OLG München, Urteil vom 27.11.2008 - 19 U 3523/07
Fundstelle
openJur 2012, 96529
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten zu 1) und zu 2) hin wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 10.5.2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits der ersten und zweiten Instanz.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I

Die Klägerin macht gegen die Beklagten zu 1) und zu 2) restliche Kreditverbindlichkeiten geltend.

Die von einem Vermittler geworbenen Beklagten zu 1) und zu 2) unterzeichneten am 12.9.1996 den Auftrag „Betreutes Wohnen Bad K. S.straße/C.höhe“, mit dem sie gleichzeitig den Erhalt des Prospekts bestätigten. Danach sollten sie über einen Treuhänder eine Wohnung in der Anlage „An der R.insel“ in Bad K. kreditfinanziert erwerben (Anlage B 5). Sie gaben deshalb am 17.9.1996 ein notariell beurkundetes Angebot auf Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrages verbunden mit einer umfassenden Treuhändervollmacht ab. Die K.-Steuerberatungs GmbH (K.-GmbH) nahm dieses Angebot am 17.10.1996 an (Anlage K 2).

Die K.-GmbH erwarb als Vertreterin für die Beklagten zu 1) und zu 2) am 29.11.1996 von K.-W. M. in dieser Anlage im Haus A das Appartement Nr. 18 mit einer Wohnfläche von 30,51 qm (Anlage B 65).

Im Prospekt wurde bei der Prognoserechnung von einem monatlichen qm-Preis von DM 19,75 ausgegangen. Unter dem Stichwort „Mietvermittlung“ wurde im Prospekt Folgendes ausgeführt: „Der Mietvermittler übernimmt die Verpflichtung, spätestens drei Monate vor Bezugsfertigkeit einen bonitätsmäßig einwandfreien Anmieter nachzuweisen, der das Objekt zu den prospektierten Mietangebot vermietet“... (Anlage B 9). Der kalkulierte Gesamtaufwand für den Appartementerwerb betrug laut Prospekt DM 179.856.- (Anlage B 31). Der im notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 27.11.1996 enthaltene Kaufpreis betrug DM 141.043.- (Anlage B 65).

Zur Finanzierung der Erwerbskosten in Höhe von DM 24.713.- schloss die K.-GmbH für die Beklagten zu 1) und zu 2) bei der Klägerin einen Personalkredit über DM 27.459.- ab (Nominalzins 6,5 % p.a., Disagio 10 %, effektiver Jahreszins 9,74 %, Bearbeitungsgebühr DM 137,30, Zinsfestschreibungszeit bis 30.11.1997). Der Kreditvertrag wurde von der K.-GmbH am 4.11.1996 und von der Klägerin am 22.4.1997 unterschrieben (Anlage K 9). Die Kreditsumme wurde auf ein bei der Klägerin geführtes Konto der Beklagten zu 1) und zu 2) überwiesen, das die K.-GmbH für diese eingerichtet hatte und über das die K.-GmbH verfügen konnte (Anlage K 11). Der Kaufpreis wurde im Wesentlichen durch die Landesbank B. W. finanziert.

Die Beklagten zu 1) und zu 2) stellten im April 2000 ihre Zahlungen an die Klägerin ein. Die Klägerin kündigte mit dem Schreiben vom 17.6.2003 den Kredit mit Wirkung zum 15.7.2003. Sie forderte die Beklagten zu 1) und zu 2) auf, die noch bestehende Kreditverbindlichkeit in Höhe von € 12.916, 76 auszugleichen (Anlage K 16). Eine Zahlung der Beklagten zu 1) und zu 2) erfolgte nicht.

Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im Endurteil des Landgerichts München I vom 10.5.2007 Bezug genommen.

Das Landgericht München I hat die Beklagten zu 1) und zu 2) antragsgemäß zur Zahlung von € 12.916,76 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.7.2003 an die Klägerin verurteilt.

