Bayerischer VGH, Beschluss vom 05.02.2009 - 10 CS 08.3137
Fundstelle
openJur 2012, 98148
  • Rkr:
Tenor

I. Unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. November 2008 wird die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Nummern 3 und 4 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 9. September 2008 angeordnet.

II. Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin je zur Hälfte.

IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

Der Antragsteller, der kroatischer Staatsbürger ist, reiste zusammen mit der am 20. Dezember 1990 geborenen Antragstellerin und seinen weiteren vier Kindern erstmals im April 1992 als Bürgerkriegsflüchtling in das Bundesgebiet ein. Die Ehefrau und Mutter der Kinder war 1991 gestorben. Der Aufenthalt der Antragsteller, die sich bei Verwandten im Bundesgebiet aufhielten, wurde wegen des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien geduldet. Im November 1996 reiste der Antragsteller mit der Antragstellerin und weiteren drei Kindern aus dem Bundesgebiet aus.

Am 6. Juni 2005 reiste der Antragsteller erneut in das Bundesgebiet ein, wo er am selben Tag eine deutsche Staatsangehörige heiratete. Die damals zuständige Ausländerbehörde erteilte dem Antragsteller am 11. Juli 2005 eine Aufenthaltserlaubnis, die bis zum 10. Juli 2008 gültig war. Die eheliche Lebensgemeinschaft wurde spätestens am 1. Juni 2007 beendet. In dieser Zeit wurde gegen den Antragsteller ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Erschleichens eines Aufenthaltstitels eingeleitet, das noch nicht abgeschlossen ist.

Der Antragstellerin, die am 19. September 2005 wieder in das Bundesgebiet einreiste, wurde im November 2005 eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt, die bis zum 10. April 2008 verlängert wurde. Sie erwarb im Juli 2007 den qualifizierenden Hauptschulabschluss in Augsburg und schloss im Juli 2008 an der Berufsschule das Berufsvorbereitungsjahr erfolgreich ab.

Mit Bescheid vom 9. September 2008 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller aus, weil er falsche Angaben zur Erlangung eines Aufenthaltstitels gemacht habe, lehnte die rechtzeitig vor Ablauf gestellten Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bzw. auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab und drohte den Antragstellern die Abschiebung nach Kroatien an. Da der Antragsteller die zweijährige Ehebestandszeit nicht erfüllt habe und keine besondere Härte vorliege, komme ein Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG nicht in Betracht. Der Antragstellerin stehe kein Aufenthaltsrecht nach § 34 Abs. 1 AufenthG zu, weil der personensorgeberechtigte Antragsteller keinen Aufenthaltstitel mehr besitze. Da die Antragstellerin noch nicht volljährig sei, habe sie auch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 34 Abs. 2 AufenthG erworben.

Ihre Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen anzuordnen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. November 2008 abgelehnt. Mit ihren Beschwerden verfolgen die Antragsteller weiterhin die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz. Die Antragsgegnerin tritt den Beschwerden entgegen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet, während die Beschwerde des Antragstellers ohne Erfolg bleibt.

Nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung spricht einiges dafür, dass die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin verlängert werden könnte, wobei diese Aufenthaltserlaubnis mit Eintritt der Volljährigkeit der Antragstellerin am 20. Dezember 2008 nach § 34 Abs. 2 AufenthG zu einem eigenständigen Aufenthaltsrecht wird. Nach § 34 Abs. 1 Alternative 2 AufenthG ist die einem Kind erteilte Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu verlängern, falls das Kind im Fall seiner Ausreise ein Wiederkehrrecht gemäß § 37 AufenthG hätte. Mit dieser Regelung eröffnet das Gesetz Kindern, deren Aufenthaltsrecht nicht nach § 34 Abs. 1 Alt. 1 AufenthG verlängert werden kann, ein Bleiberecht unter den Voraussetzungen des § 37 AufenthG. Dabei kommt es wegen der Sonderregelung in § 34 Abs. 1 AufenthG abweichend von § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht darauf an, dass der Lebensunterhalt des Kindes gesichert ist. Zwar erfüllt die Antragstellerin die Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht, weil sie sich aufgrund ihrer Duldung als Bürgerkriegsflüchtling nicht acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und lediglich drei Jahre eine Schule in Deutschland besucht hat. Da die Antragstellerin aber einen qualifizierenden Hauptschulabschluss im Bundesgebiet erworben hat, kann nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von den Voraussetzungen des achtjährigen Aufenthalts und des sechsjährigen Schulbesuchs abgesehen werden. Insoweit steht die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 1 AufenthG im Ermessen der Antragsgegnerin (vgl. OVG LSA vom 16.11.2006 2 M 296/06 <juris>; Marx in GK-AufenthG, RdNr. 1 zu § 34, unklar allerdings in RdNr. 34; Hailbronner, Ausländerrecht, RdNr. 7 zu § 34). Da die Antragsgegnerin bisher keine Entscheidung nach § 34 Abs. 1 Alternative 2 in Verbindung mit § 37 Abs. 2 Satz 2 AufenthG getroffen hat, können die maßgeblichen Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO nicht in das gerichtliche Verfahren eingeführt werden. Solange die Ausländerbehörde diese Entscheidung nicht getroffen hat, überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Bei der Ermessensentscheidung nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AufenthG wird die Antragsgegnerin zu berücksichtigen haben, dass anders als bei § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine positive Entscheidung nicht vom Vorliegen einer besonderen Härte abhängig ist. Vielmehr liegt der Privilegierung in § 37 Abs. 2 Satz 2 AufenthG die Annahme zugrunde, dass mit dem Erreichen eines Schulabschlusses im Bundesgebiet im Regelfall von einer hinreichenden Integrationsfähigkeit des Ausländers auszugehen ist. Dazu kommt, dass die Antragstellerin, wenn auch mit Unterbrechungen, sieben Jahre im Bundesgebiet gelebt und sich damit ihr Aufenthalt erheblich verfestigt hat.

Dagegen bleibt die Beschwerde des Antragstellers ohne Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der angegriffenen Entscheidung. Der Schutz der Familie, der nach Art. 8 EMRK grundsätzlich auf die Kernfamilie von Eltern und minderjährigen Kindern beschränkt ist (vgl. EGMR vom 9.10.2003 – Slivenko – EuGRZ 2006, 560), vermag dem Antragsteller kein Aufenthaltsrecht zu verschaffen. Nachdem seine Tochter inzwischen volljährig ist, bedarf sie keiner Personen- oder Vermögenssorge mehr. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren auch nicht dargelegt, dass mit der Antragstellerin eine über eine Hausgemeinschaft hinausgehende Lebensgemeinschaft besteht, die seine Rückkehr nach Kroatien unzumutbar erscheinen lässt (vgl. BVerfG vom 18.4.1989 BVerfGE 80, 81).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 47 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).