OLG Celle, Beschluss vom 11.09.2012 - 10 UF 56/12
Fundstelle
openJur 2012, 89003
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Vormundes gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 27. Februar 2012 wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren: 3.000 €

Gründe

I.

Das für das betroffene minderjährige Kind zum Vormund bestellte Jugendamt hat beim Amtsgericht die Genehmigung einer für das Kind am 20. Dezember 2011 erklärten Erbausschlagung in der Nachlaßangelegenheit nach Frau S. M. beantragt.

Das Amtsgericht hat nach Gewährung rechtlichen Gehörs mit Beschluß vom 27. Februar 2012 für den Wirkungskreis „Entgegennahme der Zustellung des noch zu erlassenden Beschlusses über die Genehmigung der Erbausschlagung vom 20. Dezember 2011 gegenüber dem zuständigen Amtsgericht - Nachlaßgericht - Hannover (56 VI 4484/11) und die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts bzw. Einlegung eines Rechtsmittels gegen diesen Beschluß für den Minderjährigen“ Ergänzungspflegschaft angeordnet. Zugleich hat es einen Rechtsanwalt zum Ergänzungspfleger bestellt.

Gegen die in dem Beschluß ausgesprochene Anordnung einer Ergänzungspflegschaft richtet sich die am 5. März 2012 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerde des Vormundes. Dieser macht – auch unter Bezugnahme auf eine umfangreiche, bereits vor Beschlußerlaß eingereichte Stellungnahme vom 14. Februar 2012 sowie unter Berufung auf die Entscheidung des BGH vom 18. Januar 2012 – XII ZB 489/11 - FamRZ 2011, 1788 ff. - geltend, für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft sei keine Notwendigkeit gegeben, da zwischen dem Kind und seinem gesetzlichen Vertreter kein Interessenwiderstreit bestehe. Insofern sei eine Einschränkung der Vertretungsbefugnisse des Vormundes weder geboten noch zulässig.

Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 13. März 2012 „der Beschwerde … nicht abgeholfen“ und die Sache dem Senat vorgelegt.

II.

1. Bei dem Beschluß des Amtsgerichts – Familiengericht – Hannover vom 27. Februar 2012 handelt es sich um die erstinstanzliche Endentscheidung in einer Familiensache; insofern stellt das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Jugendamtes eine befristete Beschwerde nach § 58 FamFG dar. Bei einer solchen ist - worauf der Senat bereits wiederholt hingewiesen hat (vgl. zuletzt etwa Senatsbeschluß vom 9. August 2012 - 10 UF 192/12 - BeckRS 2012, 17455 = juris) - gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 das Amtsgericht zu einer Abhilfeprüfung und -entscheidung nicht befugt.

2. Die Beschwerde des Vormundes ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist das vorliegend bereits vor dem angefochtenen Beschluß zum Vormund bestellte und insofern tätige Jugendamt zur Beschwerde gegen die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft – sowohl im eigenen, wie auch im Namen des von ihm gesetzlich vertretenen Kindes – auch beschwerdebefugt. Soweit der BGH in seinem Beschluß vom 23. November 2011 (XII ZB 293/11 - FamRZ 2012, 292 f. = NJW 2012, 685 f. = MDR 2012, 301 f.) die Beschwerdeberechtigung des Jugendamtes gegen die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft verneint hat, lag dem eine wesentlich andere Ausgangslage zugrunde. Zwar war auch dort mit dem nämlichen Beschluß zum einen die Ergänzungspflegschaft angeordnet und zum anderen ein Ergänzungspfleger ausgewählt und bestellt worden; allerdings war dort das Jugendamt lediglich als bestellter Ergänzungspfleger beteiligt und damit an der – logisch vorgängigen – Anordnung der Ergänzungspflegschaft selbst nicht beteiligt. Im Streitfall dagegen ist das Jugendamt durch die Bestellung des Ergänzungspflegers in seiner eigenen, bereits zuvor bestehenden Stellung als Vormund betroffen und insofern nach § 59 Abs. 1 FamFG sowohl selbst als auch als Vormund im Namen des von ihm allgemein gesetzlich vertretenen Kindes zur Beschwerde befugt.

