Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.11.2008 - 6 CS 08.1957
Fundstelle
openJur 2012, 96081
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. In Abänderung von Nr. III. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 8. Juli 2008 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 341,19 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Mit drei Bescheiden vom 14. April 2005 setzte die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller als Eigentümer der Grundstücke FlNrn. 350, 350/3 und 354 der Gemarkung C. für die Erneuerung des Gehwegs im Bereich ... Straßenausbaubeiträge in Höhe von insgesamt 2.666,87 Euro fest.

Das Verwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 30. November 2005 einen Antrag des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ab. Es vertrat die Auffassung, dass die Antragsgegnerin das ursprüngliche Abrechnungsgebiet von FlNr. 350 bis FlNr. 365 (westlich) und FlNr. 366 bis FlNr. 397 (östlich) zu weit gefasst habe. Der nördlich gelegene S.platz stelle ein eigenständiges Element des Straßennetzes dar. Es handele sich nicht um eine kleine Ausbuchtung oder Verbreiterung, sondern um eine typische Aufweitung zu einem Platz, die diesen als selbstständig erscheinen lasse. Auf die Anlieger am S.platz könnten die Erneuerungskosten für den Gehweg im Bereich ... deshalb nicht umgelegt werden.

Mit Beschluss vom 24. Mai 2006 lehnte das Verwaltungsgericht einen Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 7 VwGO ab. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 5. September 2007 zurück.

Dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 30. November 2005 folgend hob die Antragsgegnerin mit Bescheiden vom 26. November 2007 die gegenüber den Anliegern des S.platzes ergangenen Straßenausbaubeitragsbescheide auf und setzte gegenüber den Anliegern des Gehwegs im Bereich ... höhere Straßenausbaubeiträge fest. Der Antragsteller wurde zu Straßenausbaubeiträgen in Höhe von insgesamt 4.031,62 Euro herangezogen.

Auch hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Letzteres lehnte die Antragsgegnerin ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2008 wies das Landratsamt C. den Widerspruch gegen die drei Änderungsbescheide vom 26. November 2007 zurück. Über die am 1. April 2008 erhobene Klage ist nach Aktenlage noch nicht entschieden worden.

Mit Beschluss vom 8. Juli 2008 lehnte das Verwaltungsgericht einen Antrag des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die drei Änderungsbescheide vom 26. November 2007 ab. Auf die Begründung der Entscheidung wird Bezug genommen.

Daraufhin erhob der Antragsteller Beschwerde, auf deren Begründung verwiesen wird.

Die Antragsgegnerin verteidigt den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 146 Abs. 1 und Abs. 4, § 147 VwGO). Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Nach der das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnenden summarischen Prüfung hat der Antragsteller keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Änderungsbescheide dargelegt (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3, § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

Nach Ablauf der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO (hier am 12.8.2008) kann die Beschwerdebegründung noch ergänzt werden, soweit der konkrete zu ergänzende Grund innerhalb offener Frist bereits ausreichend, insbesondere unter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Beschluss dargelegt ist. Der Vortrag neuer oder bisher nicht ausreichend dargelegter Beschwerdegründe - hier in den Schriftsätzen vom 16. September 2008 und vom 11. Oktober 2008 - ist nach Ablauf der Frist nicht mehr möglich und wird nicht mehr gehört (Happ in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 19 zu § 146).

Der Antragsteller wendet im Wesentlichen ein, dass die Bescheide vom 26. November 2007 auf einer rechtsirrtümlichen Beurteilung des Sachverhalts beruhten. Die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO für eine Erhöhung der Belastung lägen nicht vor. Der nochmaligen - verbösernden - Regelung des bereits beurteilten und abschließend geregelten Sachverhalts stehe die Bestandskraft der vorangegangenen Bescheide entgegen. Es gelte der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Die Jahresfrist des § 130 Abs. 3 AO sei vor Erlass der Nacherhebungsbescheide längst abgelaufen gewesen. Vor der Verböserung hätte der Antragsteller gehört werden müssen.

Die Rügen des Antragstellers greifen nicht durch. Die grundsätzlich bestehende Verpflichtung, Ausbaubeiträge nach Maßgabe der geltenden landes- und ortsrechtlichen Vorschriften zu erheben, schließt die Verpflichtung ein, einen entstandenen Beitragsanspruch in vollem Umfang geltend zu machen. Ist ein Beitragspflichtiger zu niedrig veranlagt worden, ist die Gemeinde regelmäßig gehalten, bis zum Eintritt der (Festsetzungs-)Verjährung durch Bescheide entsprechende Nachforderungen zu erheben, um dadurch ihren Beitragsanspruch voll auszuschöpfen. Die Bestandskraft eines Bescheides, durch den ein zu niedriger Beitrag festgesetzt worden ist, steht einer Nacherhebung durch einen weiteren Bescheid nicht entgegen. Der zunächst ergangene Bescheid ist regelmäßig ein ausschließlich belastender Verwaltungsakt, nicht auch ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, der die Erklärung enthält, eine weitere Forderung sei ausgeschlossen. Aus diesem Grund ist § 130 Abs. 2 AO, der sich auf begünstigende Verwaltungsakte bezieht, nicht anwendbar (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. 2007, RdNrn. 23, 24 zu § 28 m. Nachweis d. Rechtsprechung). Dasselbe gilt für die Jahresfrist des § 130 Abs. 3 AO, da diese Regelung wiederum ausschließlich die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte betrifft. Zu Lasten des Beitragspflichtigen greift die Zulässigkeit einer Verböserung (sog. reformatio in peius) bis zum Zeitpunkt des Erlöschens des Beitragsanspruchs etwa durch Festsetzungsverjährung mit der Folge durch, dass auch keine verfassungsrechtliche Schranke für eine weitergehende Beitragsbelastung besteht (Driehaus, a.a.O., RdNr. 26 zu § 10). Eine entsprechende Anwendung des § 367 AO ist in Art. 13 KAG nicht vorgesehen. Nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die - wie hier - nicht den Verwaltungsakt nach Art. 44 BayVwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Die Anhörung kann bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG). Hier hat der Antragsteller bereits im Widerspruchs- und Klageverfahren von seinem Anhörungsrecht Gebrauch gemacht.

