VG Würzburg, Urteil vom 31.01.2008 - W 5 K 07.1468
Fundstelle
openJur 2012, 89250
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.

Mit Bescheid vom 22. Oktober 2007 , zugestellt am 14. November 2007,genehmigte das Landratsamt Main-Spessart der Beigeladenen antragsgemäß den Abbruch und den Wiederaufbau ihres Wohnhauses mit Garage auf dem Grundstück Fl.Nr. 274 der Gemarkung L.. Dabei wurde eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes gemäß § 31 Abs. 2 BauGB wegen abweichender Dachneigung gewährt. Abbruch und Neubau waren nötig geworden, nachdem das frühere Haus durch einen Brand schwer beschädigt worden war. Dieses inzwischen schon abgerissene Haus stand mit seiner Giebelseite gut 0,30 m von der Grenze zum Grundstück des Klägers (Fl.Nr. 273) entfernt, ebenso groß ist der Abstand des eigenen Hauses des Klägers zur Grenze. Zwischen beiden Gebäuden verlief demnach eine mehr als 0,60 m breite Traufgasse, die zum Säubern betreten werden konnte; dort mündet das Regenabwasserrohr vom Haus des Klägers in einen Gully. Das geplante Bauvorhaben soll auf die Grundstücksgrenze gebaut werden. Der Nachbar rechts des Bauvorhabens (Fl.Nr. 275) hat gleichfalls Klage erhoben (W 5 K 07.1356).

II.

Am 30. November 2007 ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,

den Bescheid des Landratsamtes Main-Spessart vom 22. Oktober 2007 aufzuheben.

Mit der Klage wird im Wesentlichen geltend gemacht: Das geplante Haus halte die Abstandsflächen zum Grundstück des Klägers nicht ein. Die Festsetzung des Bebauungsplans, wonach vorhandene Traufgassen und zur Belichtung und Erschließung nötige Grenzabstände zu erhalten seien, gingen nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayBO den Abstandsvorschriften des Art. 6 BayBO vor. Soweit der Bebauungsplan geringere als die in Art. 6 und 7 BayBO vorgeschriebenen Maße festlege, sei die Bestimmung nichtig, weil für diese Abweichung keine ausreichende Begründung und Rechtfertigung ersichtlich und der bloße Begriff der „geringeren“ Abstandsfläche zu unbestimmt sei. Das Vorhaben der Beigeladenen verschmälere die frühere Traufgasse und erschwere oder verhindere ihre Unterhaltung, insbesondere bezüglich des dortigen Regenabflussrohres. Unabhängig von der aus dem Bebauungsplan folgenden Pflicht zur Erhaltung der Traufgasse verletze das Vorhaben aber auch Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayBO, denn ein in der Traufgasse liegendes Fenster im Haus des Klägers werde zusätzlich „verdunkelt“ und für die Belichtung praktisch wertlos. Die hygienischen Zustände in der Traufgasse würden infolge geringerer Belüftung verschlechtert, Ungeziefer könne sich einnisten.

