VG Düsseldorf, Urteil vom 09.05.2012 - 1 K 2321/10
Fundstelle
openJur 2012, 86556
  • Rkr:

1. § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG enthält eine Zuständigkeitsregelung. 2. § 46 VwVfG NRW ist auf den Fall der fehlenden Verbandskompetenz der über die Eintragung gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG entscheidenden Behörde nicht anwendbar.

Tenor

Die Entscheidung des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen über die Eintragung der Kunstwerke 1. C, 1919, 2. T, 1935, 3. B, 1921/23 des Künstlers T1 vom 26. Februar 2010 wird aufgehoben.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

Statthaft ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 1. Alt. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Bei der Entscheidung über die Eintragung in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG handelt es sich um einen Verwaltungsakt.

VG Hannover, Urteil vom 9.06.1989 - 6 A 69/87 - (Verwaltungsakt mit gleichsam dinglicher Kraft); OVG Niedersachsen, Urteil vom 19.05.1992 - 10 L 5248/91 - .

Dabei wirkt die Eintragung wegen ihrer konstitutiven Wirkung für und gegen jeden Verfügungsberechtigten.

VG Berlin, Urteil vom 9.02.1994 - 1 A 29.92 -.

Die Verfügungsberechtigung des Klägers ergibt sich daraus, dass die fraglichen Kunstwerke nach dem Vortrag der Beteiligten und in Ermangelung von substantiierten Hinweisen auf eine abweichende Rechtslage nach dem Tod von T3 der Mutter des Klägers - jedenfalls im Gesamthandseigentum der ungeteilten, aus dem Kläger und seiner Cousine 1. Grades - Frau T4 - bestehenden Erbengemeinschaft stehen. Ob der Kläger abweichend hiervon gemäß den von ihm gemachten Angaben sogar alleiniger Eigentümer des Bildes "T, 1935" ist, bedarf hier keiner Klärung. Für die Annahme einer "Verfügungsberechtigung" im vorstehenden Sinne genügt es, Mitglied der Erbengemeinschaft zu sein, weil eine Verfügung über den Gegenstand gem. § 2040 BGB nur von den Erben gemeinschaftlich erfolgen kann.

Weiter kann es für die Frage der Statthaftigkeit der erhobenen Anfechtungsklage ebenso dahinstehen, ob die Eintragungsentscheidung gerade auch dem Kläger wirksam bekanntgegeben wurde, was insoweit erheblichen Zweifeln unterliegt, als nach dem Verwaltungsvorgang des beklagten Landes der als internationales Einschreiben an den Kläger nach Italien gesandte Brief unzugestellt zurückgesandt wurde (siehe das Retent am Ende von Bd. 5 der übersandten Verwaltungsvorgänge). Die Eintragungsentscheidung hat nämlich - nach dem Vorstehenden für jeden Verfügungsberechtigten - bereits dadurch äußere Wirksamkeit erlangt, dass sie durch inhaltsgleiche und am 3. März 2010 an den damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Mutter des Klägers (den heutigen Prozessbevollmächtigten des Klägers) sowie an T4 zugestellte Bescheide bekanntgegeben wurde. Zwar ist die Mutter des Klägers noch vor dem 3. März 2010 verstorben, allerdings wirkte die ihrem damaligen Verfahrensbevollmächtigten erteilte Vollmacht gemäß § 14 Abs. 2 1. Hs VwVfG NRW über den Tod hinaus.

Aus der Verfügungsberechtigung des Klägers folgt seine gemäß § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis hinsichtlich der drei betroffenen Kunstwerke. Dabei war der Kläger auch insoweit alleine zur Klageerhebung berechtigt, als die Kunstwerke im Gesamthandseigentum der aus dem Kläger und seiner Cousine bestehenden Erbengemeinschaft stehen. In der Anfechtung eines Verwaltungsaktes durch einen Miterben einer ungeteilten Erbengemeinschaft, der nach seiner Ansicht den Nachlass bzw. einzelne zum Nachlass gehörende Gegenstände rechtswidrig belastet, liegt eine sinngemäß dem § 2038 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechende, den Nachlass schützende und deshalb "zur Erhaltung notwendige Maßregel", die jeder Miterbe ohne Mitwirkung der anderen treffen kann.

