Bayerischer VGH, Beschluss vom 12.02.2008 - 14 B 06.1022
Fundstelle
openJur 2012, 90019
  • Rkr:
Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 7. März 2006 wird abgeändert. Der Bescheid der DB Cargo AG, Niederlassung München, vom 27. Juni 2003 und der Widerspruchsbescheid des Bundeseisenbahnvermögens vom 30. Juni 2004 werden aufgehoben.

II. Von den Verfahrenskosten des ersten Rechtszuges tragen der Kläger und der Beklagte je die Hälfte. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war erforderlich.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der Kostengläubiger Sicherheit in derselben Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger, der als Beamter des Beklagten im Rang eines Lokomotivbetriebsinspektors der Railion Deutschland AG zugewiesen war, war seit 1. Juni 2002 zur Ausübung seines Mandats als Betriebsrat unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit freigestellt. Am 28. Februar 2005 wurde er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Er wendet sich gegen die Rückforderung einer ihm im Mai 2003 ausbezahlten „einmaligen Entgeltzulage“ gemäß § 4 ZTV in der Höhe von 400 € für das Jahr 2002. Sein Widerspruch gegen die Rückforderungsentscheidung blieb erfolglos.

Seine Klage mit dem Antrag, den Rückforderungsbescheid der DB Cargo AG, Niederlassung München, vom 27. Juni 2003 und den Widerspruchsbescheid des Bundeseisenbahnvermögens vom 30. Juni 2004 aufzuheben, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Soweit sie gegen die (damalige) Beklagte zu 2 gerichtet sei, sei sie wegen deren fehlender Passivlegitimation unzulässig. Gegen den Beklagten sei sie unbegründet. Die Rückforderung sei rechtmäßig, weil der Kläger im Jahr 2002 die Kriterien für die Gewährung der einmaligen Entgeltzulage nicht erfüllt habe. Sie sei ihm nur deshalb gewährt worden, weil sie seine gemäß der zwischen dem Vorstand der Deutschen Bahn AG und dem Konzernbetriebsrat geschlossenen „Regelungsvereinbarung über die Benennung einer Vergleichsperson im Rahmen der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung für voll freigestellte Mitglieder von Interessensvertretungen“ (Regelungsvereinbarung) bestimmte Vergleichsperson erhalten habe. Das für die Besoldung des Klägers maßgebliche Benachteiligungsverbot des § 37 Abs. 4 BetrVG erstrecke sich nur auf allgemeine Zuwendungen. Zulagen, mit denen zusätzliche persönliche Leistungen des Beschäftigten abgegolten werden sollen, blieben außer Betracht. Eine allgemeine Zuwendung liege nicht vor, wenn sie nur ein oder mehrere Arbeitnehmer aufgrund nur sie betreffender Umstände erhielten. So liege es bei der in Streit stehenden Entgeltzulage. Sie erhielten lediglich zehn Prozent der Mitarbeiter und müsse jährlich neu „erdient“ werden. Maßgebliche Kriterien seien die Qualität der Arbeit, Engagement und Initiative, Zuverlässigkeit sowie individuelle Beiträge des einzelnen Mitarbeiters. Es sollten nur „besonders überdurchschnittliche“ Leistungen honoriert werden und der gewährte Betrag solle „Belohnungscharakter“ aufweisen. Dem entspreche es, dass die Höhe der in den vergangenen Jahren gewährten Zulage - wie auch beim Kläger - schwanke und sogar die Möglichkeit bestehe, dass Mitarbeiter für manche Jahre keine Zulage erhielten.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Ziel, die Aufhebung der Rückforderungsentscheidung, weiter. Zu dem fortzugewährenden Arbeitsentgelt gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG gehörten neben der Grundvergütung alle Zuschläge und Zulagen, die das Betriebsratsmitglied ohne Arbeitsbefreiung verdient hätte. Lediglich reine Aufwandsentschädigungen, die solche Aufwendungen abgelten sollten, die einem Betriebsratmitglied infolge seiner Befreiung von der Arbeitspflicht nicht entstehen könnten, würden davon nicht erfasst. Die in Streit stehende Entgeltzulage unterfalle auch nicht etwa deshalb nicht dem Benachteiligungsverbot des § 37 Abs. 4 BetrVG, weil dieses auf allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers beschränkt sei (Satz 2). Gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG dürfe das Arbeitsentgelt von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden, als das vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Um dies sicher zu stellen, sei alleine maßgeblich, ob die für den Kläger benannte Vergleichsperson die Entgeltzulage erhalten habe. Das sei aber unstreitig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 7. März 2006, soweit es die Klage gegenüber dem verbliebenen Beklagten abweist, und den Bescheid der DB Cargo AG, Niederlassung München, vom 27. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Bundeseisenbahnvermögens - Dienststelle Süd - vom 30. Juni 2004 aufzuheben.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten wurden zur Möglichkeit einer Entscheidung über die Berufung gemäß § 130 a VwGO durch Beschluss, wenn das Gericht sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, gehört. In diesem Rahmen hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die streitgegenständliche Zulage für individuelle Leistungen gewährt würde, die vom Vorgesetzten des Mitarbeiters im Vergleich mit anderen Arbeitnehmern als so besonders eingestuft werde, dass sie die Gewährung einer Entgeltzulage rechtfertige. Das sog. Vergleichsmannverfahren könne darauf keine Anwendung finden, da sonst das Betriebsratsmitglied an einer besonderen Leistung partizipiere, die ein anderer Arbeitnehmer erbracht habe. Mit der Zulage sollten "besonders überdurchschnittliche Leistungen" honoriert werden. Die Kriterien für die Gewährung der Zulage erfassten deshalb u.a. individuelle Beiträge des einzelnen Mitarbeiters.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Schriftverkehr im vorliegenden Berufungsverfahren sowie die vorgelegten Gerichtsakten und die Akten der beteiligten Behörden und Gesellschaften verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung hat Erfolg.

