OLG München, Urteil vom 07.02.2008 - 1 U 4410/06
Fundstelle
openJur 2012, 90251
  • Rkr:
Tenor

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 26.7.2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Kläger nehmen den Beklagten auf Ersatz des Unterhaltsaufwandes für ihre mit einem fehlenden rechten Unterarm geborene Tochter E. in Anspruch, weil der Beklagte bei Ultraschallaufnahmen diese Behinderung nicht erkannt hat.

Im Jahr 2004 erwartete die Klägerin das zweite gemeinsame Kind der Kläger. Ihr Hausarzt stellte im Frühstadium der Schwangerschaft fest, dass sich von der ursprünglich bestehenden Zwillingsschwangerschaft ein Fötus vollständig zurückgebildet hatte. Er überwies die Klägerin an den Beklagten, welcher als Spezialist auf dem Gebiet der Ultraschalldiagnostik (DEGUM-Stufe 2) präzise Befunde zum Zustand des verbliebenen Fötus erheben sollte. Der Beklagte untersuchte die Klägerin am 24.6.2004 in der 12+6, am 12.8.2004 in der 19+6 und am 22.10. 2004 in der 30. Schwangerschaftswoche per Ultraschall.

Der Beklagte stellte in den Arztbriefen an den Hausarzt folgendes fest:

24.6.2004:„Hände darstellbar. Kein Anhalt für fetale Auffälligkeit.“

12.8.2004:„Die folgenden Strukturen konnten dargestellt werden und zeigten einen sonographisch unauffälligen Befund: … Extremitäten.“

22.10.2004:„Die folgenden Strukturen konnten dargestellt werden und zeigten einen sonographisch unauffälligen Befund: … Extremitäten.“

Sämtliche Befundberichte enthalten die Bemerkung, dass die Klägerin darüber aufgeklärt sei, dass der komplette Ausschluss fetaler Entwicklungsstörungen und/oder Chromosomenanomalien durch eine sonographische Diagnostik nicht immer möglich ist.

Die Tochter E. der Kläger kam am 2.1.2005 mit einem fehlenden rechten Unterarm zur Welt. Nach dem Attest des Chefarztes des Behandlungszentrums für angeborene und erworbene Erkrankungen des Bewegungsapparates vom 21.3.2005 findet sich am rechten Arm ein bewegliches Ellenbogengelenk,Fingerbürzelchensind angelegt. Die Diagnose lautete: transversale Fehlbildung rechter Arm mit Unterarm-Ultrakurzstumpf.

Die Klägerin stellte sich am 25.2.2005 auf Veranlassung ihres Anwalts zu einer nervenfachärztlichen Untersuchung bei einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie vor. Dieser stellte in seinem nervenfachärztlichen Attest dar, es sei unklar geblieben, ob die Klägerin nach dem 4. Schwangerschaftsmonat noch eine Abtreibung erzwungen hätte. Als Diagnose ist vermerkt: anhaltende Belastungsreaktion mit Depression und Angst ICD-10 F 43.22. Der Angstkomponente unterlägen gemischte, zum Teil wahrscheinlich auch vorbestehende Angstsyndrome ICD-10 F 41.3. Die depressive Komponente erreiche die Kriterien einer mittelschweren Depression ICD-10 F 32.1.

Die Kläger haben vorgetragen, dass der Beklagte bei einer ordnungsgemäßen und sorgfältigen Untersuchung bereits bei der ersten Ultraschalluntersuchung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte feststellen können und müssen, dass der rechte Unterarm des Fötus nicht angelegt war und komplett fehlte.  Die Klägerin hätte sich zur Unterbrechung der Schwangerschaft entschlossen, wenn ihr der Beklagte mitgeteilt hätte, dass bei dem Embryo der rechte Unterarm fehle. Die Kläger hätten schon ein gesundes Kind und könnten aufgrund ihres jugendlichen Alters ohne Probleme noch weitere Kinder bekommen. Sie seien weder wirtschaftlich noch psychisch zur Erziehung eines behinderten Kindes in der Lage. Es komme hinzu, dass die ältere Tochter L. sich zurückgesetzt fühle und es zwischen den Eheleuten zu Auseinandersetzungen wegen der Situation komme, die die Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Frage stellten. Bei der Frage, ob ein Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 2 StGB vorgenommen werden dürfe, sei neben dem Schweregrad der Behinderung des Föten auch und mit gleicher Gewichtung auf die daraus resultierenden künftigen gesundheitlichen Störungen der Kindsmutter abzustellen; dazu zählten auch soziale, familiäre und wirtschaftliche Belastungen. Die Klägerin sei nach der Geburt in schwere und lang andauernde Depressionen verfallen und habe sich in psychiatrische Behandlung begeben müssen, weil sie das Kind vollständig abgelehnt habe. Die psychischen und psychosomatischen Krankheitssymptome erfüllten den Gesetzestatbestand einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes. Diese Entwicklung hätte vorausgesehen werden können.