BVerwG, Urteile vom 27.11.1981 - 4 C 1/81 -, NJW 1982, S. 1113 und vom 7. Mai 1965 - IV C 24.65 -, BVerwGE 21, 91ff.

Ob die Cousine des Klägers mit der Klageerhebung einverstanden war, ist unerheblich, denn § 2038 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz BGB räumt dem handelnden Miterben ein alleiniges, von der Mitwirkung bzw. Zustimmung der anderen Miterben unabhängiges Verwaltungsrecht ein.

OVG NRW, Urteil vom 15.03.2011 - 20 A 2148/09 -.

Schließlich wurde die Klage auch vor Eintritt der Bestandskraft der angegriffenen Entscheidung vom 26. Februar 2010 erhoben. Unbeschadet der Frage, ob für den Kläger überhaupt die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO lief, ist die Klageerhebung am 6. April 2010 innerhalb dieser Frist erfolgt. Gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) und § 188 Abs. 2 BGB endete die durch die am 3. März 2010 erfolgten Zustellungen an die Mutter und die Cousine des Klägers ausgelöste Frist mit Ablauf des 6. April 2010. Dies ist der auf Ostermontag, den 5. April 2010, (und das vorausgehende Wochenende) nachfolgende Werktag.

Von einer Beiladung von Frau T4 hat die Kammer abgesehen. Es liegt kein Fall einer notwendigen Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO vor. Nach dieser Vorschrift sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Hierfür ist es nicht ausreichend, wenn eine einheitliche Entscheidung nur angesichts der tatsächlichen Verhältnisse oder logisch notwendig erscheint; es genügt nicht, wenn die betroffenen Rechte - wie hier - aufgrund des materiellen Rechts unmittelbar zusammenhängen.

Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, Rdnr. 15 für Fälle der Rechtsgemeinschaft/Miterben sowie Rdnr. 17b.

Zur vergleichbaren Klage eines Mitgliedes einer ungeteilten Erbengemeinschaft gegen die vermögensrechtliche Restitution eines Nachlassgegenstandes an einen Dritten hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt: "Zwar steht die Verwaltung des Nachlasses nach § 2038 Abs. 1 S. 1 BGB den Erben gemeinschaftlich zu. Die zur Erhaltung des Nachlasses notwendigen Maßregeln, zu denen auch die hier erhobene Anfechtungsklage gehört, kann jedoch nach § 2038 Abs. S. 2 Hs. 2 BGB jeder Miterbe ohne Mitwirkung der anderen treffen. Daraus folgt, dass die nicht klagenden Miterben weder als Streitgenossen noch als Beigeladene am Verfahren zu beteiligen sind. Die sie betreffenden Auswirkungen des in einem solchen Prozess ergangenen Urteils bestimmen sich vielmehr unabhängig von ihrer Beteiligung nach dem Umfang der Rechtsstellung, mit der das bürgerliche Recht den klagenden Erben ausstattet."

BVerwG, Beschluss vom 20.10.1997 - 7 B 248/97 -.

Dem schließt sich die Kammer an.

In der Sache hat die Klage Erfolg. Die Entscheidung des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26. Februar 2010 über die Eintragung der fraglichen Kunstwerke in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes ist formell rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Land Nordrhein-Westfalen besaß nicht die Verbandskompetenz zum Erlass der angegriffenen Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG. Dieser Mangel der Verbandskompetenz - der nicht zur Nichtigkeit der Eintragungsentscheidung führt - ist auch nicht nach § 46 VwVfG NRW unbeachtlich.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG werden u.a. Kunstwerke, deren Abwanderung aus dem Geltungsbereich des Gesetzes einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde, in dem Land, in den sie sich bei Inkrafttreten des Gesetzes befinden, in ein "Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes" eingetragen. Neben der Ermächtigung zur Eintragung von Kunstwerken und anderem Kulturgut in ein "Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes" enthält die genannte Bestimmung gleichzeitig eine Zuständigkeitsregelung, die - da die Zuständigkeit verschiedener Bundesländer bei der Ausführung eines Bundesgesetzes als eigene Angelegenheit gemäß Art. 83, 84 GG untereinander abgegrenzt wird - die Verbandskompetenz betrifft.

