VG Düsseldorf, Beschluss vom 26.04.2012 - 6 L 488/12
Fundstelle
openJur 2012, 86226
  • Rkr:

Die gesetzliche Verpflichtung, darauf hinzuweisen, dass der Fahrerlaubnisinhaber die dem Gutachter zu übersendenden Unterlagen einsehen kann (§ 11 Abs. 6 S. 2 FeV), ist eine bloße Ordnungsvorschrift. Fehlt der Hinweis, ist die Untersuchungsanordnung deswegen nicht rechtswidrig.

Tenor

Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird es eingestellt.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsteller trägt zwei Drittel, die Antragsgegnerin trägt ein Drit-tel der Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird bis zur übereinstimmenden teilweisen Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache auf

3.750,- Euro, für die Zeit danach auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war es in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.

Der im Übrigen aufrecht erhaltene sinngemäße Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage (Az.: 6 K 2704/12) gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis durch Ordnungsverfügung des Oberbürgermeisters der Antragsgegnerin vom 13. Februar 2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 2. April 2012 wiederherzustellen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm den bei dieser vorgelegten Führerschein wieder herauszugeben,

hat keinen Erfolg.

Gemessen an den gesetzlichen Vorgaben in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) zunächst die Anordnung der sofortigen Vollziehung seiner Ordnungsverfügung ordnungsgemäß begründet. Die Anordnung des Sofortvollzuges genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wenn die Behörde deutlich macht, dass ihr der Ausnahmecharakter der Anordnung vor Augen stand und sich aus ihrer Sicht die Entziehungsgründe mit denen der Dringlichkeit der Vollziehung decken. Die Sicherheit des Straßenverkehrs ist ein hochwertiges Rechtsgut; von Alkohol konsumierenden Kraftfahrern gehen große Gefahren aus, die sich jederzeit verwirklichen können. Daher decken sich - wie hier - Erlass- und Sofortvollzugsinteresse weitgehend. Begründet die Behörde die Vollziehungsanordnung mit gewissen Wiederholungen und möglicherweise formelhaft klingenden Wendungen, bei deren Abfassung sie sich die computergestützte Textverarbeitung zunutze macht, liegt darin keine Verletzung von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Indem die Begründung auf die von dem Antragsteller infolge seiner fehlenden Kraftfahreignung ausgehenden Gefahren für den Straßenverkehr hinweist, gibt sie die Erwägungen wieder, die für die Antragsgegnerin maßgeblich waren, den Antragsteller sofort vom motorisierten Straßenverkehr auszuschließen. Die Antragsgegnerin bewertet das öffentliche Interesse an der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer - wie auch in vergleichbaren Fallgestaltungen - höher als das persönliche Interesse des Antragstellers an der Belassung der Fahrerlaubnis, weil der Schutz des Straßenverkehrs eine sofort wirksame Entscheidung erfordert.

Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, wenn - wie hier - die Behörde, die den angegriffenen Verwaltungsakt erlassen hat, aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes anordnet. Das Gericht kann jedoch auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung wiederherstellen. Dies kommt dann in Betracht, wenn entweder die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist oder wenn aus sonstigen Gründen das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt.

Die für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche und von dem Gericht unter eigener Ermessensausübung zu treffende Abwägung des Interesses des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung mit dem Interesse der Allgemeinheit an einer sofort wirksamen Gefahrenabwehr fällt vorliegend zu Ungunsten des Antragstellers aus, weil die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung der Antragsgegnerin im gegenwärtigen Verfahrensstadium keinen ernstlichen Bedenken begegnet und weil nach - im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nur möglicher summarischer - Prüfung der Sach und Rechtslage die erhebliche Gefahr einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs in der Zeit bis zur Beendigung des Hauptverfahrens besteht.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).

Die Fahrerlaubnis muss seitens der Straßenverkehrsbehörde entzogen werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken an der Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen eines Kraftfahrzeuges begründen, der Fahrerlaubnisinhaber das von der Behörde zu Recht geforderte Gutachten nicht oder nicht fristgerecht beibringt, die Behörde deshalb auf die Nichteignung des Fahrerlaubnisinhabers schließt (§ 46 Abs. 3, § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV) und der Fahrerlaubnisinhaber hierauf bei der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens hingewiesen wurde (§ 46 Abs. 3, § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV). Dieser Schluss auf die Nichteignung ist nur zulässig, wenn die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, bestimmten Mindestanforderungen in formeller Hinsicht genügt sowie materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist und für die Weigerung, das Gutachten beizubringen, kein ausreichender Grund besteht.

Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschlüsse vom 3. Dezember 2007 - 16 B 749/07 -, juris, vom 22. Oktober 2003 - 19 A 2549/99 -, juris, und vom 22. November 2001 -19 B 814/01 -, juris.

Die Antragsgegnerin hat die Gutachtensaufforderung vom 20. Oktober 2011 - zugestellt am 24. Oktober 2011 - zutreffend auf § 13 Satz 1 Nr. 2. b) FeV gestützt. Danach ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens an, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, hat die Behörde ein medizinischpsychologisches Gutachten zu fordern, ohne dass ihr dabei ein Ermessensspielraum zustünde.

Die Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 b) FeV sind erfüllt.

Wegen einer am 13. Juli 1997 begangenen Trunkenheitsfahrt verhängte das Amtsgericht W durch seit dem 8. Dezember 1997 rechtskräftige Entscheidung vom 18. September 1997 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr gegen den Antragsteller eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen, entzog ihm die Fahrerlaubnis und ordnete für deren Neuerteilung eine Sperrfrist bis zum 17. April 1998 an.

Nachdem dem Antragsteller am 27. Dezember 2001 eine neue Fahrerlaubnis erteilt worden war, nahm er am 30. April 2011 erneut unter im Sinne des § 24 a Abs. 1 StVG unzulässiger Alkoholisierung (0,58 Promille Blutalkoholkonzentration) am motorisierten Straßenverkehr teil, was durch seit dem 19. August 2011 rechtskräftigen Bußgeldbescheid der Antragsgegnerin vom 3. August 2011 mit einer Geldbuße und einem einmonatigen Fahrverbot geahndet wurde.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers konnten beide Alkoholauffälligkeiten der Gutachtensanforderung zugrunde gelegt und die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung auf die Nichtbeibringung des verlangten Gutachtens gestützt werden.

Es trifft zwar zu, dass die Trunkenheitsfahrt vom 13. Juli 1997 nach den Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen des StVG dem Antragsteller im Zeitpunkt des Erlasses der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung vom 13. Februar 2012 als des grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunktes für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht mehr vorgehalten werden konnte. Für die Frage, welche Verkehrsstraftaten oder Verkehrsordnungswidrigkeiten zur Grundlage einer auf § 13 Satz 1 Nr. 2 b) FeV gestützten Gutachtensaufforderung gemacht werden können, ist jedoch der Zeitpunkt der Gutachtensanordnung entscheidend.

vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 6. September 2011 - 16 A 1394/09 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Januar 2011 - OVG 1 S 233.10 -, juris

Die gebotene Abweichung von dem Grundsatz, dass die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist, ergibt sich zum einen daraus, dass § 13 Satz 1 Nr. 2 b) FeV bei wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss die Anordnung eines Gutachtens zwingend vorsieht, der Fahrerlaubnisbehörde mithin andere Handlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Mit dieser Pflicht der Fahrerlaubnisbehörde zur Anforderung eines Eignungsgutachtens wäre es - auch im Hinblick darauf, dass die Fahrerlaubnisbehörde auf den Zeitpunkt der Tilgung der zur Grundlage ihrer Gutachtensanordnung gemachten Auffälligkeiten keinen Einfluss hat - nicht vereinbar, wenn die nachträgliche Tilgung von Verkehrsverstößen die Rechtmäßigkeit der Anordnung beeinflussen könnte. Zum anderen gebieten es Sinn und Zweck der Gutachtensanordnung, die der Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs dient, eine nachträgliche Tilgung von Verkehrsverstößen unbeachtet zu lassen. Wenn zum Zeitpunkt der Anordnung zwingend ein Eignungsnachweis in Gestalt eines medizinischpsychologischen Gutachtens erforderlich ist, um Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs auszuschließen, entfällt dieses Bedürfnis nicht durch den Umstand der nachträglichen Tilgung.

Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Januar 2011 - OVG 1 S 233.10 -, juris, unter Hinweis auf OVG Bautzen, Beschluss vom 24. Juli 2008 - 3 B 18/08 -, juris, und OVG Greifswald, Beschluss vom 13. Februar 2007 - 1 M 13/07 -, juris.

