KG, Urteil vom 14.03.2012 - (4) 161 Ss 508/11 (41/12)
Fundstelle
openJur 2012, 88955
  • Rkr:

Liegt nicht der gesetzlich geregelte Fall einer gerichtlichen Beiordnung eines Verletztenbeistands nach den §§ 397a, 406g Abs. 3, 4 StPO vor, sondern bedient sich der Nebenkläger auf eigene Kosten in der Hauptverhandlung des Beistands eines Rechtsanwalts, spricht keine Vermutung für die Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung. Diesem ist demgemäß weder in der Regel ein Pflichtverteidiger beizuordnen noch darf von der Bestellung eines Pflichtverteidigers gar nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen besonderer Umstände abgesehen werden. Vielmehr ist ohne Bindung an eine Vermutung im Wege einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles zu untersuchen, ob erhebliche Zweifel an der Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung begründet sind.

Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 25. Mai 2011 wird mit der Maßgabe verworfen, dass dem Angeklagten gestattet wird, die Gesamtgeldstrafe in monatlichen Teilbeträgen von 90 (neunzig) Euro, beginnend mit dem auf die Bekanntgabe dieser Entscheidung folgenden Monat, jeweils bis zum 15. eines Monats, zu zahlen. Diese Vergünstigung entfällt, wenn der Angeklagte schuldhaft einen Teilbetrag nicht rechtzeitig zahlt.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen Beleidigung und vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro sowie zu einer Geldzahlung an den Adhäsionskläger S. verurteilt, der auch als Nebenkläger zum Verfahren zugelassen war.

Mit seiner hiergegen eingelegten (Sprung-) Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit näheren Ausführungen macht er den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO geltend, weil die Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Verteidigers durchgeführt worden ist. Der Revisionsführer ist der Ansicht, ihm hätte im Hinblick darauf, dass der Nebenkläger in der Hauptverhandlung durch eine (nicht gerichtlich beigeordnete) Rechtsanwältin vertreten worden ist, nach § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt werden müssen.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Der Senat lässt dahin stehen, ob die Rüge im Sinn von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausreichend begründet worden ist. Nach dieser Vorschrift müssen bei Erhebung der Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenen Tatsachen so genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht allein aufgrund dieser Darlegung das Vorhandensein - oder Fehlen - eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden (vgl. nur Kuckein in KK-StPO 6. Auflage, § 344 Rn. 38). Ob diese Anforderungen hier erfüllt sind, ist nicht ganz unzweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung; denn die Verfahrensbeschwerde ist jedenfalls unbegründet.

1. Dem Verfahren liegt der mit Strafbefehlsantrag der Amtsanwaltschaft Berlin erhobene Vorwurf zugrunde, der Angeklagte habe am 13. März 2010 gegen 7.45 Uhr in der von ihm und dem Nebenkläger bewohnten Wohnung diesen sowie den weiteren Geschädigten B. beleidigt und geschlagen, dem Zeugen B. überdies einen Fußtritt versetzt.

Auf seinen ausdrücklich auf § 147 Abs. 7 StPO gestützten Antrag sind dem Angeklagten nicht nur einzelne Abschriften aus der Akte ausgehändigt worden, sondern die zuständige Amtsanwältin hat ihm eine vollständige Kopie der Akte zum Zeitpunkt des Strafbefehlsantrags überlassen. Der vom Amtsgericht am 7. März 2011 erlassene Strafbefehl führt als Beweismittel neben dem Polizeibeamten, der lediglich die Anzeigen aufgenommen hatte, die beiden Geschädigten sowie die Zeugin M. auf, die ebenfalls in der Wohnung anwesend gewesen war. Die schriftlichen Sachverhaltsschilderungen der drei Tatzeugen, die insgesamt weniger als fünf Seiten umfassten, waren ebenso Bestandteil der dem Angeklagten zur Verfügung gestellten Aktenkopie, wie ein Erste-Hilfe-Bericht des Klinikums L. vom 13. März 2010 betreffend die Verletzungen des Zeugen S.