3. Die Beschwerde ist jedoch in der Sache nicht begründet.

Der Senat hat bereits in dem – dem BGH-Beschluß vom 23. November 2011 (aaO) zugrundeliegenden Beschluß vom 4. Mai 2011 (10 UF 78/11 - Rpfleger 2011, 436 f. = ZErb 2011, 198 ff = ERbBstg 2011, 186 f. = FamFR 2011, 287 = BeckRS 2011, 10185 = juris = FamRZ 2011, 1304 [Ls]) - ausgeführt:

„Das Amtsgericht hat zu Recht eine Ergänzungspflegschaft angeordnet.

Nach § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB erhält, wer unter elterlicher Sorge steht, für Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern verhindert sind, einen Pfleger. Eine Verhinderung der Eltern oder – wie hier – eines allein sorgeberechtigten Elternteils ist gemäß § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 1796 Abs. 2 BGB insbesondere gegeben, wenn das Interesse des betroffenen Kindes zu dem Interesse der Kindesmutter in erheblichem Gegensatz steht.

Teilweise wird die Ansicht vertreten, ein allein sorgeberechtigter Elternteil könne das Kind grundsätzlich nicht in einem Erbausschlagungsverfahren vertreten, weil das Interesse des Kindes zu demjenigen der Mutter in erheblichem Gegensatz stehe, so daß die Bestellung eines Ergänzungspflegers notwendig sei (vgl. KG Berlin - Beschluß vom 4. März 2010 - 17 UF 5/10 - FamRZ 2010, 1171-1173). In Verfahren, die die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand haben, könne das rechtliche Gehör nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung in seinen Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Es sei nicht zu erwarten, daß der Elternteil, wenn die zu erlassende Entscheidung seinem Antrag entspricht, den Beschluß noch einmal unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls prüft (vgl. KG Berlin a.a.O.).

Das Kammergericht stützt seine Entscheidung zur Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers maßgeblich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens das rechtliche Gehör im Regelfall nicht durch denjenigen vermittelt werden kann, dessen Handeln im Genehmigungsverfahren überprüft werden soll (vgl. BVerfG - Beschluß vom 18. Januar 2000 - 1 BvR 321/96 - NJW 2000, 1709-1711). Die nachlaßgerichtliche Genehmigung eines von einem Nachlaßpfleger abgeschlossenen Erbauseinandersetzungsvertrages ohne Anhörung der Erben verletzt danach die Grundsätze des fairen Verfahrens. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden, daß ein Dritter das rechtliche Gehör nur vermitteln kann, wenn er das Vertrauen des Berechtigten genießt oder einer besonderen rechtsstaatlichen Objektivitätspflicht unterworfen ist (vgl. BVerfG - Beschluß vom 30. Oktober 1990 - 2 BvR 562/88 - NJW 1991, 1283 ff.).

Nach anderer Auffassung ist dem Kind in einem Erbausschlagungsverfahren nicht grundsätzlich zur Wahrnehmung der Verfahrensrechte ein Ergänzungspfleger zu bestellen. Die Entziehung der Vertretungsmacht komme nur in Betracht, wenn im Einzelfall - über eine allgemeine typische Risikolage hinaus - konkrete Hinweise auf einen Interessengegensatz zwischen Kindesmutter und Kind gegeben sind und wenn aufgrund konkreter Umstände nicht zu erwarten ist, daß die Kindesmutter unabhängig vom Ausgang des Genehmigungsverfahrens die Interessen des betroffenen Kindes wahrzunehmen bereit und in der Lage ist (vgl. Brandenburgisches OLG - Beschluß vom 6. Dezember 2010 - 9 UF 61/10 - juris).

Der Senat schließt sich im Ergebnis der zuerst genannten Auffassung an.

Es ist zwar kein erheblicher Interessengegensatz im Sinne von § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 1796 Abs. 2 BGB gegeben. Entscheidend ist insoweit, daß die vorrangig als Erbin berufene Kindesmutter im Hinblick auf den offensichtlich überschuldeten Nachlaß bereits die Erbschaft ausgeschlagen und selbst keinen wirtschaftlichen Vorteil durch die nachfolgende Ausschlagung der Erbschaft für das betroffene Kind hat.

Die allein sorgeberechtigte Kindesmutter ist aber an der Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die Erbausschlagung vom Familiengericht genehmigt wird, verhindert.