Das brandgeschädigte Haus sei schon höher als das Gebäude des Klägers gewesen, der neue Bau solle jetzt nochmals 1 m höher werden. Ursprünglich habe die Beigeladene ein Haus mit drei Vollgeschossen und zusätzlichem Dachgeschoss errichten wollen, was dem Bebauungsplan widersprochen hätte, der nur zwei Vollgeschosse und ein Dachgeschoss zulasse. Nach einer Umplanung sei mit einem künstlich erhöhten Fundamentsockel, der in das kellerlose Gebäude „hineinkonstruiert“ worden sei, ein Erdgeschoss mit einer Höhe von nur 2,29 m (gegenüber der alten Planung mit über 2,77 m) erreicht worden; im Übrigen sei die Planung unverändert geblieben. Bei richtiger Betrachtung seien also nicht nur zwei, sondern drei Vollgeschosse geplant. Dafür wäre jedoch eine – nicht erteilte – Befreiung von der Festsetzung im Bebauungsplan nötig. Die Dachform des geplanten Hauses sei kein Steildach, sondern ein Mansarddach mit Dachneigungen von 45 und 10 Grad. Mansarddächer seien nach dem Bebauungsplan nur zur Erhaltung schon vorhandener Mansarddächer zulässig. Das durch Brand beschädigte Haus habe aber kein Mansarddach, sondern ein Spitzgiebeldach gehabt. Insofern sei die Argumentation des Landratsamtes (Schriftsatz vom 19. November 2007 im Parallelverfahren W 5 K 07.1356) falsch, wonach es für die abweichende Dachform gar keiner „Befreiung“ bedurft hätte. Die Überschreitung der nach dem Bebauungsplan zulässigen Vollgeschosse durch das geplante Vorhaben sei ein schwerer und unerträglicher Eingriff in das Eigentum des Klägers, da sein angrenzender Altbau überragt werde. Die Abweichung von der Dachform führe zu Versatzecken und technischen Schwierigkeiten bei der Unterhaltung des Daches des Klägers, dessen Gebäude niedriger sei. Es gehe vorliegend nämlich nicht nur um Dachform und Dachneigung, sondern um die Verwirklichung des Prinzips eines „im Wesentlichen silhouettengleichen Anbaus“. Soweit die Behörden hier überhaupt Ermessen zum Nachteil des Klägers ausüben könnten, sei nicht ersichtlich, dass die Verwaltung die nachteiligen Auswirkungen auf den Kläger bedacht hätte.

Für den Beklagten beantragte das Landratsamt Main-Spessart,

die Klage abzuweisen.

Es verwies in seinem Schriftsatz vom 10. Dezember 2007 im Wesentlichen auf den Vortrag im Parallelverfahren W 5 K 07.1356; dort wird ausgeführt: Das Erdgeschoss des Bauvorhabens habe nicht über mindestens zwei Drittel seiner Grundfläche eine Höhe von 2,30 m oder mehr, so dass es nicht als Vollgeschoss gelte. Die Festsetzungen zu Dachform und Dachneigung seien nicht nachbarschützend, insoweit könne der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt werden. Würden die vom Bebauungsplan eingeräumten Möglichkeiten voll ausgeschöpft (Steildach bis zu 62 Grad), würde im Übrigen ein deutlich höherer Baukörper entstehen. Da der Bebauungsplan eine geschlossene Bauweise vorschreibe, seien zum Grundstück des Klägers keine Abstandsflächen einzuhalten. Die zulässige Höhe und Tiefe der Grenzbebauung ergäben sich aus den übrigen Festsetzungen des Bebauungsplanes, z.B. zu den überbaubaren Grundstücksflächen, zum Maß der baulichen Nutzung und zur Höhenentwicklung. Mit diesen Festsetzungen stimme das Vorhaben überein. Eine Abweichung sei auch nicht im Hinblick auf das Fenster in der Grenzwand des Klägers nötig. Ein Nachbar müsse nämlich selbst seine Gebäude so anordnen, dass die für Belichtung und Belüftung notwendige Freifläche auf dem eigenen Grundstück erhalten bleibe. Er könne vom Nachbarn nicht die Einhaltung eines Grenzabstandes verlangen, wenn er selbst bis an die Grenze gebaut habe. Sache des Klägers oder dessen Rechtsvorgängers wäre es gewesen, in Beachtung der geschlossenen Bauweise den Innengrundriss des Gebäudes so zu gestalten, dass mögliche Aufenthaltsräume durch Fenster in unverbaubaren Außenwänden ausreichend belichtet und belüftet werden könnten, oder sich gegen eine Fensterverbauung privatrechtlich abzusichern. Um Ermessen, bei dem rechtmäßig errichtete Fensteröffnungen in Nachbargebäuden bedeutsam sein könnten, gehe es hier nicht. Außerdem seien dem Kläger auch eine andere Raumaufteilung oder andere Maßnahmen für ausreichende Belichtung und Belüftung zumutbar, um die Beeinträchtigung von Aufenthaltsräumen durch das Vorhaben abzuwehren. Insgesamt sei das Vorhaben gegenüber Nachbarbelangen nicht rücksichtslos.

III.