Gegen den Strafbefehl hat der Angeklagte fristgemäß Einspruch eingelegt. Auf sein erneutes Begehren um Überlassung von Kopien der wesentlichen Aktenbestandteile ist ihm Akteneinsicht an Gerichtsstelle angeboten worden, wobei anzumerken ist, dass zwischenzeitlich außer den Antragsschriften und eigenen Stellungnahmen des Angeklagten keine Bestandteile von inhaltlicher Substanz zu den Akten gekommen waren. Zu dem später angebrachten Adhäsionsantrag des Nebenklägers hat der Angeklagte noch vor der Hauptverhandlung ausführlich Stellung genommen.

In der Hauptverhandlung, die insgesamt nur wenig mehr als 1 ¼ Stunden dauerte, sind die Zeugen S., B. und M. gehört worden. Das Amtsgericht hat Feststellungen getroffen, die dem Strafbefehl entsprechen und den Sachverhalt sowie dessen Vorgeschehen und Begleitumstände lediglich etwas näher darstellen. Die zu Lasten des bestreitenden Angeklagten vorgenommene Beweiswürdigung hat das Amtsgericht auf 1 ½ Seiten dargestellt.

2. Entgegen der Auffassung der Revision und der Generalstaatsanwaltschaft Berlin hält das Verfahren des Amtsgerichts rechtlicher Nachprüfung stand. Ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO lag nicht vor.

a) Zwar kann die Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung erheblich beeinträchtigt sein, wenn er sich in der Hauptverhandlung einem Nebenkläger gegenübersieht, der sich des fachkundigen Beistands und Rats eines Rechtsanwalts bedient. Nach § 140 Abs. 2 Hs. 2 StPO wird die Unfähigkeit zur Selbstverteidigung – dies folgt aus der Formulierung „namentlich“ - vermutet, wenn dem Verletzten nach den §§ 397a und 406g Abs. 3 und 4 StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. In diesem Fall ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers mithin zwar nicht zwingend, wird aber im Regelfall geboten sein. Mitunter wird diese Regelung zugespitzt dahin ausgelegt, dass die Beiordnung „der zwingende Grundsatz sein wird, wovon nur in Ausnahmefällen wird abgesehen werden können“, dass nur „besondere Umstände“ es „ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen könnten“, von der Bestellung abzusehen (in diesem Sinne OLG Hamm StV 1999, 11). Ob eine solche enge Interpretation für den gesetzlich geregelten Fall der Beiordnung eines Opferanwalts richtig ist, kann offen bleiben, weil diese Frage hier nicht entscheidungserheblich ist.

b) Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin trifft es angesichts der Gesetzesfassung und der aus den Materialien ersichtlichen gesetzgeberischen Bewertung der verschiedenen Sachverhalte nicht zu, dass auch bei Nichtvorliegen des in § 140 Abs. 2 StPO gesetzlich geregelten Falles einer gerichtlichen Beiordnung eines Verletztenbeistands ein Regelfall der notwendigen Verteidigung gegeben sei, und von der Bestellung eines Pflichtverteidigers gar nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen besonderer Umstände abgesehen werden dürfe.

aa) Eine solche rechtliche Betrachtung liefe auf die Missachtung der gesetzgeberischen Differenzierung zwischen den Fällen einer gerichtlichen Beiordnung eines Verletztenanwalts und jenen hinaus, in denen sich der Verletzte, ohne dass ein gesetzlich anerkannter Anlass hierfür besteht, auf eigene Kosten eines Rechtsanwalts bedient. Die insoweit eindeutige Fassung des § 140 Abs. 2 StPO beruht auf einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung. Den Materialien ist zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber von der Erwägung hat leiten lassen, die - mit Wirkung vom 1. April 1987 eingefügte - Erweiterung des § 140 Abs. 2 StPO sei auf den Fall, dass dem Verletzten ein Rechtsanwalt bestellt wird, „beschränkt“ (vgl. BTDrucks. 10/6124 S. 13). Weiter wird ausgeführt: „Das schließt allerdings nicht aus, daß dem Beschuldigten auch dann nach § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger bestellt wird, wenn sich der Verletzte auf seine Kosten eines Rechtsanwalts als Beistand bedient. Es kann sich ebenso gut auch in diesem Fall ergeben, daß die Sach- oder Rechtslage schwierig wird oder der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann“ (vgl. BTDrucks. aaO; Hervorhebungen durch den Senat).

