VG München, Beschluss vom 17.12.2008 - M 8 E 08.5752
Fundstelle
openJur 2012, 96795
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Versagung einer beantragten Verlängerung einer bauaufsichtlichen Genehmigung zum Anbringen zweier großflächiger Werbeanlagen und begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung hierfür.

Die Werbeanlagen sollen am Gebäude der Bayerische ..., ...platz 2, Fl.Nr. 405/0, Gemarkung ... angebracht werden. Dieses Gebäude befindet sich in einem Gebiet, in dem durch einfachen Bebauungsplan, § 30 Abs. 3 BauGB, lediglich Bauräume festgesetzt sind.

Seit dem Jahr 2006 finden an der Bayerischen ... Renovierungsarbeiten statt. Zu diesem Zweck wurden Baugerüste mit Staubschutzplanen errichtet, die das Gebäude vollständig verdecken. Zuletzt wurde die verkehrsaufsichtliche Erlaubnis zur Aufstellung des Gerüsts durch die Antragsgegnerin am ... April 2008 für den Zeitraum Anfang Mai 2008 bis Ende März 2009 erteilt.

Durch andere Werbeunternehmen wurden an den Staubschutzplanen großflächige Werbeplakate in den Zeiträumen 01. bis 31. Mai 2006, 10. Juli 2006 bis 30. August 2006, 15. Oktober 2006 bis 31. Dezember 2006 und 01. Januar 2007 bis 30. April 2007 angebracht.

Am 24. Juli 2007 stellte die Klägerin bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf bauaufsichtliche Genehmigung zur Anbringung von zwei Werbepostern, Größe jeweils 20 m mal 9 m, befristet auf den Zeitraum vom 01. August 2007 bis 31. Dezember 2007, an den Baugerüsten der Bayerischen ..., ...platz 2. Die beantragten Poster sollten über Eck angebracht werden. Die Antragsgegnerin erteilte der Antragsstellerin hierfür am ... August 2007 eine Baugenehmigung.

Mit Antrag vom 29. November 2007 beantragte die Antragstellerin die Verlängerung der bauaufsichtlichen Genehmigung für den Zeitraum vom 01. Januar 2008 bis 31. Dezember 2008. Mit Nachgangsbescheid vom ... Januar 2008 erteilte die Antragsgegnerin die beantragte Verlängerung. Darin wurde eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt, welche unter anderem mit der zeitlichen Befristung der Werbeplakate und der Abmilderung der Störung des Stadtbilds durch die Visualisierung der Fassade an der Schutzfolie begründet wurde.

Mit einem weiteren Verlängerungsantrag vom 22. September 2008 beantragte die Antragsstellerin die nochmalige Verlängerung der bauaufsichtlichen Genehmigung für den Zeitraum 01. Januar 2009 bis 31. März 2009. Mit Bescheid vom ... November 2008 lehnte die Antragsgegnerin die Erteilung der Baugenehmigung mit im Wesentlichen folgender Begründung ab: Das Vorhaben beurteile sich nach §§ 30 Abs. 3, 34 BauGB, da es in einem Gebiet liege, für das lediglich Bauraumfestsetzungen getroffen worden seien. Es beeinträchtige das Ortsbild aufgrund seiner Größe und der Erscheinung über Eck sowie des langen Zeitraums, in welchem das Gebäude ...platz 2 als „Plakatsäule“ fungiert habe. Auch sei eine Baulinie festgesetzt, die das Vorhaben überschreite. Eine Befreiung könne nicht erteilt werden, da sowohl Belange der Gestaltung des Orts- und Landschaftsbilds als auch des Denkmalschutzes beeinträchtigt seinen. Daneben seien die Staubschutzplanen an dem Gebäude nicht notwendig, ein nachvollziehbarer Nachweis sei nicht geführt worden. Ferner sei die Werbeanlage aufgrund der erdrückenden Wirkung für das Stadtbild verunstaltend, die Antragstellerin habe daher kein Sachbescheidungsinteresse.

Gegen den ablehnenden Bescheid erhob die Antragstellerin am 25. November 2008 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München.

