Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.12.2008 - 11 CE 08.2999
Fundstelle
openJur 2012, 96878
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf insgesamt 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1942 geborene Antragsteller wendet sich zum einen gegen die sofortige Vollziehung der Verpflichtung, der Fahrerlaubnisbehörde seinen tschechischen Führerschein vorzulegen, damit darin seine fehlende Fahrberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland eingetragen werden kann.

Zum andern begehrt er die Feststellung, dass er vorläufig berechtigt ist, von seiner am 7. Dezember 2005 in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis der Klassen A und B auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch machen zu dürfen.

Das Amtsgericht Hersbruck entzog dem Antragsteller mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 27. September 1973 die Fahrerlaubnis. In der hieran anschließenden Zeit wurde der Antragsteller mehrfach wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt, zuletzt durch Urteil vom 8. Mai 2001.

Am 15. Juli 2004 beantragte der Antragsteller die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, die das Landratsamt Nürnberger Land mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 31. März 2005 ablehnte, weil der Antragsteller das von ihm geforderte medizinisch-psychologische Fahreignungsgutachten nicht beigebracht hatte. Am 7. Dezember 2005 erwarb der Antragsteller in der Tschechischen Republik einen Führerschein der dortigen Klassen A und B, in dem unter der Nr. 8 als Wohnsitz "Neunkirchen a. Sand, Spolkova Republika Nemecko" eingetragen war.

Am 29. März 2006 forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten beizubringen. Diese Gutachtensaufforderung hob es mit Schreiben vom 29. Juni 2006 wieder auf. Das Landratsamt forderte den Antragsteller am 13. August 2008 auf, seinen tschechischen Führerschein zur Eintragung der fehlenden Fahrberechtigung in Deutschland vorzulegen. Nachdem der Antragsteller diesem Verlangen nicht nachkam, verpflichtete ihn das Landratsamt mit Bescheid vom 27. August 2008 zur Vorlage des tschechischen Führerscheins, ordnete die sofortige Vollziehung an und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage ein Zwangsgeld an. Zur Begründung berief es sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Juni 2008 und auf § 28 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 FeV.

Nachdem der Antragsteller sowohl gegen das Schreiben des Landratsamtes vom 13. August 2008 als auch gegen dessen Bescheid vom 27. August 2008 Widerspruch eingelegt hatte, stellte er am 29. August 2008 beim Verwaltungsgericht Ansbach Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Diesen Antrag fasste er am 19. September 2008 dahingehend neu, dass er zum einen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 27. August 2008 beantragte. Im Übrigen beantragte er festzustellen, dass er vorläufig berechtigt sei, von seiner am 7. Dezember 2005 in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis der Klassen A und B auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen.

Das Verwaltungsgericht lehnte beide Anträge mit Beschluss vom 10. Oktober 2008 ab. Zur Begründung verwies es im wesentlichen auf § 28 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 FeV und die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Juni 2008 (Az. C-329/06 und C-343/06 sowie C-334/06 bis C-336/06).

Mit seiner am 5. November 2008 eingelegten Beschwerde wiederholte der Antragsteller die bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gestellten Anträge. Zur Begründung führte er aus, dass Zweifel bestünden, "ob von der Anerkennungsversagungskompetenz" in § 28 Abs. 4 FeV Gebrauch gemacht worden sei, da diese Vorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht nicht im Einklang stehe". Im Übrigen sei § 28 Abs. 4 FeV unbestimmt und deshalb nichtig. Die vom EuGH bejahte Anerkennungsversagungskompetenz richte sich an die Behörden und nicht an den Gesetzgeber. Dies ergebe sich auch aus der Entscheidung des EuGH vom 3. Juli 2008 (Az. C-225/07 - Sache Möginger). Deshalb sei eine Ermessensentscheidung der Fahrerlaubnisbehörde erforderlich, die hier unterblieben sei.

Die tschechische Fahrerlaubnis des Antragstellers sei von der Fahrerlaubnisbehörde konkludent anerkannt worden. Außerdem werde eine Ungleichbehandlung des Antragstellers gegenüber polnischen und ungarischen Führerscheininhabern gerügt, in deren Führerscheinen kein Wohnsitz eingetragen sei.

