Bayerischer VGH, Beschluss vom 30.04.2008 - 15 ZB 07.2914
Fundstelle
openJur 2012, 91160
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist Eigentümer einer Eigentumswohnung auf der FlNr. ... der Gemarkung …. Er wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Genehmigung zur Nutzungsänderung einer ehemaligen Arztpraxis in einen Kurierdienst auf dem Anwesen FlNr. …. Die Beigeladenen betrieben bis zu ihrem Umzug am 1. Mai 2004 auf das streitgegenständliche Grundstück den Kurierdienst seit Oktober 2001 in einem Wohn- und Geschäftshaus auf FlNr. ... in der …. Eine Baugenehmigung lag für die dortige Nutzung nicht vor. In verschiedenen Stellungnahmen der Fachstellen des Landratsamtes Oberallgäu wurden die vom Betrieb der Beigeladenen ausgehenden Immissionen mit dem maximal zulässigen Immissionsrichtwert von tagsüber 53 dB(A) in einem allgemeinen Wohngebiet als vereinbar angesehen.

Die Klage gegen den Genehmigungsbescheid vom 21. März 2005 hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 19. September 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, der Kläger könne keinen Anspruch auf Wahrung der Gebietsart geltend machen, da die nähere Umgebung keinem typischen Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung entspreche. Eine Einordnung des fraglichen Umgriffs als allgemeines Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO scheide aus, da die Beigeladenen bereits im Jahre 1998 ihre Tätigkeit im Gebäude der Kemptener Straße 14 aufgenommen hätten; bei dem Kurierdienst handele es nicht mehr um einen nicht störenden Gewerbebetrieb. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts beantragte der Kläger mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 die Zulassung der Berufung.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Der Kläger beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist zur Begründung seines Zulassungsantrags hat darlegen lassen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

a. Der Kläger rügt, dass das Verwaltungsgericht den nachbarschützenden Anspruch auf Gebietserhaltung verkannt habe. Zwar habe das Verwaltungsgericht zutreffend den Kurierdienst als störenden Gewerbebetrieb angesehen; es sei jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets bereits durch die Ansiedlung des Kurierdienstes im Jahre 1998 verloren gegangen sei. Denn der Betrieb des Kurierdienstes auf dem Grundstück ... sei nicht genehmigt gewesen und hätte als störender Gewerbebetrieb dort in einem allgemeinen Wohngebiet auch nicht genehmigt werden können. Die seinerzeitige Ansiedlung des Kurierdienstes hätte mangels förmlicher Genehmigung auch nicht mit einem Nachbarwiderspruch angegriffen werden können. Würde nunmehr angenommen, dass diese ungenehmigte Nutzung den Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebiets veränderte, könnten die nachbarschützenden Abwehrrechte auf Wahrung der Gebietsart unterlaufen werden.

Der Kläger kann der genehmigten Nutzungsänderung keinen Anspruch auf Erhaltung des Gebietscharakters aus § 34 Abs. 2 BauGB entgegenhalten. Denn die Nutzungsgenehmigung für den Kurierdienst vom 21. März 2005 hat den Charakter des maßgeblichen Bebauungsumgriffs als allgemeines Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO ebenso wenig verändert wie die Ansiedlung dieses Betriebes auf dem Grundstück ... im Jahre 2001 (das Datum der Ansiedlung im Jahre 1998 in den Entscheidungsgründen des Urteils des Verwaltungsgerichts wurde mit Schreiben der Landesanwaltschaft vom 14. Januar 2008 richtig gestellt).

Das Verwaltungsgericht hat hier den fraglichen Umgriff des Bebauungszusammenhanges zutreffend eingegrenzt. Bei der Bestimmung des räumlichen Bereichs dieser näheren Umgebung muss einerseits die Umgebung insoweit berücksichtigt werden, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (vgl. BVerwG vom 26.05.1978 BVerwGE 55, 369). Der bauplanungsrechtlichen Beurteilung war ein Straßengeviert mit den Begrenzungen W.- Straße im Norden, Hochstraße im Osten und Kemptener Straße im Westen einschließlich der Bebauung auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu Grunde zu legen. In diesem Geviert befinden sich sowohl das streitgegenständliche Grundstück als auch das unweit entfernt gelegene frühere Betriebsgrundstück der Beigeladenen in der ... Ebenfalls zutreffend ist die grundsätzliche Einordnung dieses Gebietsumgriffs als allgemeines Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO.

Nicht zu folgen ist dem Verwaltungsgericht allerdings insoweit, als es den Betrieb des Kurierdienstes, wie er gemäß der Betriebsbeschreibung mit Schreiben vom 25. Januar 2005 der Genehmigung vom 21. März 2005 zu Grunde liegt, als einen störenden Gewerbebetrieb ansieht, der im allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig ist. Maßgeblich dafür, ob ein Gewerbebetrieb als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb ausnahmsweise im allgemeine Wohngebiet gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zulässig ist, sind seine Auswirkungen auf das vor allem geschützte Gut Wohnen im fraglichen Umgriff. Dabei kommt es maßgeblich auf den Umfang der Betätigung, deren Abläufe und Arbeitsweise an (vgl. Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 2. Auflage , RdNrn. 71 f. zu § 4). Der im Rahmen des Bauantrages beschriebene Ablauf und Umfang der Tätigkeit des Kurierdienstes lassen hier insgesamt keine Störungen erwarten, die der dem allgemeinen Wohngebiet typischerweise eigenen Wohnruhe entgegenstehen. Dabei spielt eine Rolle, dass das Störpotential des Kurierbetrieb fast ausschließlich im Zu- und Abfahrtsverkehr der Kurierfahrzeuge besteht. Diese Fahrzeugbewegungen sind hier auf eng begrenzte Zeiträume beschränkt ist, die zudem mit den Hauptverkehrszeiten der W.-straße sowie der nahe gelegenen Kemptener Straße zusammen fallen. Während des restlichen, weit überwiegenden Tageszeitraumes finden praktisch keine weiteren durch den Kurierdienst ausgelöste Verkehrsbewegungen statt.

