OLG München, Beschluss vom 31.07.2008 - 4 VAs 017/08
Fundstelle
openJur 2012, 93642
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag der C H auf gerichtliche Entscheidung vom 7. April 2008 wird als unbegründet verworfen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen.

III. Der Geschäftswert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Das Amtsgericht München verurteilte C J A am 22.6.2007 wegen Betruges in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit Computerbetrug zum Nachteil der Geschädigten C H zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 7 Monaten. Auf die Berufung des Angeklagten änderte das Landgericht München I das amtsgerichtliche Urteil am 3.12.2007 im Strafausspruch dahingehend ab, dass der Angeklagte zu einer Gesamtstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten verurteilt wurde. Dieses Urteil wurde am selben Tag rechtskräftig.

Der Verurteilte befindet sich derzeit in Vollstreckungshaft in der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech. Vorläufiges Strafende ist für den 9.7.2009 vorgesehen.

Am 27.3.2006 verurteilte das Landgericht München II C A, an die Klägerin, C H, 181,355,29 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 31.5.2005 zu zahlen. Am 27.6.2007 erließ das Amtsgericht München/Vollstreckungsgericht in der Zwangsvollstreckungssache der C H gegen C A gemäß § 901 ZPO einen Haftbefehl, um die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung gemäß § 807 ZPO zu zwingen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.1.2008 beantragte die Geschädigte H, die Strafhaft des Verurteilten durch Anordnung der Erzwingungshaft zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu unterbrechen.

Diesen Antrag erklärte der anwaltliche Vertreter der Geschädigten nach einem Aktenvermerk der Strafvollstreckungsbehörde vom 22.1.2008 für erledigt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.1.2008 bat die Geschädigte die Vollstreckungsbehörde erneut um Überprüfung, da der Gerichtsvollzieher ohne Unterbrechung der Strafhaft die Erzwingungshaft nicht durchführen könne.

Mit Schreiben vom 15.2.2008, bei dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz eingegangen am 21.2.2008, teilte die Schweizerische Eidgenossenschaft mit, dass der Verurteilte den Wunsch geäußert habe, den Rest der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe in der Schweiz zu verbüßen.

Mit Schreiben vom 20.2.2008 lehnte die Strafvollstreckungsbehörde die Unterbrechung ab. Hiergegen wandte sich die Geschädigte mit anwaltlichem Schreiben vom 28.2.2008, mit dem sie eine richterliche Entscheidung beantragte. Es könne nicht sein, dass ein Gläubiger durch die Tatsache, dass der Schuldner in Haft sei, hinsichtlich seines Vollstreckungsversuches schlechter gestellt werde als ein Gläubiger, dessen Schuldner sich auf freiem Fuß befände.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 12.3.2008, bei der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech eingegangen am 13.3.2008, beantragte die Geschädigte, die Strafhaft des Verurteilten zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu unterbrechen.

Bei einer fernmündlichen Rücksprache mit der Vollstreckungsbehörde bat die Rechtsanwaltskanzlei der Geschädigten am 17.3.2008, ihr Begehren in statthafter Weise auszulegen.

Mit Verfügung vom 18.3.2008 behandelte die Vollstreckungsbehörde den Antrag der Geschädigten vom 28.2.2008 als Beschwerde und legte diese dem Generalstaatsanwalt in München zur Entscheidung vor. In der Vorlage führte sie im Wesentlichen aus:

