VG München, Urteil vom 07.03.2008 - M 4 K 08.50022
Fundstelle
openJur 2012, 90454
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der am ... Juli 1974 in ... geborene und von dort stammende Kläger ist - nach seinen Angaben - irakischer Staatsangehöriger, sunnitischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit. Auf seinen Asylantrag vom 20. April 1998 hin lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom ... Juni 1998 zwar den Asylantrag des Klägers ab, stellte aber fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bezüglich Irak in der Person des Klägers vorliegen. Die hiergegen vom Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten erhobene Klage (Az.: M 27 K 98.52318) blieb erfolglos.

Mit Verfügung vom 14. September 2007 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren ein und gab dem Kläger mit Schreiben vom 8. Oktober 2007 Gelegenheit zur Stellungnahme gemäß § 73 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG innerhalb eines Monats. Diese Möglichkeit nahm der Kläger nicht wahr.

Durch Bescheid vom ...Januar 2008wurde der Bescheid vom ... Juni 1998 hinsichtlich der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen widerrufen. Ferner wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen. Eine Entscheidung zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG erging nicht, da der Kläger seine Einbürgerung betreibt. Auf den Inhalt des Bescheides wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen.

Am 18. Januar 2008 erhob der Kläger über seinen Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte zuletzt:

Der Bescheid des Bundesamtes vom ... Januar 2008 wird aufgehoben.

Zur Begründung wurde auf die Genfer Flüchtlingskonvention und die sog. Qualifikationsrichtlinie sowie die aktuelle Lage im Irak verwiesen.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 19. Februar 2007 wurde der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG auf den Einzelrichter übertragen.

Das Gericht hat zur Sache am 7. März 2008 mündlich verhandelt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der sonstigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen, insbesondere auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides vom ... Januar 2008, sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 7. März 2008.

Gründe

Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 77 Abs. 1 AsylVfG ist in Streitigkeiten nach dem AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw., wenn eine solche nicht stattfindet, auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen. Damit sind vorliegend das AufenthG und das AsylVfG jeweils in der Fassung des am 28. August 2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG)maßgebend.

1. Die Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in der Person des Klägers bezüglich Irak ist durch § 73 Abs. 1 AsylVfG gedeckt.

Zunächst ist klarzustellen, dass infolge der Rechtsänderung zum 1. Januar 2005 durch das sog. Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) und dem Fehlen entsprechender Übergangsregelungen, die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG als Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG weiter wirkt (§ 101 AufenthG analog). Folglich ist ein Widerruf der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nur dann rechtmäßig, wenn auch der Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG rechtmäßig ist (std. Rspr. der 27. bzw. 4. Kammer des VG München seit VG München v. 15.2.2005, Az.: M 27 K 04.50914, Kammerentscheidung).

Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Die Widerrufspflicht gilt auch für eine nach früherem Recht getroffene Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG (vgl. BVerwG v. 1.11.2005 BVerwGE 124, 276). Wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ergibt, besitzt das Bundesamt bei dieser Entscheidung keinen Ermessenspielraum; es handelt sich um eine gebundene Entscheidung (vgl. hierzu z.B. BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30232), es sei denn, die Voraussetzungen des ab 1. Januar 2005 neu eingefügten § 73 Abs. 2a AsylVfG liegen vor. Die Regelung bestimmt, dass die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen hat (Satz 1). Das Ergebnis ist der Ausländerbehörde mitzuteilen (Satz 2). Ist nach Prüfung ein Widerruf nicht erfolgt, steht eine spätere Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG im Ermessen (Satz 3). Ist die Entscheidung über den Asylantrag allerdings vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, dann hat gemäß § 73 Abs. 7 AsylVfG die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen.