Mit Schriftsatz vom 24. November 2008, bei Gericht eingegangen am selben Tag, beantragte die Antragstellerin:

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidung der ... vom ...11.2008 (Az.: ...), eingegangen am 21.11.2008, verpflichtet, der Antragsstellerin eine auf drei Monate befristete Baugenehmigung (Verlängerung) für die Anbringung von zwei Werbepostern am Standort ...platz 2 in ... für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis zum 31.03.2009 zu erteilen.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass vom 01. September 2008 bis zum 31. März 2009 die Fassadensanierung am Gebäude ...platz 2 erfolgen solle. Die auszuführenden Arbeiten seien sehr staubintensiv, so dass eine an den Gerüsten angebrachte Schutzplane über den Gesamtzeitraum erforderlich sei. Zudem seien die Poster im 90° Winkel so angebracht, dass beide zusammen von keinem Standort aus einsehbar seien. Sollten Baulinien überschritten sein, so stehe ihr ein Anspruch auf Befreiung zu, da die Grundzüge der Planung wegen des befristeten Zeitraums der Befreiung nicht berührt seien. Auch sei eine solche Befreiung bereits erteilt worden. Der mit der Gerüstwerbung einhergehende Eingriff in das Ortsbild sei hinnehmbar, da das Baugerüst für Baumaßnahmen notwendig sei. Die Werbeanlage wirke auch nicht verunstaltend im Sinne des Bauordnungsrechts, sie halte sich aufgrund ihres Gesamtumfangs, ihrer Platzierung und Gestaltung im Rahmen der als Folge der Einrüstung ohnehin bestehenden Beeinträchtigung.

Die Antragsstellerin habe ein Rechtschutzbedürfnis im Eilverfahren für die Erteilung der Baugenehmigung, da ihr ohne den vorläufigen Rechtsschutz unzumutbare und nicht mehr abwendbare Nachteile entstünden, weil das Baugerüst nur mehr bis 31. März 2009 als Werbefläche zur Verfügung stünde.

Mit Schriftsatz vom 05. Dezember 2008, bei Gericht eingegangen am 08. Dezember 2008, beantragte die Antragsgegnerin:

1. Der Antrag wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Sie nimmt zur Begründung Bezug auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid vom ... November 2008 und führt ergänzend dazu aus, dass die beiden Werbeanlagen - selbst wenn stets nur eine Werbeanlage unmittelbar im Blickfeld des Betrachters liegen sollte - im Gesamteindruck gemeinsam von den Betrachtern wahrgenommen werden könnten. Das Maß der durch das Baugerüst verursachten Beeinträchtigung werde durch die zusätzlichen Werbeanlagen überschritten. Zudem solle sich die Werbung an einen langfristigen Zeitraum genehmigter Werbung anschließen. Aufgrund neuerer Rechtsprechung könne keine Genehmigung mehr erteilt werden, dies entspreche dem Vorgehen der Antragsgegnerin in einer Vielzahl von Fällen, so dass keine Ungleichbehandlung vorliege. Zudem sei das Eilverfahren nicht zulässig, da der Eigentümer kein Interesse mehr an der Fortführung der Baugerüstwerbung mit der Antragsstellerin habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten sowie die nicht genehmigten Bauvorlagen verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO bleibt ohne Erfolg.

1. Der Antrag ist zulässig. In der Hauptsache geht es um ein Verpflichtungsbegehren der Antragstellerin, so dass der Antrag statthaft ist. Begehrt wird eine Regelungsanordnung i.S.v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

1.1. Aus § 123 Abs. 5 VwGO ergibt sich der Vorrang der Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO. Da die Anwendbarkeit dieser Verfahren das Vorliegen eines Verwaltungsakts voraussetzt, kommt die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO unter anderem stets dann zur Anwendung, wenn der Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts abgelehnt wurde, da im Hauptsacheverfahren die Verpflichtungsklage gegeben wäre, (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, § 123 Rn 4).