Die Kläger haben im ersten Rechtszug beantragt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger für das Kind E., geb. am 2.1.2005, ab dem 1.12.2005 einen monatlichen, im Voraus fälligen Unterhalt zu bezahlen, und zwar

- ab 1.12.2005 135% des jeweiligen Regelbetrages der Altersstufe 1 abzüglich anrechenbares Kindergeld für ein zweites Kind, damit derzeit  €199,00 (€ 276,00 - € 77,00);

- ab dem 1.1.2011 135% des jeweiligen Regelbetrages der Alterstufe 2 abzüglich anrechenbares Kindergeld für ein zweites Kind, damit derzeit €257,00 (€ 334,00 - € 77,00);

- ab dem 1.12. 2017 135% des jeweiligen Regelbetrages der Altersstufe 3 abzüglich anrechenbares Kindergeld für ein zweites Kind.

2. Der Beklagte wird verurteilt, für den Zeitraum ab dem 2.1.2005 bis einschließlich 30.11.2005 an die Kläger als Gesamtgläubiger für das Kind E. einen Unterhaltsregelbetrag von 135% der RegelbetragsVO in Höhe von € 2.189,00 (€ 199,00 x 11 Monate) zzgl. Zinsen in Höhe von 5% p.a. über dem Basiszinssatz hieraus gem. § 1 DÜG seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte den Klägern als Gesamtgläubiger für den gesamten über den Unterhaltsaufwand gem. Ziff. 1) und 2) hinausgehenden Mehraufwand für die Tochter E. zu ersetzen hat.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten,  eine Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB zum Schwangerschaftsabbruch liege unzweifelhaft nicht vor. Eine solche sei nur dann gegeben, wenn das Austragen des Kindes für die Klägerin unzumutbar gewesen wäre. Dies setze unter Berücksichtigung der früheren Gesetzeslage eine schwerwiegende Schädigung des Kindes voraus, an der es hier fehle, da die Tochter E. bis auf eine Fehlbildung am rechten Unterarm körperlich und geistig gesund sei.  Zudem seien die schwerwiegenden Belastungen der Klägerin nicht belegt, da nach dem vorliegenden nervenfachärztlichen Attest die Klägerin nach der Geburt an psychotherapeutische oder psychopharmakologische Hilfe nicht gedacht habe und es unklar geblieben sei, ob sie einen Schwangerschaftsabbruch nach dem 4. Schwangerschaftsmonat noch erzwungen hätte.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 26.7.2006, dem Klägervertreter zugestellt am 7.8.2006, ohne Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 28.8.2006 eingegangene Berufung der Kläger, welche die Kläger mit Schriftsatz vom 9.11.2006, eingegangen am gleichen Tage, begründet haben.

Die Kläger tragen vor,

die jetzige schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigung hätte im Wege einer Prognoseentscheidung festgestellt werden können, wenn der Klägerin nach der ersten Ultraschalluntersuchung mitgeteilt worden wäre, dass die Tochter E. eine derart schwerwiegende Fehlbildung habe. Die Klägerin habe wegen der angespannten wirtschaftlichen Verhältnisse nicht von sich aus nach der Geburt einen Psychiater aufgesucht.  Das Landgericht hätte ein Sachverständigengutachten zur Klärung der Frage einholen müssen, ob die gesundheitliche Beeinträchtigung der Klägerin, wie sie sich nun zeige, im Wege einer ex-ante-Betrachtung dazu geführt hätte, dass ein Schwangerschaftsabbruch medizinisch indiziert gewesen sei.

Die Kläger beantragen:

Das Urteil des Landgerichts München I vom 26.7.2006, Az. 9 O 24341/05, wird aufgehoben. Der Klage wird antragsgemäß stattgegeben.

Der Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Berufung unter Wiederholung seines Sachvortrages erster Instanz.

Der Senat hat im Termin vom 15.2.2007 die Parteien persönlich angehört und ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T. eingeholt. 

Im übrigen wird bezüglich des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz auf die Schriftsätze der Kläger vom 9.11.2006, 13.12.2007 sowie 7.1.2008 und auf die Schriftsätze des Beklagten vom  1.9.2006, 24.1.2007 sowie  9.3.2007 verwiesen.