Mit Beschluss vom 13. Dezember 2007 (W 5 S 07.1494) ordnete das Gericht auf Antrag des Klägers im Parallelverfahren W 5 K 07.1356 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung an; der Beschluss wurde rechtskräftig. Mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 stellte das Landratsamt Main-Spessart gegenüber der Beigeladenen die Bauarbeiten am streitgegenständlichen Grundstück Fl.Nr. 274 der Gemarkung L. ein.

In weiteren Schriftsätzen nach diesem Beschluss machte das Landratsamt Main-Spessart im Wesentlichen noch geltend: Das Erdgeschoss des streitgegenständlichen Gebäudes halte das gesetzliche Höhenmaß von 2,30 m ein. Das Landratsamt dürfe diese Obergrenze nicht abweichend vom Gesetz nach unten korrigieren, auch wenn befürchtet werde, die Bauherrin werde dieses Maß nicht einhalten. Mit der Unterstellung, sie weiche von den genehmigten Plänen ab, könne eine Rechtsverletzung des Nachbarn nicht begründet werden. Die Bauherrin dürfe das Maß der baulichen Nutzung ebenso wie bei Abstandsflächen ausschöpfen, zumal im Bebauungsplan keine absoluten Höhen (z.B. Wandhöhe) festgelegt seien. Durch den Verzicht auf das nach dem Bebauungsplan zulässige Steildach trage die Beigeladene den Nachbarbelangen sogar noch Rechnung. Es entstehe im Übrigen ein Baukörper, der sich harmonisch in die Umgebung einfüge. Abstandsflächen seien hier wegen der festgesetzten geschlossenen Bauweise nicht einzuhalten. Die zulässige Höhe und die Tiefe der Grenzbebauung ergebe sich aus den übrigen Festsetzungen des Bebauungsplanes, nämlich was überbaubare Grundstücksflächen, Maß der baulichen Nutzung oder Höhenentwicklung angehe. Insoweit sei das Vorhaben mit den Festsetzungen des Bebauungsplanes vereinbar. Innerhalb des Anwendungsbereiches von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO sei der Bauherr entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten nicht auf den Umfang der Nachbarbebauung beschränkt; die bei Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO geltenden Grundsätze seien nicht auf Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO übertragbar. Auch dass ein Fenster des Klägers stärker verschattet werde, verletze ihn bei der geschlossenen Bauweise nicht in seinen Rechten. Nicht nachbarschützend sei die Festsetzung der Dachform; bei Errichtung eines Steildaches würde zudem ein weit größerer Baukörper entstehen, weshalb dem Kläger die Abweichung von dieser gestalterischen Festsetzung sogar noch zugute komme. In historischen Ortskernen sei die Belichtung ohnehin eingeschränkt, bedingt durch die historisch gewachsene enge Bebauung. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot nicht losgelöst als eigenständiges abstrakt drittschützendes Recht zu prüfen, sondern nur innerhalb seiner einfachgesetzlichen Ausprägung. Insoweit liege hier aber kein Verstoß vor, die Belange der ausreichenden Belüftung, Belichtung und Besonnung seien nicht mehr beeinträchtigt, als dies vom Gesetzgeber mit den Regelungen zur geschlossenen Bauweise bewusst in Kauf genommen worden sei; eine Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens liege darin nicht.