1.2. Die Antragsstellerin kann das Rechtsschutzbedürfnis zur Durchführung des Eilverfahrens wegen Vorwegnahme der Hauptsache nicht abgesprochen werden.

Zunächst ist festzustellen, dass das am 25. November 2008 erhobene Hauptsacheverfahren nicht offensichtlich unzulässig ist.

Gemäß § 123 Abs. 1, Abs. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

Dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte (Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache, vgl. BVerwG, DVBl. 2000, 487). Im vorliegenden Fall würde die begehrte einstweilige Anordnung zu einer grundsätzlich unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache führen.

Eine die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmende einstweilige Anordnung kann jedoch ausnahmsweise getroffen werden, wenn der Antragsteller eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig erwirken kann und sein Begehren schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten bei Anlegung eines strengen Maßstabes erkennbar Erfolg haben muss (im Anschluss an Beschluss vom 14. Dezember 1989 - BVerwG 2 ER 301.89 - <Buchholz 310 § 123 Nr. 15>).

Im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG macht das durch den baldigen Abbau des Baugerüsts bedingte enge Zeitfenster die einstweilige Anordnung der Erteilung einer (vorläufigen) Baugenehmigung jedoch notwendig. Die Antragstellerin hat glaubhaft dargelegt, dass die Gerüste nach den derzeitigen Bauzeitplänen mit Ablauf März 2009, spätestens mit Ablauf Mai 2009 abgebaut werden sollen. Sie stünden ihr dann als Werbeflächen nicht mehr zur Verfügung. Insofern befindet sich die Antragstellerin aufgrund des vorgegebenen Zeitfensters in einer anderen Lage als sonstige Bauwerber, da ihr die Durchsetzung eines etwaigen Anspruchs auf Erteilung einer bauaufsichtlichen Genehmigung im Hauptsacheverfahren nichts mehr nützt.

Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Eigentümer der Bayerischen ... kein Interesse mehr an der Fortführung der Gerüstwerbung mit der Antragsstellerin haben soll. Diese Behauptung wurde durch die Antragsgegnerin nicht substantiiert, weshalb das Rechtsschutzinteresse der Antragsstellerin allein dadurch nicht entfällt.

2. Der zulässige Antrag ist jedoch unbegründet.

§ 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h., bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage muss eine hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache bestehen.

Der Antragstellerin steht nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsanspruch nicht zu. Dem Vorhaben stehen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, (§ 113 Abs. 5 VwGO, Art. 68 Abs. 1 S. 1 BayBO 08, Art. 59 BayBO).

2.1. Das Vorhaben liegt im Geltungsbereich eines einfachen übergeleiteten Baulinienplans, der Bauräume durch Baulinien festsetzt. Bauplanungsrechtlich richtet sich das Vorhaben daher nach §§ 30 Abs. 3, 34 Abs. 1 BauGB.

Das Vorhaben tritt vor die Baulinie, auf die gebaut werden muss, § 23 Abs. 2 BauNVO analog (siehe auch § 5 MBO - Münchner Bauordnung von 1895 sowie Entschließung des Staatsministeriums des Innern vom 3. August 1910 - MABl. S. 477). Die Festsetzung einer Baulinie bedeutet hierbei nicht, dass ausnahmslos auf diese Linie gebaut werden muss, ein geringfügiges Vortreten ist stets erlaubt, (Battis/ Krauzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 31 Rn 15). Das Gebäude der Bayerische ... nutzt den vorhandene Bauraum voll aus, so dass alle zu Renovierungsarbeiten vor dem Anwesen angebrachten Baugerüste und damit auch die auf ihnen angebrachten Werbeanlagen zwangsläufig nicht nur unerheblich vor die Baulinie treten; dies ergibt sich aus den dem Gericht vorliegenden Lageplänen. Von einem nur geringfügigen Vortreten des Vorhabens kann keine Rede sein.

2.2. Das Vorhaben kann mithin nur unter den Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB im Rahmen einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugelassen werden. Von der Erteilung einer Befreiung konnte die Antragsgegnerin jedoch ermessensfehlerfrei absehen.