Auch die Ausnahmevoraussetzungen nach § 31 Abs. 1 i.V.m. § 34 Abs. 2 Halbsatz 2 BauGB liegen vor. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Zulassung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB nicht von einer atypischen Situation abhängig. Den Ausnahmefall macht tatbestandlich die Zulässigkeit des Vorhabens trotz seiner grundsätzlich nicht gebietstypischen Charakteristik aus, weil das Vorhaben nach den Verhältnissen des Einzelfalls nach Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets (ausnahmsweise) nicht widerspricht (vgl. Beschluss vom 22.2.2007 BayVBl 2007, 661 = BauR 2007, 1372). Das Vorhaben der Beigeladenen löst nur einen zeitlich sehr begrenztes Verkehrsaufkommen aus und ist durch seine Lage nahe der stärker befahrenen Kemptener Straße geprägt.

Der Kläger kann sich insoweit auch nicht darauf berufen, dass der nicht erheblich störende Gewerbebetrieb gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO nur ausnahmsweise zulässig ist und diese Ausnahme im Genehmigungsbescheid des Beklagten vom 21. März 2005 nicht ausdrücklich ausgesprochen ist. Eine Verletzung seiner nachbarlichen Rechte kann nur vorliegen, wenn die Voraussetzungen der ausnahmsweisen Zulässigkeit des Vorhabens nicht gegeben sind. Das ergibt sich bereits aus dem Umfang des materiellen Anspruchs des Nachbarn auf Wahrung der Gebietsart. Dieser ist darauf gerichtet, Vorhaben zu verhindern, die weder regelmäßig noch ausnahmsweise in einem Baugebiet zulässig sind. Weiter kann der Nachbaranspruch daher auch nicht gegenüber einer Genehmigung gehen, die diese Unterscheidung nicht ausdrücklich vornimmt.

Im Ergebnis liegt daher ein allgemeines Wohngebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO vor, dessen Gebietscharakter durch die Zulassung des streitgegenständlichen Kurierdienstes nicht verändert wurde.

b. Eine Beeinträchtigung des Klägers durch unzumutbare Immissionen - jenseits der Problematik eines nachbarschützenden Gebietserhaltungsanspruchs - ist nach den Ergebnissen der Fachstellen des Beklagten nicht zu befürchten. Der Kläger ist insoweit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 19. September 2007 im Zulassungsverfahren auch nicht entgegen getreten.

c. Soweit der Kläger vorträgt, die Baugenehmigung vom 21. März 2005 sei nicht ausreichend bestimmt, weil in ihr über eine Vorgabe des maximalen Lärmpegels für den Gesamtbetrieb einschließlich des betriebsbezogenen Fahrzeugverkehrs hinaus nicht auch die konkrete Betriebsbeschreibung des Kurierdienstes enthalten sei, bestehen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Nr. III.2. der Genehmigung legt fest, dass der Beurteilungspegel der von dem Gesamtbetrieb ausgehenden Geräusche einschließlich zurechenbarer betriebsbezogenen Kraftfahrzeugverkehrs u.a. am Gebäude des Klägers den für allgemeine Wohngebiete maximal zulässigen reduzierten Immissionsrichtwert von tagsüber 53 dB(A) nicht überschreiten darf. Eine derartige Nebenbestimmung ist im Grundsatz geeignet, die Nachbarrechte zu sichern, wenn - was hier nach Auskunft der Fachstelle Immissionsschutz des Landratsamts nicht zweifelhaft ist - der Betrieb regelmäßige so geführt werden kann, dass die entstehenden Immissionen die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze nicht überschreiten. Konkrete nutzungseinschränkende Regelungen muss die Baugenehmigung in einem solchen Fall nicht enthalten (BayVGH vom 3.3.2006 15 ZB 04.2453 m.w.N.). Es ist daher dem Verwaltungsgericht darin zu folgen, dass der Kläger durch die ausdrückliche Festlegung der maximal zulässigen Immissionsgrenzwerte an seinem Wohngebäude, die Eingrenzung der Betriebszeit auf die Tageszeit sowie die Beschränkung auf Fahrzeuge mit max. 2,8 t zulässigem Gesamtgewicht ausreichend bestimmt geschützt ist. Eine konkrete Aufnahme der Betriebsbeschreibung vom 25. Januar 2005 einschließlich der Aufnahme der zulässigen Anzahl der betriebsbezogenen verwendeten Kraftfahrzeuge sowie die Bestimmung einer Anzahl der auf dem Grundstück zulässigen Kurierdienstfirmen in die Nutzungsänderungsgenehmigung war darüber hinaus nicht zwingend erforderlich. Eine dahingehende Ergänzung der Baugenehmigung wäre jedoch im Hinblick auf den Ausnahmecharakter des Vorhabens zweckmäßig.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 3 und 1, § 52 Abs. 1 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).