Die Grundstücke der streitenden Beteiligten seien in dem durch sehr dichte Bebauung geprägten historischen Ortskern von L.. Vor allem die kleineren Grundstücke seien meist völlig bebaut. Auch für das Baugrundstück lasse der Bebauungsplan eine vollständige Bebauung zu. Angesichts dieser „Vorbelastung“ sei die Entstehung einer Grenzbebauung vom Kläger hinzunehmen. Gewährte man den Nachbarn bei Wiederbebauung einzelner Grundstücke eine weitreichende Schutzwürdigkeit und damit Abwehrrechte gegen Grenzbebauung, so wäre in historischen Ortskernen, in denen eine beinahe vollständige Ausnutzung der Grundstücke vorherrsche, die städtebauliche Ordnung fast nicht zu bewahren. Unbedenklich sei auch der Höhenversatz, der in der L. Altstadt üblich sei. Entsprechend dem für historische Altstädte charakteristischen Bild von Straßenzügen habe die Stadt L. offenbar bewusst darauf verzichtet, im Bebauungsplan absolute Höhen festzusetzen, und habe in der Gestaltungssatzung nur ergänzend vorgeschrieben, dass sich Baukörper in Länge, Breite, Höhe und Geschosszahl in die nähere Umgebung und das Straßenbild einfügen müssten (§ 3 Abs. 2 Satz 2 der Gestaltungssatzung). Eine strengere Vorgabe, dass der Baukörper sich der Nachbarbebauung angleichen müsse, sei nicht gewollt. Das flachere Dach füge sich ein und bewege sich auch mit dem geplanten Höheversatz im Rahmen des Üblichen; das geplante Gebäude sei nicht einmal das höchste in der unmittelbaren Umgebung. Es sei auch nicht ersichtlich, inwieweit sich die Situation des Nachbarn greifbar verbessern würde, wenn der Baukörper etwa 1 m niedriger wäre. Eine spürbare Verbesserung von Belichtung und Belüftung der Nachbargrundstücke wäre damit nicht erreicht, vor allem weil sich auch die Nachbargebäude an der Grenze befänden und eine Belichtung der Fenster in den seitlichen Außenwänden deshalb nicht möglich sei.

Die Beigeladene äußerte sich nur im Parallelverfahren W 5 K 07.1356; einen Antrag stellte sie nicht.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsverfahrensakten und die Gerichtsakten Bezug genommen; am 31. Januar 2008 hat die Kammer über die Klagen beider Nachbarn der Beigeladenen gemeinsam verhandelt.

Gründe

1. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Landratsamtes Main-Spessart vom 22. Oktober 2007 ist, soweit subjektiv-öffentliche Rechte des Klägers als Nachbarn betroffen sein können, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dabei beurteilt sich die Frage, ob eine Baugenehmigung den klagenden Nachbarn in seinen Rechten verletzt, grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung; Änderungen zu Gunsten des Bauherrn sind aber zu berücksichtigen (BVerwG, B.v. 23.04.1998, 4 B 40/98, Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr 87; BauR 1998, 995-997).

Gemäß Art. 72 Abs. 1 BayBO a.F. (jetzt insoweit inhaltsgleich: Art. 68 Abs. 1 BayBO 2008) darf eine Baugenehmigung nur dann versagt werden, wenn das Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Ein Nachbar des Bauherrn hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Versagung der Baugenehmigung. Er kann die Baugenehmigung aber dann (und nur dann) erfolgreich anfechten, wenn Vorschriften verletzt sind, die mindestens auch seinem Schutz dienen, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt, und wenn dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt.

Vorliegend erweist sich die erteilte Baugenehmigung schon nach dem bis zum 31.12.2007 geltenden Recht als rechtmäßig, auf etwaige Änderungen zu Gunsten der Bauherrin durch die BayBO 2008 kommt es nicht an. Die Kammer folgt im Wesentlichen der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist auszuführen:

Die streitbefangenen Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans für das Sanierungsgebiet „Altstadt Nord“ der Stadt L. vom 2. August 1989. Beide gehören zum Gebiet 2, für das der Bebauungsplan als Maß der baulichen Nutzung zwei Vollgeschosse festsetzt, wobei das Dachgeschoss ein auf die Zahl der Vollgeschosse nicht anrechenbares zusätzliches Vollgeschoss sein kann. Zur Bauweise im Gebiet 2 regelt der Bebauungsplan: „Gemäß 22 (3) BauNVO wird geschlossene und halboffene Bauweise festgesetzt. Vorhandene Traufgasse[n] und zur Belichtung und Erschließung notwendige Grenzabstände sind zu erhalten“. Ohne Differenzierung nach Gebieten enthält der Bebauungsplan schließlich noch die Bestimmung, wonach gemäß „Art. 7 BayBO zur Wahrung der bauhistorischen Bedeutung und der Eigenart geringere als die in Art. 6 und 7 BayBO vorgeschriebenen Maße nach Art. 91 (1), 6 BayBO“ festgelegt werden.