Über sie kann nach § 130 a VwGO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil der Verwaltungsgerichtshof sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Klage ist zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg ist gegeben. Der Beklagte ist für das Klagebegehren auch passiv legitimiert. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (vgl. auch BayVGH vom 16.3.2006 Az. 14 B 03.964 - juris, DVBl 2007, 391 [Leitsatz]).

Die Rückforderung der einmaligen Entgeltzulage gemäß § 4 ZTV, die dem Kläger für das Jahr 2002 gewährt worden war, ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie kann nicht auf § 87 Abs. 2 BBG i.V. mit § 812 Abs. 1 BGB gestützt werden, weil der Kläger einen Rechtsanspruch auf die Gewährung dieser Zulage hatte.

Der Anspruch ergibt sich aus § 37 Abs. 4 BetrVG i.V. mit § 19 Abs. 1 DBGrG. Die Gleichstellung gemäß § 19 Abs. 1 DBGrG umfasst die nach Betriebsverfassungsrecht dem Arbeitgeber obliegenden Verpflichtungen wie beispielsweise das Benachteiligungsverbot und insbesondere auch das Gebot einer wirtschaftlichen und beruflichen Absicherung nach § 37 Abs. 4 und 5 BetrVG. Soweit diese Verpflichtungen den Dienstherrn betreffen, obliegen sie gemäß § 19 Abs. 2 DBGrG dem Beklagten (BayVGH a.a.O.).

Die in Streit stehende einmalige Entgeltzulage, die zur Abgeltung besonderer Leistungen des Beamten bei der Deutschen Bahn AG oder ihren Tochtergesellschaften gewährt wird, wird gemäß § 12 Abs. 7 Satz 2 DBGrG und § 3 der Richtlinie des Beklagten über die Anrechnung anderweitiger Bezüge von Beamten, die der Deutsche Bahn AG zugewiesen sind, nicht auf die Besoldung der Beamten angerechnet. Eine darüber hinausgehende Bedeutung hat § 3 der Anrechnungsrichtlinie nicht. Insbesondere besagt er nicht, dass die dort beschriebenen Zahlungen nicht dem Benachteiligungsverbot des § 37 Abs. 4 BetrVG unterfallen würden.

Zu dem gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG fortzugewährenden Arbeitsentgelt i.S. des § 37 Abs. 2 BetrVG gehören nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts neben der Grundvergütung alle Zuschläge und Zulagen, die das Betriebsratsmitglied ohne Arbeitsbefreiung verdient hätte, insbesondere Zuschläge für Mehr-, Über-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, Erschwernis- und Sozialzulagen. Die genannten Bezüge knüpfen durchaus (auch) an individuelle, persönliche Leistungen an, wie z.B. Zuschläge für Mehrarbeit. Auch die streitgegenständliche einmalige Entgeltzulage gehört zu dem fortzugewährenden Arbeitsentgelt i.S. des § 37 Abs. 2 BetrVG. Nicht fortzuzahlen sind dagegen Aufwandsentschädigungen, die solche Aufwendungen abgelten sollen, die dem Betriebsratsmitglied infolge seiner Befreiung von der Arbeitspflicht nicht (mehr) entstehen (vgl. BayVGH a.a.O., m.w.N.).