Die Beklagten zu 1) und zu 2) haben zur Begründung ihrer Berufung vortragen lassen, dass sie seit 2002 keine Mieteinnahmen mehr erhalten hätten, da diese wegen der großen Baumängel durch ständige Sonderumlagen aufgebraucht würden. Der streitgegenständliche Kreditvertrag stelle ein verbundenes Geschäft dar, so dass sämtliche Einwendungen aus dem finanzierten Geschäft der Klägerin gegenüber erhoben werden könnten. Man könne nicht auf die gute Vermietbarkeit einer einzelnen Wohnung abstellen, sondern müsse die gesamte Anlage als einheitliches Ganzes betrachten, so dass es auf die Ausschüttungen aus dem Mietpool ankomme.

Sie haben beantragen lassen, das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat die Zurückweisung der Berufung beantragen lassen.

Sie hat entgegnen lassen, dass das streitgegenständliche Appartement seinen Preis wert und zu einer Miete vermietet gewesen sei, die über der prospektierten Miete gelegen habe. Ein verbundenes Geschäft i.S.d. § 9 VerbrKrG a.F. liege außerdem nicht vor, da die Beklagten zu 1) und zu 2) über die Darlehenssumme hätten frei verfügen können.

Im Termin vom 17.4.2008 ist der Zeuge W. N. vernommen worden. Der Sachverständige Dipl.-Ing. H. B. ist im Termin vom 16.10.2008 angehört worden. Hinsichtlich der Zeugenaussage und der Ausführungen des Sachverständigen wird auf die Sitzungsprotokolle vom 17.4.2008 und vom 16.10.2008 Bezug genommen.

II

14Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1) und zu 2) führt zum Erfolg, da die Beklagten zu 1) und zu 2) gegen die Klägerin einen Einwendungsdurchgriff geltend machen können. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann der Kreditnehmer, der durch wenigstens bedingt vorsätzlich falsche Angaben des Vermittlers oder des Verkäufers zum Erwerb bewogen worden ist (BGH-Urteil vom 20.9.1996, V ZR 173/95), bei Vorliegen der Voraussetzungen für das verbundene Geschäft die Rückzahlung des Kredits verweigern (BGH-Urteile vom 25.4.2006, XI ZR 106/05, und vom 19.6.2007, XI ZR 142/05).

15Der streitgegenständliche Kredit, der nicht grundpfandrechtlich besichert worden ist, bildet hier nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH-Urteile vom 25.5.1983, VIII ZR 16/81, vom 17.9.1996, XI ZR 164/94 und vom 23.9.2003, XI ZR 135/02) mit dem notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 27.11.1996 ein verbundenes Geschäft i.S.d. § 9 Abs. 1 VerbrKrG a.F., da die Kreditsumme allein zur Finanzierung der Erwerbskosten gedient hat. Die Kreditsumme ist den Beklagten zu 1) und zu 2) entgegen der Behauptung der Klägerin auch nicht zur freien Verfügung gestanden, da diese nicht auf deren Privatkonto, sondern auf ein von der K.-GmbH eingerichtetes Konto überwiesen wurde, das nur der Finanzierung der Erwerbskosten diente und über das diese allein verfügen konnte (vgl. Anlagen K 9 und K 11) . Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG a.F. liegen nicht vor.

Die nachhaltig erzielbare monatliche Nettokaltmiete pro Quadratmeter im Erwerbsjahr 1996 ist deutlich unter der prospektierten monatlichen Nettokaltmiete von DM 19,75 pro Quadratmeter gelegen - nämlich bei etwa DM 11,50.

Das Gutachten der E. Gesellschaft für qualitative Marktforschung und Kommunikationsanalysen m.b.H. (E.), das mit Schreiben vom 18.9.1995 an den Verkäufer K.-W. M. geschickt wurde, ist zu dem Ergebnis gelangt, dass auch für betreutes Wohnen nur monatliche Nettokaltmieten pro Quadratmeter erzielt werden dürften, die knapp über den Neubaumieten von DM 12.- pro Quadratmeter lägen (Anlage B 32).