1.1. Soweit der Kläger das streitgegenständliche Bauvorhaben hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse, der Dachform und der Dachneigung bzw. die insoweit vom Landratsamt erteilte Befreiung rügt, ist die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts des Nachbarn nicht ersichtlich. Diesbezügliche Festsetzungen eines Bebauungsplans betreffen das Maß der baulichen Nutzung und wirken grundsätzlich nicht nachbarschützend (vgl. Simon/Busse, Art. 71 BayBO Rd.Nr. 356 f.). Inwieweit durch das geplante Haus, das ebenso wie sein Vorgängerbau das Gebäude des Klägers überragt, allerdings noch einmal knapp einen Meter höher ist, ein (vom Kläger bemängelter) „schwerer und unerträglicher Eingriff in das Eigentum“ geschehen soll, ist nicht ersichtlich. Die um 1 m größere Höhe des Neubaus führt nicht dazu, dass Belichtung und Belüftung des Klägeranwesens nennenswert beeinträchtigt werden, und allenfalls zu einer marginalen Erschwerung von Unterhaltungsmaßnahmen. Für eine ordnungsgemäße Instandhaltung der südlichen, dem streitigen Anwesen gegenüber liegenden Hauswand war erkennbar schon der frühere Abstand von gut 60 cm zwischen beiden Gebäuden zu gering; die in der Verhandlung vorgelegten Fotos dieser Hauswand belegen dies anschaulich. Der geringste Abstand zwischen beiden Häusern wird auch nicht durch die Höhe des Hauses der Beigeladenen bestimmt, sondern durch die Traufhöhe des klägerischen Gebäudes. Es gibt – wie auf den Fotos zu sehen – auch auf der nach Süden zeigenden Dachfläche des klägerischen Hauses keine zur Belichtung und Belüftung notwendigen Fenster, die durch die Erhöhung des Hauses der Beigeladenen nennenswert in ihrer Funktion beeinträchtigt würden. Das Haus des Klägers erhält Licht und Belüftung von Osten, Westen und Norden, wo es an Freiflächen angrenzt. Ob die Beigeladene die genehmigte Höhe durch einen unzulässigen „architektonischen Kniff“ erreichte, indem ein ursprünglich als Vollgeschoss geplantes Stockwerk knapp unter 2,30 m „heruntergeplant“ wurde, kann deshalb dahinstehen.

1.2. Soweit der Bebauungsplan insgesamt festlegt, dass „geringere als die in Art. 6 und 7 BayBO“ vorgeschriebenen Maße gelten sollen, ist die Rechtmäßigkeit und damit die Gültigkeit dieser Vorschrift in der Tat fraglich. Nach Art. 91 Abs. 1 Nr. 6 der seinerzeit (bis 31.05.1994) gültigen BayBO 1983 konnten zwar Gemeinden durch Satzung örtliche Bauschriften erlassen und damit geringere als die in Art. 6 und 7 vorgeschriebenen Maße für Abstandsflächen zur Wahrung der bauhistorischen Bedeutung oder sonstigen erhaltenswerten Eigenart eines Ortsteils bestimmen. Abgesehen davon, dass vorliegend die bloße Zulassung „geringerer“ Abstände (ohne konkrete Maßangabe) zu unbestimmt sein dürfte, hatte auch eine Festlegung geringerer Abstandsflächen nach Art. 91 Abs. 1 Nr. 6 BayBO 1983 zu beachten, dass trotz der Verringerung der Abstände eine ausreichende Belichtung, Belüftung und dergleichen gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Art. 18 BayBO 1983 gewährleistet sein mussten (Simon/Busse, Art. 91 BayBO, Rd.Nr. 217).