Die zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet.

I.

30Dem Beklagten fällt kein vorwerfbarer Behandlungsfehler zur Last. Ein Anspruch auf Schadensersatz gegen den Beklagten aus einer Pflichtverletzung im Rahmen des Behandlungsvertrages, §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 611 BGB, setzt voraus, dass der Beklagte die von ihm geschuldete ärztliche Behandlung in einer dem fachärztlichen Standard zuwiderlaufenden Weise, also fehlerhaft, erbracht hat. Nur dann, wenn das Unterbleiben eines nach den Grundsätzen der medizinischen Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruches auf einen schuldhaften ärztlichen Behandlungsfehler zurückzuführen ist (vgl. hierzu BGH vom 31.1.2006 – VI ZR 135/04), könnte sich ein Anspruch der Kläger auf Ersatz des Unterhaltsaufwandes für ihre Tochter E. ergeben.

311. Grundsätzlich ist zwar das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung und der sie kennzeichnenden Symptome als Behandlungsfehler zu werten. Doch sind Irrtümer bei der Diagnosestellung oft nicht die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vielfachen technischen Hilfsmittel, die zur Gewinnung von zutreffenden Untersuchungsergebnissen einzusetzen sind. Diagnoseirrtümer, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, können deshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden. Die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler setzt deshalb die vorwerfbare Fehlinterpretation erhobener Befunde oder die Unterlassung notwendiger Befunderhebungen für die Diagnosestellung oder ihre Überprüfung voraus (BGH vom 8.7.2003 – VI ZR 304/02 m.w.N.). Überwiegend wird in der Rechtsprechung formuliert, dass ein Diagnoseirrtum dann dem Arzt als einfacher Behandlungsfehler vorzuwerfen ist, wenn sich die Diagnose des Arztes als nicht mehr vertretbare Fehlleistung darstellt und als grober Behandlungsfehler, wenn es sich um eine völlig unvertretbare Fehlleistung handelt. Die objektive Fehlerhaftigkeit einer Diagnose ist nicht vorwerfbar, wenn es sich um eine in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der Befunde handelt (vgl. hierzu im einzelnen Martis/Winkhart Arzthaftungsrecht 2. Aufl. S. 409 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

322. Der Sachverständige Prof. Dr. T. hat überzeugend dargetan, dass es auch bei sorgfältiger Darstellung des Embryos oder Feten im Mutterleib möglich sei, bei sich ändernder Lage des Kindes oder aber Nichterreichbarkeit durch eine unveränderte Lage zweimal denselben Unterarm zu sehen. Er hat ausdrücklich festgestellt, dass die Ultraschalluntersuchungen vom Beklagten sehr sorgfältig nach den Richtlinien der DEGUM für die Stufe 2 durchgeführt und dokumentiert worden sind. Zwar habe der Beklagte bei allen drei Untersuchungen das Fehlen des rechten Unterarmes bzw. die ultrakurze Ausprägung des rechten Unterarmes mit stummelartigen Fingern übersehen, doch habe sich der Beklagte in einem entsprechenden Diagnoseirrtum befunden.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen zeigt Bild 17 der Standbilder der ersten Untersuchung einen Anschnitt des rechten und des linken Armes, wobei der rechte Arm den Humerus zeigt, aber keine Darstellung des Unterarmes. Bei der zweiten Untersuchung vom 12.8.2004 ist auf Bild 5 der Standbilder ein Unterarm dargestellt mit Radius und Ulna, die vermessen worden sind. Aus dem stehenden  Bild sei eine Zuordnung nach rechts oder links nicht möglich. Bei der dritten Untersuchung vom 22.10.2004 liegt eine CD-Rom vor mit einer Videodarstellung der Untersuchung. Die linke Hand und der linke Unterarm werden mehrfach dargestellt und Humerus sowie Tibia vermessen; nicht dargestellt wird der hinter dem Körper des Feten liegende rechte Unterarm. Der Sachverständige hat weiter erläutert, dass auf allen von ihm eingesehenen Ultraschallaufnahmen nicht erkennbar sei, dass bei dem Kind der rechte Unterarm fehlt. Dies gelte auch für die Videosequenz vom 22.10.2004. Hier könne man sagen, dass der Beklagte wegen der Lage des rechten Armes hinter dem Körper des Feten das Fehlen des rechten Unterarmes nicht sehen konnte. Eine solche Aussage lasse sich zwar für die Standbilder wegen des Auswahlcharakters nicht treffen, doch sei jedenfalls bei den vorliegenden Standbildern das Fehlen nicht sichtbar. 

