OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.05.2012 - 13 B 427/12
Fundstelle
openJur 2012, 86472
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Be-schluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 19. März 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO - im Grundsatz - nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen des Rechtsmittelführers befindet, ist sowohl hinsichtlich des nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Hauptantrags als auch hinsichtlich der hilfsweise gestellten Anträge unbegründet.

Die Einwände gegen die Ablehnung des nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrags, der auf die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen den noch streitigen Teil der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27. Januar 2012 (Untersagung des Inverkehrbringens des Produkts "W. Gouda" - Ziffer 1 b) - und Zwangsgeldandrohung - Ziffer 3 ) gerichtet ist, greifen nicht durch.

Soweit die Antragstellerin anführt, die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO, führt dies nicht zum Erfolg. Den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO genügt jede schriftliche Begründung, die - sei sie sprachlich oder gedanklich auch noch so unvollkommen - zu erkennen gibt, dass die Behörde aus Gründen des zu entscheidenden Einzelfalls eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen und ob die für die sofortige Vollziehung angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. August 2008 - 13 B 1022/08 -, DVBl. 2008, 1262; vom 9. November 2007 - 13 B 1192/07 -, MedR 2008, 229, und vom 28. März 2007 - 13 B 2254/06 -, LRE 54, 348 mit weiteren Nachweisen.

Die betreffenden Ausführungen in der angefochtenen Verfügung können diesen Anforderungen gerade noch genügen. Sie zeigen, dass sich die Behörde des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst war. Der Hinweis auf den Vorrang des Verbraucherschutzes macht deutlich, wo die Behörde den Schwerpunkt ihrer Abwägung gesetzt hat. Dass dieser Aspekt zugleich das Erlassinteresse an der Verfügung begründet, stellt die Begründung in formeller Hinsicht nicht in Frage. Denn das Erlassinteresse und das Interesse an der sofortigen Vollziehung können gerade im Ordnungsrecht - durchaus zusammenfallen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. August 2008 - 13 B 1022/08 -, a. a. O., mit weiteren Nachweisen.

Auch in der Sache greifen die von der Antragstellerin dargelegten Einwände gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO gebotenen Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung und dem privaten Interesse an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage dem öffentlichen Vollziehungsinteresse zu Recht den Vorrang eingeräumt, weil sich die angefochtene Verfügung nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Überprüfung als rechtmäßig erweist und die vor diesem Hintergrund vorzunehmende Interessenabwägung zum Nachteil der Antragstellerin ausfällt.

Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung ist § 39 Abs. 2 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB). Nach § 39 Abs. 2 S. 1 LFGB treffen die zuständigen Behörden - unter anderem - die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen zur Beseitigung festgestellter und zur Verhütung künftiger Verstöße sowie zum Schutz vor Täuschung. Insbesondere können sie nach § 39 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 LFGB das Inverkehrbringen von Erzeugnissen verbieten oder beschränken.

Vgl. zuletzt OVG NRW, Beschlüsse vom 8. August 2008 - 13 B 1022/08 -, a. a. O. und vom 29. Oktober 2008 - 13 B 1317/08 -, juris.

Bei summarischer Prüfung ist vorliegend ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 S. 1 i. V. m. S. 2 Nr. 1 LFGB gegeben. Nach diesen Vorschriften ist es unter anderem verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn bei einem Lebensmittel zur Täuschung geeignete Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen über Eigenschaften, insbesondere über Art, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung, Herkunft oder Art der Herstellung verwendet werden. Hiervon ausgehend spricht Überwiegendes dafür, dass die vorliegend verwendete Bezeichnung des Produkts "W. Gouda" zur Täuschung der Verbraucher geeignet ist.

Bei der Anwendung des Irreführungsverbots, dessen Voraussetzungen im Lichte des zugrunde liegenden Gemeinschaftsrechts auszulegen sind,

vgl. bereits - noch zu § 17 LMBG - BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992 - 3 C 33/89 -, BVerwGE 89, 320,

ist maßgeblich darauf abzustellen, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher eine Aussage oder Aufmachung wahrscheinlich auffassen wird, was sich in der Regel ohne ein Sachverständigengutachten und eine Verbraucherbefragung feststellen lässt.

Vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 1998 - C-210/96 -, Slg. I 1998, S. 4657; BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 2000 - 1 B 45.00 -, LRE 40, 166; BayVGH, Urteil vom 17. Mai 2000 - 25 B 97.3555 -, LRE 38, 400; VG München, Urteile vom 24. September 2008 - M 18 K 06.1469 - und vom 22. Oktober 2008 - M 18 K 07.3394 -, jeweils juris.