Die hiernach bewusst vorgenommen Beschränkung der gesetzlichen Vermutung, der Angeklagte sei zu hinreichender Selbstverteidigung nicht imstande, auf den Fall der gerichtlichen Beiordnung eines Verletztenanwalts ist auch sachlich gerechtfertigt. Denn die Bestellung eines Rechtsanwalts ist für den zugelassenen Nebenkläger gemäß § 397a StPO vom Vorliegen bestimmter Delikte mit erhöhtem Unrechtsgehalt und typischer Weise eintretenden, nicht unerheblichen Tatfolgen für das Opfer (Absatz 1) oder aber davon abhängig, dass der Verletzte unfähig oder es ihm nicht zumutbar ist, seine Interessen selbst ausreichend wahrzunehmen (Absatz 2), wofür unter anderem eine besondere Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage von Belang sein kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 397a Rn. 9).

bb) Soweit in der Kommentarliteratur auch bei Tätigwerden eines nicht beigeordneten Verletztenanwalts ein Regelfall der notwendiger Verteidigung angenommen wird (vgl. Meyer-Goßner aaO, § 140 Rn. 31; Pfeiffer, StPO 5. Aufl., § 140 Rn. 7; Julius in HK-StPO 4. Aufl., § 140 Rn. 15; Haizmann in KMR-StPO, § 140 Rn. 38; Wessing in Graf, StPO, § 140 Rn. 22; nicht ganz deutlich Lüderssen/Jahn in LR-StPO 26. Aufl., § 140 Rn. 101; demgegenüber mit zutreffender Zurückhaltung Laufhütte in KK-StPO 6. Aufl., § 140 Rn. 24 und Reinhart in Radtke/Hohmann, StPO, § 140 Rn. 32), fehlt es an einer Begründung für diese Ansicht. Die stattdessen im Wesentlichen gleichlautend angeführten obergerichtlichen Entscheidungen stützen und enthalten den angenommenen Rechtsgrundsatz überwiegend nicht. Hinzu tritt, dass die zitierten Judikate mit dem vorliegend zu beurteilenden Fall in tatsächlicher Hinsicht nicht vergleichbar sind:

Das OLG Köln hatte in seiner in NStZ 1989, 542 veröffentlichten Entscheidung (Beschluss vom 25. August 1989, Ss 379/89) über den Fall einer Berufung der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen ein freisprechendes Urteil des Amtsgerichts zu befinden. Allein diese Fallkonstellation erfordert im Regelfall schon die Bestellung eines Pflichtverteidigers (vgl. nur Meyer-Goßner aaO, § 140 Rn. 26a m.w.N.), sodass die fehlende Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen auf der Hand liegt. Prüfungsansatz des OLG war zudem der Rechtsgrundsatz, dass neben dem gesetzlich geregelten Fall „im Einzelfall auch“ durch die Tätigkeit eines auf Kosten des Verletzten tätig werdenden Anwalt ein Ungleichgewicht drohen könne und die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich sei, wenn hierdurch die Verteidigung des Angeklagten beeinträchtigt werden könne. Diese Gefahr hat das OLG in jenem konkreten Fall bejaht und hierfür auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten bei der Beweiserhebung und Beweiswürdigung sowie insbesondere darauf abgestellt, dass dem Angeklagten mangels Akteneinsicht keine sachgerechten Fragen an die in der Berufungshauptverhandlung vernommenen insgesamt sechs Zeugen möglich gewesen seien. An diesem Rechtsgrundsatz hat das OLG Köln in seinem Beschluss vom 3. Dezember 2010 (III-1 RVs 213/10 = StraFo 2011, 49) festgehalten und dort die Bejahung der Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO darauf gestützt, dass dem Angeklagten eine Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe drohte, bei der Beurteilung der Strafrahmenwahl Rechtskenntnisse erforderlich waren und sich die Frage gestellt hatte, wie auf eine prozessuale Komplikation, nämlich das Nichterscheinen zweier Zeugen, zu reagieren war. Die ebenfalls für den vermeintlichen Regelfall ins Feld geführte Entscheidung des OLG Köln vom 20. Oktober 1987 (Ss 495/87) enthält – jedenfalls dem bei Juris veröffentlichten Orientierungssatz zufolge - nicht den angenommenen Rechtsgrundsatz, sondern im Gegenteil die Formulierung, die Bestellung beschränke sich bei Befürchtung eines Ungleichgewichts ausnahmsweise nicht auf den gesetzlich geregelten Fall.