Der Beklagte habe sich in einem Irrtum befunden, als er der Meinung war, er habe beide Unterarme gesehen. Es entspreche aber den Leitlinien der DEGUM der Stufe 2, dass die Unterarmknochen nur einmal ausgemessen werden, wenn Darstellung und Vermessung einer oberen Extremität unauffällig seien und sich keine Anzeichen für Disproportionen ergäben. Der Beklagte habe deshalb die Untersuchung auch nicht solange fortsetzen müssen, bis er sicher zwei verschiedene Unterarme  abgemessen habe. Es sei aufgrund der Beweglichkeit der fetalen Extremitäten zudem nur ausnahmsweise möglich, beide Unterarme in einem Ultraschallbild darzustellen. Dies sei zwar in einer Videosequenz eher zu beurteilen, doch sei es sonographisch nicht möglich, anhand der Biometrie zu differenzieren, ob man beide Unterarme gemessen habe, weil sich die Maße der Unterarmknochen nur um Bruchteile in der Länge unterschieden. Mögliche Ursachen für das Übersehen des fehlenden rechten Unterarms sei die irrtümliche Darstellung des linken Unterarms und der linken Hand in zweimaligen Einstellungen in der Annahme, dass es sich bei der zweiten Einstellung um den rechten Unterarm und die rechte Hand handele sowie eine ungünstige Lage des rechten Unterarms hinter dem Körper des ungeborenen Kindes. Dieser Irrtum sei nicht als grober Behandlungsfehler anzusehen. 

3. Der Sachverständige hat seine Ausführungen nach sorgfältiger Auswertung aller Befunde nachvollziehbar, widerspruchsfrei und in jeder Hinsicht überzeugend begründet; er verfügt als Leiter der Sektion pränatale Diagnostik und gynäkologische Sonographie einer Universitätsklinik über eine ausgewiesene Fachkunde. Zwar hat der Sachverständige nicht ausdrücklich dazu Stellung genommen, ob dem Beklagten ein einfacher Behandlungsfehler wegen des Diagnoseirrtums vorzuwerfen ist, der Beklagte also eine nicht mehr vertretbare Diagnose gestellt hat. Es ergibt sich aber aus den Ausführungen des Sachverständigen, dass auch bei einer sorgfältigen Ultraschalluntersuchung die  zweimalige Darstellung desselben Armes möglich sei, es schwierig sei, beide Unterarme wegen der Beweglichkeit auf einem Ultraschallbild darzustellen, eine biometrische Differenzierung nicht möglich sei, ein Verstoß gegen die Leitlinien der DEGUM der Stufe 2 wegen des nur einmaligen Ausmessens der Unterarmknochen nicht vorliege und der Beklagte nach den Leitlinien die Untersuchung auch nicht solange habe fortsetzen müssen, bis er sicher zwei verschiedene Unterarme  abgemessen habe, dass eine nicht mehr vertretbare Fehlleistung seitens des Beklagten nicht angenommen werden darf. Damit scheidet auch ein einfacher Behandlungsfehler aus.

4. Hiergegen spricht nicht, dass die Klägerin zu einem Spezialisten geschickt worden ist, der aufgrund seiner überlegenen technischen Untersuchungsmöglichkeiten sowie seiner speziellen Fachkunde gerade zutreffende Befunde erheben sollte. Der Spezialist hat den auf seinem Gebiet geltenden Facharztstandard als „Spezialistenstandard“ zu gewährleisten. Das bedeutet zwar einerseits, dass an seine Befundung strengere Maßstäbe anzulegen sind als an die eines Allgemeinmediziners, es bedeutet aber nicht, dass er für unzutreffende Diagnosen auch dann haftet, wenn ihm als Spezialisten keine vorwerfbare Fehlleistung zur Last liegt. Vielmehr werden an ihn diejenigen  Anforderungen gestellt, welche an die Ärzte dieses Spezialgebietes zu stellen sind.

II.

Selbst wenn ein vorwerfbarer Behandlungsfehler vorliegen würde, könnten die Kläger die Kausalität zwischen dem Diagnoseirrtum und dem unterbliebenen Schwangerschaftsabbruch nicht nachweisen. Die Beweislast liegt bei ihnen, weil  nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ein grober Behandlungsfehler, der zur Umkehr der Beweislast führen würde, keinesfalls in Frage kommt. Die Klägerin hat sich bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat differenziert dazu geäußert, wie sie reagiert hätte, wenn ihr nach den drei Untersuchungen eröffnet worden wäre, dass dem Kind der rechte Unterarm fehle.