Eine etwaige Ungültigkeit dieser Abstandsflächenregelung nach Art. 91 Abs. 1 Nr. 6 BayBO 1983 führt aber entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten nicht zu einer Verletzung nachbarschützender Rechte durch das Bauvorhaben. Vor allem kann sich der Kläger nicht auf die weitere im Gebiet 2 des Bebauungsplanes geltende Festsetzung berufen, wonach vorhandene Traufgassen und zur Belichtung und Erschließung notwendige Grenzabstände zu erhalten seien. Der Kontext dieser Festsetzung mit anderen Regelungen im Bebauungsplan und die Begründung zum Bebauungsplan sprechen dafür, dieser Festsetzung ausschließlich gestalterische Ziele beizumessen, jedoch keine nachbarschützende Wirkung. Schon begrifflich hat diese Festsetzung, die innerhalb des Abschnitts „3. Bauweise“ enthalten ist, jedenfalls nicht unmittelbar die Abstandsflächen im Blick. Außerdem ist fraglich, ob nach dem (brandbedingten) Abriss des früheren Hauses der Beigeladenen ein „historischer Baubestand“ und eine Traufgasse zwischen zwei Gebäuden auf dem Grundstück der Beigeladenen bzw. an der Grenze zum Klägeranwesen im Sinn dieser Festsetzung überhaupt noch existierten; diese Frage stellt sich, da die geschlossene Bauweise einerseits und die Erhaltung von Traufgassen andererseits in einem Zielkonflikt zu stehen scheinen. Dieser Konflikt läßt sich allerdings unter Berücksichtigung der Begründung zum Bebauungsplan auflösen: Danach bezweckt der Plan einerseits die Erhaltung des „historischen Baubestandes“, andererseits erlaubt er Eingriffe sogar in diesen Bestand dort, wo städtebauliche und bauliche Missstände anders nicht behoben werden können (Abschnitt 3.1 „Anlass und Ziele der Planung“). Ganz allgemein soll einerseits die vorhandene Baustruktur erhalten werden, andererseits die festgelegte Bauweise für Neubaumaßnahmen flexibel genug sein, um Belichtung, Belüftung und Freiflächennutzung zu verbessern (Abschnitt 3.3). Die Kammer versteht deshalb die Festsetzung „vorhandene Traufgassen und zur Belichtung und Erschließung notwendige Grenzabstände sind zu erhalten“ so, dass – tatsächlich noch vorhandene – Gassen und Abstände zwischen Gebäuden nicht noch weiter verringert werden sollen, bei Wegfall einer solchen Traufgasse durch Zerstörung eines Gebäudes jedoch das Ziel einer Behebung baulicher Missstände noch eindeutiger in den Vordergrund rückt, namentlich durch Herstellung der geschlossenen Bauweise.

Ist die geschlossene Bauweise festgesetzt, so müssen Gebäude an die seitliche Grundstücksgrenze gebaut werden, sofern die vorhandene Bebauung nicht eine Abweichung erfordert (§ 22 Abs. 3 BauNVO; Simon/Busse, Art. 6 BayBO Rd.Nr. 33). Das brandgeschädigte frühere Haus der Beigeladenen stand zu den Nachbargebäuden in geschlossener Bauweise. Dies gilt auch für die ehemalige Traufgasse zum Anwesen des Klägers von gut 60 cm. In einem anderen Fall hat der Bayer. Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) zwar angesichts eines früher bestandenen Grenzabstands von 35 bis 60 cm angenommen, ein Fall des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO a.F. (das Gebäude muss oder darf nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden) liege nicht vor (BayVGH, U.v. 22.11.2006, 25 B 05.1714). Der BayVGH führte aus, dass in der tatsächlichen Bebauung vorgefundene Traufgassen und „enge Reihen“ unterschiedlicher Breiten nicht planungsrechtlich dazu zwängen, landesrechtliche Abstandsflächenvorschriften aufzugeben, im Fall einer „offenen Bauweise“ nach § 22 Abs. 1, 2 BauNVO sei das Maß des Grenzabstandes allein den Landesbauordnungen zu entnehmen, falls es nicht durch einen Bebauungsplan anders festgesetzt sei. Weil in diesem vom BayVGH entschiedenen Fall – anders als vorliegend – keine Festsetzung durch einen Bebauungsplan bestand, erachtete der BayVGH die Genehmigung für das auf die Grenze gesetzte neue Gebäude für rechtswidrig, da es die Abstandsflächenvorschriften der Landesbauordnung verletze.

Im vorliegenden Fall erfordert die vorhandene Bebauung auch nicht eine Abweichung i.S. des § 22 Abs. 3 BauNVO. Denn die Wiederherstellung des vor dem Brand vorhandenen geringen Abstands von nur etwa 60 cm zwischen beiden Häusern würde - wie sogleich dargelegt - dem Ziel einer Beseitigung baulicher Missstände zuwiderlaufen und diese eher noch verfestigen.

