OLG München, Beschluss vom 13.01.2009 - 18 U 4520/08
Fundstelle
openJur 2012, 97861
  • Rkr:
Tenor

I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 6.8.2008 zurückzuweisen.

II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 3.2.2009.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ohne Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Auch die Voraussetzungen von § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO liegen vor. Das Landgericht hat dem Kläger zu Recht eine immaterielle Entschädigung in Höhe von 5.500.– EUR zugesprochen.

Eine ausdrückliche Einwilligung des Klägers in die Veröffentlichung der Filmaufnahmen liegt nicht vor, wobei offenbleiben kann, ob die Deutschkenntnisse des Klägers zum betreffenden Zeitpunkt für ein hinreichendes Verständnis von Erklärungen des Filmteams ausreichend waren. Die Zeugin ... konnte sich an das konkrete Ereignis nicht mehr erinnern. Soweit sie im Rahmen ihrer Einvernahme auf einen von ihr gefertigten handschriftlichen Vermerk vom 24.4.2007 Bezug nahm, war dort nach ihren Angaben lediglich festgehalten, dass der Kläger das Kamerateam akzeptiert und keine Einwände erhoben habe. Für die Feststellung einer ausdrücklichen Erklärung des Klägers bietet die Aussage der Zeugin daher keinen Raum. Der Zeuge ... gab zwar an, dass der Kläger auf seine Frage mit "Ja" geantwortet habe. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, wie die Frage konkret lautete. Im Übrigen hatte der Zeuge zuvor geschildert, dass der Kläger nicht viel gesprochen und die Zeugin ... mit ihm geredet habe. Auch den Angaben des Zeugen, es sei dem Kläger erklärt worden, worum es ging, und er sei "damit einverstanden" gewesen, dass er aufgenommen und der Beitrag gesendet würde, kann nicht entnommen werden, dass der Kläger ausdrücklich eingewilligt hätte.

Unter Zugrundelegung der besonderen Umstände der Anfertigung und Veröffentlichung des betreffenden Filmmaterials (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 4.5.2004, Az.: 7 U 10/04; OLG München, AfP 1992, 78) ist auch eine konkludente Einwilligung nicht anzunehmen.

4Der Kläger hat bereits kein Verhalten zum Ausdruck gebracht, welches aus objektiver Sicht als Einwilligungserklärung zu bewerten ist. Voraussetzung hierfür ist, dass ihm bekannt war, dass er die Aufnahmen und deren Ausstrahlung nicht hinnehmen musste, d. h. dass seine Einwilligung in die Veröffentlichung erforderlich war. Eine derartige Kenntnis ist nicht feststellbar. Das Kamerateam erschien überraschend und unangemeldet in Begleitung einer Gerichtsvollzieherin sowie zweier Polizeibeamten in der Wohnung, in der sich der Kläger aufhielt. Da der Schuldner als Hausrechtsinhaber nicht anwesend war, die Zeugin ... die Haustür nicht geöffnet und eine Einwilligung für das Betreten der Wohnung durch sämtliche Anwesende nicht erteilt hatte und der Kläger schlief, drang das Filmteam unbefugt und heimlich in die betreffenden Räumlichkeiten ein. Ob dieses Verhalten des Filmteams den objektiven und subjektiven Tatbestand eines Hausfriedensbruchs nach § 123 StGB erfüllt, kann offenbleiben. Jedenfalls hat das Filmteam unter Verletzung des Grundrechtsschutzes der Wohnung nach Art. 13 GG geschützte Räume bei laufender Kamera betreten und damit in nicht gerechtfertigter Weise auch in die Privatsphäre des Klägers eingegriffen. Art. 13 GG enthält ein echtes Individualrecht, das dem Einzelnen im Hinblick auf dessen Menschenwürde und im Interesse seiner freien Entfaltung einen "elementaren Lebensraum" gewährleistet. Es ist ein sogenanntes negatorisches Grundrecht. Es gibt dem Betroffenen die Befugnis, Eingriffe in die von ihm bewohnten Räume abzuwehren. Aufgrund der besonderen Umstände des Erscheinens des Filmteams in der Wohnung kann nicht festgestellt werden, dass dem Kläger klar war, dass er diesem den Zutritt hätte verweigern können bzw. dass sich dieses dort unbefugt aufhielt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er annahm, die Aufnahmen seien von der Gerichtsvollzieherin oder der Polizei genehmigt und daher – ebenso wie die spätere Ausstrahlung – von ihm zu dulden. Ohne umfassende Aufklärung kann daher ein lediglich hinnehmend wirkendes Verhalten des Klägers nicht als konkludente Einverständniserklärung gewertet werden.