Das OLG Saarbrücken (Beschluss vom 20. März 2006, Ss 15/05 [25/05] = NStZ 2006, 718) hat die gesetzgeberische Differenzierung ebenfalls beachtet. Es hat dabei die Frage, ob bei Tätigkeit eines vom Verletzten beauftragten Rechtsanwalts bereits die abstrakte Gefahr eines Ungleichgewichts genüge, bewusst offen gelassen. Das OLG hat sodann - ohne Bindung an eine vermeintliche Regel oder Vermutung - zutreffend eine Einzelfallprüfung dahin vorgenommen, ob im gegebenen Fall die konkrete Gefahr eines prozessualen Ungleichgewichts zwischen dem anwaltlich vertretenen Nebenkläger und dem sich selbst verteidigenden Angeklagten gegeben war. Diese Frage hat es mit Blick auf den „Verfahrensgegenstand und die nicht unproblematische Sach- und Rechtslage“ bejaht, weil sich die bisher unbescholtene Angeklagte einer Mindeststrafdrohung von sechs Monaten Freiheitsstrafe ausgesetzt sah, in der Hauptverhandlung ein Hinweis nach § 265 StPO erteilt worden war, der sich aber nicht ausgewirkt hatte, in rechtlicher Hinsicht u.a. über die Abgrenzung zwischen dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit zu entscheiden war, einer der beiden Opferzeugen nicht erschienen und auf dessen Vernehmung allseits verzichtet worden war, sowie schließlich Umstände in der Person der Angeklagten vorlagen, die für eine Einschränkung ihrer Fähigkeit zur Selbstverteidigung sprachen.

Auch das OLG Zweibrücken hat entgegen der Kommentierung u.a. von Meyer-Goßner den angenommenen Rechtssatz nicht aufgestellt. Die Annahme eines Regelfalls der Pflichtverteidigung oder einer Vermutung für deren Vorliegen findet sich weder im Beschluss dieses Gerichts vom 11. Oktober 2004 (1 Ss 171/04 = StV 2005, 491 = StraFo 2005, 28), noch in jenem vom 13. Dezember 2001 (1 Ss 222/01 = NStZ-RR 2002, 112 = StV 2002, 237). In der älteren der beiden Entscheidungen war die Bejahung der notwendigen Verteidigung auf die Schuldschwere (nach erstinstanzlicher Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten), die Erforderlichkeit der Auseinandersetzung mit einem umfangreichen Gutachten zur Glaubwürdigkeit einer kindlichen Opferzeugin und hinsichtlich der Vertretung der Nebenklägerin durch einen Rechtsanwalt schließlich mit Blick auf die dem Angeklagten verwehrte Akteneinsicht gegründet worden. Die jüngere Entscheidung hat - ebenfalls auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung ohne Bezugnahme auf eine Entscheidungsregel – die Annahme der notwendigen Verteidigung auf „eine nicht völlig unproblematische Beweiserhebung und -würdigung“, nämlich darauf gestützt, dass eine in früherer Verhandlung vernommene Entlastungszeugin (ersichtlich eine Alibizeugin) in der Hauptverhandlung nicht erschienen und weder vernommen worden war, noch deren Aussage sonst zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden war, was Folge der fehlenden Verteidigung gewesen sein könne.

cc) Soweit andere Kommentarstimmen darüber hinaus offenbar sogar annehmen wollen, die Bestellung sei bei jeder Inanspruchnahme eines Opferanwalts ausnahmslos geboten (vgl. Wohlers in SK-StPO, § 140 Rn. 52: „die Beiordnung ist aber auch dann erforderlich, wenn …“; Hervorhebung durch den Senat), fehlt auch dafür jede Begründung. Weder tragen die Gründe der für diese Ansicht angeführten Entscheidungen den Schluss auf einen solchen Rechtsgrundsatz, noch sind die Fallkonstellationen der Judikate, die diese Rechtsauffassung belegen sollen, mit der hiesigen vergleichbar:

Das OLG Celle (Beschluss vom 20. August 1999, 23 Ss 50/99 [bei juris] = StV 2000, 70 [red. Leitsatz]) hatte über den Fall einer Berufung der Staatsanwaltschaft gegen einen Freispruch zu entscheiden, in dem überdies ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen den Angeklagten, dem keine Akteneinsicht gewährt worden war, bildete. Die Ausführungen zu der hier interessierenden Rechtsfrage hat das OLG lediglich ergänzend und mit erkennbarer Zurückhaltung (ein weiterer Fall der notwendigen Verteidigung „soll gegeben sein“) sowie inhaltlich allein mit Blick auf die dem Verletztenanwalt gewährte Akteneinsicht angefügt.

Im Fall des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 7. Februar 2000, 2a Ss 357/9975/99 III; 3 Ws 604-605/99 = AnwBl 2002, 122 = StV 2000, 408 [red. Leitsatz]) war dem Nebenkläger ein Rechtsanwalt beigeordnet, so dass ohnehin die gesetzliche Fallgestaltung gegeben war, und lagen zudem mehrere weitere Gesichtspunkte vor, die zur Annahme der notwendigen Verteidigung führten (u.a. Berufung der Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil; umfangreiche Beweisaufnahme an vier Hauptverhandlungstagen, die eine 18seitige Beweiswürdigung im Berufungsurteil zur Folge hatte; rechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit von Telefonüberwachungen).

Das OLG Koblenz (Beschluss vom 17. Dezember 2003 – 2 Ws 910/03 = BeckRS 2003, 30336020) hat ebenfalls ohne Bezugnahme auf eine vermeintliche Regel oder Vermutung eine Einzelfallprüfung vorgenommen und die Bejahung der notwendigen Verteidigung wegen eines prozessualen Ungleichgewichts im konkreten Fall auf die erstinstanzlich ausgesprochene Strafe von zehn Monaten Freiheitsstrafe sowie den erheblichen Umfang der zu erwartenden Beweisaufnahme in der Berufungshauptverhandlung (20 geladene Zeugen, darunter mehrere ehemalige Mitangeklagte) und insoweit vor allem auf die Tatsache gestützt, dass der Angeklagte mangels Akteneinsicht den Inhalt der früheren polizeilichen und richterlichen Vernehmungen der zahlreichen Beweispersonen nicht kannte.

Schließlich findet sich der behauptete Rechtsgrundsatz auch nicht in dem Beschluss des OLG München vom 13. Dezember 2005 (5St RR 129/05 = NJW 2006, 789). Jenem Verfahren lagen die erstinstanzliche Verhängung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr sowie ersichtlich die gesetzlich geregelte Fallgestaltung eines beigeordneten Verletztenbeistands zugrunde. Das OLG hat überdies bei der nach seiner Ansicht gleichwohl noch gebotenen Einzelfallprüfung auf die „nicht völlig einfach gelagerte Beweiserhebung und Beweiswürdigung“ sowie den Umstand abgestellt, dass mit Blick auf widersprüchliche Zeugenaussagen durch die dem Nebenklägeranwalt gewährte Akteneinsicht im Verhältnis zum unverteidigten Angeklagten ein Ungleichgewicht eingetreten sei.

Auch das Kammergericht (unveröffentlichter Beschluss vom 7. April 2003 – 4 Ws 53/03 -) hat mit Blick auf die anwaltliche Beratung des Geschädigten im Wege einer Einzelfallprüfung ohne die Annahme eines Regelfalles oder die Bezugnahme auf eine Vermutung im Fall eines erst seit drei Jahren in Deutschland lebenden Asylbewerber aus Sierra Leone ohne Deutschkenntnisse die notwendige Verteidigung im (schriftlichen) Revisionsverfahren bejaht.

dd) Der u.a. von Meyer-Goßner angenommene Rechtsgrundsatz ist lediglich in zwei Entscheidungen tatsächlich enthalten:

Zum einen findet er sich in dem Beschluss des OLG Stuttgart vom 7. Juli 2008 (2 Ss [29] 209/08 = NStZ-RR 2008, 312 = StV 2009, 12). Diese Entscheidung weist jedoch keine Begründung für die Ansicht auf, ein Pflichtverteidiger sei auch bei Tätigkeit eines nur vom Verletzten beauftragten Rechtsanwalts „in der Regel“ zu bestellen; sondern sie begnügt sich mit einem Hinweis auf die bereits dargestellte Entscheidung des OLG Saarbrücken, der aber – wie dargelegt - nicht tragfähig ist. Die unbegründet gebliebene Rechtsansicht des OLG Stuttgart war für dessen Entscheidung auch nicht tragend, so dass sich der Senat mit der Rechtsauffassung des OLG nicht abschließend befassen muss. Denn ausweislich der Entscheidungsgründe waren „darüber hinaus“ die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten infolge (näher dargestellter) besonderer psychischer Beeinträchtigungen „gravierend eingeschränkt“, woraus sich „ein besonderes Schutzbedürfnis und ein Grund für die Erforderlichkeit der Verteidigerbestellung“ ergeben habe.

Zum anderen hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm mit Beschluss vom 9. Februar 2004 (2 Ss 21/04 = StraFo 2004, 242; weitere Fundstellen bei juris) von einem Regelfall der notwendigen Verteidigung auch bei Fehlen der gesetzlichen Voraussetzung gesprochen und darüber hinaus die von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin übernommene, weitergehende enge Interpretation vorgenommen. Das OLG Hamm hat die fraglichen Rechtsgrundsätze ohne jede Begründung und inhaltliche Auseinandersetzung mit der Rechtsfrage aufgestellt; es hat vielmehr ausschließlich seinen eigenen Beschluss vom 8. September 1998 (2 Ss 1075/98 = StV 1999, 11) für seine Auffassung in Anspruch genommen. Damals hatte das OLG allerdings eine Entscheidung zum gesetzlich geregelten Fall eines gerichtlich beigeordneten Verletztenbeistands getroffen. Nunmehr hat das Gericht den Text jenes Beschlusses nahezu wortgleich übernommen, allerdings anstatt von „Fällen der Beiordnung eines Beistands für den Verletzten“ – wie es in der Entscheidung von 1998 richtig lautete - nunmehr von „Fällen des Vorliegens eines Beistands für den Verletzten“ gesprochen. Das OLG hat weder offen gelegt, dass sich seine Ansicht in der älteren Entscheidung auf das Gesetz stützen konnte (s.o.), während der anderen diese gesetzliche Grundlage fehlt, noch hat es sich mit der rechtlichen Problematik überhaupt inhaltlich befasst. Welcher Art die „besonderen Umstände“ sein müssten, ist zudem weder dogmatisch noch im Tatsächlichen ansatzweise geklärt. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin könnte sich der Senat dieser Rechtsprechung nicht anzuschließen. Darauf kommt es aber im Ergebnis nicht an, weil die vom OLG Hamm entschiedene Fallgestaltung maßgeblich von der vorliegenden abwich. Dort ging es um ein Jugendstrafverfahren, in dem der Vorwurf einer gefährlichen Körperverletzung gegen den Angeklagten erhoben war, der im Zustand einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit gehandelt hatte, und gegen den wegen Schwere der Schuld eine Jugendstrafe von sechs Monaten verhängt worden war, sodass auch mit rechtlich vertretbarer Begründung ein Fall notwendiger Verteidigung anzunehmen gewesen wäre.

c) Dahin stehen kann, ob der bei der Diskussion der Rechtsfrage oftmals angeführte Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ angesichts der Ausgestaltung des deutschen Strafprozesses ohne weitere Erläuterungen, an denen es jeweils fehlt, für sich genommen ein stichhaltiges Argument bieten kann. Sollte der Berufung auf diesen Grundsatz die Vorstellung zugrunde liegen, ein unverteidigter Angeklagter sei dem Beistand des Verletzten in der Hauptverhandlung gleichsam schutzlos ausgeliefert, entspräche ein solches Verständnis nicht der Verfahrensgestaltung und den Aufgaben der staatlichen Beteiligten im deutschen Strafverfahren. Diese unterscheiden sich von denen im Strafverfahren des angloamerikanischen Rechtsraums, in welchem der genannte Grundsatz einen besonderen Stellenwert besitzt (und infolge dessen auch die Rechtsprechung des EGMR in besonderer Weise prägt), maßgeblich (vgl. zu diesem Aspekt auch LG Halle [Saale], Beschluss vom 16. April 2009 – 9 Ns 7/09 – [juris]).