Die Unterbrechung der Strafhaft zur Vollstreckung der Erzwingungshaft ist nicht zu gewähren. Die StPO führt die Gründe der Unterbrechung einer Strafhaft enumerativ auf (§§ 455 ff. StPO). Die Unterbrechung der Strafhaft zur Vollstreckung der Erzwingungshaft ist dabei nicht vorgesehen. Eine Unterbrechung ist auch nicht in analoger Anwendung der dortigen Tatbestände zu gewähren. Der Gesetzgeber hat Unterbrechungen aus ganz unterschiedlichen Gründen vorgesehen. Dabei sind weder Unterbrechungstatbestände ersichtlich, die eine vergleichbare Interessenlage behandeln würden, noch ist zu ersehen, dass der Gesetzgeber vorliegend einen Regelungsbedarf unbewusst ungeregelt gelassen hätte; vielmehr ist aufgrund der Novelle der StPO aus der jüngeren Zeit davon auszugehen, dass eine Regelung bewusst unterblieben ist. Auch kann ein Anspruch auf Unterbrechung nicht aus dem Argument der Einheit der Rechtsordnung abgeleitet werden, aufgrund dessen man erwägen könnte, dass der Gläubiger eines Häftlings nicht schlechter gestellt sein kann, als der Gläubiger eines freien Fußes befindlichen Schuldners. Dem ist nämlich entgegenzuhalten, dass die staatliche Regelung des Strafvollzugs ein besonderes Gewaltverhältnis begründet, in das nicht ohne weiters eingegriffen werden kann. Insofern hat der Gläubiger die ihm aus dieser Situation folgenden Nachteile ebenso hinzunehmen, wie in der Situation eines für ihn wegen unbekannten Aufenthalts nicht greifbaren Schuldners.

Mit Bescheid vom 31.3.2008 gab der Generalstaatsanwalt in München der Beschwerde der Geschädigten gegen die Verfügung der Strafvollstreckungsbehörde vom 20.2.2008 keine Folge. Mit anwaltlichem Telefaxschreiben vom 7.4.2008, bei der Generalstaatsanwaltschaft München eingegangen am 8.4.2008, legte die Geschädigte hiergegen sofortige Beschwerde ein und beantragte, da es sich um einen Justizverwaltungsakt handle, richterliche Entscheidung. Ohne Unterbrechung der Strafhaft wäre es dem Schuldner möglich, sich der Vollstreckung bis zum Haftende zu entziehen und gegebenenfalls bis zu diesem Zeitpunkt sein Vermögen zu verschleiern, so dass eine Vollstreckung für den Gläubiger ins Leer liefe. Diese Begründung wiederholte die Geschädigte mit anwaltlichem Schreiben vom 9.4. und 17.4.2008.

Unter dem 26.3.2008, bei der Vollstreckungsbehörde eingegangen am 14.4.2008 teilte der anwaltliche Vertreter des Gefangenen mit, dass er seinen Antrag nach § 456 a StPO zurücknehme. Mit Verfügung vom 8.4.2008 wies die Landeshauptstadt München/ Ausländerbehörde den Verurteilten aus dem Bundesgebiet aus und untersagte ihm dauerhaft die Wiedereinreise.

Der Generalstaatsanwalt in München beantragte mit Vorlageschreiben vom 11.6.2008, den Antrag der Frau C H, vertreten durch Rechtsanwalt, auf gerichtliche Entscheidung vom 7.4.2008 als unbegründet zu verwerfen, der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und den Geschäftswert auf 3.000 € festzusetzen.

Ergänzend wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Antrag ist nach § 23 Abs. 1 EGGVG statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 24 Abs. 1, § 26 Abs. 1 EGGVG).

a) Ungeachtet der Bezeichnung ihres Rechtsmittels als „sofortige Beschwerde“ wünscht die Antragstellerin, wie sich insbesondere aus der Begründung ihres Antrags ergibt, eine Entscheidung nach §§ 23 ff EGGVG.

b) Bei der begehrten Unterbrechung der Strafhaft zur Vollstreckung der Erzwingungshaft zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung handelt es sich um eine Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege, deren Ablehnung durch die Vollstreckungsbehörde nicht bereits aufgrund anderer Vorschriften durch die ordentlichen Gerichte überprüft werden kann (§ 23 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 EGGVG.

