Bayerischer VerfGH, Entscheidung vom 28.01.2008 - Vf. 11-VII-07
Fundstelle
openJur 2012, 89064
  • Rkr:
Tenor

1. Der Vollzug des Bebauungsplans mit Grünordnungsplan Nr. 40 „Gut Kaltenbrunn“ der Gemeinde Gmund am Tegernsee wird ausgesetzt.

2. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

3. Die Gemeinde Gmund am Tegernsee hat den Antragstellern 3/4 der ihnen durch das Verfahren der einstweiligen Anordnung entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich mit ihrer Popularklage gegen den Bebauungsplan mit Grünordnungsplan Nr. 40 „Gut Kaltenbrunn“ der Gemeinde Gmund am Tegernsee, ausgefertigt am 25. März 2004.

Zur Begründung machen sie im Wesentlichen geltend, der Bebauungsplan verletze Art. 118 Abs. 1, Art. 141 Abs. 1, 2 und 3 sowie Art. 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BV. Außerdem beantragen sie, eine einstweilige Anordnung folgenden Inhalts zu erlassen:

1. Der Vollzug des Bebauungsplans Nr. 40 „Gut Kaltenbrunn“ der Gemeinde Gmund am Tegernsee wird vorläufig ausgesetzt.

2. Den zuständigen Behörden sind Vollzugsmaßnahmen, insbesondere die Erteilung von Vorbescheiden, Baugenehmigungen oder Teilbaugenehmigungen, vorläufig untersagt.

3. Die Entscheidungsformel ist von der Gemeinde Gmund am Tegernsee ortsüblich bekannt zu machen.

Die Antragsteller weisen darauf hin, von Seiten des Vorhabensträgers sei ein Bauantrag zur Realisierung der durch den Bebauungsplan zugelassenen Bebauung eingereicht worden. Der Ortsplanungsausschuss der Gemeinde Gmund am Tegernsee habe in seiner Sitzung vom 12. Dezember 2007 das gemeindliche Einvernehmen zu zwei Abweichungen des eingereichten Bauantrags von den Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt. Würde die Baugenehmigung erteilt, könne mit den Bauarbeiten begonnen werden. Für den Fall des Nichterlasses der einstweiligen Anordnung würden irreversible Zustände geschaffen.

Die Gemeinde Gmund am Tegernsee ist der Auffassung, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei abzulehnen. Der angegriffene Bebauungsplan sei weder im Hinblick auf das Willkürverbot noch auf das Rechtsstaatsprinzip offensichtlich verfassungswidrig.

Die Firma F. GmbH hatte Gelegenheit zur Äußerung. Sie hält die Popularklage für unzulässig, weil das Klagerecht infolge des zwischen der Bekanntmachung des Bebauungsplans und der Erhebung der Popularklage verstrichenen Zeitraums von dreieinhalb Jahren verwirkt sei. Im Übrigen seien die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung nicht gegeben, weil im Baugenehmigungsverfahren noch eine denkmalschutzrechtliche Einzelfallprüfung stattfinde.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zum Teil begründet.

Der Verfassungsgerichtshof kann auch im Popularklageverfahren eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist (Art. 26 Abs. 1 VfGHG). An die Voraussetzungen, unter denen die einstweilige Anordnung erlassen werden kann, ist ein strenger Maßstab anzulegen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 13.1.1995 = VerfGH 48, 1/3 f.).

Die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Vorschrift vorgetragen werden, haben im Regelfall außer Betracht zu bleiben. Wenn allerdings offensichtlich wäre, dass die Popularklage aus prozessualen oder sachlichen Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat, käme eine einstweilige Anordnung von vornherein nicht in Betracht. Umgekehrt könnte der Erlass der einstweiligen Anordnung dann geboten sein, wenn die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Vorschrift offensichtlich wäre (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 5.6.1989 = VerfGH 42, 86/91 m. w. N.).

1. Der Antrag ist unbegründet, soweit die Antragsteller beantragen, den zuständigen Behörden Vollzugsmaßnahmen zu untersagen. Im Weg der einstweiligen Anordnung können keine vorläufigen Regelungen erlassen werden, die inhaltlich über den durch ein erfolgreiches Hauptsacheverfahren erreichbaren Rechtsschutz hinausgehen.

2. Der Antrag ist begründet, soweit die Aussetzung des Vollzugs des Bebauungsplans Nr. 40 „Gut Kaltenbrunn“ beantragt ist.

Im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens kann bei der nur möglichen überschlägigen Prüfung nicht gesagt werden, die Popularklage sei offensichtlich aussichtslos. Es besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass der Bebauungsplan gegen Art. 141 Abs. 2 BV verstößt. Der Verfassungsgerichtshof hat deshalb allein die Folgen abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, im Hauptsacheverfahren aber den Antragstellern der Erfolg zu versagen wäre. Die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe müssten bei dieser Abwägung so gewichtig sein, dass sie im Interesse der Allgemeinheit eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile unabweisbar machen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH 42, 86/91 m. w. N.).

Für eine Ablehnung der einstweiligen Anordnung sprechen die Interessen der Gemeinde, der Bauherrin und der Grundstückseigentümerin an einem alsbaldigen Vollzug der Planung. Hätte der Normenkontrollantrag aber sodann in der Hauptsache Erfolg, so entstünden voraussichtlich gravierende Nachteile. Der Bebauungsplan bildet die alleinige rechtliche Grundlage für die Erteilung der bereits beantragten Baugenehmigung. Eine Genehmigung auf der Grundlage des § 35 BauGB kommt nach Lage der Dinge nicht infrage. Erteilt das Landratsamt Miesbach die Baugenehmigung, so kann mit Baumaßnahmen unverzüglich begonnen werden (§ 212 a Abs. 1 BauGB). Die Baugenehmigung bliebe auch dann wirksam, wenn der Bebauungsplan für ungültig erklärt würde (Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG). Eine Rücknahme der Baugenehmigung wäre nur unter den Voraussetzungen des Art. 48 BayVwVfG möglich und stünde zudem im Ermessen des Landratsamts. Der Beginn der Baumaßnahmen kann bereits zu unwiderruflichen Zerstörungen im Gebiet des Guts Kaltenbrunn führen. Bei der Gesamtabwägung dieser Situation gibt der Verfassungsgerichtshof der Außervollzugsetzung des Bebauungsplans den Vorrang, um nicht auf möglicherweise rechtswidriger Grundlage vollendete Tatsachen eintreten zu lassen. Der Bauherrin, der Grundstückseigentümerin und der Gemeinde ist demgegenüber der überschaubare Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache zumutbar.

III.

Die Entscheidungsformel ist von der Gemeinde Gmund am Tegernsee ortsüblich bekannt zu machen.

IV.

Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Die Gemeinde Gmund am Tegernsee hat den Antragstellern 3/4 der ihnen durch das Verfahren der einstweiligen Anordnung entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten (Art. 27 Abs. 5 VfGHG).

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