1. Einen Schwangerschaftsabbruch nach der letzten Untersuchung am 22.10.2004 hat die Klägerin ausgeschlossen, weil dann das Kind „schon komplett“ sei. Diese – anerkennenswerte – Äußerung der Klägerin zeigt, dass sie trotz Diagnose der vorliegenden Behinderung keinen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen, sondern ihr Kind, wie geschehen, ausgetragen hätte. Die unterbliebene Diagnose der Behinderung kann folglich nicht ursächlich für die Unterlassung eines Abbruchs gewesen sein.

2. Für den Zeitpunkt der zweiten Untersuchung am 12.8.2004 hat die Klägerin angegeben, sie hätte dann nicht gewusst, was sie getan hätte. Die Unklarheit über die Entscheidung geht zu Lasten der Kläger. Gegen eine Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch in dieser Situation spricht die Tatsache, dass die Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem Senat einen möglichen Abbruch von der fortschreitenden Entwicklung des Kindes abhängig gemacht hätte und auch nach 20 Wochen das Kind „schon komplett“ ausgebildet ist. In diese Richtung weist auch das Attest des von ihr nach der Geburt aufgesuchten Nervenarztes, in welchem vermerkt ist, es sei unklar, ob die Klägerin nach dem 4. Schwangerschaftsmonat eine Abtreibung noch erzwungen hätte.

403. Nur für die erste Untersuchung am 24.6.2004 war die Klägerin sich sicher, dass sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätte, weil sie und der Kläger sich über die Abtreibung eines behinderten Kindes einig gewesen seien. Es ist aber zu bedenken, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht mehr innerhalb der Frist des § 218a Abs. 1 Nr. 3 StGB hätte erfolgen können. Für einen Abbruch hätten vielmehr zum Zeitpunkt der Untersuchung vom 24.6.2004 die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 StGB vorliegen müssen. Nach dieser Vorschrift ist der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. Eine Kausalität zwischen fehlerhafter Diagnose und unterlassenem Schwangerschaftsabbruch kann demnach nur dann bestehen, wenn bei zutreffender Diagnose ein Schwangerschaftsabbruch hätte erfolgen können. Ist auch bei zutreffender Diagnose eine Abtreibung auf rechtmäßige Weise nicht durchführbar, ist die fehlerhafte Diagnose ohne Auswirkung. Nachdem die Klägerin ihre Entscheidung zu einem möglichen Schwangerschaftsabbruch von dem Entwicklungszustand des Kindes und nicht von ihrer eigenen körperlichen oder seelischen Lage abhängig gemacht hat, hält der  Senat einen Kausalitätsnachweis wegen der fehlenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 218a Abs. 2 StGB für nicht möglich.

III.

Im übrigen ist der Senat unabhängig von den Kausalitätsüberlegungen der Auffassung, dass die Voraussetzungen des §218a Abs.2 StGB im konkreten Fall nicht vorgelegen haben.  Die medizinische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch ist aus der Sicht vor der Geburt des Kindes zu beurteilen (.BGH vom 31.1.2006 – VI ZR 135/04), wobei grundsätzlich für die ärztliche Prognose im Rahmen der Indikationsprüfung die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist (BGH NJW 2003, 3411).

Auch ohne Sachverständigengutachten schließt der Senat eine Gefahr für das Leben der Klägerin bei Eröffnung der Diagnose in Anbetracht der Tatsache aus, dass die Kläger schon ein Kind hatten und die Klägerin bei ihrer persönlichen Anhörung erklärt hat, sie müsse wegen der Kinder weiterleben. Sie hat damit ihr Verantwortungsbewusstsein auch für ihre ältere Tochter deutlich zum Ausdruck gebracht. Gegen die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Klägerin spricht, dass die Klägerin einen Schwangerschaftsabbruch bei der letzten Untersuchung abgelehnt hätte. Das bedeutet, dass sie ihren eigenen körperlichen und seelischen Zustand nicht als unerträglich beeinträchtigt angesehen hat, sondern sie zugunsten des Lebens ihres ungeborenen Kindes gewisse körperliche und seelische Nachteile in Kauf genommen hätte. Es kommt hinzu, dass die bisherigen Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung Fälle betrafen, in denen geistig oder körperlich schwer behinderte Kinder zur Welt gekommen sind (vgl. BGH vom 18.6.2002 – VI ZR 136/01; BGH vom 15.7.2003 – VI ZR 203/02; BGH vom 31.1.2006 – VI ZR 135/04; vgl. zum gesamten Problemstand auch Müller, Unterhalt für ein Kind als Schaden, NJW 2003, 697 ff. ). 

IV.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.