LG Duisburg, Urteil vom 31.08.2012 - 7 S 33/12
Fundstelle
openJur 2012, 88832
  • Rkr:

Die Informationspflicht des Reiseveranstalters gemäß § 5 Nr. 1 BGB-InfoV gilt nicht gegenüber Angehörigen von sog. Drittstaaten (hier: Türkei).

Ein vorsorglicher Hinweis an alle Reisenden, dass für Angehörige von Drittstaaten möglicherweise andere Pass- und Visumerfordernisse gelten, ist nicht erforderlich (Anschluss AG Baden-Baden, RRa 2009, 281; Abgrenzung zu LG Düsseldorf, RRa 2006, 162; LG Münster, RRa 2009, 296).

Angehörige von Drittstaaten muss der Reiseveranstalter nur dann über Pass- und Visumerfordernisse informieren, wenn die ausländische Staatsangehörigkeit bei Vertragsschluss aufgrund besonderer Umstände erkennbar ist.

Allein die Umstände, dass der Reisekunde einen türkischen Namen trägt und das Beratungsgespräch teilweise in türkischer Sprache geführt wurde, geben keinen ausreichenden Hinweis auf dessen türkische Staatsangehörigkeit, da in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere im Ruhrgebiet eine große Zahl von Menschen lebt, die zwar türkischer Abstammung sind, aber gleichwohl die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Tenor

Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten zu 1) wird das am 07.02.2012 ver­kün­de­te Urteil des Amts­ge­richts Mül­heim an der Ruhr (13 C 485/11) ab­ge­än­dert und die Klage ab­ge­wie­sen.

Die Kos­ten des Rechts­streits wer­den dem Klä­ger auf­er­legt.

Die­ses Urteil ist vor­läu­fig voll­streck­bar.

Gründe

I.

Wegen der tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen wird Bezug ge­nom­men auf das an­ge­foch­te­ne Urteil (Bl. 97 ff. d. A.). Im Üb­ri­gen wird von einer Dar­stel­lung des Sach- und Streit­stan­des gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO ab­ge­se­hen.

II.

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten zu 1) hat Er­folg.

Dem Klä­ger ste­hen wegen der ver­eitel­ten Reise nach Dubai weder Ge­währ­leis­tungs­an­sprü­che aus §§ 651d ff. BGB noch ein Scha­dens­er­satz­an­spruch aus § 280 Abs. 1 BGB zu. Nach Auf­fas­sung der Kam­mer war die Be­klag­te zu 1) nicht ver­pflich­tet, den Klä­ger un­ge­fragt über die Ein­rei­se­be­stim­mun­gen der Ver­einig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­te auf­zu­klä­ren.

1.

Grund­sätz­lich ist es Sache des Rei­sen­den, das zur Vor­be­rei­tung und plan­mä­ßi­gen Durch­füh­rung der Reise Er­for­der­li­che zu tun, ins­be­son­de­re sich die per­sön­li­chen Rei­se­do­ku­men­te wie Pass, Visum u. ä. zu be­schaf­fen (BGH, NJW 1985, 1185; OLG Ros­tock, RRa 2009, 98). Auf die Vor­schrift des § 5 Nr. 1 BGB-InfoV, wo­nach der Rei­se­ver­an­stal­ter ver­pflich­tet ist, den Rei­sen­den vor Ver­trags­schluss über Pass- und Visum­er­for­der­nis­se zu unter­rich­ten, kann sich der Klä­ger nicht be­ru­fen, da sich diese Ver­pflich­tung nur auf die Er­for­der­nis­se für An­ge­hö­ri­ge des Mit­glied­staa­tes, in dem die Reise an­ge­bo­ten wird, mit­hin auf deut­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge be­zieht. Im Hin­blick auf den wei­ter­ge­hen­den Wort­laut von Art. 4 Abs. 1 lit. a der EG-Pau­schal­rei­se-Richt­li­nie, wo­nach die Hin­wei­se für Staats­an­ge­hö­ri­ge „des bzw. der be­tref­fen­den Mit­glied­staa­ten“ zur Ver­fü­gung ge­stellt wer­den müs­sen, wird zwar eine ent­spre­chen­de An­wen­dung des § 5 Nr. 1 BGB-InfoV auf An­ge­hö­ri­ge an­de­rer EU- (und EWR-) Mit­glied­staa­ten dis­ku­tiert (vgl. Füh­rich, Rei­se­recht, 6. Aufl. 2010, Rn. 663a; Stau­dinger, BGB, Neu­be­arb. 2011, BGB-InfoV § 5 Rn. 2). Gegen­über An­ge­hö­ri­gen von Dritt­staa­ten wie dem Klä­ger, der die tür­ki­sche Staats­bür­ger­schaft be­sitzt, ist der Rei­se­ver­an­stal­ter nach all­ge­mei­nen rei­se­ver­trag­li­chen Grund­sät­zen je­doch nur dann zu einer In­for­ma­tion ver­pflich­tet, wenn die aus­län­di­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit bei Ver­trags­schluss auf­grund be­son­de­rer Um­stän­de er­kenn­bar ist (vgl. Füh­rich, a. a. O., Rn. 663b; Stau­dinger, a. a. O., Ton­ner, in: Mün­che­ner Kom­men­tar zum BGB, 5. Aufl. 2009, BGB-InfoV § 5 Rn. 6).