Vgl. zur Verbandskompetenz etwa Oldiges, DÖV 1989, S. 873 sowie OVG NRW, Urteil vom 3. Oktober 1978 - XV A 1927/75 -, NJW 1979, 1057ff.

Zuständig für die Entscheidung über die Eintragung ist nach dieser Regelung das Land dort gemäß § 2 Abs. 1 KuSchG die oberste Landesbehörde -, in dem sich das Kunstwerk bei Inkrafttreten des Kulturschutzgesetzes befand.

Ebenso Pieroth/Kampmann, NJW 1990, S. 1385 (1388).

Danach besaß das beklagte Land nicht die Verbandskompetenz für die angegriffene Entscheidung. Nach den weder von dem beklagten Land bestrittenen noch aus anderen Gründen zweifelhaften Angaben des Klägers befanden sich die fraglichen drei Kunstwerke sowohl zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Kulturschutzgesetzes vom 6. August 1955 (BGBl. I. S. 501) als auch zum Zeitpunkt der Verkündung der Neubekanntmachung des Kulturschutzgesetzes vom 8. Juli 1999 (BGBl. I, S. 1754) in Baden-Württemberg und nicht in Nordrhein-Westfalen.

Die demgegenüber vom beklagten Land eingenommene Rechtsauffassung, wonach dasjenige Bundesland für die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG zuständig sein soll, in dem sich das fragliche Kulturgut zum Zeitpunkt der Einleitung des Unterschutzstellungsverfahrens befindet, überzeugt nicht. Entgegen der Einschätzung des beklagten Landes kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber durch die in § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG gewählte Formulierung nur seine Erwartung zum Ausdruck bringen wollte, dass eine Eintragung wertvollen Kulturgutes zeitnah und nicht erst dann erfolgt, wenn die Abwanderung droht.

So aber VG Berlin, Urteil vom 29.11.2006 - 1 A 162.05 -.

Einer solchen Erwartung hätte der Gesetzgeber leicht durch andere, wesentlich eindeutigere Begriffe Ausdruck verleihen können, wie etwa "alsbald" oder "unverzüglich". Neben dem somit deutlich für eine Zuständigkeitsregelung sprechenden Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG,

vgl. VG Dresden, Urteil vom 5.11.2008 - 5 K 1837/05 -,

spricht zudem ein Vergleich mit weiteren Vorschriften des Kulturschutzgesetzes gegen die Auffassung des beklagten Landes. Anders als in § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG hat der Gesetzgeber in § 9 Abs. 3 KuSchG für bereits eingetragenes Kulturgut einem nachträglichen, nicht nur vorübergehenden Belegenheitswechsel ausdrücklich Bedeutung beigemessen. Zudem zeigt § 8 KuSchG, dass dem Gesetzgeber die Möglichkeit, für die Frage der Zuständigkeit an den jeweiligen aktuellen Aufenthaltsort des Kulturgutes anzuknüpfen, durchaus bewusst war.

Weiterhin kann unbeschadet der Frage, ob nicht allein schon der klare Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG einem solchen Ergebnis entgegenstünde, auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Zweck des Kulturschutzgesetzes, die Abwanderung national wertvollen Kulturgutes effektiv zu verhindern, zwingend eine Zuständigkeit des Bundeslandes der aktuellen Belegenheit erfordert. Im Gegenteil dürfte sich auch bei der Maßgeblichkeit der Belegenheit an einem in der Vergangenheit liegenden Stichtag durchaus ein effektiver Abwanderungsschutz erreichen lassen.

Vgl. VG Dresden, Urteil vom 5.11.2008 - 5 K 1837/05 -, wonach für den dort entschiedenen Fall der Schutzzweck des Kulturschutzgesetzes ausdrücklich die Einhaltung des Wortlauts der Zuständigkeitsregelung des § 1 Abs. 1 KuSchG erfordere.