Im Zeitpunkt der Zustellung der Gutachtensanforderung vom 20. Oktober 2011 am 24. Oktober 2011 waren die beiden Alkoholauffälligkeiten des Antragstellers noch verwertbar.

Zwar unterlag die am 13. Juli 1997 begangene und vor dem 1. Januar 1999 in das Verkehrszentralregister eingetragene Straftat nach § 316 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) gemäß § 65 Abs. 9 Satz 1, 1. Halbsatz StVG gemäß § 29 StVG in der bis zum 1. Januar 1999 geltenden Fassung in Verbindung mit § 13a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) einer lediglich fünfjährigen Tilgungsfrist (vgl. 13a Abs. 2 Nr. 2 a) StVZO a.F.). § 65 Abs. 9 Satz 1, 2. Halbsatz StVG bestimmt allerdings, dass die Entscheidungen in diesen Fällen nach § 52 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung verwertet werden dürfen, jedoch längstens bis zu dem Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist entspricht. Nach § 52 Abs. 2 BZRG a.F. durfte in einem Verfahren, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, eine Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG berücksichtigt werden, wenn die Verurteilung wegen dieser Tat in das Verkehrszentralregister einzutragen war. Was einer zehnjährigen Tilgungsfrist entspricht, ergibt sich aus § 29 StVG einschließlich der Regelung über den Beginn der Tilgungsfrist in § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG. Nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG beginnt der Lauf der Tilgungsfrist bei einer Fahrerlaubnisentziehung wegen mangelnder Eignung mit der Erteilung oder Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, die vorliegend am 27. Dezember 2001 erfolgte. Einer zehnjährigen Tilgungsfrist entspricht mithin eine Verwertbarkeit bis zum 27. Dezember 2011.

Vgl. zu dem Problemkreis der Verwertbarkeit OVG NRW, Beschlüsse vom 12. Mai 2010 - 16 B 1774/09 - und vom 7. Mai 2010 - 16 B 1686/09 - unter Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 C 21.04 - , juris.

Die Tat vom 13. Juli 1997 konnte mithin der Gutachtensanordnung ebenso zugrunde gelegt werden wie die weitere Verkehrsordnungswidrigkeit des Fahrens unter Alkoholeinfluss am 30. April 2011.

Dass die erste der beiden von dem Antragsteller begangenen und aktenkundigen Alkoholauffälligkeiten bereits 1997 begangen und geahndet wurde, macht die Gutachtensanordnung mithin nicht rechtswidrig. Wenn ein Verkehrsverstoß - wie hier - zu einer registerpflichtigen Ahndung geführt hat, bestimmt sich dessen Berücksichtigungsfähigkeit ausschließlich nach den für dieses Register geltenden Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen. Für eine zusätzliche einzelfallbezogene Prüfung, ob die gegebenen Verdachtsmomente noch einen Gefahrenverdacht begründen, ist kein Raum mehr, weil anderenfalls die vom Gesetzgeber selbst festgelegten Fristen unterlaufen würden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Oktober 2010 - 16 B 2133/10 - unter Hinweis unter anderem auf BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2005 - 3 C 21.04 -, aaO, und OVG NRW, Beschluss vom 12. September 2009 - 16 E 1439/08 -.

Hinzu kommt vorliegend, dass der Antragsteller am 30. April 2011 erneut durch einen Verkehrsverstoß unter Alkoholeinfluss auffällig geworden ist und damit die für Alkoholauffälligkeiten typische Gefahr einer hohen Rückfallquote bestätigt hat.

Unter diesen Umständen war die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 b) FeV geboten.

Der Antragsteller hat der Gutachtensaufforderung nicht Folge geleistet, obwohl er auf die Konsequenzen, die sich nach § 11 Abs. 8 FeV für ihn ergeben würden, hingewiesen worden ist. Sein ausweislich eines Vermerks der Vertreterin der Antragsgegnerin vom 12. Dezember 2011 mündlich gegebener Hinweis, er habe kein Geld und die von ihm gewählte Untersuchungsstelle gewähre keine Ratenzahlung, stellt keinen zureichenden Grund dafür dar, die geforderte Untersuchung nicht durchführen zu lassen. Mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich kein Umstand, der zu einer Verweigerung der Untersuchung berechtigen würde, weil es sich bei der geforderten Untersuchung um eine notwendige Maßnahme der Gefahrenabwehr handelt, deren Durchführung nicht von den finanziellen Mitteln des Betroffenen abhängig gemacht werden kann.

