Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.12.2008 - 11 CE 08.3104
Fundstelle
openJur 2012, 96762
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Unter Abänderung von Nr. III. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 31. Oktober 2008 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 2.500,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller verfolgt mit vorliegender Beschwerde sein Rechtsschutzziel weiter, im Wege der einstweiligen Anordnung die Berechtigung zu erlangen, von seiner am 16. September 2004 in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis der Klasse B im Bundesgebiet Gebrauch machen zu dürfen.

Seine deutsche Fahrerlaubnis hatte der Antragsteller wegen einer Trunkenheitsfahrt im Dezember 1997 mit 1,96 Promille Alkohol im Blut verloren. Einen Antrag auf Wiedererteilung nach Ablauf der strafgerichtlichen Sperrfrist verfolgte er nicht weiter, nachdem ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten von ihm gefordert worden war.

Am 16. September 2004 erwarb der Antragsteller in Prestice in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis der Klasse B, in die in Feld 8 als sein Wohnort "V., Spolkova Republika Nemecko" eingetragen ist. Die Aberkennung des Rechts, von dieser Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, hob die Fahrerlaubnisbehörde infolge der "Halbritter-Entscheidung" des Europäischen Gerichtshofs (EuGH vom 6.4.2006 ZfSch 2006, 416 ff.) mit Abhilfebescheid vom 26. Juni 2006 wieder auf.

Mit Schreiben vom 10. September 2008 teilte die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller mit, dass er aufgrund der aktuellen Entscheidungen des EuGH (Urteile vom 26.6.2008 (Az. C-329/06 und 343/06 - Wiedemann - sowie Az. C-334/06 bis C-336/06 - Zerche u.a.) nicht mehr berechtigt sei, von seiner tschechischen EU-Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen.

Den Antrag, gemäß § 123 VwGO festzustellen, dass der Antragsteller vorläufig berechtigt sei, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 31. Oktober 2008 ab. Nach den Entscheidungen des EuGH vom 26. Juni 2008 (a.a.O.) könne es ein Mitgliedstaat der Europäischen Union (der sog. "Aufnahmemitgliedstaat") ablehnen, die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus der von einem anderen Mitgliedstaat nach dem Ablauf einer gegen den Betroffenen im Aufnahmemitgliedstaat verhängten Sperrfrist erteilten Fahrerlaubnis grundsätzlich ergibt, wenn sich auf der Grundlage von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden, unbestreitbaren Informationen feststellen lässt, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG des Rates über den Führerschein vom 29. Juli 1991 (ABl L 237 vom 24.8.1991, S. 1) aufgestellte Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins nicht erfüllt war, und der Aufnahmemitgliedstaat in seinem Hoheitsgebiet auf den Inhaber dieses Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet hat, ehe die ausländische Fahrerlaubnis erteilt wurde.

Mit seiner Beschwerde gegen diese Entscheidung macht der Antragsteller geltend, es bestünden erhebliche Bedenken, ob der deutsche Verordnungsgeber mit § 28 Abs. 4 FeV von der am 26. Juni 2008 erstmals formulierten Kompetenz zur Anerkennungsversagung Gebrauch gemacht habe. In seiner Entscheidung vom 29. April 2004 in der Sache Kapper habe der EuGH deutlich gemacht, dass dieser Teil der FeV gerade nicht mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehe. Es nehme deshalb Wunder, dass dies auf einmal nicht mehr gelten solle. Darüber hinaus gebe der Wortlaut von § 28 Abs. 4 FeV nichts für die Annahme her, dass nur Inhaber von solchen ausländischen Fahrerlaubnissen von der Anerkennungsversagung betroffen sein sollten, auf denen ein fortbestehender deutscher Wohnsitz aufgedruckt sei. Die Vorschrift sei deshalb so unbestimmt, dass daraus ihre Nichtigkeit folge (Art. 80 ff. GG). Schließlich gäben die Urteile des EuGH vom 26. Juni 2008 "nichts dafür her, da sich die dort formulierte Anerkennungsversagungskompetenz an den deutschen Gesetz- und Verordnungsgeber" richte. Es erscheine sachgerechter, wie das OVG Münster, davon auszugehen, dass sich die in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG eröffnete Möglichkeit der Ermessensausübung an die Behörden, also die Exekutive des Aufnahmemitgliedstaates wende. Dies stimme auch mit der Entscheidung des EuGH vom 3. Juli 2008 (Az. C-225/07) überein. An einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung der Fahrerlaubnisbehörde fehle es jedoch vorliegend. Auch sei nicht nachvollziehbar, warum die Annahme einer konkludenten Anerkennung in Fällen wie dem vorliegenden falsch sein solle. Schließlich habe die Behörde mit ihrem Abhilfebescheid amtlich bekräftigt, dass der Antragsteller von seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet (wieder) Gebrauch machen dürfe. Zudem hätten Inhaber von vor dem 30. Juni 2006 ausgestellten tschechischen Fahrerlaubnissen gar nicht gegen das Wohnsitzerfordernis verstoßen können. Es gebe keine sachliche Rechtfertigung dafür, sie anders zu behandeln als Erwerber von Fahrerlaubnissen aus Mitgliedstaaten, die generell keine Wohnsitzangabe in den Führerschein aufnähmen, wie etwa Polen und Ungarn.