Durch das Abstellen auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt wird verhindert, dass ein befürchtetes bzw. bevorstehendes Unterschutzstellungsverfahren durch gezielte Ortswechsel unterminiert werden kann. Gleichzeitig wird so vermieden, dass nach einem möglicherweise unerwarteten Belegenheitswechsel ein anderes Bundesland überraschend zuständig wird und angesichts der unvorhergesehenen Situation möglicherweise nicht schnell genug zu einer belastbaren Einschätzung der Bedeutung des Kulturgutes gelangt. Demgegenüber dürfte davon ausgegangen werden können, das gerade bei Kunstwerken, die wegen Ihrer Bedeutung für eine Eintragung in Betracht kommen, der jeweilige Aufenthaltsort jedenfalls für die Zeit nach dem 2. Weltkrieg so gut dokumentiert ist, dass eine verlässliche Bestimmung des Aufenthaltsortes zu einem bestimmten Stichtag regelmäßig unproblematisch möglich ist.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG bei der Neubekanntmachung des Kulturschutzgesetzes vom 8. Juli 1999 (BGBl. I, S. 1754) nicht abgeändert hat, obwohl zu diesem Zeitpunkt in der Literatur,

Pieroth/Kampmann, NJW 1990, S. 1385 (1388),

bereits die von der Kammer eingenommene, dem Wortlaut der fraglichen Regelung folgende Auffassung vertreten wurde.

Demgegenüber ergeben sich aus den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zum Vollzug des Kulturschutzgesetzes keine weiteren Erkenntnisse für die Frage der Zuständigkeit. Zwar mag es sein, dass diese grundsätzlich auch zur Auslegung des Kulturschutzgesetzes herangezogen werden können.

VG Hannover, Urteil vom 9. Juni 1989 - 6 A 69/87 -.

Hier führt dies aber nicht weiter. Denn ohne, dass sich die maßgebliche Gesetzesfassung geändert hätte oder sonst ein nachvollziehbarer Grund für die Änderung der Empfehlungen ersichtlich wäre, weisen die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz in verschiedene Richtungen. Zum einen heißt es im nicht mehr gültigen Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 22. April 2004 am Ende: "Die Aussage in § 1 Abs. 1 des Gesetzes darüber, in welches Landesverzeichnis ein Kulturgut einzutragen ist, ist als Zuständigkeitsregelung, nicht als zeitliche Sperre zu verstehen. In das Verzeichnis kann auch Kulturgut eingetragen werden, das nach dem Inkrafttreten des Gesetzes in dessen Geltungsbereich gelangt." Zum anderen lautet der aktuelle, den vorgenannten Beschluss ersetzende Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 29. April 2010 unter lit. D): "Die Regelungen in § 1 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 KuSchG sind dahingehend zu verstehen, dass das Land für die Eintragung zuständig ist, in dem sich das Kultur- oder Archivgut zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens befindet. Ist der Aufbewahrungs- oder Standort des Kultur- oder Archivgutes nicht bekannt, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Geschäfts- oder Wohnsitz des Eigentümers oder Besitzers. In die Verzeichnisse können auch Kultur- oder Archivgut eingetragen werden, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes in dessen Geltungsbereich gelangen oder gelangt sind."

Ob eine nicht nur zu einem vorübergehenden Zweck erfolgte Veränderung der Belegenheit etwa in Anlehnung an § 9 Abs. 3 KuSchG auch bei der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG zu treffenden Entscheidung bedeutsam sein kann,

so im Ergebnis VG Berlin, Urteil vom 29.11.2006 - 1 A 162.05 - für den dauerhaften Belegenheitswechsel eines Teiles der "Musikbibliothek Peters",

bedarf hier angesichts der nur zur Versteigerung bei einem Ler Auktionshaus und damit zu einem vorübergehenden Zweck erfolgten Verbringung in das beklagte Land keiner Entscheidung. Ebenso kann hier offen bleiben, was hinsichtlich später geschaffenen oder eingeführten Kulturgutes gilt,

vgl. hierzu etwa Bernsdorff/Klein-Tebbe, Kulturgutschutz in Deutschland, Teil A, § 1, Rdnr. 66, die insoweit § 1 Abs. 1 Satz 2 KuSchG heranziehen,

denn § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG enthält eine für den vorliegenden Fall unmittelbar geltende Zuständigkeitsregelung.