Von die­sen Grund­sät­zen ist das Amts­ge­richt zu­tref­fend aus­ge­gan­gen, al­ler­dings hat es das Vor­lie­gen der vor­ge­nann­ten Vo­raus­set­zung nach Auf­fas­sung der Kam­mer zu Un­recht be­jaht. Wie die Kam­mer be­reits in an­de­rer Sache ent­schie­den hat (vgl. Be­schluss vom 14.11.2011 - 7 S 108/11), gibt al­lein der Um­stand, dass der Klä­ger einen tür­ki­schen Namen trägt, kei­nen aus­rei­chen­den Hin­weis auf des­sen tür­ki­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit, da in der Bun­des­re­pub­lik Deutsch­land und ins­be­son­de­re im Ruhr­ge­biet, zu dem der Land­ge­richts­be­zirk Duis­burg ein­schließ­lich der Stadt Mül­heim an der Ruhr zäh­len, eine große Zahl von Men­schen lebt, die zwar tür­ki­scher Ab­stam­mung sind, aber gleich­wohl die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit be­sit­zen. Aus dem­sel­ben Grunde ist auch die vom Amts­ge­richt fest­ge­stell­te Tat­sa­che, dass das Be­ra­tungs­ge­spräch zwi­schen dem Klä­ger und dem Ge­schäfts­füh­rer der Be­klag­ten zu 2) teil­wei­se in tür­ki­scher Spra­che ge­führt wurde, kein In­di­ka­tor für die Staats­an­ge­hö­rig­keit des Klä­gers. Denn es ist all­ge­mein be­kannt, dass die tür­ki­sche Spra­che auch unter deut­schen Staats­bür­gern mit tür­ki­schem Mig­ra­tions­hin­ter­grund, selbst wenn deren Fa­mi­lien in zwei­ter oder drit­ter Ge­ne­ra­tion in Deutsch­land leben, zum Teil noch rege Ver­wen­dung fin­det. Nicht an­ders ver­hält es sich im Üb­ri­gen bei vie­len Mig­ran­ten aus Ost­euro­pa, die mit der An­erken­nung als Spät­aus­sied­ler im Sinne des Bun­des­ver­trie­be­nen­ge­set­zes auto­ma­tisch die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit er­wer­ben. Um die­sen de­mo­gra­phi­schen Ge­ge­ben­hei­ten Rech­nung zu tra­gen, müss­te der Rei­se­ver­an­stal­ter bzw. das ver­mit­teln­de Rei­se­bü­ro ob­li­ga­to­risch die Staats­an­ge­hö­rig­keit sämt­li­cher Rei­sen­den ab­fra­gen und hie­rauf zu­ge­schnit­te­ne Ein­zel­infor­ma­tio­nen er­tei­len. Eine der­art weit­ge­hen­de In­for­ma­tions­pflicht ist ab­zu­leh­nen, da sie die ver­trag­li­che Ri­si­ko­ver­tei­lung (s. o.) in nicht mehr an­ge­mes­se­ner Weise zu Las­ten des Rei­se­ver­an­stal­ters ver­schie­ben würde.

2.

Eines vor­sorg­li­chen Hin­wei­ses des Rei­se­ver­an­stal­ters an alle Rei­sen­den, dass für An­ge­hö­ri­ge von Dritt­staa­ten mög­li­cher­wei­se an­de­re Pass- und Visum­er­for­der­nis­se gel­ten, die bei der zu­stän­di­gen Bot­schaft er­fragt wer­den kön­nen (wie er in den im Rei­se­ka­ta­log der Be­klag­ten zu 1) ab­ge­druck­ten „Wich­ti­gen Hin­wei­sen“ ent­hal­ten ist), be­darf es nach Auf­fas­sung der Kam­mer nicht (wie hier AG Baden-Baden, RRa 2009, 281; im Er­geb­nis auch Stau­dinger, a. a. O.; a. A. wohl LG Düs­sel­dorf, RRa 2006, 162; LG Müns­ter, RRa 2009, 296; Füh­rich, a. a. O., Rn. 654e). Bei einem durch­schnitt­li­chen Rei­sen­den kann - jeden­falls bei Fern­rei­sen - als be­kannt vo­raus­ge­setzt wer­den, dass - je nach Kom­bi­na­tion von Staats­an­ge­hö­rig­keit des Rei­sen­den und Ziel­land - unter­schied­li­che Ein­rei­se­be­stim­mun­gen gel­ten kön­nen (vgl. AG Baden-Baden, a. a. O.). Sinn­voll ist ein sol­cher Hin­weis al­len­falls im Zu­sam­men­hang mit der nach § 5 Nr. 1 BGB-InfoV zu er­tei­len­den In­for­ma­tio­nen für deut­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge, um klar­zu­stel­len, dass diese für An­ge­hö­ri­ge von Dritt­staa­ten nicht gel­ten. Da der Klä­ger diese In­for­ma­tio­nen nach sei­nem eige­nen Vor­trag nicht zur Kennt­nis ge­nom­men hat, kann er sich auf eine feh­len­de Klar­stel­lung nicht be­ru­fen, da diese nicht ur­säch­lich dafür ge­wor­den sein kann, dass er sich vor An­tritt der Reise nicht um die Ein­ho­lung der er­for­der­li­chen Visa ge­küm­mert hat.

III.

Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Ent­schei­dung über die vor­läu­fi­ge Voll­streck­bar­keit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Streit­wert des Be­ru­fungs­ver­fah­rens: 4.414,00 €

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