Der Antragsteller rügt, dass das Verwaltungsgericht von einer Querspaltung ausgegangen sei, die im Beitragsrecht verboten sei. Sie verletze das verfassungsrechtliche Willkürverbot, den Gleichheitssatz und die Sachgerechtigkeit innerhalb des Vorteilsausgleichs. Erst nach Ausbau der Reststrecke (entlang des S.platzes) entstehe der Beitragsanspruch. Nachdem alle Anlieger die Straße und den Gehweg gleich benutzten, müssten sie im Rahmen ihrer Grundstücksflächen auch gleich zu den Beiträgen herangezogen werden. Die streitgegenständliche Straße werde nicht durch den S.platz unterbrochen, sondern gehe durch bis zur S.kirche (FlNr. 390). Unter den (ursprünglich herangezogenen) 22 Anliegern habe aufgrund der Veranlagung mit Bescheiden vom 14. April 2005 eine sog. Solidargemeinschaft bestanden. Durch die Querspaltung sei die Rechtsgemeinschaft aufgelöst worden. Es liege ein Fall des § 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO vor. Die Vorschrift sei aufgrund der Einheit der Rechtsordnung hier anwendbar. Der Antragsteller hätte zu den Verfahren über die Aufhebung der Bescheide der „befreiten“ elf Anlieger hinzugezogen oder beigeladen werden müssen. Da dies nicht geschehen sei, sei das rechtliche Gehör verletzt worden.

Auch diese Argumentation überzeugt nicht. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist das Verwaltungsgericht nicht von einer sog. Querspaltung, also hier der Abrechnung einer Teillänge des Gehwegs ausgegangen. Vielmehr vertritt es die Auffassung, dass der nördlich des abgerechneten Gehwegs gelegene S.platz ein eigenständiges Element des Straßennetzes darstelle. Es handele sich gerade nicht um eine kleine Ausbuchtung oder Verbreiterung, sondern um eine typische Aufweitung zu einem Platz, die diesen als selbstständig erscheinen lasse. Dieser Annahme des Verwaltungsgerichts ist der Antragsteller nicht mit substantiierten Argumenten entgegengetreten. Die von ihm vorgelegten Fotos wurden, soweit sie überhaupt Verwertbares wiedergeben, stets aus der gleichen Perspektive aufgenommen, nämlich von Süden mit Blick auf die S.kirche. Durch das vorgelagerte Gebäude auf dem Grundstück FlNr. 366 lässt sich aus diesem Blickwinkel die nördlich anschließende platzartige Erweiterung nicht erkennen. Aussagekräftiger sind die in den Akten befindlichen Luftaufnahmen und Lagepläne, auf denen nördlich der Engstelle bei FlNr. 366 die Aufweitung des S.platzes nach Osten hin sichtbar ist. Nach summarischer Prüfung im Eilverfahren ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts plausibel. Es entspricht der Rechtsprechung, dass ein Straßenzug durch einen Platz unterbrochen wird, der nach den tatsächlichen Verhältnissen einem unbefangenen Beobachter den Eindruck nicht nur einer kleinen Verbreiterung oder Ausbuchtung der Straße, sondern den eines eigenständigen Elements des Straßennetzes vermittelt (vgl. Driehaus, a.a.O., RdNr. 22 zu § 12 m. Nachweis der Rechtsprechung). Nachdem bereits die Grundannahme des Antragstellers (unzulässige Querspaltung) nicht zutrifft, braucht auf die weiter darauf aufbauenden Argumente nicht eingegangen zu werden. Die Vorschrift des § 174 AO ist nach Art. 13 KAG nicht entsprechend anzuwenden. Zum gerügten Gehörsverstoß wird auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen.

Der Antragsteller wendet ein, wenn die Antragsgegnerin schon das Grundstück FlNr. 366 beitragspflichtig veranlagt habe, hätte sie auch die Hinterliegergrundstücke im gleichen Eigentum (Frau W.) FlNrn. 368, 369 heranziehen müssen.

Dies trifft nicht zu, weil es sich bei den Grundstücken FlNrn. 368 und 369 um Anliegergrundstücke zum S.platz hin handelt und die zwischen ihnen und dem Grundstück FlNr. 366 befindlichen Grundstücke FlNrn. 367/1 und 367 in fremdem Eigentum stehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG (ein Viertel des zusätzlichen Leistungsgebots der Nacherhebungsbescheide).

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