d) Nach allem ist vorliegend, ohne dass ein Regelfall der notwendigen Verteidigung anzunehmen oder gar nur bei Vorliegen besondere Umstände deren Verneinung zulässig wäre, im Wege einer Einzelfallprüfung ohne Bindung an eine Vermutung zu untersuchen, ob erhebliche Zweifel an der Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO begründet waren. Bei der Beurteilung dieser Frage sind alle Umstände des konkreten Falles in den Blick zu nehmen. Diese Prüfung führt zu der Annahme, dass sich der Angeklagte selbst hinreichend verteidigen konnte und dies ersichtlich auch tat.

Der von mehreren der oben dargestellten Entscheidungen in dem Mittelpunkt gerückte Aspekt, dass dem Angeklagten die zu seiner Verteidigung nötige Akteneinsicht fehlte, spielte keine Rolle. Der Angeklagte kannte die (wenigen) entscheidungserheblichen Aktenteile, aus denen sich zudem weder tatsächliche, noch rechtliche Schwierigkeiten ergaben. Das Gewicht der Taten und die im Raum stehende Strafdrohung waren nicht erheblich. Der Sachverhalt und die Beweisaufnahme, die ohne jegliche Komplikation durchgeführt werden konnte, waren überschaubar. Ohne dass dies von entscheidender Bedeutung wäre, ist nicht ersichtlich, dass die Rechtsanwältin des Verletzten im Rahmen der Beweisaufnahme überhaupt in Erscheinung getreten ist; sie hat sich ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls bei den Schlussvorträgen lediglich als Adhäsionsklägervertreterin zum Adhäsionsantrag erklärt und ein angemessenes Schmerzensgeld gefordert. Besonderheiten bei der Beweiswürdigung sind weder aus dem Urteil ersichtlich, noch sind solche geltend gemacht. Der Angeklagte ist ausweislich seiner schriftlichen Stellungnahmen, die er zum Verfahrensgeschehen abgegeben hat, zur Wahrung seiner rechtlichen Interessen grundsätzlich in der Lage; auch gegen die Entscheidung des Amtsgerichts hat er selbst rechtzeitig Rechtsmittel eingelegt. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass seine Eingaben auf einer besonderen Persönlichkeitsdisposition beruhen könnten, die ihrerseits Anlass zu der Überlegung geben könnte, das Prozessverhalten des Angeklagten könne unverständlich oder für ihn nachteilig gewesen sein, liegen nicht vor. Solches ist vom Verteidiger auch in der Revision nicht geltend gemacht worden. Entgegen der Ansicht der Revision begründete schließlich die Verlesung des dem Angeklagten bekannten Erste-Hilfe-Berichts, der in gut verständlicher Form nur die schon dem Strafbefehlsantrag zugrunde gelegten Verletzungsfolgen diagnostiziert, sowie einer ärztlichen Bescheinigung, die lediglich eine Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von 12 Tagen attestierte, nicht die Schwierigkeit der Rechtslage.

3. Die weitere, auf die allgemeine Sachrüge vorgenommene Nachprüfung des Urteils deckt mit einer Ausnahme keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das Amtsgericht hat es lediglich versäumt, angesichts der Höhe der Gesamtgeldstrafe und der festgestellten Einkommensverhältnisse der Angeklagten über die Gewährung von Zahlungserleichterungen zu befinden (§ 42 StGB). Der Senat kann diese zwingend gebotene Entscheidung im Revisionsrechtszug nachholen (vgl. BGHR StGB § 42 Zahlungserleichterungen 1, Bewilligung durch Revisionsgericht; Senat, Beschluss vom 6. März 2007 – [4] 1 Ss 61/07 [45/07] -; jeweils m.w.N.). Er erachtet eine monatliche Ratenzahlung von 90 Euro für angemessen. Die Festsetzung einer geringeren Höhe der einzelnen Raten war nicht geboten; denn Ratenzahlungen dürfen eine Geldstrafe nicht in ihrem Wesen verändern und müssen als ernstes Übel fühlbar bleiben (vgl. Fischer, StGB 58. Aufl., § 42 Rn. 10 m.w.N.).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.