LG Traunstein, Beschluss vom 11.12.2008 - 1 Qs 140/08
Fundstelle
openJur 2012, 97034
  • Rkr:
Tenor

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Traunstein gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim, Geschäfts-Nr. 7 Ds 201 Js 18444/08, vom 20.10.2008 wird aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen der angefochtenen Entscheidung verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und ggfls. angefallene notwendige Auslagen des Angeschuldigten hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

Die Staatsanwaltschaft Traunstein erhob am 02.09.2008 gegen ... Anklage zum Amtsgericht – Strafrichter – Rosenheim wegen gefährlicher Körperverletzung in 3 tatmehrheitlichen Fällen und beantragte das Hauptverfahren zu eröffnen. In der Anklageschrift liegt dem Angeschuldigten zur Last, im Zeitraum von März bis Mai 2008 in seinem Haftraum in der Justizvollzugsanstalt ... Mitgefangene tätowiert zu haben, die damit einverstanden waren bzw. die Tätowierung ausdrücklich wünschten, wobei dem Angeschuldigten und den Mitgefangenen jedoch bewußt war, dass gemäß Ziffer 20.6 der Hausordnung der Justizvollzugsanstalt Bernau es verboten ist, sich oder andere zu tätowieren oder zu piercen oder sich tätowieren oder piercen zu lassen. Ebenso ist der Besitz von entsprechendem Tätowierwerkzeugen untersagt. Dem Angeschuldigten war außerdem bekannt, dass aufgrund mangelnder Hygienebedingungen eine enorme Infektionsgefahr für die Beteiligten bestand.

Mit Beschluss vom 20.10.2008 lehnte das Amtsgericht Rosenheim die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Angeschuldigten ab, da eine Strafbarkeit wegen § 228 StGB (Einwilligung) ausscheide. Inhaltlich wird auf den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim Bezug genommen (Bl. 33/37 d.A.).

Gegen diesen Beschluss, der Staatsanwaltschaft Traunstein zugestellt am 23.10.2008, legte die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 24.10.2008, bei Gericht per Telefax eingegangen am 24.10.2008, sofortige Beschwerde ein, die sie am 28.10.2008 damit begründete, dass die Einwilligung der Mitgefangenen in die Tätowierung gegen die guten Sitten verstoßen würde. Auch insofern wird inhaltlich Bezug genommen auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft vom 28.10.2008 (Bl. 41/42 d.A.).

Die statthafte (§ 210 II StPO) sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 311 II StPO), in der Sache jedoch unbegründet.

Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.

Zurecht hat das Amtsgericht Rosenheim die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen abgelehnt.

"Gemäß § 228 StGB ist die mit Einwilligung der verletzten Person vorgenommene Körperverletzung rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Das Strafgesetzbuch knüpft so die Rechtsfolgen der Einwilligung an außerrechtliche, ethisch-moralische Kategorien. Die Prüfung der Rechtfertigung der Körperverletzungstat durch die Einwilligung des Geschädigten ist daher in diesem Punkt weniger ein Akt normativ-wertender Gesetzesauslegung als vielmehr ein solcher empirischer Feststellung bestehender Moralüberzeugungen ... Jedoch muß der Begriff der guten Sitten auf seinen Kern beschränkt werden. Nur dann ist dem Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens genügt. Dies bedeutet, dass ein Verstoß der Körperverletzungstat gegen die guten Sitten nur angenommen werden kann, wenn sie nach allgemeingültigen moralischen Maßstäben, die vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden können, mit dem eindeutigen Makel der Sittenwidrigkeit behaftet ist. In diesem Sinne ist eine Körperverletzung trotz Einwilligung des Geschädigten nach der allgemein gebrauchten Umschreibung dann sittenwidrig, wenn sie gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Ein Verstoß gegen die Wertvorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder des mit der Tat befassten Strafgerichts genügt daher nicht. Läßt sich nach diesen Maßstäben die Sittenwidrigkeit nicht sicher feststellen, scheidet eine Verurteilung wegen eines Körperverletzungsdelikts aus. Bei der Entscheidung, ob die Tat gegen die guten Sitten verstößt, ist immer in Betracht zu nehmen, ob die Körperverletzung wegen des besonderen Gewichts des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs, namentlich des Umfangs der vom Opfer hingenommenen körperlichen Mißhandlung oder Gesundheitsschädigung und des Grades der damit verbundenen weiteren Leibes- oder Lebensgefahr als unvereinbar mit den guten Sitten erscheint." (BGH, 3. Strafsenat, Urteil vom 11.12.2003, 3 StR 120/03)

