OLG München, Beschluss vom 12.06.2008 - Verg 13/07
Fundstelle
openJur 2012, 92865
  • Rkr:
Tenor

Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers vom 19.3.2008 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts wies mit Beschluss vom 29.11.2007 die sofortige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 9.10.2007 zurück und legte die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Beigeladenen auf mit Ausnahme der notwendigen Auslagen des Antragsgegners. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wurde auf 178.360 Euro festgesetzt.

Mit Schriftsatz vom 14.12.2007 beantragte die Antragstellerin, die ihr von der Beigeladenen zu erstattenden Kosten wie folgt festzusetzen:

1,6 Verfahrensgebühr § 13, Nr. 3200 VV RVG2.782,40 Euro1,2 Terminsgebühr § 13, Nr. 3202 VV RVG2.086,80 Euro        4.869,20 EuroPauschale für Post etc., Nr. 7002 VV RVG20,00 Euro        4.889,20 EuroAuf die Gebühr nach Nr. 3200 VV sei die im Verfahren vor der Vergabekammer angefallene Gebühr nicht anzurechnen, weil die Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV nicht einschlägig sei. Das gerichtsähnlich ausgestaltete Verfahren vor der Vergabekammer gleiche der ersten Instanz im Stufenverhältnis zweier Rechtszüge und stelle nicht den Übergang von einem Verwaltungsverfahren auf ein erstinstanzliches Gerichtsverfahren dar.

Die Beigeladene machte geltend, die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin seien bereits im Verfahren vor der Vergabekammer für diese tätig geworden. Hierfür sei eine Geschäftsgebühr von 2,0 nach Nr. 2300 VV RVG angefallen. Bei dem Verfahren vor der Vergabekammer handele es sich um ein vorgeschaltetes Verwaltungsverfahren, das den gleichen Gegenstand betroffen habe. Gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 VV RVG sei die Geschäftsgebühr daher mindestens zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG anzurechnen, so dass sich die Verfahrensgebühr auf 1.304,25 Euro reduziere. Auch der BGH (Beschluss vom 9.12.2003 – X ZB 14/03) sehe das Vergabekammerverfahren als echtes Verwaltungsverfahren an.

Der Rechtspfleger beim Oberlandesgericht ... setzte mit Beschluss vom 19.3.2008 die der Antragstellerin von der Beigeladenen zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf 4.889, 20 Euro fest. Eine Anrechnung der Gebühren aus dem vorgeschalteten Verfahren vor der Vergabekammer wurde abgelehnt.

Hiergegen wendet sich die Beigeladene mit ihrer Erinnerung vom 10.4.2008, in welcher sie ihr Vorbringen wiederholt. Die Ansicht des Rechtspflegers, das Verhältnis des Verfahrens vor der Vergabekammer zum Verfahren vor dem Vergabesenat gleiche dem zweier Rechtszüge, finde im Gesetz keine Stütze. Auch der Verweis auf die Entscheidung des Kammergerichts vom 14.2.2005 (2 Verg 13/04 und 14/04) sei nicht überzeugend, weil es dort nur um eine Gebühr nach § 118 GWB gegangen sei.

II.

Die Erinnerung ist zulässig, 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Entscheidung des Rechtspflegers, die Verfahrensgebühr für das Verfahren vor der Vergabekammer nicht anzurechnen, ist nicht zu beanstanden.

Die außergerichtlichen Kosten eines Beteiligten im Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat bestehen vor allem in seinen Aufwendungen für den von ihm beauftragten Rechtsanwalt. Die Anwaltsvergütung berechnet sich nach den Vorschriften des RVG, wobei sich der Gebührensatz aus dem Vergütungsverzeichnis (VV) ergibt. Im Vergütungsverzeichnis ist das Verfahren vor dem Vergabesenat einem Berufungsverfahren gleich gestellt, Vorbemerkung 3.2.1 Abs. 1 Nr. 4 VV. Schon diese systematische Einordnung zeigt, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass das Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat vergütungsmäßig wie ein Berufungsverfahren zu behandeln ist. Deshalb fehlen in diesem Abschnitt folgerichtig auch Anrechnungsvorschriften für das vorangegangene Nachprüfungsverfahren; vielmehr ist nach Nr. 3200 VV wie für ein Berufungsverfahren eine 1,6 Verfahrensgebühr vorgesehen.

