Bayerischer VGH, Beschluss vom 15.01.2008 - 6 ZB 05.2791
Fundstelle
openJur 2012, 89142
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 3.951,99 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche ernstlichen Zweifel sind anzunehmen, wenn ein in der angegriffenen Entscheidung enthaltener einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG vom 23.6.2000 NVwZ 2000, 1163/1164). Dies ist hier nicht der Fall.

Die Beteiligten streiten über die Auslegung von § 8 Abs. 11 Satz 1 der Ausbaubeitragssatzung (ABS) der Beklagten vom 13. August 2003. Die Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

„Werden in einem Abrechnungsgebiet (§ 6 Abs. 3) auch Grundstücke erschlossen, die zu mehr als einem Drittel gewerblich genutzt werden oder genutzt werden dürfen, so sind für diese Grundstücke die nach Abs. 2 zu ermittelnden Nutzungsfaktoren um je 50 v.H. zu erhöhen.“

Das Verwaltungsgericht legt § 8 Abs. 11 Satz 1 ABS dahingehend aus, dass – jedenfalls in unbeplanten Gebieten – bei bebauten Grundstücken auf die tatsächliche Nutzung abzustellen und lediglich bei noch unbebauten Grundstücken die zulässige Nutzung maßgeblich sei. Käme es in beiden Fällen auf die zulässige Nutzung an, wäre die erste Alternative in § 8 Abs. 11 Satz 1 ABS weitgehend überflüssig und hätte nur noch in den eher seltenen Fällen einer unzulässigen gewerblichen Grundstücksnutzung einen eigenständigen Anwendungsbereich. In einem faktischen Mischgebiet wie dem streitgegenständlichen Abrechnungsgebiet hätten jedoch nach dem Willen des Satzungsgebers die bebauten Grundstücke, die zu mindestens zwei Dritteln Wohnzwecken dienen, nicht mit dem Gewerbezuschlag versehen werden sollen. Es wäre nämlich unbillig, diese Grundstücke solchen gleichzusetzen, auf denen sich bereits ein Gewerbebetrieb befinde. Das Verwaltungsgericht lehnte sich hierbei an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 23. Mai 1980 (DVBl 1980, 757) an.

Die Klägerin wendet hiergegen im wesentlichen ein, dass die Formulierung „genutzt werden oder genutzt werden dürfen“ verdeutliche, dass es nicht nur auf die konkrete (tatsächliche) Nutzung ankomme, sondern auf die abstrakt mögliche Nutzung. Die Formulierung veranschauliche das tragende Prinzip des Beitragsrechts, wonach es nicht auf den konkreten Vorteil (Nutzen) einer Maßnahme ankomme, sondern auf den abstrakten Vorteil im Sinn einer erhöhten Nutzbarkeit des Grundstücks. Hiervon gehe auch § 133 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauGB aus. Auch bebaute Grundstücke hätten bei einer zulässigen gewerblichen Nutzung einen höheren Vorteil durch die Ausbaumaßnahme als Grundstücke, deren gewerbliche Nutzung unzulässig sei. Die Beklagte müsse sich deshalb an der getroffenen Satzungsbestimmung festhalten lassen, zumal eine Nutzungsänderung auch ohne bauliche Veränderungen gegeben sei, soweit einer baulichen Anlage eine andere Zweckbestimmung gegeben werde. Nach § 8 Abs. 11 Satz 1 ABS genüge daher die bloße gewerbliche Nutzbarkeit eines Grundstücks für die Anwendung des Gewerbezuschlags. Aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 1980 ergebe sich nichts anderes. Im Abrechnungsgebiet lägen überdurchschnittlich große Grundstücke, die etliche Baulücken erkennen ließen. Gerade in einem solchen Fall erscheine es geboten, auch bebaute Grundstücke mit dem Gewerbezuschlag zu veranlagen, soweit sie gewerblich genutzt werden dürften (z.B. das Grundstück Fl.Nr. 941 der Gemarkung G.).

Hiermit kann die Klägerin nicht durchdringen. Zum einen verkennt sie den Regelungsgehalt der beitragsrechtlichen Verteilungsregelung in § 8 Abs. 11 Satz 1 ABS. Zum anderen würde die von ihr begehrte Anwendbarkeit des Artzuschlags wegen gewerblicher Nutzung (sog. Gewerbezuschlag) auf alle bebauten Grundstücke im Abrechnungsgebiet gegen das im Beitragsrecht geltende Differenzierungsgebot (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KAG) verstoßen.