Der Antragsgegner tritt den Beschwerden entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II.

1. Die zulässigen Beschwerden sind nicht begründet.

1.1. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des "Widerspruchs" (richtig: Klage) gegen den Bescheid des Landratsamtes vom 27. August 2008 hat keinen Erfolg, weil der Antragsgegner den Antragsteller zu Recht aufgefordert hat, seinen am 7. Dezember 2005 ausgestellten tschechischen Führerschein zur Eintragung der fehlenden Berechtigung, in Deutschland ein Kraftfahrzeug zu führen, vorzulegen. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird zunächst auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Zum Beschwerdevorbringen ist ergänzend folgendes auszuführen:

a) Soweit der Antragsteller bezweifelt, ob von der Anerkennungsversagungskompetenz in § 28 Abs. 4 FeV Gebrauch gemacht wurde, weil diese Vorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht nicht im Einklang stehe, ist dieser Einwand unbegründet. Nach den bereits vom Verwaltungsgericht wiedergegebenen Entscheidungen des EuGH vom 26. Juni 2008 (a.a.O.) ist es einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht verwehrt, die Anerkennung einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis in seinem Hoheitsgebiet abzulehnen, wenn auf der Grundlage von Angaben in diesem Führerschein oder von anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Ausstellermitgliedstaat hatte und der Aufnahmemitgliedstaat in seinem Hoheitsgebiet auf den Inhaber dieses Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet hat, bevor die ausländische Fahrerlaubnis erteilt wurde. Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller zweifelsfrei vor, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat.

b) § 28 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 FeV ist entgegen der vom Antragsteller aufgestellten Behauptung nicht wegen Unbestimmtheit nichtig. Von ihrem Wortlaut her sind diese Vorschriften eindeutig bestimmt. Die sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Gunsten der Betroffenen ergebenden Einschränkung ihres Anwendungsbereichs ändert an der Bestimmtheit nichts, da verfassungsrechtlich anerkannt ist, dass eine Rechtsvorschrift den genauen Anwendungsbereich erst durch Auslegung bzw. durch die Rechtsprechung findet (vgl. BVerfG vom 7.7.1971 NJW 1971, 2167).

c) Die weitere Behauptung des Antragstellers, dass sich die Anerkennungsversagungskompetenz an die Fahrerlaubnisbehörden, nicht aber an den Gesetz- und Verordnungsgeber richte, ist weder aus der Führerscheinrichtlinie noch aus den Urteilen des EuGH vom 26. Juni 2008 (a.a.O.) ableitbar. Sowohl Art. 8 Abs. 4 der Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG als auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Juni 2008 sprechen vom "Mitgliedstaat" bzw. Aufnahmemitgliedstaat, der unter den dort genannten Voraussetzungen dazu berechtigt ist, die Anerkennung der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Fahrerlaubnis abzulehnen. Von dieser Befugnis kann der Aufnahmemitgliedstaat sowohl durch Einzelfallentscheidungen als auch durch ein Handeln seines Gesetz- bzw. Verordnungsgebers Gebrauch machen, wie dies der deutsche Gesetzgeber durch den Erlass von § 28 Abs. 4 FeV getan hat.

d) Der Hinweis des Antragstellers auf die Entscheidung des EuGH vom 3. Juli 2008 (a.a.O.) gibt keinen Anlass zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Diese Entscheidung befasste sich nicht mit den Folgen einer Nichtbeachtung des in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG aufgestellten Wohnsitzerfordernisses und ist deshalb mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Sie enthält keine Abweichung von den Urteilen des EuGH vom 26. Juni 2008 (a.a.O.).

e) Wegen der sich unmittelbar aus § 28 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 FeV ergebenden Rechtsfolge, dass die dem Antragsteller in der Tschechischen Republik erteilte Fahrerlaubnis im Bundesgebiet nicht gilt, bedurfte es keines konstitutiv wirkenden Verwaltungsakts und damit auch keiner Ermessensentscheidung der Fahrerlaubnisbehörde, wie der Antragsteller zu Unrecht meint (vgl. BayVGH vom 7.8.2008 Az. 11 ZB 07.1259; vom 11.8.2008 Az. 11 CS 08.832; VGH BW vom 16.9.2008 Az. 10 S 2925/06 - juris).

