OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.04.2012 - 1 A 74/11
Fundstelle
openJur 2012, 86078
  • Rkr:

Pflichtversicherte Rentner in der gesetzlichen Krankenversicherung haben keinen Anspruch auf Beihilfe nach der BVO NRW.

Besondere rechtliche Schwierigkeiten i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO folgen nicht schon daraus, dass das Verwaltungsgericht in Kammerbesetzung entschieden hat.

Tenor

Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.

Der Streitwert wird für auch das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO sind nicht hinreichend dargelegt bzw. liegen auf der Grundlage der Darlegungen des Klägers nicht vor.

1. An der Richtigkeit des Urteils erster Instanz bestehen keine ernstlichen Zweifel, die eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen. Zweifel solcher Art sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Eine hinreichende Darlegung erfordert es, unter eingehender Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil dessen Fehlerhaftigkeit zu erklären und zu erläutern (vgl. § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht soll allein aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags die Zulassungsfrage beurteilen können, ohne weitere aufwändige Ermittlungen anstellen zu müssen.

Ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. statt vieler: Beschluss vom 27. Juni 2011 - 1 A 1177/09 -, juris Rn. 9 f., m. w. N. = NRWE.

Das Zulassungsvorbringen weckt keine ernstlichen Zweifel im o. g. Sinne.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend zugrundegelegt, dass Beihilfeansprüche der Ehefrau des Klägers dann entfallen, wenn sie ihre gesetzliche Altersrente bezieht. Denn dann ist sie gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V Pflichtmitglied der Krankenversicherung der Rentner, weil sie zuvor in der Familienversicherung ihres Ehemannes nach § 10 SGB V versichert war. Erhält sie aber von der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V Sach- oder Dienstleistungen, werden nach § 3 Abs. 3 Satz 1 BVO NRW keine Beihilfen gewährt. Dasselbe gilt, wenn sie sich für eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V entscheidet (§ 3 Abs. 3 Satz 3 BVO NRW).

Dieser Ausschluss der Beihilfe für Personen, die wegen ihres Rentenbezugs in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 5. Januar 2012 - 1 A 2896/09 -, juris Rn. 18 ff. = NRWE zu einem vergleichbaren Sachverhalt Folgendes ausgeführt:

"Auch vor dem Hintergrund der [...] geltenden Regelung des § 3 Abs. 3 Satz 3 BVO NRW liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor. Denn der Gesetzgeber hat ein sachlich vertretbares Kriterium für die Rechtsänderung gewählt. Danach ist der Beihilfeanspruch für Aufwendungen ausgeschlossen, die entstehen, weil der Pflichtversicherte Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 SBG V gewählt hat. Dieses Kriterium entspricht dem Grundsatz der Subsidiarität der Beihilfe gegenüber anderen Leistungen, auf die der Beihilfeberechtigte einen rechtlich geschützten Anspruch hat. Bereits der 6. Senat des erkennenden Gerichts hat in einem Beschluss [...] unter Bezugnahme auf das

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2005 - 2 C 35.04 -, BVerwGE 125, 21,

Folgendes festgestellt:

‚Der Ausschluss solcher Aufwendungen von der Beihilfe, für die Sachleistungen und an deren Stelle tretende Geldzahlungen gewährt werden, ist Ausdruck des das Beihilferecht prägenden Subsidiaritätsprinzips. Der Dienstherr muss nicht fürsorglich mit der Beihilfe eintreten, wenn der Beihilfeberechtigte auf einen anderweitig bestehenden Anspruch auf grundsätzlich vollständige Deckung seines krankheitsbedingten Bedarfs durch Sach- oder Dienstleistungen verzichtet. Personen, die [...] die Möglichkeit hatten, anstelle einer Kostenerstattung Sach- und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, sind damit wirksam von der Beihilfe ausgeschlossen.‘

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Juli 2007 - 6 A 2438/06 -, NRWE Rn. 10 f.

Diese Einschätzung teilt der erkennende Senat uneingeschränkt.

Vgl. in diesem Zusammenhang - wenngleich dort in erster Linie an Darlegungsmängel anknüpfend - auch Senatsbeschluss vom 28. Dezember 2011 - 1 A 2673/09 - (n. v.).