aa) Eine gerichtliche Entscheidung nach § 458 Abs. 2 StPO kommt vorliegend nicht in Betracht, weil eine Unterbrechung der Strafhaft nach § 455 Abs. 4 StPO nicht Gegenstand des Begehrens der Antragstellerin ist (vgl. Fischer in Karlsruher Kommentar StPO 5. Aufl. § 455 Rn. 18; Wendisch in Löwe-Rosenberg StPO 25. Aufl. § 455 Rn. 30). Auch die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine Unterbrechung der Untersuchungshaft nach § 122 Abs. 1 Satz 1 StVollzG (vgl. hierzu Callies/Müller-Dietz StVollzG 11. Aufl. § 122 Rn. 6), der auch nach Inkrafttreten des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes am 1.1.2008 unmittelbar zur Anwendung kommt (Art. 208 BayStVollzG) und nach § 171 StVollzG auch die Unterbrechung der Untersuchungshaft zur Vollstreckung von Erzwingungshaft betrifft, sind vorliegend nicht einschlägig, da die Antragstellerin nicht die Unterbrechung von Untersuchungshaft begehrt.

bb) Die Ablehnung des Unterbrechungsantrags durch die Vollstreckungsbehörde betrifft die auf eine effektive Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gerichtete Rechtsposition der Geschädigten aus Art. 14 Abs. 1 GG und aufgrund des allgemeinen Justizgewähranspruchs nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG Beschluss vom 8.11.2006 - 2 BvR 578/02 - und - 2 BvR 796/02 - zit. nach JURIS dort Rn. 152); es handelt sich deshalb um eine Maßnahme nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG. Die Antragstellerin hat auch noch mit hinreichender Deutlichkeit geltend gemacht, in dieser Rechtsposition verletzt zu sein (§ 24 Abs. 1 EGGVG).

c) Die Antragsfrist nach § 26 Abs. 1 EGGVG ist eingehalten.

2. Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg, da die Ablehnung der Unterbrechung der Strafhaft keine Rechte der Antragstellerin verletzt. Ein Anspruch auf Unterbrechung der Strafhaft zum Zwecke der Vollstreckung der Erzwingungshaft besteht nicht.

a) Eine Unterbrechung der Strafhaft zur Vollstreckung einer Erzwingungshaft zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung ist gesetzlich nicht vorgesehen. § 455 Abs. 4 StPO betrifft die Unterbrechung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aus gesundheitlichen Gründen des Verurteilten; § 455a StPO regelt die Unterbrechung der Strafhaft aus Gründen der Vollzugsorganisation. Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 StVollzG kann die Untersuchungshaft zum Zweck der Strafvollstreckung und zur Vollstreckung der in § 171 StVollzG genannten Haftarten unterbrochen werden.

b) Eine Möglichkeit, die Strafhaft zum Zwecke der Vollstreckung einer Erzwingungshaft zu unterbrechen, ergibt sich auch nicht aus einer analogen Anwendung dieser Vorschriften.

Angesichts der detaillierten Regelungen fehlt es bereits an einer planwidrigen Lücke der gesetzlichen Regelungen als Voraussetzung einer Analogie (vgl. BGHZ 149, 165/174; BGH NJW 20031932; Heinrichs in Palandt Bürgerliches Gesetzbuch 63. Aufl. Einl. Rn. 58). Einer analogen Anwendung des § 455 Abs. 4 StPO und des § 455a StPO steht ferner der Grundsatz, dass eine bereits begonnene Vollstreckung einer Strafhaft ununterbrochen zu Ende zu führen ist (BVerfG NStZ-RR 2003, 345), entgegen. Dies liegt auch im Interesse des Verurteilten (Fischer a.a.O § 455 Rn. 10; vgl. auch „Entwurf eines … Strafrechtsänderungsgesetzes (…StrÄndG)“ vom 14.1.1985 BTDrs. 10/2720 zu § 455 Abs. 4 StPO S. 16). Die unterschiedlichen Voraussetzungen und Ziele von Untersuchungs- und Strafhaft stehen zudem einer analogen Anwendung des § 122 Abs. 1 Satz 1 StVollzG entgegen.