2.2.1 Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans (nach pflichtgemäßem Ermessen) befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und

1. Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern oder

2. die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder

3. die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde

und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

2.2.2. Mit dem Begriff der "Grundzüge der Planung" umschreibt das Gesetz in § 31 Abs. 2 BauGB die planerische Grundkonzeption, die den Festsetzungen eines Bebauungsplans zugrunde liegt und in ihnen zum Ausdruck kommt. Hierzu gehört alles, was das Ergebnis der Abwägung über die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange und den mit den getroffenen Festsetzungen verfolgten Interessenausgleich trägt (vgl. BayVGH, vom 09.08.2007, Az: 25 B 05.1337, in Juris).

Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt dabei von der jeweiligen Planungssituation ab, (vgl. BVerwG, Beschl. vom 19.05.2004, Az: 4 B 35.04). Die Grundzüge der Planung sind jedenfalls dann berührt, wenn die Einhaltung der Festsetzung, von der abgewichen werden soll, für die Bewahrung des jeweiligen speziellen planerischen Konzepts relevant ist (Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, § 31 Rn 37).

Es sei der Antragsstellerin in diesem Zusammenhang zugestanden, dass grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der konkrete Verlauf einzelner Baugrenzen im Plangebiet als nicht für die gesamte Planung tragend darstellt (so auch BayVGH, Beschluss vom 31.07.2008, A.: 9 ZB 05.1476). Hier kann jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Baulinie auch gestalterische Funktion hat. Die Bauraumfestsetzung der Bayerischen ... dient dieser Gestaltungsfunktion und der Aufrechterhaltung einer einheitlichen Straßenflucht und ist mithin als Grundzug der Planung zu werten.

Die Grundzüge der Planung sind dann nicht berührt, wenn die Befreiung für einen überschaubaren Zeitraum befristet erteilt wird, (VG München, Urteil vom 14.01.2008, M 8 K 08.129, in Juris). Längerfristiges Vortreten vor die Baulinie wird dagegen regelmäßig mit einem Berühren der Grundzüge der Planung einhergehen. Das Vorhaben berührt aufgrund seiner Langfristigkeit die Grundzüge der Planung.

Zwar hat die Antragsstellerin eine Befristung der bauaufsichtlichen Genehmigung für die Werbeanlage beantragt. Das beantragte Vorhaben muss sich aber die vorangegangen Zeit, in welcher bereits aufgrund bauaufsichtlicher Genehmigung Gerüstwerbung angebracht war, anrechnen lassen.

Offen bleiben kann, ob hierfür auch die Zeitspanne, in der Werbeanlagen vorheriger Bauherren angebracht waren, angerechnet werden muss, da allein der Zeitrahmen, in dem die Bauherrin die Bayerische ... für sich als Werbefläche in Anspruch nimmt, ausreicht, damit keine Kurzfristigkeit mehr vorliegt. Unter Anrechnung der vorangegangen 17 Monate muss der Antragstellerin für ihr Vorhaben die Privilegierung der kurzfristigen Werbeanlagen abgesprochen werden. Zwischen den einzelnen genehmigten Zeiträumen liegen keine Zwischenräume, so dass die einzelnen Genehmigungszeiträume nahtlos ineinander übergehen und sich das Vorhaben als langfristig darstellt. Nur durch die Anrechnung kann verhindert werden, dass ohne sachlichen Grund die beabsichtigte langfristige Anbringungsdauer großflächige Werbeanlagen in kurze Zeiträume aufgeteilt wird, um damit Genehmigungsfähigkeit zu erreichen.

2.2.3. Die Entscheidung über die Erteilung einer Befreiung hat der Gesetzgeber in das pflichtgemäße Ermessen der Baugenehmigungsbehörde gestellt. Für die Ausübung dieses Ermessens wird zwar wenig Raum bestehen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung gegeben sind. Diese hat die Antragsgegnerin jedoch zu Recht verneint.

Im Rahmen der Prüfung nach § 114 VwGO, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht würde, sind die Ermessensabwägungen der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden.