5Jedenfalls wäre eine Einwilligung deshalb unwirksam, weil nicht nachgewiesen wurde, dass dem Kläger Zweck, Art und Umfang der geplanten Sendungen bekannt waren. Eine eingehende Bekanntmachung der beabsichtigten Verwendung ist vorliegend zu verlangen, da der Beitrag Vorgänge betraf, deren Veröffentlichung für den Kläger offenkundig unangenehm war. Je weitergehend die geplante Veröffentlichung die Privatsphäre des Betroffenen betrifft, desto klarer muss er über Verwendung und Art des Beitrags aufgeklärt worden sein, wenn seine Duldung der Aufnahmen als wirksame stillschweigende Einwilligung bewertet werden soll. In dem gesendeten Beitrag wird nicht hinreichend deutlich, dass der Kläger nur zufällig angetroffen wird und nicht für die gegen den Schuldner gerichteten Vollstreckungsmaßnahmen verantwortlich ist. Dass die Darstellung des namentlich genannten, lediglich mit Shorts bekleideten, unmittelbar zuvor aus dem Schlaf geweckten, nicht fließend Deutsch sprechenden Klägers im Zusammenhang mit der Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen unter Mitwirkung zweier Polizeibeamten und in einer Wohnung, die zwangsweise geöffnet werden musste, das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit erheblich herabzusetzen geeignet ist, liegt auf der Hand. Dies gilt auch hinsichtlich der im Film dargestellten, sonst üblicherweise nichtöffentlichen Befragung des Klägers durch die Gerichtsvollzieherin. Selbst wenn der Kläger, wie die Beklagte vorbringt, Boxershorts oder eine Sport- oder Badehose getragen haben sollte, ist deutlich, dass es sich bei dabei um seine Schlafbekleidung handelte. Es wird nicht ersichtlich, dass der Kläger weder dafür verantwortlich ist, dass der Schuldner nicht anwesend ist, noch dafür, dass gegen den Schuldner ein vollstreckbarer Titel besteht. Daher hätten die Mitglieder des Filmteams dem Kläger zunächst eingehend erklären müssen, um welche Art einer Sendung es sich handelte, und zudem, dass er auf den Bildern identifizierbar zu erkennen sein würde.

Es ist von der insoweit beweisbelasteten Beklagten nicht nachgewiesen worden, dass eine derartig deutliche Aufklärung stattgefunden hat. Auch wenn der Kläger eine (ihrem Inhalt nach unbekannte) Frage des Zeugen bejahte, ist nicht anzunehmen, dass er sich in diesem Moment über die Aufzeichnung und den Inhalt der anschließenden Sendung im Klaren war.

