VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 17.07.2008 - RN 9 K 08.00697
Fundstelle
openJur 2012, 93754
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Entscheidung ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger will mit seiner Klage die Aufhebung seiner Zurückschiebung erreichen.

Am 24. März 2008 reiste der Kläger in einem Reisebus in das Bundesgebiet ein. Auf einem Autobahnparkplatz in der Gemeinde … wurden die Insassen des Reisebusses von Beamten der Polizeiinspektion Fahndung Passau kontrolliert.

Der am … 1960 geborene Kläger ist serbischer Staatsangehöriger. Bei seiner polizeilichen Vernehmung gab er an, seit dem Jahr 2005 in Österreich zu leben. Er sei seit dem 18. Mai 2005 mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet. Er habe drei Kinder im Alter von 22, 20 und 18 Jahren und sei in Wien wohnhaft. Er habe in Österreich einen bis zum 13. April 2007 befristeten Aufenthaltstitel erhalten. Am 13. März 2007 habe er dessen Verlängerung beantragt. Im Mai 2007 habe sich jedoch seine Ehefrau von ihm getrennt. Deshalb gebe es Schwierigkeiten mit der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Bei der Aushändigung der Einreichbestätigung in Wien sei ihm gesagt worden, er könne weiterhin in Österreich bleiben. Er habe nicht gewusst, dass diese Bestätigung für eine Einreise nach Deutschland nicht ausreichend sei. Er sei auf dem Weg zu seinem in … lebenden Vater gewesen. Dieser sei erkrankt und er habe eine Woche bei ihm bleiben wollen.

Der Kläger war im Besitz eines am 4. Juni 1998 ausgestellten und bis zum 4. Juni 2008 geltenden serbischen Reisepasses (Nr. …). Er zeigte einen vom 13. April 2006 bis 13. April 2007 gültigen österreichischen Aufenthaltstitel (Art des Aufenthalts: Familienangehöriger) sowie eineEinreichbestätigungdes Amts der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, Az. …, vom 12. Februar 2008 vor. Darin wird dem Kläger bestätigt, am 13. März 2007 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gestellt zu haben, der noch in Bearbeitung sei.

Die Polizeiinspektion Fahndung Passau verfügte am24. März 2008gemäß § 57 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) dieZurückschiebungdes Klägers nach Österreich, weil er gemäß § 14 Abs. 1 AufenthG unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Er sei ohne den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel eingereist (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

Mit Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 24. März 2008 wurde der Kläger zur Sicherung der Zurückschiebung in Haft genommen.

Nach Zustimmung der Bezirkshauptmannschaft Schärding am 25. März 2008 wurde der Kläger am 25. März 2008 durch Übergabe an Beamte der Polizeiinspektion Schärding nach Österreich zurückgeschoben.

Die Staatsanwaltschaft Passau stellte das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen unerlaubter Einreise am 7. April 2008 gemäß § 153 Abs. 1 der Strafprozessordnung ein.

Am22. April 2008ließ der Kläger durch seinen ProzessbevollmächtigtenKlageerheben.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, der Kläger sei seit dem 19. Mai 2005 im österreichischen Bundesgebiet rechtmäßig niedergelassen. Die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung habe er am 9. März 2007, d.h. rechtzeitig beantragt. Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 3 des österreichischen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) sei nach Stellung des Verlängerungsantrags der Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag rechtmäßig. Aufgrund des rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich dürfe sich der Kläger im gesamten Gemeinschaftsgebiet ungehindert bewegen.

Der Klage beigefügt war eineEinreichbestätigungdes Amts der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, Az. …, vom 22. April 2008. Darin wird dem Kläger bestätigt, am 13. März 2007 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gestellt zu haben, der noch in Bearbeitung sei.

Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2008 benannte der Kläger seinen in Darmstadt wohnenden Vater als Zustellungsbevollmächtigten. Seine Eltern würden in Deutschland leben, alt und gebrechlich sein. Er besuche sie deshalb oft. Er könne nunmehr künftig keinen Kontakt mehr mit seinen in Deutschland lebenden nahen Verwandten aufrecht erhalten. Vor dem Hintergrund seines rechtmäßigen Aufenthalts in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union erweise sich die polizeiliche Maßnahme zudem als Verstoß gegen Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Der Kläger beantragt sinngemäß:

Die Verfügung über die Zurückschiebung vom 24. März 2008 wird aufgehoben.