8Unter Zugrundelegung dieser Ausführungen des Bundesgerichtshofes vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass das Tätowieren nach heute allgemein anerkannten, nicht anzweifelbaren Wertvorstellungen generell noch als unvereinbar mit den guten Sitten angesehen wird. Dies gilt auch für das Tätowieren in Justizvollzugsanstalten, wenngleich es sich dort um schwere Verfehlungen im Sinne des § 103 II StVollzG handelt. Unerlaubte Tätowierungen stellen schwerwiegende Ordnungsstörungen im Sinne von § 4 II StVollzG dar, weil hierdurch das geordnete Zusammenleben in der Anstalt beträchtlich gefährdet wird. Die mit dem Gebrauch von nicht sterilen Tätowierungswerkzeugen durch Laien verbundene Infektionsgefahr, insbesondere mit Krankheiten wie Hepatitis, Tetanus oder Aids, beeinträchtigt nämlich die der Anstalt aus § 56 I StVollzG obliegende Verpflichtung, für die Gesundheit der Gefangenen zu sorgen. Dass die Mitgefangenen mit den Eingriffen in ihre körperliche Integrität einverstanden waren oder diese sogar aufgrund ihrer Initiative erfolgten, rechtfertigt keine andere Beurteilung, zumal die Gefangenen zur Einhaltung und Unterstützung von allgemeinen Hygiene- und Gesundheitsvorschriften im Strafvollzug nach § 56 II StVollzG verpflichtet sind und durch diese Regelung ihr allgemeines Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt wird (so bereits OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.03.2006, 1 WS 103/05, NStZRR 2006, 190). Bereits das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in seinem Beschluss mit keinem Wort erwähnt, dass es sich bei der Tätowierung von Mitgefangenen auch um Körperverletzung handeln könnte, sondern "lediglich" um eine schwere disziplinarische Verfehlung.

Auch in seinem Urteil vom 26.05.2004 (BGH, 2. Strafsenat, 2 StR 505/03) hat der Bundesgerichtshof für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Tat nach § 228 StGB vorrangig das Gewicht des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs und damit ein objektives Kriterium für ausschlaggebend erachtet. Hierbei sind in erster Linie der Umfang der vom Opfer hingenommenen körperlichen Mißhandlung oder Gesundheitsschädigung und der Grad der damit verbundenen Leibes- oder Lebensgefahr maßgeblich.

10Das Tätowieren des Angeschuldigten kann danach nicht allein wegen der geltenden Anstaltsordnung oder der Verpflichtung der Anstalt, für die Gesundheit der Gefangenen zu sorgen, als gegen die guten Sitten verstoßend angesehen werden. Daran gemessen sind die Grenzen, innerhalb derer das Handeln des Angeschuldigten von der Allgemeinheit noch hingenommen werden kann, noch nicht überschritten, da allein die abstrakte Gefährlichkeit des Handelns des Angeschuldigten, wobei nicht einmal bekannt ist, mit welchem Werkzeug die Tätowierungen ausgeführt wurden, nicht ausreichen, dass dies – wie die Staatsanwaltschaft meint – gegen "das Anstaltsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" verstoße.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 I StPO.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte