Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.08.2008 - 20 ZB 08.1680
Fundstelle
openJur 2012, 93834
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.384,10 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 7. Mai 2008 ist zulässig (§ 124 a Abs. 4 VwGO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 124 Abs. 1 VwGO steht den Beteiligten die Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts nur zu, wenn sie vom Verwaltungsgericht oder vom Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Eine Zulassung durch das Verwaltungsgericht erfolgte nicht. Auch der Senat sieht hierfür keinen Anlass. Er hält den Antrag auf Zulassung der Berufung für unbegründet, weil Zulassungsgründe im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Die Klägerin hat keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils dargelegt (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Nach der Rechtsprechung des Senats sind ernstliche Zweifel am Ergebnis der Entscheidung zu fordern (vgl. zuletzt BayVGH vom 14.7.2008 Az. 20 ZB 08.1272; vom 4.6.2008 Az. 20 ZB 08.1127; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage, RdNr. 7 a zu § 124; Eyermann, VwGO, 12. Auflage, RdNrn. 54 ff. zu § 124). Ernstliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit eines Urteils sind begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG vom 26.3.2007 BayVBl 2007, 624; vom 23.6.2000 DVBl 2008, 1458). Das ist nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Verpflichtung der Klägerin im Widerspruchsbescheid, den auf die Grundstücksfläche der Fl.Nr. ... Gemarkung M. entfallenden Teil des Herstellungsbeitrags in Höhe von 2.384,10 Euro (entspricht 4.662,90 DM) zu erlassen, rechtswidrig ist, weil die Klägerin zu einem sonstigen Erlass nicht verpflichtet ist.

Ein Erlass oder Teilerlass der geforderten Abgabe kommt gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i.V.m. § 227 AO nur in Betracht, wenn ihre Einziehung im Einzelfall unbillig wäre. Hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Klägerin, deren Überprüfung durch das Gericht (vgl. § 114 VwGO) oder die Widerspruchsbehörde (vgl. Art. 119 Nr. 1 Halbsatz 1 GO) darauf beschränkt ist, ob ein Ermessensfehler vorliegt, insbesondere ob die Klägerin den unbestimmten Rechtsbegriff „unbillig“ richtig erkannt und angewandt hat (vgl. Beschluss des GmS-OGB vom 19.10.1971 BVerwGE 39, 355/366; BayVGH vom 26.2.1998 Az. 23 B 97.916). Die Unbilligkeit kann auf persönlichen oder sachlichen Gründen beruhen. Letzteres liegt dann vor, wenn dem Abgabepflichtigen nicht zuzumuten ist, die nach dem Gesetz geschuldete Abgabe zu erbringen (vgl. BVerwG vom 16.9.1977 KStZ 1978, 29). Dabei ist maßgebend, ob nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Normgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage, hätte er sie geregelt, im Sinne des beabsichtigten Erlasses entschieden hätte (Kühn/Kutter, AO., 13. Auflage, Anm. 4 zu § 227 m.w.N.). Bei der Bestimmung der Billigkeit sind auch verfassungsrechtliche Bewertungen zu beachten, etwa das im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Gebot des Vertrauensschutzes (vgl. Tipke/Kruse, AO, RdNr. 41 f. zu § 227).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ging die Klägerin beanstandungsfrei davon aus, dass eine sachliche Unbilligkeit nicht vorliegt, weil neben der satzungsgemäßen Pflicht bzw. dem Recht einer Anschlussnahme (§§ 4 und 5 der Entwässerungssatzung der Stadt Gefrees vom 26.9.1994 – EWS 1994 – i.d.F. der Änderungssatzung vom 28.4.1995) auch die Möglichkeit besteht, alles auf dem Grundstück Fl.Nr. 20 anfallende Abwasser, also auch das Niederschlagswasser, in die öffentliche Kanalisation einzuleiten (§§ 2 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Stadt Gefrees vom 20.9.1999 - BGS/EWS -). Ob das Grundstück betreffend seiner Oberflächenentwässerung tatsächlich angeschlossen wird, ist hierfür nicht Voraussetzung.