Der Senat teilt bei summarischer Prüfung die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, das Produkt "W. Gouda" werde der Verbrauchererwartung eines mit Gouda gefüllten Produkts nicht gerecht. Die Antragstellerin hat die Annahme des Verwaltungsgerichts, bei der Füllung von "W. Gouda" handele es sich nicht um Gouda, nicht überzeugend widerlegt. Diese Feststellung genügt bereits für die Bejahung einer Täuschung des Verbrauchers, weil dieser auf Grund der Bezeichnung "gefüllt mit Gouda" ein (nur) mit Gouda (als Schnittkäse) gefülltes Produkt erwartet, was aber nicht der Fall sein dürfte. Soweit das Verwaltungsgericht darüber hinaus darauf abgestellt hat, bei der Füllung handele es sich um streichfähigen Schmelzkäse, kommt es darauf zur Bejahung einer Täuschung nicht mehr an.

An Käse, der - wie Gouda unter bestimmten Standardsorten in Verkehr gebracht werden soll, werden zusätzliche Anforderungen gestellt, die sich aus der Anlage 1 zu § 7 der Käseverordnung (KäseV), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2930), ergeben. Sie betreffen die Herstellung, Beschaffenheit und sonstigen Eigenschaften (Äußeres, Inneres, Geruch und Geschmack), die dem Sortentyp entsprechen müssen. Wird bei einem Erzeugnis eine Standardsorte angegeben, ohne dass die Anforderungen an diese Standardsorte nach der Käseverordnung erfüllt sind, liegt eine Irreführung im Sinne von § 11 Abs. 1 LFGB vor.

Vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand der Bearbeitung:

November 2011, § 7 KäseV, Rn. 14 und 16.

Hiervon ausgehend ist eine Irreführung des Verbrauchers gegeben, weil die Bezeichnung des Produkts "W. Gouda" ("2 fleischfreie Filets gefüllt mit Gouda") den Eindruck erweckt, als wäre das Produkt (nur) mit Gouda gefüllt, was nicht den Tatsachen entsprechen dürfte. Vorliegend streitet Überwiegendes dafür, dass es sich bei der für das Produkt "W. Gouda" verwendeten Füllung - entgegen der Angaben auf dem Produkt - nicht um Gouda handelt. Für diese Annahme spricht der Bericht des Landesuntersuchungsamts für Chemie, Hygiene und Veterinärmedizin der Freien Hansestadt C. vom 28. April 2010, wonach das Produkt "W. Gouda" mit Schmelzkäsemasse gefüllt ist. Wörtlich heißt es hierzu:

"Probenbeschreibung:

Ovales Stück mit goldgelber Panade, innen eine hellgelbe, streichfähige Schmelzkäsemasse, die von einer weißen feuchten kleisterartigen Masse umgeben ist.

Beurteilung:"

(...) Darüber hinaus wird beschreibend und in bildlicher Darstellung in Form von Käsewürfeln darauf hingewiesen, dass das Produkt Goudakäse enthält. Dies ist eine Irreführung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB, da tatsächlich kein schnittfester Käse, wie man ihn bei Gouda erwarten würde, eingesetzt wird, sondern nur ein streichfähiger Schmelzkäse."

Die beschriebene Konsistenz ist auch nicht mit den sich aus Anlage 1 zu § 7 KäseV ergebenden Anforderungen zu vereinbaren. Danach wird die Konsistenz von Gouda als fest, aber noch geschmeidig bezeichnet.

Für die Annahme, dass das Produkt "W. Gouda" nicht (ausschließlich) mit Gouda gefüllt ist, spricht auch der Bericht des CVUA-S. (Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt S. ) vom 12. Januar 2011, wonach das Produkt lediglich eine käseähnliche Füllung aufweist. Hierzu heißt es:

"Sensorische Untersuchung

Aussehen: 2 halbrunde panierte Scheiben bestehend aus weißlicher

Masse; gefüllt mit gelblicher käseähnlicher Scheibe."

Ohne dass es darauf entscheidungserheblich ankäme, belegt dieser Bericht entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht, dass es sich bei der Füllung von "W. Gouda" nicht um einen Schmelzkäse handelt. Auch ein Schmelzkäse dürfte als "käseähnlich" zu bezeichnen sein, da er nach der Käseverordnung kein Käse, sondern (nur) ein Erzeugnis aus Käse ist (vgl. § 1 Abs. 4 Nr. 1 KäseV).

