Bayerischer VGH, Beschluss vom 07.10.2008 - 7 CE 08.10613
Fundstelle
openJur 2012, 95203
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

II. Die Antragsteller tragen die Kosten der Beschwerdeverfahren.

III. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren werden jeweils auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren die einstweilige Zulassung zum Studium der Zahnmedizin an der Universität Würzburg zum Sommersemester 2008 im ersten Fachsemester. Sie sind der Auffassung, dass mit der in der Zulassungszahlsatzung der Universität festgesetzten Zahl von 59 Studienplätzen die vorhandene Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft sei.

Mit Beschluss vom 4. Juni 2008 lehnte das Verwaltungsgericht Würzburg die Anträge ab. Mit den hiergegen erhobenen Beschwerden verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzbegehren weiter.

Der Antragsgegner tritt den Beschwerden entgegen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

II.

Die Beschwerden gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind zulässig, aber unbegründet. Die von den Antragstellern vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdeverfahren beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), lassen nicht erkennen, dass die angegriffene Entscheidung fehlerhaft wäre.

1. Ohne Erfolg wenden sich die Antragsteller gegen die der Kapazitätsermittlung zugrunde liegende Schwundberechnung. Ein Vergleich der für den Zeitraum WS 2004/2005 bis WS 2006/2007 verwendeten Bestandszahlen mit den dafür jeweils festgesetzten Zulassungszahlen lässt zwar erkennen, dass in einigen Fällen deutlich mehr Studierende in höhere Semester aufgenommen wurden als in den Satzungen vorgesehen war. Zumindest unter den hier vorliegenden Umständen besteht aber keine Verpflichtung, diese „Überbuchungen“ bei der Schwundberechnung außer Betracht zu lassen. Es handelt sich nicht um Ausnahmekonstellationen, die die Prognose über die künftige Entwicklung der Bestandszahlen verfälschen könnten.

Nach der Rechtsprechung des Senats müssen auch Bestandszuwächse in höheren Semestern und die sich daraus ergebenden, im Einzelfall über 1,000 liegenden Übergangsquoten grundsätzlich in die Schwundberechnung mit einfließen (BayVGH vom 10.7.2006 Az. 7 CE 06.10152 u.a. m.w.N.). § 16 KapVO bzw. nunmehr § 53 HZO schließen die prinzipielle Möglichkeit nicht aus, dass während eines Studiengangs die Gesamtzahl der Zugänge die der Abgänge übersteigt; die genannten Vorschriften verbieten lediglich, einen sich über den gesamten Studienverlauf ergebenden "positiven Schwund" im Ergebnis kapazitätsmindernd zu berücksichtigen (BayVGH a.a.O. unter Hinweis auf VGH BW vom 2. 10. 1995 Az. NC 9 S 19/95; BayVGH vom 31. 1. 1997 Az. 7 CE 96.10036). Beruht ein Zuwachs bzw. eine Überschreitung der satzungsmäßig festgesetzten Zulassungszahl allerdings auf Einflussfaktoren, die in Zukunft keine Rolle mehr spielen werden, so muss diese Atypik bei der Schwundberechnung insoweit berücksichtigt werden, als die betreffende Bestandszahl in geeigneter Weise zu „bereinigen“ ist. Zu einer solchen Korrektur besteht indes im vorliegenden Fall keine Veranlassung.

Die Hochschule hat im Beschwerdeverfahren zur Erläuterung der die festgesetzten Zahlen teilweise übersteigenden Bestandszahlen vorgetragen, in den betreffenden Semestern seien – entgegen den Regelungen in § 3 der jeweiligen Satzungen – Bewerber über die einzelsemesterbezogenen Zulassungszahlen hinaus zugelassen worden, um so die Gesamtkapazität in den höheren Fachsemestern auszulasten; damit habe man dem Interesse der Studienbewerber an einer Zulassung gerecht werden wollen. Diese Zulassungspraxis widerspricht zwar nicht bloß den genannten satzungsrechtlichen Vorgaben, sondern auch den zugrunde liegenden verordnungsrechtlichen Bestimmungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 HSchVVV bzw. des § 35 Abs. 1 Satz 1 HZV, wonach eine Zulassung für ein höheres Fachsemester (nur) erfolgt, wenn die Zahl der in diesem Semester und gleichzeitig die Gesamtzahl der in dem betreffenden Studiengang eingeschriebenen Studierenden unter die hierfür festgesetzten Zulassungszahlen sinkt. Der Rechtsverstoß bei den (Einzel-) Zulassungen führt jedoch entgegen der Auffassung der Antragsteller aus kapazitätsrechtlicher Sicht nicht zwingend zur Unrichtigkeit der angesetzten Bestandszahlen und damit zur Korrekturbedürftigkeit der Schwundberechnung.