Der im Termin vom 16.10.2008 angehörte Gutachter Dipl.-Ing. H. B., der u.a. für die Ermittlung von Mieten und Pachten als Sachverständiger öffentlich bestellt und vereidigt ist, hat das vorgenannte Gutachten der E. im Wesentlichen bestätigt. Für das Erwerbsjahr 1996 ist er unter Berücksichtigung der Mieten in anderen Wohnheimen von Bad K.(A. berg, D.straße, B. Weg, Am B.weg und Dr.-A.-G.-Straße) von einer Durchschnittsnettokaltmiete von DM 11,50 pro Quadratmeter ausgegangen. Im Einzelnen hat er ausgeführt, dass in dem Haus Dr.-A.-G.-Straße damals die monatliche Quadratmetermiete DM 13,50 betragen habe. Dieses Haus, das seiner Meinung nach das beste in Bad K. sei, liege in der Stadt am Kurgarten und sei höherwertiger als das streitgegenständliche Objekt „An der R.insel“. Zu diesem hat er im Übrigen ausgeführt, dass die Anlage schon von der Planung her in vielen Punkten nicht den Anforderungen des betreuten Wohnens entsprochen habe. So seien zum Beispiel keine Hebeeinrichtungen im Bad, keine Therapieräume, keine Verbindung zwischen den einzelnen Häusern und zu wenige Gemeinschaftsräume vorgesehen gewesen. Außerdem liege es außerhalb der Stadt an einer Hauptverkehrsausfallstraße mit einem täglichen Verkehrsaufkommen mit etwa 20.000 Fahrzeugen. Er habe deshalb keine Erklärung dafür, dass für einzelne Wohnungen mit einer Wohnfläche von ca. 30 qm in dieser Anlage Nettokaltmieten von DM 992.- pro Monat erzielt worden sein sollen. Solche Mieten seien seiner Auffassung nach jedenfalls nicht nachhaltig erzielbar (Sitzungsprotokoll vom 16.10.2008).

Der im Termin vom 17.4.2008 vernommene Zeuge W. N., der zusammen mit dem Verkäufer K.-W. M. die Gesellschaft für betreutes Wohnen gegründet hat, hat angegeben, dass von den 124 Wohnungen maximal 60 gut vermietbar gewesen seien. Hierzu habe auch die Wohnung der Beklagten zu 1) und zu 2) gehört. Die anderen Wohnungen seien zu nah am Hang gebaut worden, weshalb diese für eine Dauervermietung zu dunkel seien. Die Gebäude hätten zum Teil erhebliche Baumängel aufgewiesen. Der Betrieb einer Schankwirtschaft sei nach der Teilungserklärung nicht zulässig gewesen. Eine Hausnotrufanlage, die für ein betreutes Wohnen notwendig sei, habe nicht bestanden und sei bauseits auch nicht vorgesehen gewesen. Bestimmte Pflegeleistungen, die bei einem betreuten Wohnen anzubieten seien, hätten nicht erbracht werden können. Ein Steg zur Verbindung der einzelnen Häuser sei erst nachträglich beschlossen und ausgeführt worden. Der Bau dieses Steges habe sich verzögert, da der Verkäufer K.-W. M. diesen nicht weiter finanziert habe. Die prospektierte monatliche Nettokaltmiete von DM 19,75 pro Quadratmeter wäre dauerhaft nur erzielbar gewesen, wenn die für ein betreutes Wohnen notwendigen Nebenleistungen hätten angeboten werden können. Ohne diese Nebenleistungen sei seiner Meinung nach 1996 eine monatliche Nettokaltmiete von DM 8.- bis DM 10.- pro Quadratmeter realistisch gewesen. Da nur ein Teil der Wohnungen vermietbar gewesen sei, habe man am 30.10.1999 einen Mietpool gebildet, aus dem ab Dezember 2002 auch die laufenden Kosten bestritten worden seien (Sitzungsprotokoll vom 17.4.2008).

Der Senat ist von der Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) B. überzeugt. An dessen Sachkunde bestehen keine Zweifel, da er u.a. für die Bewertung von Mieten und Pachten öffentlich bestellt und vereidigt sowie ortsansässig ist. Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Frage der nachhaltig erzielbaren Miete im Erwerbsjahr stimmen die Ausführungen des Sachverständigen mit dem E.-Gutachten überein. Auch der Zeuge W. N. ist unter Berücksichtigung der von ihm geschilderten Umstände zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt. Ebenso steht für den Senat dessen Unparteilichkeit außer Zweifel, da kein Motiv für eine Bevorzugung der Beklagten zu 1) und zu 2) erkennbar ist. Die Klägerin hat ihren Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen vor dessen Anhörung zurückgenommen und auch keinen neuen nach dessen Anhörung gestellt.