Der Einwand der Beigeladenen, aufgrund des § 4 Abs. 5 Satz 1 EWS 1994 (kein Benutzungsrecht bei ordnungsgemäßer Versickerungsmöglichkeit des Niederschlagswassers) i.V.m. der BGS/EWS vom 26. September 1994 zum Zeitpunkt des Austausches der nicht mehr funktionsfähigen Zementrohre gegen PVC-Rohre Ende September 1994 darauf vertraut zu haben, dass die Niederschlagswasserbeseitigung nicht an das öffentliche Kanalnetz angeschlossen werden dürfe, sondern weiterhin in den Köhlersgrundbach erfolgen müsse, begründet keine ergebnisbezogenen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Es ist schon fraglich, ob der Billigkeitsgrund des Vertrauensschutzes hier bereits deshalb nicht greift, weil die Beigeladene ihre Leitung zur Beseitigung des Niederschlagwassers bis Ende September 1994 erneuert hat, mithin in einer Zeit, als die Regelung des § 4 Abs. 5 EWS 1994 noch nicht wirksam war (Inkrafttreten 12.10.1994). Jedenfalls verkennt die Beigeladene, dass § 4 Abs. 5 Satz 1 EWS 1994 mit der Einschränkung des Benutzungsrechts bei Möglichkeit einer ordnungsgemäßen Versickerung des Niederschlagwassers für die Fl.Nr. ... zu keiner Zeit einschlägig war. Die in § 4 Abs. 5 Satz 1 EWS 1994 getroffene Beschränkung des Benutzungsrechts und damit auch des Anschluss- und Benutzungszwanges (vgl. § 5 Abs. 1 EWS 1994) kommt nach der Rechtsprechung des Senats nur zum Tragen, wenn eine Versickerung oder anderweitige Beseitigung des Niederschlagwassers auf dem abgabepflichtigen Grundstück selbst ordnungsgemäß möglich ist, sei es etwa durch geeignete Oberbodenschichten oder den Bau einer Versickerungsanlage (vgl. BayVGH vom 23.6.2004 Az. 23 ZB 04.26; vom 21.10.2003 Az. 23 B 03.824). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil das auf dem Grundstück der Beigeladenen anfallende Oberflächenwasser vor und nach der Erneuerung der Rohrleitung im Jahre 1994 über das Nachbargrundstück Fl.Nr. ... in den Köhlersgrundbach abgeleitet wurde. Außerdem konnte § 4 Abs. 5 EWS im Hinblick darauf, dass er mit Änderungssatzung zur Entwässerungssatzung vom 28. April 1995 wenige Monate nach seinem Inkrafttreten wieder aufgehoben wurde, kein Vertrauen auf eine bestimmte, allgemein geübte Verwaltungspraxis beim Vollzug dieser Norm begründen. Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang von einer „versehentlichen Übernahme des § 4 Abs. 5 EWS aus der Mustersatzung“ sprach, ist das nachvollziehbar. Denn die Satzungsregelungen sahen vor und nach dem Zeitraum vom Oktober 1994 bis April 1995 jeweils vor, aus von der öffentlichen Entwässerungsanlage erschlossenen Grundstücken sowohl das Schmutz- als auch das Niederschlagswasser der öffentlichen Einrichtung zuzuführen, so dass ein mutmaßlicher Wille des Satzungsgebers angenommen werden kann, die durch die gemeindlichen Mischwasserkanäle erschlossenen Grundstücke fortwährend zu Beiträgen nach der Grundstücksfläche und der Geschossfläche zu veranlagen. Somit ist es ermessensgerecht, der Beigeladenen den durch das Satzungsrecht geschuldeten Grundstücksflächenbeitrag nicht zu erlassen.