f) Die vom Antragsteller am 7. Dezember 2005 in der Tschechischen Republik erworbene Fahrerlaubnis ist von der deutschen Fahrerlaubnisbehörde auch nicht anerkannt worden. Ein entsprechender Anerkennungswille der Fahrerlaubnisbehörde ist nicht erkennbar. Eine "konkludente" Anerkennung durch sie hätte auch gegen § 28 Abs. 4 FeV verstoßen. Selbst eine Fehleinschätzung der Rechtslage durch die nationalen Behörden und Gerichte könnte nicht dazu führen, dass eine kraft Gesetzes fehlende Fahrberechtigung contra legem neu entsteht.

g) Soweit der Antragsteller geltend macht, es gebe keine sachliche Rechtfertigung dafür, Inhaber tschechischer Fahrerlaubnisse anders zu behandeln als Erwerber von Fahrerlaubnissen aus Mitgliedstaaten, die generell keine Wohnsitzangabe in den Führerschein aufnehmen wie Polen und Ungarn, ist kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG festzustellen. Es liegt keine Ungleichbehandlung vor, wenn der deutsche Wohnsitz in diesen Fällen nicht in dem ausländischen Führerschein selbst vermerkt ist, sich jedoch aus anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden, unbestreitbaren Informationen feststellen lässt, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG des Rates über den Führerschein vom 29. Juli 1991 (ABl L 237 vom 24.8.1991, S. 1) aufgestellte Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins nicht erfüllt war. Ist das der Fall, ist die Ungültigkeit der Fahrerlaubnis im Bundesgebiet in gleicher Weise gegeben wie in den Fällen, in denen sich der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis unmittelbar aus dem ausländischen Führerschein ergibt. Wenn dagegen in diesen Fällen keine vom Ausstellerstaat herrührenden Informationen vorliegen, ist zwar eine Ungleichbehandlung gegeben, die aber sachlich gerechtfertigt ist. Der sachliche Differenzierungsgrund liegt in der vom EuGH in seiner Entscheidung vom 26. Juni 2008 (a.a.O.) betonten besonderen Bedeutung eines Nachweises dafür, dass die in der Führerscheinrichtlinie geforderte Wohnsitzvoraussetzung erfüllt ist.

h) Dass die Tschechische Republik das in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG geregelte Wohnsitzerfordernis nicht mit ihrem Beitritt zur Europäischen Union, sondern erst mit Wirkung ab 1. Juli 2006 in ihr nationales Recht umgesetzt hat, stellt weder die Richtigkeit der Rechtsauffassung des EuGH noch deren Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall in Frage. Gemäß Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Island, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl Nr. L 236 vom 23.9.2003) sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank für die neuen Mitgliedsstaaten ab dem Tag des Beitritts verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte. Die Vorschriften der Richtlinie 91/439/EWG galten somit nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH (z.B. Urteil vom 5.4.1979 NJW 1979, 1764 f.) ab dem Beitritt bis zur Umsetzung in nationales Recht in der Tschechischen Republik unmittelbar. Der erkennende Senat folgt deshalb der in dem vom Antragsteller übergebenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 8. Dezember 2008 (Az. 6 L 1310/08.NW) vertretenen Rechtsauffassung nicht.

1.2. Soweit sich der Antragsteller gegen die Ablehnung seines Antrags wendet, festzustellen, dass er vorläufig berechtigt sei, von seiner am 7. Dezember 2005 in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis auch in Deutschland Gebrauch zu machen, ist seine Beschwerde ebenfalls unbegründet. Denn insoweit hat er nicht den für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Hierzu wird auf die Ausführungen unter 1.1 verwiesen, aus denen sich ergibt, dass ein derartiger Anordnungsanspruch des Antragstellers nicht besteht. Offen bleiben kann, ob der Antrag nach § 123 VwGO vom Verwaltungsgericht bereits als unzulässig hätte abgelehnt werden müssen, weil insoweit der Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO vorgreiflich war.

2. Die Beschwerden sind deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V. mit den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1 46.1, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 f.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller zwei verschiedene Begehren des vorläufigen Rechtsschutzes verfolgt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).