Der Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger habe am 24. März 2008 nicht über einen Aufenthaltstitel verfügt, der ihn gemäß Art. 21 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) berechtigt hätte, sich frei im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei zu bewegen. Diese Aufenthaltstitel seien in Art. 2 Nr. 15 des Schengener Grenzkodexes (SGK) benannt. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchstabe b SGK sei u.a. Einreisevoraussetzung für Drittstaatsangehörige der Besitz eines gültigen Visums (Art. 1 Abs. 1 und Anhang der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind [EU-VisumV]). Der Kläger habe kein Dokument vorlegen können, aus dem hervorgegangen wäre, er sei zum Aufenthalt bzw. zur Wiedereinreise nach Österreich berechtigt. Das vorgelegte Dokument sei lediglich eine Be-stätigung über die Beantragung eines Aufenthaltstitels.

Ein Recht auf Freizügigkeit nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) könne der Kläger nur von seiner Frau ableiten, wenn diese davon Gebrauch mache oder ihn begleite (§ 3 Abs. 1 FreizügG/EU). Familienangehörige, die nicht Unionsbürger seien, bedürften für die Einreise eines Visums, sofern sie nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltskarte eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union seien (§ 4 FreizügG/EU).

Serbische Staatsangehörige bedürften für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, andernfalls sei die Einreise unerlaubt.

Ergänzend legte der Beklagte mit Schriftsatz vom 10. Juni 2008 u.a. noch ein Schreiben des Amtes der Wiener Landesregierung, MA 35, vom 9. Juni 2008 vor. Mit diesem Schreiben wurde eine Anfrage der Polizeiinspektion Fahndung in einer anderen Sache betreffend die Rechtswirkungen einer Einreichbestätigung beantwortet. Nach der Auskunft des Amtes der Wiener Landesregierung werde die Einreichbestätigung bei der Stellung des Verlängerungsantrags ausgehändigt und berechtige bis zum rechtskräftigen Abschluss des Antrags zum rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich. Die Einreichbestätigung berechtige jedoch nicht zum Aufenthalt in einem anderen „Schengenland“.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 13. Juni 2008 wurden die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung mittels Gerichtsbescheid gehört (§ 84 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).

Der Kläger ließ mit Schriftsatz vom 4. Juli 2008 noch vortragen, er halte sich kraft österreichischem Recht nach Stellung des Verlängerungsantrags bis zu dessen Ablehnung rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet auf. Dies ergebe sich aus dem Gesetz selbst. Eine behördliche Bescheinigung habe keine konstitutive Wirkung, sondern diene lediglich Beweiszwecken. Deshalb verfüge er auch über einen Aufenthaltstitel im Sinne des Schengener Grenzkodex, welcher ihn berechtige, nach Deutschland einzureisen. Ein Spannungsverhältnis zwischen Art. 2 Nr. 15 Buchst. b SGK und dem Art. 21 SDÜ bestehe nicht.

Der Beklagte ergänzte seinen Vortrag mit Schriftsatz vom 9. Juli 2008. Art. 1 SDÜ gelte auch nach Inkrafttreten des Schengener Grenzkodex weiter. Die nach Art. 21 Abs. 3 SDÜ geforderte verbindliche Liste von Aufenthaltstiteln gebe es bislang nicht. Art. 2 Nr. 15 SGK enthalte für den Schengener Grenzkodex eine im Wesentlichen gleich lautende Begriffsbestimmung. Die Mitgliedstaaten hätten die maßgeblichen Aufenthaltstitel an die Kommission zu übermitteln und dies auch getan. Aufgrund einer internen Vorschrift, den vom Bundesministerium des Innern gebilligten „Vorläufigen Hinweisen zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung des Schengener Grenzkodex“, werden nach nationaler Weisungslage die im Vollzug des Schengener Grenzkodex gemeldeten Aufenthaltstitel auch bei der Anwendung des Art. 21 Abs. 1 SDÜ herangezogen. Die vorgelegte Einreichbestätigung ist in der Liste der Aufenthaltstitel der Republik Österreich nicht aufgeführt. Die Zuständigkeit der Polizeiinspektion Fahndung Passau habe sich zum Zeitpunkt der Verfügung über die Zurückschiebung am 24. März 2008 aus § 71 Abs. 5 AufenthG ergeben. Die Zuständigkeit nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG i.V.m. §§ 2 Abs. 2, 61 Abs. 4 des Bundespolizeigesetzes sei gem. §§ 1 Abs. 1, 6 des Verwaltungsabkommens zwischen dem Bundesministerium des Innern und der Bayer. Staatsregierung über die Wahrnehmung von Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes in Bayern vom 21. April 2008 rückwirkend zum 1. März 2008 entfallen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behörden- und der Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Über die Klage kann nach Anhörung der Beteiligten mittels Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorliegen.