Der Aufhebung der rechtswidrigen Entscheidung des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26. Februar 2010 steht auch nicht § 46 VwVfG NRW entgegen. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG NRW nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er u.a. unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

Zwar führt die nach den vorstehenden Erwägungen nicht gegebene Verbandszuständigkeit des beklagten Landes nicht zur Nichtigkeit der angegriffenen Eintragungsentscheidung. Mangels Aufnahme in den Katalog des § 44 Abs. 2 VwVfG NRW gibt es weder einen absoluten Nichtigkeitsgrund der fehlenden Verbandskompetenz noch ist die angegriffene Entscheidung des Ministerpräsidenten des beklagten Landes vom 26. Februar 2010 gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG NRW nichtig. Insoweit fehlt es - auch wenn in der Regel bei wie hier fehlender Verbandskompetenz ein besonders schwerwiegender Fehler im Sinne der letztgenannten Vorschrift vorliegen dürfte -

vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Auflage, § 44 Rdnr. 159; Oldiges, DÖV 89, 873 (882),

jedenfalls an der nach § 44 Abs. 1 VwVfG NRW erforderlichen Offenkundigkeit des Mangels. Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen ist nämlich im Rahmen der Zuständigkeitsregelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 KuSchG grundsätzlich befugt, über die Eintragung von Kulturgut in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes zu entscheiden. Der Zuständigkeitsmangel ergibt sich hier aus verschiedenen und im Einzelnen komplexen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten des Einzelfalles und ist deshalb nicht offensichtlich.

Vgl. zu dem Fall, dass eine Behörde eines Bundeslandes bundesgesetzliche Verwaltungsangelegenheiten nach Art. 83 GG anstelle der zuständigen Behörde eines anderen Bundeslandes wahrnimmt Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Auflage, § 44 Rdnr. 167; Kopp/Ramsauer VwVfG, 12. Aufl., § 44 Rdnr. 14aE; im Ergebnis ebenso OVG NRW, Urteil vom 3. Oktober 1978 - XV A 1927/75 - , NJW 1979, 1057ff.

Allerdings stellt die fehlende Verbandskompetenz entgegen der Ansicht des beklagten Landes keine Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit im Sinne des § 46 VwVfG NRW dar.

OVG NRW, Urteile vom 3.10.1978 - XV A 1927/75 - ,NJW 1979, 1057ff. sowie vom 24.11.1988 - 4 A 1526/87 -; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Auflage, § 46, Rdnr. 42; Kopp/Ramsauer VwVfG, 12. Aufl., § 46, Rdnr. 23; Laubinger, VerwArchiv 1981, 333 (343); Oldiges, DÖV 89, 873 (882); i.E. wohl auch BVerwG, Urteil vom 10.12.1996 - 1 C 19/94 -, NVwZ-RR 1997, 388.

Bereits der Wortlaut des § 46 VwVfG NRW ist eindeutig, indem er nur auf die Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit Bezug nimmt. Die fehlende Verbandskompetenz kann auch nicht wie ein Mangel der örtlichen Zuständigkeit behandelt werden. Dem stehen die grundsätzlichen Unterschiede zwischen der Verbandskompetenz und der örtlichen Zuständigkeit entgegen. Während bei (bloß) fehlender örtlicher Zuständigkeit dennoch ein Verwaltungsrechtsverhältnis zum in der Sache kompetenten Rechtsträger besteht, erfolgt bei fehlender Verbandszuständigkeit ein nicht legitimierter Eingriff in fremde Verbandszuständigkeit. Damit steht der Anwendung des § 46 VwVfG NRW hier auch die fehlende Kompetenz des Landesgesetzgebers entgegen, einen Rechtsmangel, der die Verbandshoheit eines anderen Bundeslandes beeinträchtigt, einseitig durch eine Rechtsvorschrift des beeinträchtigenden Landes für unbeachtlich zu erklären.

Oldiges, DÖV 89, 873 (882); OVG NRW, Urteil vom 24.11.1988 - 4 A 1526/87 - .

Schon aus diesen Gründen überzeugt die vom OVG Hamburg,

OVG Hamburg, Urteile vom 16.02.1999 - Bf VI 2/97 - und vom 30.05.1996 - Bf VI(VII) 27/95 -,

vertretene Auffassung nicht, jedenfalls in Fällen des Art. 83 GG sei § 46 VwVfG auch dann anwendbar, wenn die Verletzung örtlicher Zuständigkeiten zugleich eine Verletzung der Verbandskompetenz bedeute. Darüberhinaus begegnet gerade auch die in den genannten Entscheidungen des OVG Hamburg angestellte Erwägung Bedenken, im Verhältnis der Bundesländer untereinander komme der Einhaltung des Kompetenzbereichs bei der Ausführung von Bundesgesetzen gemäß Art. 83, 84 GG keine eigenständige, über den Mangel der örtlichen Zuständigkeit hinausreichende Bedeutung zu. Denn Art. 83 GG greift die verfassungsrechtliche Grundregel des Art. 30 GG auf, der zufolge die Ausübung aller staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist, und bekräftigt sie im Sinne einer Verbandskompetenz jedes einzelnen Landes.