Ein Widerruf ist zu verfügen, wenn die Gefahr politischer Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland nicht mehr besteht. Die asylrelevante Verfolgungsgefahr muss objektiv entfallen sein, d.h. die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse müssen sich nachträglich erheblich geändert haben. Die Ursachen dafür können dabei in der Person des Ausländers oder in den Verhältnissen im ehemaligen Verfolgerstaat (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) liegen. Wie beim Erlass des Bescheids ist dabei eine auf absehbare Zeit ausgerichtete Gefahrenprognose anzustellen und zwar ungeachtet der Beurteilung nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG (Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, zu § 73 AsylVfG Rdnr. 4), der nach der ab 28. August 2007 geltenden Rechtslage aber ohnehin nur in den Fällen des § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG zur Anwendung kommt (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/5065 S. 219). Eine objektive Veränderung im Verfolgerstaat, die die Verfolgungsgefahr beseitigen kann, liegt insbesondere bei einem Regierungswechsel vor. Allerdings rechtfertigt eine äußerliche Veränderung objektiver Umstände allein noch keine Korrektur der auf absehbare Zeit auszurichtenden Gefahrenprognose für den Einzelfall. Der Sache nach muss es sich vielmehr um den Wegfall der asylrelevanten Umstände handeln, auf die auch in Art. 1 C Nr. 5, Nr. 6 GFK abgehoben ist (Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, zu § 73 AsylVfG Rdnr. 7), und auf welche auch in § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG maßgeblich abgestellt wird. Im Zeitpunkt des Widerrufs darf die Gefahr politischer Verfolgung also nicht mehr bestehen. Dies ist (nur) dann der Fall, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich entscheidungserheblich geändert haben. Eine lediglich andere Beurteilung der Verfolgungslage, etwa bei bloßer Änderung der Erkenntnislage oder deren abweichender Würdigung, selbst wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neu erstellten Erkenntnismitteln beruht (vgl. BVerwG v. 25.8.2004, DöV 2005, 77), sowie eine Änderung oder eine Neubildung der Rechtsprechung zur Verfolgungslage im betreffenden Herkunftsstaat reicht daher nicht aus (BVerwG v. 19.9.2000, DVBl 2001, 216 = InfAuslR 2001, 53). Auf die Frage, ob der Asylbewerber zu Recht anerkannt worden ist, kommt es dagegen nicht an; § 73 Abs. 1 AsylVfG ist auch dann anwendbar, wenn die Asylanerkennung oder die Gewährung von Abschiebeschutz von Anfang an rechtswidrig war (BVerwG v. 27.7.1997, BayVBl 1998, 28 = NVwZ-RR 1997, 741).

Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG ist ein Widerruf insbesondere dann zu verfügen, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die Norm übernimmt damit (ausdrücklich) die sog. “Beendigungs-“ oder “Wegfall-der-Umstände-Klausel” des Art. 1 C Nr. 5 GFK. “Wegfall der Umstände“ auf Grund derer die Anerkennung erfolgte, meint dabei eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse. Unter “Schutz“ ist insofern ausschließlich der Schutz vor erneuter Verfolgung zu verstehen (grundlegend BVerwG v. 1.11.2005, BVerwGE 124, 276). Schutz ist dabei bezogen auf die Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung, d.h. mit “Schutz“ kann nur der Schutz vor Verfolgung gemeint sein (BVerwG v. 1.11.2005, BVerwGE 124, 276 m.w.N). Diese “Beendigungsklausel“ beruht auf der Überlegung, dass in Anbetracht von Veränderungen in dem Verfolgerland ein internationaler (Flüchtlings-)Schutz nicht mehr gerechtfertigt ist, da die Gründe, die dazu führten, dass eine Person zum Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen (vgl. Handbuch UNHCR Nr. 115) und damit die Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und für den internationalen Schutz nachträglich weggefallen sind. Nach allem kann ein Ausländer nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nicht mehr ablehnen, den Schutz des Staates seiner Staatsangehörigkeit (wieder) in Anspruch zu nehmen. Dazu muss allerdings feststehen, dass ihm bei einer Rückkehr nunmehr auch nicht aus anderen Gründen Verfolgung droht (BVerwG v. 1.11.2005, BVerwGE 124, 276). Allgemeine Gefahren (z.B. auf Grund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage) werden dagegen von dem Schutz des § 73 Abs. 1 Satz 2 nach Wortlaut und Zweck dieser Bestimmung nicht erfasst. Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung mithin nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht zu prüfen. Schutz kann insoweit nach den allgemeinen Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts gewährt werden (vgl. namentlich § 60 Abs. 7 Satz 3 und § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Im Übrigen führt der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nicht ohne weiteres zum Verlust des Aufenthaltstitels. Dieser kann vielmehr nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG von der Ausländerbehörde nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung widerrufen werden (BVerwG v. 1.11.2005, BVerwGE 124, 276; BVerwG v. 20.2.2003, BVerwGE 117, 380 zu der Vorgängerbestimmung des § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG; BayVGH v. 13.10.2005, Az.: 23 B 05.30559; BayVGH v. 12.10.2005, Az.: 23 B 05.30596; BayVGH v. 22.10.2004, Az. 15 ZB 04.30656; BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30232; BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30185 u.a.; BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30567; BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30151; VG Dresden v. 27.5.2005, AuAS 2005, 207; a.A.: VG Köln v. 10.6.2005, AuAS 2005, 167; VG Karlsruhe v. 10.3.2005, NVwZ 2005, 725).