c) Ein Anspruch der Geschädigten auf Unterbrechung der Strafhaft ergibt sich auch nicht aus dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Justizgewähranspruch, der einen wirksamen Rechtsschutz für die Durchsetzung zivilrechtlicher Rechtspositionen fordert. Der Justizgewähranspruch bedarf nämlich der näheren gesetzlichen Ausgestaltung und besteht nicht schrankenlos (BVerfGE 88, 118/124).

Den Interessen der Geschädigten als Vollstreckungsgläubigerin an einer effektiven Durchsetzbarkeit ihrer Ansprüche auch im Vollstreckungsverfahren steht hierbei die verfassungsrechtliche Pflicht zur Strafvollstreckung gegenüber. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und die Gleichbehandlung aller im Strafverfahren rechtskräftig Verurteilten gebieten grundsätzlich zwingend, rechtskräftig erkannte Freiheitsstrafen auch zu vollstrecken (BVerfG NStZ-RR 2003, 345) und diese im Hinblick auf die Vollstreckungsziele, insbesondere den Resozialisierungsgedanken, und den Ausnahmecharakter der Unterbrechungsvorschriften grundsätzlich ununterbrochen zu vollziehen. Keiner dieser Belange genießt jedoch schlechthin Vorrang vor dem anderen, vielmehr ist der entstehende Konflikt nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu lösen.

Diesen Anforderungen genügt die bestehende Gesetzeslage:

Das Erzwingungsverfahren als solches dient nicht der unmittelbaren Befriedigung des Gläubigers, sondern zielt vielmehr darauf ab, ihm Kenntnis über das Vermögen seines Schuldners zu verschaffen, wodurch ihm, sofern pfändbares Vermögen vorhanden ist, der Zugriff auf dieses ermöglicht wird (BVerfG NJW 1983, 559).

31Die Geschädigte kann binnen dreier Jahre (§ 909 Abs. 2 ZPO) seit Erlass des Haftbefehls vom 27.6.2007 dessen Vollstreckung bewirken. Bei Fallgestaltungen, bei denen ein Zeitraum von drei Jahren zur Vollstreckung eines Haftbefehls aus Gründen, die nicht aus der Sphäre des Gläubigers herrühren, nicht ausreicht, genügt es, wenn der Gläubiger den Antrag zur Verhaftung des Schuldners vor Ablauf der Dreijahresfrist des § 909 Abs. 2 gestellt hat (BGH Beschluss vom 15.12.2005 I ZB 63/05 zitiert nach JURIS, dort Randziffer 4, 12).

Befindet sich der nicht offenbarungswillige Schuldner, wie im vorliegenden Fall, in Strafhaft, hat der Gerichtsvollzieher, wenn bei voraussichtlichem Ende dieser Haft die Vollstreckung des Haftbefehls noch statthaft ist, in entsprechender Anwendung des § 909 Abs. 1 den Schuldner nachzuverhaften und zu veranlassen, dass die Justizvollzugsanstalt die Überhaft notiert (Stöber in Zöller ZPO 26. Aufl. § 909 Rn. 1; vgl. auch Münzberg in Stein/Jonas ZPO 22. Aufl. § 909 Rn. 4).

Hierdurch wird den Interessen der Antragstellerin ausreichend Rechnung getragen. Ob dies auch bei langjährigen oder lebenslangen Freiheitsstrafen der Fall wäre, gibt der vorliegende Fall keine Veranlassung zu entscheiden.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 30 Abs. 1 EGGVG i.V.m. § 130 KostO. Der Geschäftswert war nach § 30 Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 30 Abs. 2 Satz 1 KostO auf 3.000 € festzusetzen.