Die Beklagte trifft ein schweres Verschulden daran, dass sie die Aufnahmen unbefugt anfertigte und veröffentlichte. Es war offenkundig, dass der Kläger erst durch das Erscheinen der Polizeibeamten, der Gerichtsvollzieherin und der Mitglieder des Filmteams aus dem Schlaf geweckt wurde. Es war offensichtlich, dass der Kläger überrascht war und es sich aus seiner Sicht um eine nicht alltägliche Situation handelte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Gerichtsvollzieherin und die Polizeibeamten zuvor geklingelt bzw. geklopft hatten. Den Mitgliedern des Kamerateams musste auch bewusst sein, dass sich die Befugnis der Gerichtsvollzieherin, sich den Zutritt zu den Räumlichkeiten zu verschaffen, nicht auf sie erstreckte und sie durch das Betreten der Wohnung unbefugt in die räumliche Privatsphäre des Klägers, noch dazu in einen Schlafraum, eingedrungen waren. Der Zeuge ... wusste, dass der Kläger über keine Informationen über die geplante Sendung verfügte, und klärte ihn dennoch nicht umfassend auf. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen. Es ist daher zumindest als grob fahrlässig zu bewerten, dass die Beklagte das Verhalten des Klägers als eine wirksame Einwilligung in die Anfertigung von Filmaufnahmen und deren geplante Veröffentlichung auffasste. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihre Mitarbeiter nicht klüger als vergleichbare Verkehrskreise, die Gerichtsvollzieherin oder die diese begleitenden Polizeibeamten hätten sein müssen. Es war allein ihre Aufgabe sicherzustellen, dass die Anforderungen an die journalistische Sorgfaltspflicht im konkreten Einzelfall eingehalten würden. Aus den oben genannten Gründen kommt es nicht darauf an, ob hinsichtlich des vom Landgericht angesprochenen strafrechtlichen Gesichtspunkts eines möglichen Hausfriedensbruchs auf Seiten des Filmteams Irrtümer gegeben wären, die eine Strafbarkeit ausschlössen. Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht wegen Erfüllung des objektiven Tatbestands des Hausfriedensbruchs Sittenwidrigkeit angenommen hat. Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des BGH in NJW 2004, 2671 zum subjektiven Unrechtsmerkmal einer verwerflichen Gesinnung im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB ist daher vorliegend ohne jede Relevanz, zumal dort im Hinblick auf die Wertverhältnisse einer Immobilie auf einen Vergleich zum Wissensstand "anderer Marktteilnehmer" (und nicht einer Gerichtsvollzieherin oder der Polizei) abgestellt wird.

Es liegt ein besonders schwerwiegender Eingriff vor. Völlig zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der Kläger zeitweise nur spärlich mit Shorts bekleidet gezeigt wird und sein Name in dem Sendebeitrag zu vernehmen ist. Der Senat teilt auch die Auffassung des Landgerichts, dass durch den Beitrag der Eindruck entstehen konnte, dass der Kläger Schwierigkeiten mit der Polizei hatte. Das Filmteam hatte die Wohnung unbefugt betreten. Dennoch wurde auch die für den Kläger besonders kompromittierende Eingangssituation gezeigt. Es wird ersichtlich, dass der Kläger auf einem einfachen Matratzenlager geschlafen hatte und er, unmittelbar nachdem er geweckt worden war, Fragen der Polizeibeamten und der Gerichtsvollzieherin zu beantworten hatte. Der Senat geht schließlich wie das Landgericht davon aus, dass der Beitrag mindestens zweimal, wie vom Kläger unbestritten vorgetragen wurde, zur Ausstrahlung gelangte. Anlass und Beweggrund für die Veröffentlichung schließen die Annahme eines schwerwiegenden Eingriffs vorliegend nicht aus. Zwar wird ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit an der behandelten Thematik (Vorgehen einer Gerichtsvollzieherin gegen zahlungsunwillige Schuldner) befriedigt. Allerdings gibt es keine übergesetzliche Rechtfertigung der Verletzung der räumlichen Privatsphäre durch recherchierende Journalisten (OLG München, a. a. O., mwN). Aus Art. 5 GG lässt sich keine Legitimation eines Medienvertreters ableiten, gegen den Willen des Hausrechtsinhabers in geschützte Schlafräumlichkeiten einzudringen und hierin Aufnahmen für eine geplante Veröffentlichung zu fertigen.

Die Persönlichkeitsrechtsverletzung lässt sich nicht in anderer Weise beseitigen. Die strafbewehrte Unterlassungserklärung wurde abgegeben, als die Sendung bereits zweimal ausgestrahlt worden war.

Der vom Landgericht in Höhe von 5.500.– EUR zugesprochene Betrag der immateriellen Geldentschädigung ist angemessen.

Der Beklagten wird geraten, die Berufung zurückzunehmen.