Sachs, Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage, Art. 83 Rdnr. 3.

Danach kommt der verfassungsrechtlich geregelten Kompetenz der Länder zur Ausführung von Bundesgesetzen (u.a. dem Kulturschutzgesetz) als eigene Angelegenheit ein hoher Stellenwert zu. Sie ist mit einer weitreichenden Befugnis der Länder u.a. zur Einrichtung von Behörden und zur Regelung des Verwaltungsverfahrens verbunden und steht vergleichsweise schwach ausgeprägten Aufsichtsbefugnissen der Bundesregierung (Art. 84 Abs. 3 bis 5 GG) gegenüber. Dem würde es widersprechen, Eingriffe in diese Kompetenz unter den Voraussetzungen des § 46 VwVfG (NRW) als unbeachtlich zu werten. Gerade bei der Ausführung des hier in Rede stehenden Kulturschutzgesetzes wird die eigene Stellung des ausführenden Länder dadurch betont, dass die Entscheidung über die Eintragung in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 KuSchG obligatorisch die Beteiligung eines länderspezifischen Sachverständigenausschusses voraussetzt und im Ergebnis - auch wenn es sich um eine gebundene, gerichtlich uneingeschränkt überprüfbare Entscheidung handelt -,

vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.03.1986 - 5 S 1804/85 -,

faktisch stark wertenden Charakters ist.

Diesem Ergebnis steht auch nicht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Februar 1992 entgegen, in dem das Bundesverwaltungsgericht die § 46 VwVfG NRW inhaltlich entsprechende Vorschrift des § 42 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf die Änderung eines Ausbildungsförderungsbescheides durch ein nach Umzug des Klägers in ein anderes Bundesland nicht mehr zuständiges Amt für Ausbildungsförderung angewandt hat.

BVerwG, Urteil vom 20.02.1992 - 5 C 66/88 -, BVerwGE 90, S. 25 - 37.

Zunächst kann bereits die Stellung der Länder bei Ausführung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes im Auftrag des Bundes gemäß Art. 85 GG schon wegen der weitgehenden Weisungsbefugnisse und der sich auch auf die Zweckmäßigkeit erstreckenden Aufsicht des Bundes (Art. 85 Abs. 3 und 4 GG) nicht mit derjenigen bei der Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit gemäß Art. 83, 84 GG verglichen werden. Zudem handelt es sich bei der Bestimmung des § 42 SGB X um Bundesrecht. Aus diesem Grund steht der Anwendung dieser Vorschrift auf die fehlende Verbandskompetenz nicht das hinsichtlich der landesrechtlichen Vorschrift des § 46 VwVfG NRW geltende Argument entgegen, dass dem Landesgesetzgeber die Kompetenz fehlt, die Verletzung fremder Verbandskompetenz durch eigenes Verfahrensrecht für im Ergebnis unbeachtlich zu erklären.

Schließlich ergibt sich auch aus dem Hinweis des Vertreters des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung auf gleichlautende Regelungen in anderen Landesverwaltungsverfahrensgesetzen nichts Abweichendes. Es ist ein rein faktischer und nach dem föderalistischen Prinzip nicht zwingender Befund, dass § 46 Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg mit § 46 VwVfG NRW übereinstimmt. Weder ist diese Vorschrift hier anwendbar, noch lässt sich aus der Übereinstimmung der Regelungen die Rechtsfolge ableiten, dass Verletzungen der Verbandskompetenz durch das beklagte Land unbeachtlich sein sollen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO in Verbindung mit § 709 ZPO.

Die Berufung war gemäß §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, weil die Fragen der Zuständigkeit nach dem Kulturschutzgesetz und der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG NRW auf Fälle der fehlenden Verbandskompetenz von grundsätzlicher Bedeutung sind.