Die Ermittlung der Schwundquoten nach § 16 KapVO bzw. § 53 HZV auf der Grundlage des hierfür entwickelten sog. Hamburger Modells (s. BayVGH vom 17. 11. 1998 Az. 7 CE 98.10022) knüpft als eine prognostische Entscheidung allein an das tatsächliche Bleibeverhalten der Studierenden an und darf nicht mit normativen Erwägungen vermengt werden. Die Verwertbarkeit der Bestandszahlen hängt demzufolge weder davon ab, ob die rechnerisch ermittelten Kapazitäten voll ausgeschöpft sind (vgl. VGH BW vom 19.9.2008 Az. NC 9 S 1792/08), noch davon, ob allen in der Immatrikulationsstatistik erfassten Studierenden – auch den von anderen Hochschulen kommenden „Quereinsteigern“ in fortgeschrittenen Fachsemestern – die Zulassung zu Recht gewährt worden ist. Der Auffassung der Antragsteller, eine teilweise rechtswidrige, weil zu großzügige Zulassungspraxis der Universität sei geeignet, „das Schwundverhalten der Studierenden zu verfälschen“, kann daher jedenfalls in dieser allgemeinen Form nicht gefolgt werden. Die Auffüllung höherer Semester über die festgesetzten Zulassungszahlen hinaus wirkt sich nicht auf die individuellen Entscheidungen über Studienabbruch, Fach- oder Hochschulwechsel aus; sie erhöht vielmehr zunächst nur die Gesamtzahl der eingeschriebenen Studierenden in den einzelnen Fachsemestern und verschiebt dabei zugleich die relativen Gewichte in Richtung auf die späteren Studienabschnitte.

Ein solcher satzungswidriger Zuwachs in den höheren Fachsemestern müsste bei der Schwundprognose nur dann außer Betracht bleiben, wenn darin lediglich eine vorübergehende Sonderentwicklung läge, mit deren Fortsetzung nicht gerechnet werden könnte. Dies ist hier aber nicht der Fall, da die Universität an der genannten Zulassungspraxis ersichtlich bis auf weiteres festzuhalten gedenkt. Entgegen der Auffassung der Antragsteller kann demnach durchaus prognostiziert werden, dass die Hochschule auch künftig in den höheren Fachsemestern über die festgesetzten Zulassungszahlen hinaus zusätzliche Studierende aufnehmen wird, um die rechnerische Gesamtkapazität des Studiengangs möglichst vollständig auszulasten.

Es spricht nichts dafür, dass die Auffüllungen in rechtsmissbräuchlicher Form allein zu dem Zweck vorgenommen worden wären, den Schwund in den betreffenden Fachsemestern zu „kaschieren“ und auf diese Weise Kapazitäten im Bereich der Erstsemesterzulassungen zu vermindern. Abgesehen davon, dass eine – notwendigerweise zu Lasten der Schwundquote gehende – Auffüllung freiwerdender Kapazitäten in höheren Semestern kapazitätsrechtlich generell für zulässig erachtet wird (vgl. VGH BW a.a.O.; Zimmerling/Brehm, Hochschulkapazitätsrecht, RdNr. 272), ergeben sich im vorliegenden Fall aus den Gesamtumständen keine Anhaltspunkte für ein objektiv „kapazitätsunfreundliches“ Vorgehen der Hochschule. Sie hat in dem der Schwundberechnung zugrunde liegenden Zeitraum von fünf Semestern nicht nur bei den Erstsemestern die festgesetzten Zulassungszahlen durchweg (und teilweise deutlich) überschritten, sondern mit der Auffüllung in höheren Fachsemestern auch erreicht, dass die errechnete Gesamtkapazität in zwei Fällen annähernd ausgeschöpft und in den übrigen drei Fällen sogar leicht überschritten wurde. Hätte sie dagegen, statt sich allein an der festgesetzten Gesamtkapazität zu orientieren, die zusätzlichen Bewerber in den höheren Fachsemestern nur bis zur Grenze der einzelnen Zulassungszahlen aufgenommen, so hätte dies in allen fünf Fällen zu deutlich geringeren Gesamtbestandszahlen geführt, was auch durch die daraus resultierende (allerdings erst später wirksam werdende) Erhöhung des Schwundfaktors kaum ausgeglichen worden wäre.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller muss auch eine nochmalige und weitergehende Auffüllung derjenigen Fachsemester, die bereits während des vorangegangenen Semesters über die Zulassungszahl hinaus „überbucht“ waren und für die sich daher im einzelnen Semesterübergang ein sog. positiver Schwund ergibt, im Rahmen der Schwundberechnung nicht zwingend unberücksichtigt bleiben (so aber Zimmerling/Brehm a.a.O. RdNr. 262 m.w.N; a. A. VGH BW vom 31.3.2003 Az. NC 9 S 57/02 u.a.). Auch insoweit kann es nicht auf die normativen Wertungen der zulassungsrechtlichen Vorschriften ankommen, sondern allein darauf, ob mit einer Fortsetzung der betreffenden (für die höheren Semester „kapazitätsgünstigen“) Verwaltungspraxis in Zukunft gerechnet werden kann. Da dies nach den Erklärungen der Hochschule anzunehmen ist, besteht keine Veranlassung, entsprechend der Forderung in der Beschwerdebegründung etwa im WS 2006/2007 die Zahl der Studierenden des 4. Fachsemesters (56) wegen der bereits während des vorherigen SS 2006 im 3. Fachsemester erfolgten „Überbuchung“ (53 statt 48) nunmehr auf die festgesetzte Zahl von 54 hin zu korrigieren oder die für das 2. Fachsemester im WS 2005/2006 ermittelte Zahl (56) so weit zu reduzieren, dass sie der Zahl der Erstsemester im vorangegangenen SS 2005 entspricht (52).