Die Klage ist als Anfechtungsklage mit dem Ziel der Aufhebung der Zurückschiebung zulässig (§ 42 Abs. 1 VwGO), weil sich die Zurückschiebung durch ihren Vollzug nicht erledigt hat. Sie entfaltet noch immer rechtliche Wirkungen. Eine dieser Wirkungen ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot im deutschen Bundesgebiet gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

Die Klage ist jedoch unbegründet, denn die am 24. März 2008 durch die Polizeiinspektion Fahndung Passau verfügte Zurückschiebung des Klägers nach Österreich ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Zurückschiebung ist § 57 AufenthG.

Unabhängig von der Frage, ob und ggf. bis zu welchem Zeitpunkt die Polizeiinspektion Fahndung Passau eine mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörde im Sinne des § 71 Abs. 3 AufenthG war, ist die Bayer. Landespolizei jedenfalls nach § 71 Abs. 5 AufenthG für die Zurückschiebung sachlich zuständig.

Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll ein Ausländer, der unerlaubt eingereist ist, innerhalb von sechs Monaten nach dem Grenzübertritt zurückgeschoben werden.

Ein Ausländer ist u.a. dann unerlaubt eingereist, wenn er den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Dies ist beim Kläger der Fall.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedarf ein Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im deutschen Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anders bestimmt ist.

Der Kläger war im März 2008 nicht im Besitz eines der in § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG aufgelisteten deutschen Aufenthaltstitel. Es finden sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass er nach einer der in der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) enthaltenen Regelungen ohne deutschen Aufenthaltstitel rechtmäßig in das deutsche Bundesgebiet hätte einreisen dürfen.

Auch das Recht der Europäischen Union rechtfertigte nicht seine Einreise ohne deutschen Aufenthaltstitel.

Die Einreise des Klägers erfolgte nicht im Rahmen der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit gemäß Art. 18 Abs. 1 des EG-Vertrags. Der Kläger ist serbischer Staatsangehöriger und damit kein Unionsbürger. Unionsbürgerin ist allerdings seine österreichische Ehefrau. Der Kläger selbst ist lediglich deren Familienangehöriger. Nach den europarechtlichen Vorgaben in der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ¼, Amtsblatt EU L Nr. 229 vom 29. Juni 2004, S. 35 ff. (RL 2004/38), bedürfen Familienangehörige, die nicht Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, zur rechtmäßigen Einreise in einen Mitgliedstaat eines Visums oder einer gültigen Aufenthaltskarte für Familienangehörige (Art. 5 Abs. 2 RL 2004/38; entsprechend die Umsetzung dieser Richtlinie in § 2 Abs. 4 Sätze 2 und 3 FreizügG/EU). Für einen rechtmäßigen Aufenthalt bis zu drei Monaten im deutschen Bundesgebiet wäre erforderlich, dass der Kläger als Familienangehöriger ohne Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats seine Ehefrau begleitet oder ihr nachzieht (Art. 6 Abs. RL 2004/38; vgl. auch §§ 2 Abs. 5 Satz 2, 3 Abs. 1 Satz 1 und 4 Satz 1 FreizügG/EU).

Der Kläger war im März 2008 weder im Besitz eines Visums noch einer gültigen Aufenthaltskarte als Familienangehöriger einer in Österreich ansässigen Unionsbürgerin ohne österreichische Staatsangehörigkeit. Er wurde auch weder von seiner Ehefrau begleitet noch zog er zu dieser nach Deutschland.

Auch die Vorschriften der EU-VisumV vermögen die Einreise des Klägers nicht zu einer erlaubten zu machen. Die Staatsangehörigen bestimmter Drittländer dürfen visumsfrei in das Gebiet der Mitgliedstaaten einreisen und sich bis zu drei Monaten dort aufhalten. Serbien ist jedoch keines dieser Drittländer (vgl. Art. 1 Abs. 1 und Anlage I der EU-VisumV).

Dem Kläger stand im März 2008 auch nicht das Recht zu, sich auf der Grundlage der Art. 19 bis 21 SDÜ im deutschen Bundesgebiet frei zu bewegen. Art. 19 und 20 SDÜ scheiden als Rechtsgrundlage bereits deshalb aus, weil der Kläger zum einen nicht Inhaber eines einheitlichen Sichtvermerks und zum anderen - wie bereits dargelegt - nicht sichtvermerksfrei war.