Auf diese Gebühr ist die im Verfahren vor der Vergabekammer entstandene Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 nicht anzurechnen. Die Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 VV ist nicht einschlägig. Die Vorbemerkung trifft nur diejenigen Fälle, in denen ein Verwaltungsverfahren dem erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren vorausgegangen ist. Das Verfahren vor der Vergabekammer ist aber kein reines Verwaltungsverfahren in diesem Sinn. Die Vergabekammer entscheidet nach § 105 Abs. 1 GWB im Rahmen der Gesetze unabhängig und in eigener Verantwortung. Nach § 105 Abs. 4 Satz 2 GWB sind die Mitglieder der Vergabekammer nur dem Gesetz unterworfen und entscheiden selbständig. Im Gegensatz zu den sonstigen Verwaltungsverfahren, die der Überprüfung von Verwaltungsakten dienen, sind sie also nicht in den Weisungsstrang der Verwaltung eingeordnet. Sie stehen den Beteiligten gleichermaßen neutral und objektiv gegenüber; das gilt auch und gerade im Verhältnis zum öffentlichen Auftraggeber. Ihre Tätigkeit beschränkt sich nicht auf die Überprüfung eines gegen einen Beteiligten erlassenen Verwaltungsaktes, sondern sie prüfen im Verhältnis zu mehreren Beteiligten, die in einem Interessengegensatz stehen und unterschiedliche Interessen verfolgen können, die Rechtmäßigkeit einer geplanten Entscheidung. Die Prüfung erfolgt grundsätzlich – wie bei Gericht – in einer mündlichen Verhandlung, § 112 Abs.1 Satz 1 GWB. Die Vergabekammer hat zudem den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und unabhängig von Anträgen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einzuwirken, § 114 Abs. 1 Satz 2 GWB.

Diese Ausgestaltung des Verfahrens zeigt, dass das Verfahren vor der Vergabekammer, auch wenn die abschließende Entscheidung mittels Verwaltungsakt getroffen wird, einem Gerichtsverfahren ähnelt und nach dem Willen des Gesetzgebers auch ähneln soll. Darum ist es in der Literatur auch ganz herrschende Meinung, dass das gerichtsähnlich ausgestaltete Verfahren vor der Vergabekammer und das Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat dem Stufenverhältnis zweier Rechtszüge gleichen (Rojahn VergabeR 2004, 454, 456; Wiese in Kulartz/Kus/Portz GWB-Vergaberecht § 128 GWB Rn. 51; Noelle in Byok/Jaeger Vergaberecht Anhang zu §§ 128, 129 GWB Rn. 1450p; Hardrath in Willenbruch/Bischoff S. 1423 Rn. 14). In der Rechtsprechung hat sich bisher, soweit ersichtlich, nur das KG ... mit der Anrechnungsproblematik – allerdings im Hinblick auf ein Verfahren nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB – beschäftigt und ebenfalls wegen des kontradiktorisch und gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahrens vor der Vergabekammer eine Anrechnung verneint (KG vom 14.2.2005 – 2 Verg 13/04 und 2 Verg 14/04). Der Senat schließt sich diesen Stimmen aus den dargestellten Gründen an.

Die von der Beigeladenen angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 9.12.2003 (X ZB 14/03) steht dem nicht entgegen. Eine Vorlage nach § 124 Abs. 2 GWB scheidet schon aus diesem Grund aus. Zwar hat der BGH in den Gründen ausgeführt, dass es sich trotz der gerichtsähnlichen Ausgestaltung bei dem Verfahren vor der Vergabekammer um ein Verwaltungsverfahren handelt. und deshalb für dieses Verfahren die Kostentragung in Anlehnung an die Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze getroffen wird. Eine Stellungnahme zu der Frage, ob die Verfahren vor der Vergabekammer und dem Vergabesenat einem Instanzenzug ähneln und deshalb eine Anrechnung einer Geschäftsgebühr unterbleibt, liegt darin aber nicht.