Bei der Prüfung, ob die Anerkennungs- bzw. Feststellungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen, sind dieselben Grundsätze über die Verfolgungswahrscheinlichkeit anzuwenden wie bei der Erstentscheidung (Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, zu § 73 AsylVfG Rdnr. 8; offen gelassen in BVerwG v. 1.11.2005, BVerwGE 124, 276). Zu berücksichtigen ist auch hier eine bereits erlittene Vorverfolgung mit der Folge, dass der Widerruf die hinreichende Sicherheit vor einer Wiederholung der Verfolgung erfordert (vgl. BVerfG v. 2.7.1980, BVerfGE 54, 341; BVerwG v. 24.11.1998, NVwZ 1999, 302 = BayVBl 1999, 376). War der Ausländer von konkreten Verfolgungsmaßnahmen bedroht, ist folglich der Wegfall der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nach dem herabgeminderten Prognosemaßstab zu beurteilen (vgl. BVerwG v. 24.11.1992, EZAR 214 Nr. 3). Bei unverfolgter Ausreise darf demgegenüber (nur) keine mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmende Verfolgung drohen (BayVGH v. 18.1.2000, InfAuslR 2000, 464; siehe auch BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30232; vgl. ferner Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, zu § 73 AsylVfG Rdnr. 8).

Die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerwG v. 1.11.2005, BVerwGE 124, 276; BVerwG v. 24.11.1992, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG 1992 Nr. 1; BVerwG v. 25.6.1991, Buchholz 402.25 § 7a AsylVfG Nr. 1 zu Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG a.F.). Das Asylgrundrecht verleiht seinem Träger, anders als die Menschenrechte, die dem Individuum Zeit seines Lebens zustehen, keinen unveränderbaren Status. Vielmehr ist sein Bestand von der Fortdauer der das Asylrecht begründenden Umstände abhängig. Politisch Verfolgte genießen demnach nur so lange Asyl, als sie politisch verfolgt sind (BVerfG v. 2.7.1980, BVerfGE 54, 341 ).

Von einem Widerruf ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG).

Unter Anwendung vorstehender Grundsätze ergibt sich für denvorliegenden Fall, dass der Widerruf der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG von § 73 Abs. 1 AsylVfG gedeckt und damit rechtmäßig ist. Aufgrund der geänderten politischen Verhältnisse im Irak droht dem Kläger derzeit und in absehbarer Zukunft keine von einem Akteur i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehende und auf die Merkmale des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bezogene Verfolgung im Irak. Der Kläger kann deshalb keinen Abschiebungsschutz wegen drohender Verfolgung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG (mehr) beanspruchen.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (siehe hierzu auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt wurden (§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Schutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG wird gewährt, wenn dem Betroffenen bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen der in Satz 1 dieser Bestimmung genannten Merkmale Rechtsverletzungen durch einen Akteur i.S.v. Satz 4 der Norm in seinem Herkunftsstaat drohen, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgrenzen, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in sein Herkunftsland zurückzukehren (BVerfG v. 10.7.1989, NVwZ 1990, 151 f; BVerwG v. 29.11.1987, BVerwGE 55, 82 [83]; BVerwG v. 24.3.1998, Az.: 9 B 995/97 m.w.N., jeweils zu § 51 Abs. 1 AuslG). Insoweit kommen besonders gravierende Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit und Beeinträchtigungen der Freiheit der Person in Betracht. Die Verletzung der Rechte auf freie Religionsausübung und auf ungehinderte berufliche und wirtschaftliche Betätigung löst den Schutz des § 60 Abs. 1 AufenthG nur dann aus, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere unter Missachtung des Existenzminimums zugleich die Menschenwürde verletzt und über das hinausgeht, was die Bewohner des Herkunftsstaates allgemein hinzunehmen haben (BVerfG v. 20.5.1992, NVwZ 1992, 1081; BVerwG v. 18.2.1986, BVerwGE 74, 41 [47], jeweils zu § 51 Abs. 1 AuslG). Ob eine erhebliche politische Verfolgung vorliegt, ob also die Verfolgung wegen eines Merkmals i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der beeinträchtigenden Maßnahmen selbst zu beurteilen (BVerfG v. 10.7.1989, BVerfGE 80, 315 [334 f.]).

Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann - anders als im Rahmen von Art. 16a Abs. 1 GG, nach welchem grundsätzlich nur Schutz vor staatlicher Verfolgung gewährt wird - gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehen von

a) dem Staat,

b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder

c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht,

es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, sind Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Qualifikationsrichtlinie, ABl. EU 2004 Nr. L 304 S. 12) ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).

Werden diese Grundsätze angewendet, so ergibt sichvorliegend, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak mit hinreichender Wahrscheinlichkeit i.S.d. herabgesetzten Prognosemaßstabes keine Verfolgung i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1, Satz 4, Satz 5 AufenthG droht; daher kann offen bleiben, ob der Kläger vorverfolgt ausgereist ist.

a) Wegen seines Asylantrags und seiner illegalen Ausreise drohen dem Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keine politischen Verfolgungsmaßnahmen. Derartige früher gefahrbegründende Verstöße haben ihre Bedeutung verloren, weil ihr ehemals gefährdender Charakter entscheidend auf dem Unrechtsregime Saddam Husseins beruhte. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung der 4. Kammer sowie der Obergerichte (BVerwG v. 11.2.2004, Az.: 1 C 23.02; BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30232; BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30567; BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30189; BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30151 BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30152; BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30230; BayVGH v. 30.5.2005, Az.: 23 B 05.30231; VGH Mannheim v. 16.9.2004, Az.: A 2 S 471/02; VGH Mannheim v. 26.4.2004, AuAS 2004, 176; BayVGH v. 19.4.2004, Az.: 15 B 01 ...30384; OVG Greifswald v. 2.4.2004, Az.: 2 L 269/02; OVG Lüneburg v. 30.3.2004, Az.: 9 LB 5/03). Ergänzend wird hinsichtlich der Entwicklungen im Irak seit der am 20. März 2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Folglich kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger auch durch eine künftige Staatsgewalt keine politischen Verfolgungsmaßnahmen befürchten muss. Es ist dem Kläger daher zumutbar, eine eventuelle zu einem nicht absehbaren Zeitpunkt mögliche Veränderung der Verhältnisse zu seinem Nachteil in seinem Heimatland abzuwarten (vgl. etwa VG München v. 15.2.2005, Az.: M 27 K 04.50914, Kammerentscheidung).

b) Aus der allgemein schlechten Sicherheitslage lässt sich auch keine Verfolgung i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG herleiten. Im Irak sind terroristische Anschläge an der Tagesordnung. Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen ist die allgemeine Sicherheitslage nach Beendigung der Hauptkampfhandlungen im Mai 2003 hochgradig instabil geworden, was auch Anfang Juli 2004 zum Erlass eines Notstandsgesetzes führte. Ziel der Anschläge einer irakischen Guerilla sind nicht nur die irakischen Regierungsorgane und die Koalitionstruppen, sondern auch alle Einrichtungen und Personen, die mit der irakischen Regierung und den von den USA geführten Koalitionstruppen zusammen arbeiten oder in den Verdacht einer solchen Zusammenarbeit geraten. Dabei werden nicht nur Mitglieder der Regierung, Provinzgouverneure, UN-Mitarbeiter und Angehörige ausländischer nichtstaatlicher Organisationen und Firmen ins Visier genommen, sondern auch Angehörige der irakischen Streitkräfte und der irakischen Polizei (Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 24.11.2005 und vom 2.11.2004). Selbst Bewerber um Arbeit bei der Verwaltung und in den Sicherheitsdiensten werden nicht verschont. Ziel dieser in ihrer Intensität zunehmenden Anschläge ist es, Furcht und Schrecken zu verbreiten, Gewalttätigkeiten verschiedener irakischer Bevölkerungsgruppen gegeneinander zu provozieren und das Land insgesamt zu destabilisieren (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 2.11.2004). Wie den genannten Informationsquellen weiter entnommen werden kann, ist gleichzeitig auch die allgemeine Kriminalität stark angestiegen und mancherorts außer Kontrolle geraten. Überfälle und Entführungen - alle Minderheiten werden dabei überdurchschnittlich Opfer von Entführungen - sind an der Tagesordnung. Dass sich aber solche Vorkommnisse gegen den Kläger wegen im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erheblicher Merkmale richten könnten, steht nicht zu erwarten, weil Anhaltspunkte für wiederholte und gezielte Anschläge gegen Personen wegen der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Merkmale gerade nicht bestehen (vgl. die ins Verfahren eingeführten Lageberichte des Auswärtigen Amtes).