Zulassungsbegründende Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des der Klage stattgebenden Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wirft auch das übrige Vorbringen der Beigeladenen nicht auf. Eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ist nicht schlüssig dargelegt. Der Heranziehung der Anwesen ... Nr. ... und ... Nr. ... liegt ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde, weil beide Grundstücke nach dem Vorbringen der Beigeladenen nur durch einen gemeindlichen Schmutzwasserkanal erschlossen werden, wogegen ein öffentlicher Mischwasserkanal, der zusätzlich zur Aufnahme von Niederschlagswasser bestimmt ist (§ 3 EWS), das streitbefangene Grundstück erschließt. Den Ausführungen über eine Stundung kommt kein Gewicht zu, da insoweit ein Bezug zu einer erstinstanzlichen Entscheidung nicht zu erkennen ist. Ohne Bedeutung bleiben des Weiteren der angesprochene Anschluss- und Benutzungszwang mit den damit verbundenen ökologischen Erwägungen und Kosten oder die angedeutete Nichtigkeit der Einleitungsgebühr mangels Einführung getrennter Schmutz- und Niederschlagwassergebühren, die ebenso wenig Streitgegenstand des Erlassverfahrens sind wie die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheids vom 16. November 1999. Zur Historie der Grundstücksentwässerungsanlage auf der Fl.Nr. ... seit 1977 ist zu bemerken, dass sich die leitungsmäßige Erschließungssituation eines Grundstücks nach 18 Jahren durchaus ändern kann. Gemäß § 9 Abs. 1 EWS ist jedes Grundstück, das an die öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossen wird, vorher vom Grundstückseigentümer mit einer Grundstücksentwässerungsanlage zu versehen, die nach den anerkannten Regeln der Technik herzustellen ist. Demzufolge ist es Sache eines Anschlussnehmers, seine Grundstücksentwässerungsanlage sowohl für die Schmutzwasserableitung als auch für die Regenabwasserleitung so zu gestalten, dass die Ableitung ausgerichtet auf die technischen Gegebenheiten des gemeindlichen Schmutz- und Regenwasserkanals möglich ist (vgl. BayVGH vom 29.1.1999 Az. 23 ZB 99.4; vom 16.4.1998 Az. 23 B 96.3174). Besteht zum öffentlichen Kanal kein natürliches Gefälle, so wäre der Grundstückseigentümer gemäß § 9 Abs. 4 EWS sogar verpflichtet, durch den Einbau und den Betrieb einer Hebeanlage eine ordnungsgemäße Entwässerung herbeizuführen. Die Beigeladene kann nicht verlangen, dass der gemeindliche Kanal an ihr bereits bebautes Grundstück so herangeführt wird, dass er über die vorhandene Grundstücksentwässerungsanlage ohne weiteres benutzt werden kann. Vielmehr ist es Aufgabe der Beigeladenen, eine vorhandene Grundstücksentwässerungsanlage so zu gestalten, dass der gemeindliche Kanal benutzt werden kann (vgl. BayVGH vom 17.11.1997 Az. 23 B 96.1700).

Schließlich führt der behauptete Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nicht zur Zulassung der Berufung. Die sinngemäße Aufklärungsrüge wegen unterbliebener Beweiserhebung kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die anwaltlich vertretene Beigeladene von der Stellung förmlicher Beweisanträge auf Vernehmung ihres Ehemannes als Zeugen bzw. Einholung eines Sachverständigengutachtens zur weiteren Sachaufklärung in der mündlichen Verhandlung abgesehen und damit nicht alles ihr Zumutbare zur Abwendung einer etwaigen mangelnden Sachaufklärung unternommen hat (§ 173 VwGO i.V.m. §§ 295, 531 ZPO; vgl. BVerwG vom 21.1.1998 Az. BVerwG 8 B 7.98; Kopp/Schenke, a.a.O. RdNr. 13 zu § 124; Eyermann, a.a.0., RdNr. 22 zu § 138). Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen vor Gericht zu kompensieren (vgl. BVerwG vom 6.3.1995, Buchholz 310, § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 und vom 3.7.1998 Az. 6 B 67.98). Abgesehen davon musste sich dem Verwaltungsgericht zur Beurteilung des erstrebten Beitragserlasses aus Billigkeitsgründen (Vertrauensschutz) keine weitere Sachverhaltsaufklärung aufdrängen. Im Kern übt die Beigeladene Kritik an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und behauptet einen Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, der grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen ist und einen Verfahrensmangel nicht begründen kann.

Nach alldem ist der Antrag auf Zulassung der Berufung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags, die gemäß § 124 a Abs. 5 Satz 3 VwGO keiner weiteren Begründung bedarf, wird das Urteil vom 7. Mai 2008 rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).