Nach Art. 21 Abs. 1 SDÜ können sich Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels sind, aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments höchstens bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, soweit sie die in Art. 5 Abs. 1 Buchstaben a, c und e aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragspartei stehen.

40Der Kläger war im März 2008 nicht im Besitz eines gültigen, von einer anderen Vertragspartei (hier: Österreich) ausgestellten Aufenthaltstitels im Sinne des Schengener Durchführungsübereinkommens. Art. 1 SDÜ enthält die Legaldefinition für den Begriff „Aufenthaltstitel“ im Sinne des Schengener Durchführungsübereinkommens. Danach ist Aufenthaltstitel im Sinne des Schengener Durchführungsübereinkommens jede von einer Vertragspartei ausgestellte Erlaubnis gleich welcher Art, die zum Aufenthalt in deren Hoheitsgebiet berechtigt. Hierzu zählen nicht die befristete Zulassung zum Aufenthalt im Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien im Hinblick auf die Behandlung eines Asylbegehrens oder eines Antrags auf eine Aufenthaltserlaubnis.

In Art. 21 Abs. 3 SDÜ ist vorgesehen, dass die Vertragsparteien Listen der Dokumente, die sie als Aufenthaltserlaubnis oder vorläufigen Aufenthaltstitel und als Reisedokument im Sinne des Art. 21 SDÜ ausstellen, an den Exekutivausschuss übermitteln. Die Existenz derartiger Listen im Sinne des Art. 21 SDÜ ist aber weder dem Beklagten und dem Gericht noch in der einschlägigen Fachliteratur bekannt (vgl. Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 3. Auflage 2007, S. 337). Auch wenn in der polizeilichen Praxis - wohl aus Gründen der einfacheren Handhabung - hilfsweise bestehende Listen mit Aufenthaltstiteln zu anderen Rechtsvorschriften (vgl. Anlage 4 zur Gemeinsamen Konsularischen Instruktion [ABl. EU C Nr. 326 vom 22. Dezember 2005, S. 1, 37, 53] bzw. nunmehr nach Auskunft des Beklagten auf Weisung des Bundesministeriums des Innern: Liste von Aufenthaltstiteln gemäß Art. 2 Abs. 15 SGK [ABl. EU C Nr. 247 vom 13. Oktober 2006, S. 1, mit späteren Änderungen] herangezogen werden, fehlt für dieses Vorgehen eine entsprechende rechtliche Regelung, welche nicht nur die behördeninterne Bindungswirkung einer Verwaltungsvorschrift aufweist. Es empfiehlt sich daher anhand der einschlägigen Rechtsvorschrift, nämlich des Schengener Durchführungsübereinkommens, der darin enthaltenen Legaldefinition und des nationalen österreichischen Rechts zu bestimmen, ob der Kläger einen Aufenthaltstitel im Sinne des Schengener Durchführungsübereinkommens hatte oder nicht (im Ergebnis ebenso Westphal/Stoppa, a.a.O., S. 338).

Im März 2008 war der Kläger zwar im Besitz eines gültigen österreichischen Aufenthaltstitels, der ihn zum Aufenthalt im österreichischen Hoheitsgebiet berechtigte. Dieser Titel ist jedoch kein Aufenthaltstitel im Sinne des Art. 21 Abs. 1 SDÜ.

Das Amt der Wiener Landesregierung, MA 20, hatte dem Kläger am 13. April 2006 nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 NAG einen bis zum 13. April 2007 befristeten Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ erteilt. Dessen Verlängerung wurde vom Kläger am 13. März 2007 beantragt (vgl. die Einreichbestätigungen des Amtes der Wiener Landesregierung, MA 35, vom 12. Februar 2008 und vom 22. April 2008). Dies hatte zur Folge, dass der Kläger sich über den 13. April 2007 hinaus bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag rechtmäßig in Österreich aufhielt (vgl. § 24 Abs. 2 Satz 3 NAG; Entscheidungen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 2007, Geschäftszahl 2006/09/0167, BKA/RIS Dokumentnummer JWR/2006090167/20070322X01, und vom 13. Dezember 2007, Geschäftszahl 2007/09/0228, BKA/RIS Dokumentnummer JWR/2007090228/20071213X02). Die Entscheidung über den Verlängerungsantrag war ausweislich der Einreichbestätigung vom 22. April 2008 im März 2008 noch nicht getroffen worden. § 24 Abs. 2 Satz 3 NAG fingierte damals einen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers in Österreich, welcher durch die Einreichbestätigung dokumentiert wurde.