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Nach der im Verfahren zur Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung hat der Antragsteller keinen Anspruch auf die Feststellung glaubhaft gemacht, dass er berechtigt ist, von seiner am 16. September 2004 in der Tschechischen Republik erteilten Fahrerlaubnis der Klasse B im Bundesgebiet Gebrauch zu machen.

Der Antragsteller ist gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 2 und Nr. 3 FeV nicht berechtigt, Fahrzeuge im Inland zu führen. Ihm ist bereits vor Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis durch Urteil des Amtsgerichts V. vom 14. April 1998 die inländische Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen worden (§ 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV). Im Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis am 16. September 2004 hatte er seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland (§ 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV). In seinem tschechischen Führerschein ist im Feld 8 als Wohnort "V., Spokova Republica Nemecko" eingetragen, was unstreitig seinem tatsächlichen Wohnsitz entsprach.

Die Anwendung von § 28 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 FeV steht entgegen der Auffassung des Antragstellers mit Gemeinschaftsrecht in Einklang. Nach den Entscheidungen des EuGH vom 26. Juni 2008 (Az. C-329/06 und 343/06 - Wiedemann - sowie Az. C-334/06 bis C-336/06 - Zerche) kann es ein Mitgliedstaat der Europäischen Union (der sog. "Aufnahmemitgliedstaat") ablehnen, die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus der von einem anderen Mitgliedstaat nach dem Ablauf einer gegen den Betroffenen im Aufnahmemitgliedstaat verhängten Sperrfrist erteilten Fahrerlaubnis grundsätzlich ergibt, wenn sich auf der Grundlage von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden, unbestreitbaren Informationen feststellen lässt, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG des Rates über den Führerschein vom 29. Juli 1991 (ABl L 237 vom 24.8.1991, S. 1) aufgestellte Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins nicht erfüllt war, und der Aufnahmemitgliedstaat in seinem Hoheitsgebiet auf den Inhaber dieses Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet hat, ehe die ausländische Fahrerlaubnis erteilt wurde.

Diese Voraussetzungen liegen - wie bereits ausgeführt wurde - beim Antragsteller vor.

Soweit sich der Antragsteller demgegenüber auf die Entscheidung des EuGH vom 29. April 2004 (Rechtssache Kapper, ZfSch 2004, 287 ff.) beruft, nach der § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV nicht gemeinschaftsrechtskonform sei, lässt er außer Betracht, dass die zitierten Urteile des EuGH vom 26. Juni 2008 eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH auf dem Gebiet des Führerscheinrechts darstellen. Nach diesen Urteilen, in denen sich der EuGH auch mit seinen früheren Entscheidungen zur Pflicht der gegenseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen ausdrücklich auseinandersetzt, ist bei einer Fallgestaltung wie der hier vorliegenden die Vereinbarkeit von § 28 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 FeV mit dem Gemeinschaftsrecht nicht zweifelhaft.

Auch der Hinweis des Antragstellers auf die Entscheidung des EuGH vom 3. Juli 2008 (Rechtssache Möginger, DAR 2008, 582 f.) gibt keinen Anlass zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Der dort entschiedene Fall ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar und gab dem EuGH keinen Anlass, seine Urteile vom 26. Juni 2008 (a.a.O.) in Frage zu stellen. Die Sache Möginger betraf das Vorabersuchen eines bayerischen Strafgerichts zu der Frage der Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis, die noch während des Laufs der in Deutschland strafgerichtlich gemäß §§ 69, 69 a StGB verhängten Sperrfrist erteilt wurde. Mit den Folgen einer Nichtbeachtung des in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG aufgestellten Wohnsitzerfordernisses befasste sich die Entscheidung des EuGH vom 3. Juli 2008 nicht und hatte dazu auch keinen Anlass, da die zweite Vorlagefrage, die auch dieses Thema berührte, nur hilfsweise gestellt war.

