Bayerischer VGH, Beschluss vom 27.04.2009 - 14 ZB 08.1172
Fundstelle
openJur 2012, 99719
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 30.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 5 VwGO gestützte Antrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Zur Begründung nimmt der Verwaltungsgerichtshof auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend wird auf folgendes hingewiesen:

Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Beklagte durch die Festsetzung überbaubarer Flächen mittels Baugrenzen rückwärtige Ruhebereiche in bestimmten Bereichen zu schaffen oder zu erhalten beabsichtigte. Dies ist erkennbar im hier inmitten stehenden Bereich zwischen der Gredinger Straße im Norden, der Vogtsbergstraße im Süden, der Vorjurastraße im Osten und der von der Vogtsbergstraße nach Norden abzweigenden Stichstraße im Westen der Fall. Im Planbereich gibt es eine Reihe weiterer derartiger Gebiete wie z.B. das Dreieck zwischen der Schalkhaußer-, der Stauer- und der Rennbahnstraße, das Quartier zwischen der Stauerstraße im Norden, der Birkacher Straße im Süden, der Pyraserstraße im Westen und der Rennbahnstraße im Osten, zwischen der ringförmig angelegten Birkacher Straße und der Rennbahnstraße sowie im Geviert zwischen der Stauerstraße im Norden, der Schwimbacher Straße im Süden, der Rennbahnstraße im Westen und der Schalkhaußerstraße im Osten. Gleich zwei rückwärtige Ruhebereiche sind in dem von der Schwimbacher Straße im Norden, der Harrlacher Straße im Süden, der Rennbahnstraße im Westen und der Vorjurastraße im Osten, getrennt durch die Eysölder Straße vorgesehen. Darüber hinaus lässt der Bebauungsplan noch weitere derartige Ruhezonen erkennen. Anhaltspunkte dafür, dass diese rückwärtigen Ruhezonen tatsächlich überbaut wären, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Aus den von der Bayer. Vermessungsverwaltung in „BayernViewer – plus“ abrufbaren Luftbildern und Flurkarten lässt sich vielmehr entnehmen, dass diese Ruhebereiche wie auch der, innerhalb dessen das Baugrundstück liegt, tatsächlich vorhanden und funktionsfähig sind.

Die Absicht der Schaffung solcher Ruheräume mittels Bauleitplanung lässt sich ohne Weiteres aus der Gestaltung der überbaubaren Flächen erkennen, deren Sinn es ist, die Bebauung entlang der öffentlichen Verkehrsflächen zu konzentrieren und in den vom Straßenverkehr abgewandten Bereichen eine ruhige, der Erholung dienende Zone zu schaffen, ohne dass dies in der Begründung des Bebauungsplans besonders zum Ausdruck kommen muss. Der Schaffung solcher Räume, insbesondere in dem Bereich, in dem das Baugrundstück liegt, steht auch nicht die in der Begründung des Bebauungsplans zum Ausdruck kommende Absicht entgegen, die Eigenart des Baugebiets zu erhalten. Dies weist auf die vorgefundenen Strukturen hin, die bereits solche Ruhezonen darstellen oder aber ihre Schaffung ermöglichen. Die Absicht der planenden Stadt geht jedoch nicht dahin, die vorgefundenen Zustände zu zementieren. Vielmehr soll die Schaffung und Weiterentwicklung der Ruhezonen dadurch erreicht werden, dass Gebäude, die außerhalb der festgesetzten überbaubaren Flächen liegen „auf den Bestandsschutz gesetzt“ werden, mit der Folge, dass nach ihrer Beseitigung oder ihrem Verfall eine erneute Bebauung zu Gunsten eines rückwärtigen Ruhebereichs unterbunden wird. Dies trifft auf das – nunmehr beseitigte – Wohnhaus der Mutter der Klägerin wie auch das ehemals vorhandene Gewächshaus zu.

Das Ziel der Erhaltung und Fortentwicklung einer rückwärtigen Ruhezone im hier fraglichen Bereich ist jedenfalls im östlichen Teil des Grundstücks FlNr. 161 der Gemarkung Reichelsdorf, auf dem Baugrundstück und im westlichen Teil des davon abgetrennten Grundstücks FlNr. 161/37 und dem Grundstück FlNr. 161/16 noch erreichbar. Die von der Klägerin genannten Überschreitungen der Baugrenzen mögen die Ruhezone in Randbereichen mehr oder weniger einschränken. Das streitgegenständliche Vorhaben unterscheidet sich davon aber grundlegend, indem die Errichtung eines Wohngebäudes an zentraler Stelle des Ruhebereichs, völlig außerhalb der überbaubaren Flächen, beabsichtigt ist und damit – wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat – die Ruhezone ihrer Funktion beraubt würde, jedenfalls aber ihre gänzliche Überbauung auch auf dem Grundstück FlNr. 161 kaum mehr aufzuhalten wäre. Die Bebauung der Grundstücke mit den FlNrn. 161/35 und 161/36 mit Garagen und die Zufahrt hierzu auf dem Grundstück 161/33 stören zwar den Ruhebereich erheblich, machen jedoch die Erhaltung der beruhigten Zone nördlich davon nicht unmöglich. Angesichts der gegenwärtigen Zustände kann die mit der Festsetzung der Baugrenzen verbundene Absicht durchaus noch erreicht werden. Von einer Funktionslosigkeit des Bebauungsplans insoweit kann daher keine Rede sein.

