend, frühestens aber mit dem Zeitpunkt der Auszahlung entstehenden Zinsanspruchs undenkbar. Deswegen wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Anspruch auf Verzinsung des Rückzahlungsanspruchs bei zu Unrecht empfangenen Subventionen erst fällig, wenn die Verwaltungsbehörde den subventionsgewährenden Verwaltungsakt aufhebt und die Leistung zurückfordert (BVerwGE 99, 109/110).

Diese Rechtsprechung im vorliegenden Fall auch auf den Erstattungsanspruch selbst zu übertragen, wäre jedoch unangemessen, da es ansonsten im Belieben der Verwaltungsbehörde stünde, den Zeitpunkt des Verjährungsbeginns zu bestimmen.

Vielmehr erscheint es im vorliegenden Fall angebracht, eine Vorverlagerung des Fristbeginns auf den Zeitpunkt vorzunehmen ist, in dem die Leistung erstmals zurückgefordert werden konnte. Dies ist der Zeitpunkt, in dem bei der Verwaltungsbehörde die Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Verpflichteten vorlag, somit der 20. Mai 1994.

Dies entspricht dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB, dass niemand aus einem von ihm treuwidrig herbeigeführten bzw. nicht herbeigeführten Ereignis Vorteile herleiten darf. Insoweit ist § 162 Abs. 1 BGB auch im vorliegenden Fall analog anwendbar. Würde hier der Fälligkeitszeitpunkt nicht vorverlegt werden, hätte es die Verwaltungsbehörde in der Hand, die dem Prinzip der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit dienende Erlöschensregelung des Art. 71 Abs. 1 Satz 1 BayAGBGB zu umgehen.

Damit begann die Frist des Art. 71 Abs. 1 Satz 2 BayAGBGB mit dem Ende des Kalenderjahres 1994. Der Anspruch ist daher am mit Ablauf des 31.12.1997 erloschen.

Aus den dargestellten Gründen war der Klage stattzugeben.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache war die Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 833.189,38 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).