21Die von Verkäuferin im Prospekt prognostizierte und bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung unterstellte Quadratmetermiete von DM 19,95 monatlich war somit in keiner Weise durch Tatsachen untermauert und damit kaufmännisch völlig unvertretbar, vgl. BGH NJW 1982, 2823, 2826.

Es war vielmehr eine Prognose ins Blaue hinein. Die entsprechende Prospektaussage, die für den Kauf durch die Beklagten maßgebend war, ist somit falsch. Sie hat das Gebot der Zurückhaltung bei Prognosen missachtet.

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Verkäufer K.-W. M. zum Zeitpunkt des Verkaufs der Wohnung an die Beklagten zu 1) und zu 2) zumindest gewusst hat, dass die Erzielbarkeit der prospektierten Miete höchst unwahrscheinlich ist. Das oben genannte E.-Gutachten aus dem Jahre 1995 war an ihn adressiert und der Zeuge W. N. hat angegeben, dass dieser ihm ein Gutachten gezeigt habe, nach dem die Erzielbarkeit der prospektierten Miete zweifelhaft erschien (Sitzungsprotokoll vom 17.4.2008). Der Senat hat keinen Grund, an der Richtigkeit dieser Zeugenaussage zu zweifeln, da sie mit der Mitteilung der Geschäftsführerin der E. vom 21.5.2008 an das Oberlandesgericht Stuttgart übereinstimmt, wonach der Verkäufer K.-W. M. Kenntnis von dem Inhalt dieses Gutachtens hatte (Anlage BB 9). Es ist somit davon auszugehen, dass der Verkäufer K.-W. M. im September 1995 das E. Gutachten tatsächlich erhalten und auch zur Kenntnis genommen hat, dass die tatsächlich erzielbare Miete die prospektierte Miete mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit deutlich unterschreiten wird. Eine andere Annahme widerspräche der allgemeinen Lebenserfahrung und wäre deshalb abwegig.

Der Verkäufer K.-W. M. hat also zumindest billigend in Kauf genommen, dass den Beklagten zu 1) und zu 2) vor dem Wohnungserwerb falsche Angaben zur erzielbaren Miete gemacht werden. Er hat nach Aktenlage auch nicht später für eine entsprechende Aufklärung gesorgt, so dass die Beklagten zu 1) und zu 2) nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gegen ihn einen Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo (BGH-Urteil vom 20.9.1996, V ZR 173/95) erlangt haben, den sie der Klägerin im Wege des Einwendungsdurchgriffs entgegenhalten können (BGH-Urteile vom 25.4.2006, XI ZR 106/05, und vom 19.6.2007, XI ZR 142/05).

Die Tatsache, dass die Wohnung der Beklagten zu 1) und zu 2) für eine monatliche Nettokaltmiete von DM 992.- vermietet war, ändert an den bereits durch die Bezahlung des Kaufpreises eingetretenen Schaden nichts.

Von einer nachhaltigen Erzielbarkeit einer Miete kann zudem nur dann gesprochen werden, wenn sie nicht nur zufällig von wenigen Mietern, sondern von der Mehrheit der Mieter bezahlt wird. Nach den durch den Sachverständigen wiedergegebenen Angaben des Verwalters der Gesamtanlage hat der Vermietungstand durchschnittlich weniger als 30% betragen.

Nicht mehr entscheidungserheblich war deshalb, ob das Gesamtkonzept der Anlage von vorne herein auf die Bildung eines Risiko- und Gesamtmietpools angelegt war und dass die Beklagten zu 1) und zu 2) die für ihre Wohnung erzielte Mieten tatsächlich nicht erhalten haben, diese vielmehr in einen nachträglich gegründeten Mietpool geflossen sind.

Die Revision war nicht zuzulassen, da eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung vorliegt. Der Senat hat sich bei seiner Entscheidung an die höchstrichterliche Rechtsprechung gehalten. Aus diesem Grund veranlasst das Einzelrichterurteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 30.11.2007, 24 U 212/06, das entgegen der klaren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einem vergleichbaren Fall das Vorliegen eines verbundenen Geschäfts verneint hat, keine Revisionszulassung.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision ist nicht zugelassen worden und die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht statthaft.