Vgl. dazu OVG NRW, Beschlüsse vom 19. Oktober 2010 - 16 A 2133/10 -, vom 13. August 2008 - 16 E 890/08 - und vom 11. Juni 2008 - 16 E 483/08 -.

Der Antragsteller hat im Übrigen weder behauptet noch substantiiert dargelegt, dass es ihm auch bei Nutzung etwaiger anderer Finanzierungsquellen wie etwa eines Darlehens seiner Bank bzw. Sparkasse, der Einbeziehung möglicher finanzieller Hilfe seiner Familie oder von Freunden oder Bekannten nicht möglich gewesen wäre, die Untersuchung gegebenenfalls mit vorübergehend geliehenem Geld - durchführen zu lassen.

OVG NRW, Beschlüsse vom 19. Oktober 2010 - 16 A 2133/10 -, vom 13. August 2008 - 16 E 890/08 - und vom 11. Juni 2008 - 16 E 483/08 -.

Auf Grund der Weigerung des Antragstellers, das Gutachten vorzulegen, hat der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin in der angefochtenen Ordnungsverfügung nachvollziehbar auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen.

Allerdings fehlt in der Gutachtensanordnung vom 20. Oktober 2011 die Mitteilung der Antragsgegnerin nach § 11 Abs. 6 Satz 2, 2. Halbsatz FeV, dass der Antragsteller die der von ihm gewählten Gutachterstelle zu übersendenden Unterlagen einsehen könne. Das Fehlen dieses Hinweises führt jedoch nicht zur Aufhebbarkeit der auf die Nichtvorlage des angeordneten Gutachtens gestützten Fahrerlaubnisentziehung.

Nach dem Willen des Verordnungsgebers soll die - 2002 neu eingeführte - Hinweispflicht auf die Einsichtnahmemöglichkeit in die zu übersendenden Unterlagen auch für weniger rechtskundige Bürger deutlich machen, dass die Fahrerlaubnisbehörde zwar bestimmt, welche Unterlagen für die Begutachtung zur Ausräumung von Zweifeln übersandt werden müssen, der Antragsteller als Auftraggeber des Gutachtens aber zumindest Gelegenheit erhalten muss, sich darüber zu informieren. Das dem Betroffenen nach § 29 Verwaltungsverfahrensgesetz NRW (VwVfG NRW) zustehende Recht auf Einsicht in die Behördenakte und in die dem Gutachter zu übersendenden Unterlagen kann der Betroffene auch bei fehlendem Hinweis nach § 11 Abs. 6 Satz 2, 2. Halbsatz FeV geltend machen und durchsetzen. Bei dem Hinweis des § 11 Abs. 6 Satz 2, 2. Halbsatz FeV geht es insoweit nicht um eine für den weiteren Verfahrensgang bedeutsame Mitteilung, sondern lediglich um einen Hinweis zur Verdeutlichung, der der Transparenz des Verwaltungshandelns dient und der das dem Betroffenen ohnehin zustehende Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG NRW absichert. Insofern unterscheidet sich die an die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 6 Satz 2, 2. Halbsatz FeV gerichtete Aufforderung von ihrer in § 11 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2, 1. Halbsatz FeV normierten Pflicht, dem Betroffenen die Gründe für die Untersuchungsanordnung, die vorgesehene Fragestellung, die Frist zur Vorlage des Gutachtens sowie die Pflicht zur Kostentragung mitzuteilen. Bei letzterem handelt es sich um Informationen, die erforderlich sind, damit der Betroffene eine eigene Entscheidung treffen kann, ob er sich unter diesen Voraussetzungen der Begutachtung unterziehen will, die insbesondere bei der Anordnung eines medizinischpsychologischen Gutachtens einen erheblichen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht bedeutet.

§ 11 Abs. 6 Satz 2, 2. Halbsatz FeV ist daher als Ordnungsvorschrift anzusehen, deren Verletzung auch im Hinblick auf die zumindest entsprechende Anwendbarkeit des § 46 VwVfG NRW nicht zur Aufhebbarkeit einer Fahrerlaubnisentziehung führt.

So Hessischer VGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 2 B 550/11 -, juris Rdnrn. 5 ff.; VG Ansbach, Beschluss vom 25. Januar 2012 - 10 S 12.00029 -, juris Rdnr. 26; Beschluss der Kammer vom 10. Oktober 2007 - 6 K 2054/07 -; im Ergebnis offen gelassen: OVG NRW, Beschluss vom 3. Dezember 2007 - 16 B 749/07 -, juris Rdnrn. 13 ff.; a.A. VG Osnabrück, Beschluss vom 7. März 2011 - 6 B 19/11 -, juris Rdnrn. 12 f.