Nach § 41 Abs. 3 FamFG ist ein Beschluß, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat, auch demjenigen bekannt zu geben, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird. Die Vorschrift trägt der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, wonach dem Beteiligten die Möglichkeit eingeräumt werden muß, bei einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen (vgl. BT-Drucksache 16/6308 S. 197). Anders als in anderen Verfahren kann die Gewährung rechtlichen Gehörs bei der Genehmigung eines Rechtsgeschäfts nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung in seinen Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Der Gesetzgeber wollte gewährleisten, daß der Rechtsinhaber selbst von der Entscheidung so frühzeitig Kenntnis erlangt, daß er selbst fristgerecht Rechtsmittel einlegen sowie einen etwaigen Rechtsmittelverzicht zügig widerrufen kann (vgl. BT-Drucksache 16/6308 S. 197).

Die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts ist also auch dem Kind bekannt zu geben (vgl. Keidel16–Meyer-Holz, FamFG, § 41 Rdn 4; Heinemann, DNotZ 2009, 6,17). Da das hier betroffene Kind gemäß § 9 Abs. 1 FamFG nicht verfahrensfähig ist, kommt eine unmittelbare Bekanntgabe an das Kind nicht in Betracht. Soweit ein Kind nicht verfahrensfähig ist, handeln gemäß § 9 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich die Eltern für das Kind. Die Bekanntgabe der familiengerichtlichen Genehmigung der Erbausschlagung an die sorgeberechtigten Elternteile genügt aber nicht den Anforderungen des § 41 Abs. 3 FamFG. Aus dem Wortlaut des § 41 Abs. 3 FamFG, wonach der Beschluß "auch" demjenigen bekannt zu geben ist, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird, ergibt sich, daß die Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3 FamFG neben die Bekanntgabe nach § 41 Abs. 1 FamFG tritt (vgl. BT-Drucksache 16/6308 S. 197). Außerdem wollte der Gesetzgeber etwaigen Widersprüchen zu § 1828 BGB vorbeugen, wonach das Familiengericht die Genehmigung zu einer Erbausschlagung (§ 1822 Nr. 1 BGB) nur den Eltern bzw. dem allein sorgeberechtigten Elternteil gegenüber erklären kann.

Die Bestellung eines Verfahrensbeistandes kommt nicht als milderes Mittel statt einer Anordnung der Ergänzungspflegschaft in Betracht (anders: Zöller28–Feskorn, ZPO, § 41 FamFG Rdn. 8; Heinemann DNotZ 2009, 6, 17; Harders DNotZ 2009, 725, 730). Zustellungen an nicht verfahrensfähige Personen sind gemäß §§ 41 Abs. 3, 15 Abs. 1 und 2, 9 Abs. 2 FamFG, § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu Händen des gesetzlichen Vertreters zu bewirken. Die Ergänzungspflegerin vertritt das Kind gemäß §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1793 Abs. 1 S. 1 BGB. Im Gegensatz dazu ist der Verfahrensbeistand nach § 158 Abs. 4 S. 6 FamFG nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes, so daß Zustellungen für das Kind nicht an den Verfahrensbeistand bewirkt werden können (vgl. ebenso OLG Köln - Beschluß vom 10. August 2010 - 4 UF 127/10 - FamRZ 2011, 231 (Leitsatz); OLG Oldenburg - Beschluß vom 26. November 2009 - 14 UF 149/09 - FamRZ 2010, 660-662).“

An dieser grundsätzlichen Beurteilung hält der Senat auch im Lichte des vorliegenden Beschwerdevorbringens fest. Auch aus der Tatsache, daß im Streitfall das betroffene Kind nicht – wie im seinerzeitigen Verfahren – durch einen Elternteil vertreten wurde und es infolgedessen um die Überprüfung eines Antrages dieses Elternteiles ging, sondern nunmehr eine Vertretung durch das Jugendamt vorliegt und eine Genehmigung dessen Antrages in Rede steht, ergeben sich unter den nach dem Ansatz des Senates tragenden Erwägungen keine rechtlich erheblichen Abweichungen.

4. Da die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zur Notwendigkeit einer Ergänzungspflegerbestellung in der vorliegend gegenständlichen Ausgangslage nach wie vor uneinheitlich ist, war gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Entscheidung über den Verfahrenswert auf § 45 Abs. 1 S. 1 FamGKG.