LAG Nürnberg, Urteil vom 21.02.2008 - 5 Sa 403/06
Fundstelle
openJur 2012, 90206
  • Rkr:
Tenor

1.Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg, Kammer Coburg vom 19.12.2005, Aktenzeichen: 4 Ca 1630/03 C, wird auf Kosten der Berufungsführerin als unzulässig verworfen.2.Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer mit Schreiben vom 27.10.2003 ausgesprochenen außerordentlichen fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 28.02.2004 ausgesprochenen Arbeitgeberkündigung.

Die Beklagte betreibt eine Gesellschaft für Computersysteme. Sie beschäftigt ca. 80 Mitarbeiter.

Der am 13.11.1967 geborene Kläger ist seit 01.11.1991 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 01.11.1991. Der Kläger ist Abteilungsleiter im Servicebereich. Sein Bruttomonatseinkommen beträgt € 2.865,99.

Die Beklagte stützt ihre Kündigung auf den Vorwurf, der Kläger habe mit einer Soft-Air-Pistole auf ihm untergebene Mitarbeiter geschossen, er habe einem Mitarbeiter eine Gaspistole an die Schläfe und ein Messer an die Kehle gehalten, er habe einem Mitarbeiter mit einer elektrischen Fliegenklatsche einen Stromschlag versetzt, er habe Mitarbeiter mit einer Lederpeitsche oder einem Streifen aus einer Ledertischablage geschlagen und habe Auszubildende während der Ausbildungszeit zum Drogenkonsum aufgefordert und habe Mitarbeiter dazu aufgerufen, die im Winter 2003 bevorstehende Inventur zu boykottieren. Am 13.10.2003 hätten sich etliche Mitarbeiter aus der Abteilung des Klägers an die Geschäftsleitung gewandt und von drastischen Ereignissen sowie von nicht hinnehmbaren Verhaltensweisen des Klägers berichtet.

Der Kläger bestreitet die verhaltensbedingten Kündigungsgründe. Die erhobenen Vorwürfe seien maßlos aufgebauscht. Man müsse die von den Mitarbeitern gepflogenen Umgangsweisen im Betrieb der Beklagten berücksichtigen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst worden ist, stattgegeben. Nach eigenem Vortrag der Beklagten sei der Kläger im Betrieb als Choleriker bekannt gewesen, sie habe mehrfach den cholerischen und vehementen Umgangsstil des Klägers mit seinen Kollegen und Auszubildenden moniert, ohne dem Kläger jemals eine Abmahnung erteilt zu haben. Obwohl der Kläger Leitungs-, Vorgesetzten- und Ausbildungsfunktionen gehabt habe, sei es für die Beklagte offensichtlich nur entscheidend gewesen, dass der technische Ablauf und die Leistung des Klägers in der Abteilung gestimmt hätten. Damit wäre eine Abmahnung das angemessene und ausreichende Mittel zur Sanktion des Fehlverhaltens des Klägers gewesen. Im Weiteren wäre auch eine Änderungskündigung unter Entzug von Leitungs- und Vorgesetztenfunktionen des Klägers vor dem Ausspruch einer Beendigungskündigung das angemessene Mittel gewesen. Die Beklagte habe jedoch bereits keine Abmahnung erteilt. Die streitgegenständliche Kündigung sei danach unverhältnismäßig. Auf den Inhalt des arbeitsgerichtlichen Urteils wird, auch hinsichtlich des erstinstanzlichen Parteivorbringens im Einzelnen, Bezug genommen.

Zur Begründung ihrer dagegen gerichteten Berufung lässt die Beklagte vortragen, es sei ihr nicht zuzumuten gewesen, einen Mitarbeiter zu beschäftigen, der jahrelang seine ihm untergebenen Mitarbeiter mittels Waffeneinsatz schädigt, verletzt und bedroht. Auch wenn der allgemeine Umgang innerhalb der Abteilung und des Unternehmens als äußert freundschaftlich und kollegial dargestellt werde, so rechtfertige dies nicht die Verhaltensweisen des Klägers, zumal der Kläger Abteilungsleiter gewesen sei und insoweit für sämtliche Mitarbeiter seiner Abteilung verantwortlich gewesen sei. Dem Kläger werde vorgehalten, er habe nachhaltig Straftaten gegenüber den ihm als Abteilungsleiter unterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begangen. Insbesondere diese nachhaltigen Straftaten, die der Kläger gegenüber seinen ihm anvertrauten Mitarbeitern begangen habe und die auch das erstinstanzliche Gericht als erwiesen angesehen habe, müssten zur Berechtigung der fristlosen Kündigung führen. Die Beklagte habe lediglich die unverzügliche Freisetzung des Klägers durch eine außerordentliche Kündigung als angemessenes und adäquates Mittel angesehen, um auf das mehrfache und nachhaltige Fehlverhalten des Klägers zu reagieren und dieses zu sanktionieren. Eine ordentliche Kündigung wäre, wie auch eine Änderungskündigung kein adäquates angemessenes Mittel gewesen, das nachhaltige Fehlverhalten des Klägers angemessen zu sanktionieren.