Eine Befreiung musste auch nicht aus Gründen der Gleichbehandlung und Selbstbindung der Verwaltung erteilt werden. Die Antragsgegnerin orientiert sich an der neuen Rechtsprechung der Kammer und hat glaubhaft dargelegt, dass sie in allen gleichgelagerten Fällen übergroßer Gerüstwerbung entsprechend verfährt. Die unter fehlerhafter Rechtsanwendung zu Unrecht erteilte frühere Genehmigung kann dem nicht entgegen stehen, hieraus vermag die Antragsstellerin für sich keine Ansprüche herzuleiten.

Zu Beachten waren die gestalterische Funktion der Baulinie und die Auswirkungen des Vorhabens auf das Ortsbild. In die Abwägung waren auch die aus der wirtschaftlichen Bedeutung der Gerüstwerbungen resultierende Bezugsfallwirkung und die dadurch bedingten Auswirkungen auf das Ortsbild einzustellen.

Das Bundesverwaltungsgericht stellt (Urt. vom 11.5.2000, Az: 4 C 14.98) für die das Ortsbild schützende Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB auf einen größeren Maßstab bildenden Bereich als auf die für das Einfügensgebot maßgebliche nähere Umgebung ab und unterscheidet so das Ortsbild im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB von dem des Art. 8 Satz 2 BayBO 08. Eine Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB liegt danach nur vor, wenn in räumlicher Hinsicht negative Auswirkungen in einem größeren Bereich als in der näheren Umgebung des Baugrundstückes vorhanden sind.

Ob eine solche Ortsbildbeeinträchtigung durch eine großflächige Gerüstwerbung vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Im Hinblick auf die Dimensionierung der Gerüstwerbung mit zwei Plakaten vom jeweils 180 m 2 Fläche (20 m x 9 m) ist dies jedenfalls bei mehrspurigen, geraden Einfallstraßen wie der ...straße, ...straße, ...straße, ...straße, ...straße, dem ...platz und dem zum Teil betroffenen ...platz und der damit verbundenen optischen Wirkung auf einen weitaus größeren Bereich als die unmittelbare Umgebung des Baugrundstücks anzunehmen. Städtebauliche Relevanz besitzt diese Art von Gerüstwerbung jedenfalls für das Ortsbild im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB auch in ihrer gedachten Vielfalt, aus der das Bundesverwaltungsgericht (Urt. vom 3.12.1992 Az: 4 C 27.91, DVBl. 1993 S. 440) die planungsrechtliche Relevanz im Sinne des § 29 Satz 1 BauGB einer einzelnen Werbeanlage ableitet.

Die Werbeplakate der Antragsstellerin verdecken zudem das denkmalgeschützte Anwesen am ...platz 2 durchgehend bereits seit August 2007. Zwar ist anzumerken, dass grundsätzlich die Finanzierung der oft immensen Renovierungskosten erhaltungswürdiger Baudenkmaler über Gerüstwerbung nicht beanstandet werden kann. Jedoch muss hierbei ein gewisses Maß gewahrt werden, um das Denkmal nicht gleichsam zur Plakatsäule zu degradieren. Durch die nun schon sehr lange andauernde Gerüstwerbung wird das Bauwerk in der zum Erhalt des Denkmals nötigen Renovierungszeit völlig aus dem Stadtbild verdrängt, Betrachter nehmen nurmehr die Werbeanlagen wahr. Die Ensemblewirkung des gestalterisch ansprechenden ...platzes als Verbindungsglied zwischen ... Garten, ...platz und ...straße ist unzumutbar beeinträchtigt.

Nach der neueren Rechtsprechung der Kammer kann ein mit Gerüstwerbung regelmäßig einhergehender Eingriff in das bauplanungsrechtliche Ortsbild nur dann hinnehmbar bzw. nicht als Beeinträchtigung dieses Ortsbildes zu werten sein, wenn an der konkreten Stelle, an der die Werbung platziert werden soll, eine Baugerüst für Baumaßnahmen notwendig ist (VG München, Urteil vom 21. Juli 2008, Az.: M 8 K 08.714, in Juris). Daraus ist jedoch nicht abzuleiten, dass grundsätzlich im Fall eines für Bauarbeiten notwendigen Baugerüsts mit Schutzplanen von einer generellen Zulässigkeit von Gerüstwerbung ausgegangen werden kann, vielmehr ist die Auswirkung auf das Ortsbild einzelfallsabhängig zu prüfen (VG München, a.a.O.).