Um dies festzustellen, brauchte das Verwaltungsgericht weder aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht noch wegen der Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung einen Augenschein durchzuführen. Die Beweisanträge waren im übrigen nicht auf das Bestehen eines rückwärtigen Ruhebereichs als solchen gerichtet, sondern auf die jeweilige Vergleichbarkeit einzelner die Baugrenzen überschreitender Gebäude(teile) mit dem streitgegenständlichen Vorhaben. Ein in Bausachen erfahrenes Gericht muss nicht in jedem Fall einen Augenschein durchführen, um die bauplanungsrechtlichen Verhältnisse sachgerecht beurteilen zu können (vgl. BVerwG vom 14.11.1991 NVwZ RR 1992, 227). Im vorliegenden Fall konnte sich das Verwaltungsgericht aufgrund des aussagekräftigen Kartenmaterials, des Bebauungsplans und des vorgelegten Luftbildes ein zutreffendes Bild machen und hat damit seiner Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO genügt. Den Beweisanträgen im Einzelnen zu den konkreten Eigenschaften der jeweils die Baugrenzen überschreitenden baulichen Anlagen, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob diese mit dem Vorhaben der Klägerin vergleichbar sind, musste das Verwaltungsgericht nicht nachkommen. Diese Beweisfragen sind schon deshalb nicht entscheidungserheblich, weil sich das Bauvorhaben der Klägerin von den Bezugsfällen dadurch unterscheidet, dass es an zentraler Stelle innerhalb der beabsichtigten Ruhezone, in 2. Reihe und vollkommen außerhalb der überbaubaren Fläche entstehen soll. Bei den vorgetragenen Bezugsfällen handelt es sich um mehr oder weniger erhebliche Überschreitungen der Baugrenzen oder bauliche Anlagen am Rand der Ruhezone, die diese möglicherweise berühren, jedoch nicht in ihrem Bestand in Frage stellen.

Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich auch, dass das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, dass die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB für die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans, hier den Baugrenzen, nicht vorliegen. Das Vorhaben würde durch seine zentrale Lage in der Ruhezone die Grundzüge der Planung berühren. Von einer nicht beabsichtigten Härte, zu der die Festsetzung der Baugrenzen im vorliegenden Fall geführt haben soll, kann nicht die Rede sein. Den Zuschnitt des Baugrundstücks, der nunmehr angesichts der festgesetzten Baugrenzen seine Bebauung nicht mehr zulässt, hat die Klägerin in Kenntnis oder wenigstens grob fahrlässiger Unkenntnis der planungsrechtlichen Situation selbst herbeigeführt.

Die bisherigen Ausführungen zeigen auch, dass die gerügten Verfahrensmängel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nicht vorliegen.

Insbesondere hat das Verwaltungsgericht nicht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Auf die Genehmigungsakten, auf die es Bezug nimmt, hat sich die Beklagte in der Klageerwiderung ihrerseits bezogen und die im Schriftsatz vom 30. Januar 2002 als Anlagen bezeichneten Aktenstücke vorgelegt. Sie waren damit in das Verfahren eingeführt und hätten von der Klägerin jederzeit eingesehen werden können. Im übrigen waren die Einzelheiten, wegen der das Verwaltungsgericht darauf Bezug genommen hat, wie ausgeführt, auch nicht entscheidungserheblich. Die in der Südwestecke des Grundstücks FlNr. 161/16 errichtete bauliche Anlage ist – weil nicht genehmigt und damit illegal – darüber hinaus nicht als Bezugsfall geeignet.

Nicht zum Erfolg führt schließlich die Rüge fehlender Entscheidungsgründe (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Ein solcher Fehler liegt nur vor, wenn für die Beteiligten bei objektiver Betrachtung nicht erkennbar wird, welche Gründe die angegriffene Entscheidung tragen. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Die Gesichtspunkte und Erwägungen, die für das Verwaltungsgericht bei seiner Klageabweisung maßgebend waren, sind ohne Weiteres aus den Entscheidungsgründen ersichtlich. Vielmehr sind die gerügten Ausführungen des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Funktion der Baugrenzen, hinsichtlich einer unbeabsichtigten Härte durch die Festsetzung der Baugrenzen mit Rücksicht auf das jeweilige Verhältnis der Bebauungsmöglichkeit zur Grundstücksgröße und im Hinblick auf Bezugsfälle, insbesondere betreffend die Vergleichbarkeit der zugelassenen Abweichungen von den Baugrenzen, mit der von der Klägerin beantragten zutreffend. Dass die Begründung – nach Auffassung der Klägerin – nicht ausreichend und überzeugend erscheint, genügt für einen Verstoß gegen die Begründungspflicht ebenso wenig wie die Behauptung, das Gericht habe sich mit einer entscheidungserheblichen Frage nicht befasst.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.