1.3. Die früher zwischen den Häusern des Klägers und der Beigeladenen bestehende Traufgasse war eine sog. „enge Reihe“, die selbst bei einem Verzicht auf Abstandsflächen bzw. eine Verkürzung oder die Zulassung einer Abweichung grundsätzlich als baulicher Missstand angesehen wird (vgl. Simon/Busse, Art. 7 Rd.Nr. 119 m.w.H; BayVGH, B.v. 10.04.2001, 25 ZB 01.700). Die Beseitigung „enger Reihen“ soll bei einem Umbau oder der Aufstockung von einem Gebäude, das an eine „enge Reihe“ anstößt, vorbereitet werden (Simon/Busse, Art. 7 BayBO, Rd.Nr. 119; BayVGH, U.v. 03.08.1996, 116 I 73, n.F. 4,184). Im genannten Beschluss vom 10.04.2001 führt der BayVGH aus, die Verfestigung und Ausbreitung baurechtlichen Missstände, wie sie [im dortigen Fall] die beabsichtigte Verlängerung einer „engen Reihe“ darstelle, könne auch dann nicht mit den Schutzgütern der Abstandsflächenvorschriften harmonieren, wenn man eine atypische Grundstückssituation nicht als Voraussetzung für eine Abweichung ansähe. Noch weiter geht der BayVGH im Beschluss vom 20. März 2006 (25 CS 05.3180), wenn er eine Verletzung nachbarschützender Rechte dadurch als möglich ansieht, dass ein Gebäude ohne Grenzanbau genehmigt wurde, obwohl im Bebauungsplan für das Baugrundstück die geschlossene Bauweise festgesetzt war. Der BayVGH begründet dies mit der – in der BayBO 2008 freilich weggefallenen – Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 Sätze 1 und 4 BayBO a.F., in deren Folge ein Bauherr, der sich nicht an die geschlossene Bauweise halte, dem angrenzenden Nachbarn u.U. den Anspruch auf eine Grenzbebauung nehme, insbesondere dann, wenn ohne die Berechtigung zum Grenzanbau – z.B. wegen eines schmalen Grundstückszuschnitts – eine weitere bauliche Nutzung vollständig ausgeschlossen wäre.

Im vorliegenden Fall verhält es sich nach Auffassung der Kammer ähnlich. Die Kammer verkennt nicht, dass durch das Heranrücken des Hauses der Beigeladenen auf die Grenze zum Klägergrundstück die „enge Reihe“ zunächst einmal noch enger wird. Andererseits ist dies der erste Schritt zu einer Beseitigung der „engen Reihe“ und zur Schaffung bautechnisch und bauhygienisch ordnungsgemäßer Zustände i.S. der Art. 3 BayBO a.F.; dass die Schließung dieser „engen Reihe“ dringend geboten ist, ergibt sich aus den Fotos von der Südwand des Klägeranwesens überdeutlich.

1.4. Das Bauvorhaben der Beigeladenen erweist sich auch nicht als rücksichtslos. Dies gilt auch im Hinblick auf das Fenster des Klägers in der südlichen Hauswand, das – bislang schon nur von eingeschränkter Wirksamkeit – durch das auf gut 30 cm heranrückende Gebäude noch weiter verschattet wird. Nach der Rechtsprechung (z.B. BayVGH, B.v. 05.08.2004, 2 ZB 04.1158) verstößt ein Vorhaben wie das der Beigeladenen im vorliegenden Fall bei geschlossener Bauweise nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme; der Nachbar kann nicht die Freihaltung eines Fensters in einer solchen Wand verlangen (ebenso auch VG Ansbach, B.v. 27.09.2007, AN 9 K 07.00393; und BayVGH, U.v. 20.05.1985, 14 B 84.A.503; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 31.01.1991, 7 B 241/91).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit auch nicht am Kostenrisiko beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), waren ihr weder Kosten ganz oder teilweise aufzuerlegen noch Kosten zu erstatten. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Die Festsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2004 (NVwZ 2004, 1327).