Die Beklagte beantragt:

1.Das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg, Kammer Coburg vom 19.12.05, Az. 4 Ca 1630/03 C wird aufgehoben.2.Die Klage wird abgewiesen.3.Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.Der Kläger beantragt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger lässt vorbringen, bei der verwendeten Soft-Air-Pistole handele es sich um ein völlig ungefährliches, für Kinder geeignetes Spielzeug, mit der auch andere Mitarbeiter der Beklagten im Betrieb geschossen hätten, von der elektrischen Fliegenklatsche sei keinerlei Gefahr für Leib oder Leben ausgegangen, mit der "Lederpeitsche" habe der Kläger bei den im Betrieb der Beklagten generell üblichen Neckereien und Spielereien einen Mitarbeiter einmal "gepfitzt", zum Drogenkonsum oder zum Boykott hinsichtlich der Durchführung einer Inventur habe der Kläger nie aufgerufen.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist unzulässig und bleibt damit ohne Erfolg. Die innerhalb der bis zum 18.08.2006 laufenden Frist eingereichte Berufungsbegründung der Beklagten entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben.

17Die Berufungsbegründung muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein. Sie muss klar und konkret erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher und rechtlicher Art und aus welchen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Hat das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss der Berufungskläger in der Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner Auffassung die angegriffene Entscheidung nicht trägt; andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (BAG vom 14.12.2004 AP Nr. 32 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitgebers; GK-ArbGG/Vossen, § 66 Rdnr. 135 a).

Vorliegend hat das Arbeitsgericht sein Ergebnis in erster Linie darauf gestützt, dass vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen wäre. Der Hinweis im arbeitsgerichtlichen Endurteil, im Weiteren wäre auch eine Änderungskündigung unter Entzug von Leitungs- und Vorgesetztenfunktionen des Klägers vor dem Ausspruch einer Beendigungskündigung das gemessene Mittel gewesen, stellt eine Hilfsbegründung dar, die für sich genommen das vom Arbeitsgericht erzielte Ergebnis der Unwirksamkeit der Kündigung wegen Unverhältnismäßigkeit ebenfalls getragen hätte.

Damit hätte sich die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung aber auch mit dem Aspekt der Änderungskündigung auseinander setzen müssen. Dies insbesondere auch deshalb, weil die Beklagte gerade im Berufungsverfahren die Stellung des Klägers als Abteilungsleiter als ganz entscheidenden Gesichtspunkt gewertet hat, weshalb die Abmahnung kein angemessenes Mittel gegen das nachhaltige Fehlverhalten des Klägers sein könne. Weshalb der Entzug von Leitungs- und Vorgesetztenfunktionen des Klägers mittels einer Änderungskündigung nicht als angemessenes Mittel vor Ausspruch der streitgegenständlichen Beendigungskündigung in Betracht gekommen wäre, wird von der Beklagten nicht ansatzweise erörtert.

Dem nach Hinweis seitens des Berufungsgerichts von der Beklagten vertretenen Standpunkt, mit der Berufungsbegründung sei deutlich geworden, dass die Beklagte allein eine außerordentliche Kündigung als angemessenes und adäquates Mittel angesehen habe, steht bereits entgegen, dass die Beklagte selbst die Kündigung hilfsweise als ordentliche fristgerechte Kündigung erklärt hat.

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gründen des arbeitsgerichtlichen Urteils war für die Beklagte auch nicht entbehrlich. Das am 19.12.2005 verkündete Urteil wurde der Berufungsklägerin in vollständiger Form am 09.06.2006 und damit innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen zur Berufungseinlegung und Berufungsbegründung der Beklagten zugestellt. Nur in den Fällen, in denen innerhalb der für die Einlegung der Berufung und ihrer Begründung zur Verfügung stehenden Frist ein mit Gründen versehenes Ersturteil nicht vorliegt, kann eine Auseinandersetzung des Berufungsklägers mit den Gründen des erstinstanzlichen Urteils nicht verlangt werden (BAG vom 28.04.1993, AP Nr. 67 zu § 112 BetrVG 1972; Hauck/Helml, ArbGG, 3. Aufl., § 66 Rdnr. 14). Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend nicht.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil kann die Beklagte gemäß nachstehender Rechtsmittelbelehrung Revision einlegen.

Malkmus

Steigerwald

Kreser