Vorliegend hatte sich der Antragsteller im Übrigen aufgrund der ihm von der Antragsgegnerin gegebenen Informationen über die Grundlage der Gutachtensanordnung und die für die Begutachtung maßgebliche Fragestellung mit der angeordneten Begutachtung einverstanden erklärt und damit zu verstehen gegeben, dass er sich bereits eine Meinung über die Berechtigung der Gutachtensanforderung bilden konnte.

Vgl. zu diesem Gesichtspunkt VG Ansbach, Beschluss vom 25. Januar 2012 - 10 S 12.00029 -, juris Rdnr. 26.

Die sofortige Durchsetzung der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Oberbürgermeisters der Antragsgegnerin vom 13. Februar 2012 ist erforderlich. Wegen der unkalkulierbaren Risiken für so hochwertige Rechtsgüter wie Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer entfällt das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung nicht schon deshalb, weil sie nicht im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem die Maßnahme rechtfertigenden Vorfall steht.

Vgl. die ständige Rechtsprechung der Kammer und des OVG NRW, etwa dessen Beschluss vom 24. Juli 2008 - 16 B 919/08 -.

Sonstige Gründe, die darauf schließen lassen, dass das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt, sind nicht ersichtlich. Das Interesse an der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer ist höher zu bewerten als etwaige - auch berufliche - Nachteile, die dem Antragsteller aus der Entziehung seiner Fahrerlaubnis erwachsen. Es kann nicht verantwortet werden, dass der Antragsteller, der ausweislich des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin wegen seines Umgangs mit Alkohol noch Ende 2011 stationär behandelt wurde und anlässlich des Vorfalls vom 30. April 2011, bei dem hinter dem Beifahrersitz des von ihm geführten Autos eine Flasche Wodka gefunden wurde, durch starkes Händezittern auffiel, obwohl er nach seinen Angaben gegenüber dem ihn kontrollierenden Polizeibeamten keinen Alkohol getrunken haben will, andere Verkehrsteilnehmer an Leib und Leben gefährdet.

Hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung vom 13. Februar 2012 Bestand, scheidet auch eine Verpflichtung der Antragsgegnerin auf Herausgabe des von dem Antragsteller abgelieferten Führerscheins - diese Verpflichtung besteht gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV - nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO aus.

Die nach § 112 JustizG NRW sofort vollziehbare Androhung des Zwangsgeldes ist nach §§ 55 ff. Verwaltungsvollstreckungsgesetz NRW rechtmäßig erfolgt, insbesondere hinsichtlich der Frist zur Abgabe des Führerscheins und der Höhe des Zwangsgeldes von 500,00 Euro nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 161 Abs. 2 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die Antragsgegnerin mit den Kosten des in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Verfahrens zu belasten, weil diese im Falle einer streitigen Entscheidung insoweit unterlegen wäre. Im Übrigen waren die Verfahrenskosten dem Antragsteller als dem unterlegenen Beteiligten aufzuerlegen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Nach der Rechtsprechung des OVG NRW

vgl. unter anderem Beschluss vom 15. Mai 2009 - 16 B 114/09 -, juris

ist das Interesse an der Fahrerlaubnis im Hauptsacheverfahren mit dem Betrag des Auffangwertes des § 52 Abs. 2 GKG (5.000,- Euro) anzusetzen. Das Interesse an der Berechtigung, weiterhin fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge führen zu dürfen, wird für das Hauptsacheverfahren mit 2.500,- Euro angesetzt. In Verfahren betreffend die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ermäßigt sich der danach zu berücksichtigende Betrag von 7.500,- Euro bzw. - für die Zeit nach der teilweisen Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache - von 5.000,- Euro um die Hälfte (vgl. Ziffer II 1.5 Satz 1, 1. Alternative des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004, NVwZ 2004, S. 1327 ff.). Mit Blick auf § 80 Abs. 6 VwGO geht das Gericht trotz § 22 Abs. 1 Verwaltungskostengesetz davon aus, dass die Gebührenfestsetzung nicht Gegenstand des Eilverfahrens ist und daher den Streitwert nicht erhöht.