Die Annahme, dass es sich bei der Füllung des Produkts "W. Gouda" nicht um Gouda handelt, wird auch nicht durch die eidesstattliche Versicherung des Herrn Q. (Firma G. , M. B. ) vom 19. April 2012 und einer vorgelegten "Käsespezifikation" vom 1. Januar 2012 widerlegt. Zwar hat Herr Q. geäußert, dass für die Füllung kein Schmelzkäse eingesetzt, sondern nur der beschriebene Gouda "als Zutat zu dem Erzeugnis" verwendet werde. Dieser Zusammenhang lässt sich aber aus der reinen Produktbeschreibung nicht herleiten, in der ausschließlich ein als Gouda deklarierter "N. Käse 30+ Blockform 15,5 kg" (Herkunftsland: O. ) näher beschrieben wird. Die Beschreibung sagt nichts darüber aus, ob und in welcher Form dieser Gouda für die Füllung des Produkts "W. Gouda" verwendet wird.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist das Verbot des Inverkehrbringens des Produkts "W. Gouda" auch nicht ermessensfehlerhaft. Die Antragsgegnerin hat das ihr in § 39 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 LFGB eingeräumte Ermessen erkannt und pflichtgemäß ausgeübt. Der Einwand der Antragstellerin, die Entscheidung der Antragsgegnerin sei schon deshalb ermessensfehlerhaft, weil diese die Möglichkeit, dass es sich bei dem verwendeten Käse um Schmelzkäse statt um Gouda handeln könnte, nicht in ihre Überlegungen einbezogen habe, greift nicht durch. Die Antragsgegnerin hat im Ergebnis auch berücksichtigt, dass die Abbildung des Produkts "W. Gouda" sowie die Verkehrsbezeichnung "Gouda" die Vorstellung wecken könne, das Produkt bestehe überwiegend aus Gouda, was nicht der Fall sei.

Das Verbot des Inverkehrbringens des Produkts "W. Gouda" ist nach Auffassung des Senats auch nicht unverhältnismäßig. Auch unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechte der Antragstellerin (Art. 12, 14 GG) erscheint die Maßnahme vielmehr vertretbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass den Rechten der Antragstellerin die Rechte der Verbraucher gegenüber stehen. Die Lauterkeit des Handels und der Verbraucherschutz sind zentrale Anliegen des gemeinschaftsrechtlichen wie auch des deutschen Lebensmittelrechts.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. August 2008 - 13 B 1022/08 -, a. a. O., mit weiteren Nachweisen.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die streitgegenständliche Verfügung auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil es - nach dem Vorbringen der Antragstellerin in den vergangenen Jahren nicht zu Kundenreklamationen gekommen ist. Denn bei der Frage, ob bei einem Lebensmittel zur Täuschung geeignete Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen über Eigenschaften verwendet werden, kommt es nicht darauf an, ob der Verbraucher im Einzelnen tatsächlich irregeführt wird, sondern nur darauf, wie eine Angabe oder Aufmachung auf einen Durchschnittsverbraucher wirkt und ob sie insofern zur Täuschung geeignet ist.

Vgl. Dannecker/Gorny/Höhn/Mettke, LFGB, Stand der

Bearbeitung: April 2012 - , § 11, Rn. 20.

Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung wird vorliegend durch die Interessen der Verbraucher begründet, die vor Täuschungen beim Erwerb von Lebensmitteln geschützt werden sollen. Das Interesse der Antragstellerin, von einer Beeinträchtigung der Beziehungen zu ihren Abnehmern vorläufig verschont zu bleiben, ist demgegenüber von geringerem Gewicht.

Insoweit greift auch der Einwand der Antragstellerin nicht durch, ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung bestehe schon deshalb nicht, weil die Antragsgegnerin seit 2010 Kenntnis von der Etikettierung des Produkts "W. Gouda" gehabt habe. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht insoweit nicht in nicht haltbarer Weise (allein) darauf abgestellt, dass die Verzögerung im Interesse der Antragstellerin gelegen habe. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zutreffend gewürdigt, dass die aus Sicht der Antragstellerin lange Verfahrensdauer auch auf der umfangreichen Korrespondenz der Beteiligten beruhe, in deren Rahmen der Antragstellerin immer wieder neue Fristen zur Umsetzung der geforderten Kennzeichnung gesetzt worden seien.

Mit Blick auf die obigen Erwägungen bleibt auch den hilfsweise gestellten Anträgen der Erfolg versagt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 1 VwGO und §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 47 Abs. 1 GKG. Der Senat geht mangels weiterer Angaben zum Jahresbetrag der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkung auch mit Blick auf den nur noch streitigen Teil der angegriffenen Ordnungsverfügung vom 27. Januar 2012 von der Hälfte des Auffangwertes aus.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.