c) Des weiteren vermag auch die (vermeintliche) Gefahr, infolge der Flucht nach Europa, respektive in die Bundesrepublik Deutschland, Opfer einer Entführung bzw. einer Erpressung zu werden, weil von Rückkehrern aus Europa vermutet wird, dass diese über Geld verfügen, den Tatbestand des § 60 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht zu begründen. Das folgt daraus, dass nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln Geiselnahmen im Irak im Grunde genommen jeden treffen können und nicht nur die Rückkehrer aus Europa. Die Übergriffe finden wahllos statt und knüpfen dabei gerade nicht an die in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Merkmale der Rasse, der Religion, der Staatsangehörigkeit oder der politischen Überzeugung an. Auch stellen die Rückkehrer keine bestimmte soziale Gruppe i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dar, weil sie aus allen bisher im Irak vertretenen Volksgruppen und allen religiösen Richtungen stammen und beiderlei Geschlechts sind, so dass es bereits an einem gemeinsamen sie von anderen sozialen Gruppen im Irak unterscheidenden Merkmal fehlt (vgl. etwa BVerwG v. 15.3.1988, BVerwGE 79, 143: …, weil er aufgrund unabänderlicher persönlicher Merkmale anders ist als er nach Ansicht des Verfolgers zu sein hat….”). Fehlt es aber bereits an einer Verfolgung wegen eines Merkmals i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, so muss auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, insbesondere dessen Buchst. c), nicht mehr eingegangen werden (vgl. Wortlaut des § 60 Abs. 1 Satz 4 HS. 1 AufenthG: „Eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 kann ausgehen von …“).

d) Dem Widerruf steht Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht entgegen, denn § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entspricht durch die Konkretisierung in § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG seinem Inhalt nach der “Beendigungs-“ oder “Wegfall-der-Umstände-Klausel“ in Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK (siehe oben).

e) Schließlich bedarf dieses Ergebnis auch im Hinblick auf die sog. Qualifikationsrichtlinie (Nr. 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004, Abl.EG 2004, L 304/ 12 ff.) keiner Korrektur, denn diese ist durch das am 28. August 2007 in Kraft getretenen Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) vollständig umgesetzt worden.

f) Auch aus dem Urteil des BayVGH vom 14. November 2007 (Az.: 23 B 07.30496 u.a.) ergibt sich nichts anderes. Unabhängig davon, dass dieses Urteil noch nicht rechtskräftig ist, ist es vorliegend schon deshalb nicht einschlägig, weil der BayVGH in der besagten Entscheidung von einer Gruppenverfolgung der Sunniten aus dem Zentralirak ausgeht, der Kläger aber aus dem Nordirak (Sulaimaniya) kommt. Insoweit hat der BayVGH sogar ausdrücklich eine Gruppenverfolgung ausgeschlossen (vgl. BayVGH v. 14.11.2007, Az.: 23 B 07.30495).

g) Da sich der Kläger auch nicht auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Irak abzulehnen, und die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2a AsylVfG nicht vorliegen, musste das Bundesamt - wie im verfahrensgegenständlichen Bescheid geschehen - die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bzw. jetzt des § 60 Abs. 1 AufenthG widerrufen. Hieran ändert auch die Weisung des Bundesministeriums des Innern vom 15. Mai 2007 nichts, denn diese hat lediglich interne Bedeutung und begründet insbesondere keine Rechte zugunsten des darin genannten Personenkreises. Das gilt umso mehr, als die Entscheidung über den Widerruf vorliegend eine gebundene Entscheidung ist und damit die Weisung auch über Art. 3 Abs. 1 GG keinen Eingang in den verfahrensgegenständlichen Bescheid finden kann.

2. Da das Bundesamt keine Entscheidung zu Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG getroffen hat, ist hierüber vorliegend auch nicht zu befinden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.