Die starken Schwankungen in den Semesterübergängen beruhen im Übrigen auch auf der Besonderheit, dass die Hochschule bei der Festsetzung der Zulassungszahlen für das WS 2005/2006 sowie das SS 2006 entgegen der vorherigen Übung keinen Schwund mehr eingeplant, sondern gleichbleibende Semesterstärken von jeweils 48 bzw. 49 Studierenden vorgesehen hat. Diese Vorgehensweise hatte zur Folge, dass trotz der gegenüber den vorangegangenen Semestern (WS 2004/2005 und SS 2005) deutlich erhöhten Gesamtausbildungskapazität, die in der Summe der Zulassungen über alle zehn Fachsemester sichtbar wird, die Zahl der Erstsemester nahezu gleich blieb, so dass die zusätzlich verfügbaren Ausbildungskapazitäten fast vollständig der Ausweitung des Studienplatzangebots in den höheren Semestern zugute kamen. Durch den abrupten Wechsel des Verteilungssystems im Übergang zum WS 2005/2006 wurde der rechnerisch ermittelte Schwund zunächst spürbar vermindert. Ob dieser atypischen Entwicklung durch eine entsprechende Korrektur im Rahmen der Schwundermittlung in der Vergangenheit hätte Rechnung getragen werden müssen, kann hier offen bleiben. Auf spezielle Neutralisierungsmaßnahmen kann jedenfalls aus heutiger Sicht verzichtet werden, nachdem der Satzungsgeber mittlerweile (ab dem WS 2006/2007) wieder zu einer den voraussichtlichen Schwund berücksichtigenden degressiven Staffelung der Zulassungszahlen zurückgekehrt ist und so die im Studienjahr 2005/2006 eingetretene Schwundminderung durch einen gegenläufigen Effekt wieder ausgeglichen hat.

2. Auch die Einwände der Antragsteller gegen den unterschiedlichen Ansatz der Lehrdeputate für wissenschaftliche Mitarbeiter (9 bzw. 10 SWS) greifen nicht durch. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 20. August 2008 dargelegt hat (Az. 7 CE 08.10611), durfte die Hochschule für die Abteilung Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie im Kapazitätsbericht bei fünf Planstellen der Stellengruppen A13 bis A16 Deputatsverminderungen im Umfang von insgesamt fünf Semesterwochenstunden (SWS) ansetzen. Es handelte sich insoweit lediglich um einen rechnerischen Ausgleich für das bei diesen fünf Stellen mit 10 Lehrveranstaltungsstunden jeweils um eine Stunde zu hoch angesetzte reguläre Lehrdeputat. Demgegenüber wurden in allen übrigen Abteilungen der Zahnmedizin (Zahnerhaltung und Paradontologie, Zahnärztliche Prothetik, Kieferorthopädie und Funktionswerkstoffe in der Medizin und Zahnheilkunde) für die Stellengruppen A13 bis A16 jeweils Deputate von neun Lehrveranstaltungsstunden angesetzt. Es entspricht im Übrigen der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass bei der genannten Stellengruppe (wissenschaftliche Mitarbeiter im Beamtenverhältnis) im Rahmen der gesetzlichen Lehrverpflichtung von „höchstens 10 Lehrveranstaltungsstunden“ ein regelmäßiges Deputat im Umfang von neun Stunden bestimmt werden darf (vgl. zuletzt BayVGH vom 31.7.2008 Az. 7 CE 08.10541 m.w.N.).

5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.