Damit kann im Rahmen der summarischen Prüfung des Eilverfahrens offen bleiben, ob das Baugerüst an der Bayerischen ... sich derzeit als notwendig darstellt. Unterstellt, es handelte sich um ein notwendiges Baugerüst - wobei die Kammer gewisse Zweifel in Bezug auf die Länge der Bauzeiten und Widersprüchlichkeit der verschiedenen in den Akten befindlichen Bauzeitenpläne nicht verhehlen kann - so wäre trotzdem eine einzelfallbezogene Prüfung vorzunehmen, die zu Lasten der Antragstellerin ausfallen muss.

Die beantragte Werbeanlage verfügt mit zwei mal 180 m 2 über eine -selbst für die Innenstadt einer Großstadt- übergroße Dimensionierung. Ob dieser Effekt durch die Ausgestaltung über Eck noch verstärkt wird, oder aber wie die Antragsstellerin vorträgt, beide Werbeanlagen für den Betrachter von keinem Standort aus zusammen auszumachen sind, kann dahinstehen, da schon eine der beiden Werbeanlagen für sich genommen zu einer Beeinträchtigung des Ortsbilds führt. Anzuführen ist jedoch, dass sich in den beigezogenen Akten der Antragsgegnerin ein Lichtbild findet, auf dem beide Werbeanlagen gemeinsam abgebildet sind. Zudem ist der Antragsgegnerin darin zuzustimmen, dass Passanten und Autofahrer die beiden über Eck hängenden Werbeanlagen im Vorübergehen - und Fahren gemeinsam wahrnehmen können. Eine andere Auffassung wäre lebensfremd. Die Bayerische ... befindet sich am ...platz unmittelbar im Stadtkern ... im Ensemble mit weiteren denkmalgeschützten Bauten. Die Gerüstwerbung wirkt in dieser Umgebung aufgrund ihrer Überdimensionierung und dem angestrebten optischen Hervortreten vor die anderen Bauwerke als Verunstaltung, die die Umgebung dominiert und nachhaltig beeinträchtigt. Die anderen Bauten werden in ihrer optischen Wirkung zurückgedrängt. Sie geht damit weit über ihren Zweck, aufzufallen und sich von der Umgebung abzuheben, hinaus.

Durch die langfristige Gerüstwerbung wird auch das Ziel, mit der Visualisierung der Fassade des zu renovierenden Gebäudes an den Gerüsten die Beeinträchtigung des Ortsbilds durch die Baugerüste zu verringern, ad absurdum geführt. Das Gebäude wird nur mehr als Werbefläche wahrgenommen.

2.2.4. Die Kammer vermochte die Auswirkungen der Werbeanlagen auf das Ortsbild allein anhand der vielen aussagekräftigen Farbphotos, welche sich in den Akten der Beklagten finden und denen, welche von der Antragsstellerin vorgelegt wurden, zu beurteilen. Eine Ortsbesichtigung war hierzu nicht notwendig, zumal der erkennenden Kammer die Werbeanlagen und Umgebung auch aufgrund der räumlichen Nähe zum Verwaltungsgericht München bekannt sind. An den auf Durchführung einer Ortsbesichtigung gerichteten Beweisantrag der Antragstellerin war das Gericht nach § 86 Abs. 1 S. 2 VwGO nicht gebunden, § 86 Abs. 2 VwGO greift nur für solche Beweisanträge, welche in der mündlichen Verhandlung gestellt werden.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 9.1.9 des Streitwertkatalogs. Es waren je großflächiger Werbetafel 5.000 € festzusetzen, aufgrund des Verfahrens im einstweiligen Rechtschutz war der Streitwert auf die Hälfte zu reduzieren.