Die Klägerin unterstellt, dass mit der Formulierung in § 8 Abs. 11 Satz 1 ABS („zu mehr als einem Drittel gewerblich genutzt werden dürfen“) gleichsam automatisch ein abstrakter Vorteil im Sinn einer erhöhten, nämlich gewerblichen Nutzbarkeit des Grundstücks verbunden wäre. Damit misst sie im Ergebnis der beitragsrechtlichen Verteilungsregelung den Charakter einer Art baurechtlicher Vorabentscheidung zu, dass in unbeplanten Innerortslagen wie hier sämtliche Grundstücke zu mehr als einem Drittel gewerblich genutzt werden dürfen. Dies ist indes nicht der Fall. Vielmehr ist bauplanungsrechtlich in jedem konkreten Einzelfall zu prüfen, ob sich ein Vorhaben unter anderem nach seiner Art in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt bzw. ob es nach der Baunutzungsverordnung allgemein zulässig wäre (§ 34 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BauGB).

Der Verweis der Klägerin auf § 133 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauGB verfängt schon deshalb nicht, weil es sich um eine Regelung des Erschließungsbeitragsrechts handelt, die die sachliche Beitragspflicht betrifft. Die nach Erschließungsbeitragsrecht abzurechnende erstmalige Herstellung von Anbaustraßen hat zum Ziel, die an der Straße liegenden Grundstücke hinsichtlich der verkehrsmäßigen Anbindung bebaubar oder in beitragsrechtlich vergleichbarer Weise gewerblich nutzbar zu machen. Dem hier einschlägigen Straßenausbaubeitragsrecht hingegen sind derartige rechtliche Auswirkungen einer Straßenbaumaßnahme auf die Nutzbarkeit eines (anliegenden) Grundstücks fremd (BayVGH vom 10.7.2002 BayVBl 2003, 176/177).

Der Hinweis der Klägerin auf mögliche Nutzungsänderungen und Baulücken bei überdurchschnittlich großen (Wohn-) Grundstücken hilft ebenfalls nicht weiter, da im Beitragsrecht die Nutzung zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht maßgeblich ist. Wird zu diesem Zeitpunkt ein Grundstück ausschließlich oder zumindest zu zwei Dritteln zu Wohnzwecken genutzt, ist der sog. Gewerbezuschlag nach § 8 Abs. 11 Satz 1 ABS bei einer am Zweck der Regelung orientierten Auslegung vor dem Hintergrund der gesetzlichen Maßgaben nicht gerechtfertigt. Ein derartiger Zuschlag bei ausschließlich zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken wie zum Beispiel Fl.Nr. 941 der Gemarkung G. würde gegen das im Beitragsrecht verankerte Differenzierungsgebot verstoßen. § 8 Abs. 11 Satz 1 ABS soll durch die gesetzlich vorgeschriebene Differenzierung (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KAG) die Verteilungsgerechtigkeit sichern. Die Grundstücke des Abrechnungsgebiets sollen in verschiedener Höhe belastet werden je nach dem, in welchem Ausmaß die Möglichkeit, die Straße in Anspruch zu nehmen, ihnen typisierend Vorteile bietet. Der Artzuschlag trägt Verschiedenheiten in der Art der baulichen oder sonst beitragserheblichen Nutzung Rechnung. Gewerbliche und dem Gewerbe vergleichbare Nutzungen schöpfen regelmäßig aufgrund des durch sie typischerweise verursachten verstärkten Ziel- und Quellverkehrs aus einer Straße einen größeren Vorteil als eine Wohnnutzung (u.a. BayVGH vom 8.3.2001 BayVBl 2002, 469/470). Hiermit wäre es unvereinbar, zu Wohnzwecken genutzte Grundstücke mit einem Artzuschlag wegen gewerblicher Nutzung zu belasten. Die Formulierung „genutzt werden dürfen“ in § 8 Abs. 11 Satz 1 ABS kann sich daher bei einer am Zweck der Regelung orientierten, gesetzeskonformen Auslegung in unbeplanten Gebieten wie hier nur auf unbebaute Grundstücke beziehen (vgl. BVerwG vom 23.5.1980 DVBl 1980, 757/759; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., RdNr. 57 zu § 18).

2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Klägerin hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:

„Ist eine Satzungsbestimmung, wonach in einem Abrechnungsgebiet die Grundstücke mit einem zusätzlichen Nutzungsfaktor von 50 v.H. herangezogen werden, die zu mehr als einem Drittel gewerblich genutzt werden oder genutzt werden dürfen, derart auszulegen, dass hierdurch gewerblich nutzbare Grundstücke nur insofern erfasst werden, als sie noch unbebaut sind?“

Diese Frage lässt sich anhand der Ausführungen unter 1. beantworten. In Bezug auf eine Rechtsfrage ist eine Klärungsbedürftigkeit mit generalisierender Wirkung zu verneinen, wenn sie sich durch Auslegung der entscheidungserheblichen Rechtsvorschrift anhand der anerkannten Auslegungsgrundsätze (hier: gesetzeskonforme Auslegung) ohne weiteres beantworten lässt oder durch die bisherige Rechtsprechung zu einzelnen Aspekten als geklärt angesehen werden kann (BVerwG vom 14.4.2003 Az. 3 B 167.02 und 3 B 175.02 jeweils in juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.