Nach § 28 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 FeV hat die in der Tschechischen Republik erteilte Fahrerlaubnis den Antragsteller nie dazu berechtigt, im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge der Klasse B zu führen. Dieses Recht konnte der Antragsteller auch nicht durch eine "Anerkennung" seitens der Fahrerlaubnisbehörde erwerben, weil diese wegen Verstoß gegen § 28 FeV unwirksam gewesen wäre. Das Verwaltungsgericht weist in dem angefochtenen Beschluss zutreffend darauf hin, dass eine Fehleinschätzung der Rechtslage durch die nationalen Behörden und Gerichte nicht dazu führen kann, dass eine kraft Gesetzes fehlende Fahrberechtigung contra legem neu entsteht. Davon abgesehen lässt sich weder dem Abhilfebescheid des Landratsamtes vom 26. Juni 2006 noch den sonstigen Äußerungen des Landratsamtes ein entsprechender Anerkennungswille entnehmen.

Dass die Tschechische Republik das in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RiL91/439/EWG geregelte Wohnsitzerfordernis nicht mit ihrem Beitritt zur EU, sondern erst mit Wirkung ab 1. Juli 2006 in ihr nationales Recht umgesetzt hat, stellt weder die Richtigkeit der Rechtsauffassung des EuGH noch deren Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall in Frage. Gemäß Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl Nr. L 236 vom 23.9.2003) sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank für die neuen Mitgliedstaaten ab dem Tag des Beitritts verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte. Die Vorschriften der Richtlinie 91/439/EWG galten somit nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH (z.B. Urteil vom 5.4.1979, NJW 1979, 1764 ff.)ab dem Beitritt bis zur Umsetzung in nationales Recht in der Tschechischen Republik unmittelbar. Der in dem mit Schriftsatz des Antragstellerbevollmächtigten vom 12. Dezember 2008 übergebenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstrasse vom 8. Dezember 2008 (Az. 6 L 1310/08.NW) vertretenen Auffassung schließt der erkennende Senat sich nicht an.

Soweit der Antragsteller geltend macht, es gebe keine sachliche Rechtfertigung dafür, Inhaber tschechischer Fahrerlaubnisse anders zu behandeln als Erwerber von Fahrerlaubnissen aus Mitgliedstaaten, die generell keine Wohnsitzangabe in den Führerschein aufnehmen, wie etwa Polen und Ungarn, ist ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht festzustellen. Keine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn der deutsche Wohnsitz in diesen Fällen nicht in dem ausländischen Führerschein selbst vermerkt ist, sich jedoch aus anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden, unbestreitbaren Informationen feststellen lässt, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG des Rates über den Führerschein vom 29. Juli 1991 (ABl L 237 vom 24.8.1991, S. 1) aufgestellte Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins nicht erfüllt war. Ist dies der Fall, ist die Ungültigkeit der Fahrerlaubnis im Bundesgebiet in gleicher Weise die Folge, wie in den Fällen, in denen sich der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis unmittelbar aus dem ausländischen Führerschein ergibt. Wenn dagegen in diesen Fällen keine vom Ausstellerstaat herrührenden Informationen vorliegen, ist zwar eine Ungleichbehandlung gegeben, die aber sachlich gerechtfertigt ist. Der sachliche Differenzierungsgrund liegt in der vom EuGH in seinen Entscheidungen vom 26. Juni 2008 (a.a.O.) betonten besonderen Bedeutung des Nachweises, dass die in der Führerscheinrichtlinie geforderte Wohnsitzvoraussetzung erfüllt ist.

Insofern als mit der Beschwerdebegründung eine mangelnde Ermessenausübung gerügt wird, wird daran festgehalten, dass Art 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG sich an den Aufnahmemitgliedstaat richtet, der auch in Gestalt seines Gesetz- oder Verordnungsgebers handeln kann. Von der in Art. 8 Abs. 4 RiL91/439/EWG enthaltenen Ermächtigung hat der deutsche Gesetzgeber durch den Erlass von § 28 Abs. 4 FeV Gebrauch gemacht. Dass § 28 Abs. 4 FeV selbst keine Formulierung enthält, aus der sich entnehmen lässt, dass der Verordnungsgeber die Vorschrift erlassen konnte, nicht musste, stellt keine gesetzestechnische Besonderheit dar, aus der sich irgendwelche Schlüsse ziehen ließen. Auch folgt daraus nicht die Unbestimmtheit oder Nichtigkeit der Norm. Aus den Entscheidungen des EuGH vom 26. Juni 2008 (a.a.O.) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen.

Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V. mit § 52 Abs. 1 und 2 GKG und den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 ff.) Die Befugnis zur Änderung der Streitwertentscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg ergibt sich aus § 63 Abs 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).