Die Einreichbestätigung ist jedoch kein Aufenthaltstitel im Sinne des Art. 1 SDÜ und damit auch nicht im Sinne des Art. 21 Abs. 1 SDÜ, denn die Zulassung zum Aufenthalt erfolgte befristet im Hinblick auf die Behandlung eines Antrags auf eine Aufenthaltserlaubnis.

Die Einreichbestätigung in Verbindung mit dem abgelaufenen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ ist somit als vorläufiger Aufenthaltstitel im Sinne des Art. 21 Abs. 2 SDÜ zu werten. Mit einem vorläufigen österreichischen Aufenthaltstitel hätte der Kläger nach Art 21 Abs. 2 SDÜ sich frei im deutschen Bundesgebiet bewegen können, wenn er zugleich Inhaber eines österreichischen Reisedokuments gewesen wäre. Dies war er hingegen nicht, denn er hatte nur seinen serbischen Reisepass.

Der Kläger war somit im März 2008 nicht nach Art. 21 SDÜ berechtigt, sich frei im deutschen Bundesgebiet zu bewegen.

Aufgrund einer fehlenden Berechtigung hierzu war die Einreise des Klägers im März 2008 unerlaubt.

Die Zurückschiebung wurde bereits am 24. März 2008 verfügt und am 25. März 2008 durchgeführt; die 6-Monats-Frist daher eingehalten.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes „soll“ die Zurückschiebung erfolgen, d.h. regelmäßig ist zurückzuschieben. Nur wenn besondere atypische Umstände vorliegen, darf von der Zurückschiebung abgesehen werden. Derartige atypischen Umstände liegen im Fall des Klägers jedoch nicht vor. Insbesondere das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, das Vorliegen derartiger Umstände aufzuzeigen.

Die Aussage, nicht gewusst zu haben, dass die Einreichbestätigung für die Einreise nach Deutschland nicht ausreichend sei, stellt eine bloße Schutzbehauptung dar, denn hätte der Kläger bei der für ihn zuständigen österreichischen Behörde nachgefragt, hätte er eine zutreffende Auskunft erhalten. Dies belegt die vom Beklagten vorgelegte Mitteilung des Amtes der Wiener Landesregierung, MA 35, vom 9. Juni 2008, welche allerdings den Fall eines anderen Drittausländers betrifft.

Durch die Zurückweisung und ihre gesetzlichen Folgen wird im Fall des Klägers nicht gegen Art. 8 EMRK verstoßen. Zum einen ist das Vorbringen, seine Eltern seien alt und gebrechlich, deshalb besuche er sie oft, derart pauschal gehalten, dass sich daraus zugunsten des Klägers nichts ableiten lässt. Zum anderen ist festzustellen, dass grundsätzlich nur die sog. Kernfamilie geschützt wird, d.h. die Eltern und ihre minderjährigen Kinder. Der im Jahre 1960 geborene Kläger ist nicht mehr minderjährig. Im Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern ist regelmäßig davon auszugehen, dass sie getrennt voneinander leben. Der Wunsch, dennoch miteinander in einem gemeinsamen Haushalt leben zu wollen ist ausländerrechtlich, verfassungsrechtlich und konventionsrechtlich nur dann erheblich, wenn z.B. das volljährige Kind auf die besondere Betreuungsleistung der Eltern angewiesen wäre oder umgekehrt. Dafür, dass dies im Fall des Klägers und seiner Eltern so sein könnte, finden sich nicht einmal in seinem eigenen Vorbringen hinreichende Anhaltspunkte. Der Kläger möchte auch nicht auf Dauer bei seinen Eltern wohnen, weil diese unabweisbar auf seine Betreuung angewiesen seien, sondern er will diese nur besuchen. Lediglich die Erschwernis, seine Eltern nicht mehr ohne gesonderte behördliche Genehmigung besuchen zu können, vermag dem Kläger keine Rechtsposition zu vermitteln, deren Beeinträchtigung durch die Zurückweisung und ihre gesetzlichen Folgen einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Recht aus Art. 8 EMRK darstellt.

Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 167 VWGO, 708 ff. ZPO.

 

Beschluss

Der Streitwert wird auf2.500.-- EURfestgesetzt.

Gründe

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 des Gerichtskostengesetzes.

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