§ 37 Abs. 4 BetrVG ist eine Konkretisierung des allgemeinen personalvertretungsrechtlichen Benachteiligungsverbots, das gleichermaßen für den privatrechtlichen Bereich der betrieblichen Arbeitnehmervertretung wie auch für die Personalvertretung im öffentlichen Bereich gilt und etwa in § 78 Satz 2 BetrVG (vgl. LAG RhPf vom 21.9.2006 - juris; BAG vom 17.8.2005 EzA § 37 BetrVG 2001 Nr. 5) und § 107 BPersVG Ausdruck findet. Es bezweckt den Schutz sowohl der Institution der Personalvertretung als auch der daran beteiligten Personen und dient der inneren und äußeren Unabhängigkeit der Mitglieder der jeweiligen Vertretungsorgane. Insbesondere sollen qualifizierte und leistungsfähige Mitarbeiter von der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht deshalb Abstand nehmen, weil sie sonst auf Einkommen verzichten müssten (vgl. BVerwG vom 13.9.2001 ZBR 2002, 314; vom 21.9.2006 BVerwGE 126, 333). Aufgrund des Benachteiligungsverbots ist dem Mitglied der Arbeitnehmer- bzw. Personalvertretung eine berufliche Entwicklung und Entlohnung zu gewährleisten, wie sie ohne Freistellung verlaufen wäre. Der berufliche Werdegang und die Entlohnung sind fiktiv nachzuzeichnen (BVerwGE 126, 333). Die Mitglieder der Arbeitnehmer- bzw. Personalvertretung haben für die Dauer ihrer Freistellung (und ein Jahr darüber hinaus) Anspruch auf Zahlung desjenigen Arbeitsentgeltes, das sie erhalten hätten, wenn sie nicht für die Betriebs- oder Personalratstätigkeit freigestellt worden, sondern ihrer regelmäßigen Tätigkeit nachgegangen wären. An individuelle Leistung anknüpfende Entlohnungsbestandteile wie z.B. Überstundenvergütungen oder Erfolgsprämien können davon nicht ausgeschlossen werden. Auch aufgrund individueller Leistung bemessene Zulagen oder Prämien fallen unter das Arbeitsentgelt i.S. des § 37 Abs. 2 und 4 BetrVG, soweit sie dem freigestellten Betriebsratsmitglied vergleichbare Arbeitnehmer erhalten und anzunehmen ist, dass es aufgrund der betrieblichen Verhältnisse einerseits und der vor der Freistellung gezeigten Leistungen andererseits zum Kreis der Empfänger der Zuwendungen gehören würde. Daher ist eine entsprechende Zulage auch dann zu zahlen, wenn wegen der Leistungsanforderungen nur ein vergleichsweise geringer Teil der jeweiligen Belegschaft in den Genuss der Zuwendungen kommt, jedoch anzunehmen ist, dass das freigestellte Betriebsratsmitglied zu diesem Kreis gehören würde, wenn es nicht freigestellt wäre und seiner angestammten Tätigkeit nachgehen würde. Gemäß § 2 Abs. 2 der Regelungsvereinbarung ist hierfür insbesondere die nach § 3 der Regelungsvereinbarung bestimmte Vergleichsperson maßgebend.

So liegt es hier. Die gegenüber dem Verwaltungsgericht mitgeteilten Kriterien für die Gewährung der einmaligen Entgeltzulage gemäß § 4 ZTV, Qualität der Arbeit, Engagement und Initiative, Zuverlässigkeit, aber auch individuelle Beiträge, namentlich zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, der Qualitätssicherung und -verbesserung, Verkaufserfolge, Entwicklung und Umsetzung neuer Verfahren, zweckmäßiges Handeln zur Schadensbegrenzung bei betrieblichen Unregelmäßigkeiten usw. sind so ausgestaltet, dass sie nicht nur von einzelnen herausragenden Mitarbeitern erfüllt werden können, sondern abhängig von Leistungsvermögen und Leistungsbereitschaft von einer ganzen Reihe von Mitarbeitern. Dem entspricht offenkundig auch die im ehemaligen Tätigkeitsbereich des Klägers geübte Praxis. So hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen, dass alle „Teamleiter Zugförderung“ die einmalige Entgeltzulage für 2002 erhalten haben. Selbst wenn nur ein Teil in den Genuss der Zulage gekommen wäre, sind - auch aufgrund seiner guten Beurteilungen - keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Kläger, der vor seiner Freistellung regelmäßig die Zulage erhalten hat, nicht zum Kreis der Begünstigten zählen sollte. Der Beklagte hat sich vielmehr dahingehend eingelassen, dass ein bestimmter festgesetzter Betrag für die Zulage zur Verfügung gestellt und entsprechend den mitgeteilten Kriterien unter den in Frage kommenden Mitarbeitern verteilt wird. Er hat ferner nicht darlegt, dass etwa innerhalb der für die Zulage in Betracht kommenden Mitarbeiter hinsichtlich der Zuwendungshöhe nach Leistung differenziert würde. Da insbesondere die für den Kläger benannte Vergleichsperson die einmalige Entgeltzulage in Höhe von 400 Euro erhalten hat, ist bei fiktiver Betrachtung davon auszugehen, dass auch der Kläger die Zulage erhalten hätte, wenn er nicht wegen seiner Betriebsratstätigkeit von der Arbeit freigestellt gewesen und seiner angestammten Tätigkeit nachgegangen wäre. Der Kläger hatte deshalb Anspruch auf Auszahlung dieser Entgeltzulage für das Jahr 2002. Sie kann vom Beklagten nicht zurückgefordert werden.

Ein anderes Ergebnis würde sich allenfalls dann ergeben, wenn die Entgeltzulage an herausragende persönliche Leistungen geknüpft wäre, die nur von einzelnen, nicht aber von einem dafür in Frage kommenden Mitarbeiterkreis erwartet werden können. Das ist aber nach den mitgeteilten Kriterien und ihrer betriebsüblichen Handhabung gerade nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. mit § 709 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 16. Januar 2006 wird der Streitwert für das Verfahren im ersten Rechtzug auf 800 Euro festgesetzt. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 400 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 3 GKG).