Mit dieser Regelung hat der Verordnungsgeber auch nicht gegen die durch Art. 33 Abs. 5 GG herzuleitende Fürsorgepflicht des Dienstherrn oder das Alimentationsprinzip verstoßen. Denn er hat auch vor diesem Hintergrund einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung des Beihilferechts. Dieser geht sogar so weit, dass ein System der Beihilfen überhaupt nicht zwingend zur Gewährleistung dieser Grundsätze vorgeschrieben ist. Von einer Verletzung der genannten Grundsätze ist in diesem Zusammenhang erst auszugehen, wenn der Beamte mit solch erheblichen Aufwendungen belastet bliebe, die er auch bei einer ihm zumutbaren Eigenvorsorge nicht absichern kann, bzw. wenn die zur Abwendung von krankheitsbedingten Belastungen erforderlichen Krankenversicherungsprämien einen solchen Umfang erreichten, dass der angemessene Lebensunterhalt der Beamten und Versorgungsempfänger nicht mehr gewährleistet ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 - 2 BvR 1053/98 , BVerfGE 106, 225 = juris Rn. 26 ff. sowie Kammerbeschluss vom 13. Februar 2008 - 2 BvR 613/06 -, ZBR 2008, 318 = juris Rn. 10 f.

Vergleichbares steht aber dann nicht zu befürchten, wenn der Beihilfeberechtigte aufgrund autonomer Entscheidung, nämlich durch Wahl eines anderen Tarifs innerhalb der GKV, erreichen kann, seine gesundheits- bzw. krankheitsbedingten Bedürfnisse durch Sachleistungen der GKV abzudecken. [...]

Nach Auffassung des Senats sieht sich der Kläger vor allem dadurch benachteiligt, dass er bzw. seine Ehefrau zunächst als freiwillig Versicherte und später aufgrund der Wahl eines Kostenerstattungstarifs für lange Zeit wie privat Versicherte in der GKV behandelt wurden und dies - neben der Beihilfe - nun nicht mehr möglich ist. Hierbei handelt es sich aber um keine beihilferechtlich zu schützende Rechtsposition. Denn wer - freiwillig - einer Krankenversicherung angehört, deren Standardform der Leistungen das Sachleistungsprinzip ist und innerhalb derer die Kostenerstattung - noch zudem für Pflichtversicherte - die Ausnahme bildet,

vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 2 C 35.04 -, a. a. O. = juris Rn. 19 f.,

der wird nicht in unzumutbarer Weise dadurch belastet, dass er dem Grunde nach auf das Sachleistungsprinzip verwiesen wird."

An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers fest. Aus den eben genannten Gründen liegt weder ein Verstoß gegen die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums noch gegen das Rechts- oder Sozialstaatsprinzip vor.

Der Kläger meint, die Ungleichbehandlung von Pflichtversicherten werde z. B. dann besonders deutlich, wenn diese stationär behandelt werden müssten. Es reichten "jährlich nur wenige Krankenhaustage aus, um den Vorteil der geringfügigen Rente aufzuzehren." Dieser Vortrag begründet keine ernstlichen Zweifel an der entsprechenden Argumentation des Verwaltungsgerichts. Dieses hat zu Recht ausgeführt, dass gesetzlich Krankenversicherte nach § 39 Abs. 1 SGB V einen Anspruch auf die notwendige medizinische Versorgung bei stationärem Krankenhausaufenthalt in Form von Sach- und Dienstleistungen haben und dass Krankenhauswahlleistungen grundsätzlich nicht zur notwendigen medizinischen Versorgung zählen. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht darin, dass die Art der medizinisch notwendigen Versorgung bei Privatversicherten und gesetzlich Krankenversicherten auch unabhängig von Wahlleistungen teilweise unterschiedlich sein mag und die Ehefrau des Klägers bei einem Rentenbezug auf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung verwiesen wird. Die Ungleichbehandlung ist durch das oben genannte Subsidiaritätsprinzip der Beihilfe gerechtfertigt.

Soweit der Kläger die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von Pflichtmitgliedern und freiwillig Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung angreift, begründet sein Vorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Das Verwaltungsgericht hat die Privilegierung von freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Beihilfeberechtigten, denen kein Beitragszuschuss zusteht, damit begründet, dass diese den vollen Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung selbst zahlen. Mit derselben Argumentation hat das Bundesverfassungsgericht die Ungleichbehandlung von Pflichtmitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung und freiwillig Versicherten im Beihilferecht des Bundes für beanstandungsfrei gehalten. Es hat dabei namentlich hervorgehoben, dass der Dienstherr sich bei der Bemessung der Beihilfe insbesondere mit Blick auf deren nur ergänzenden Charakter grundsätzlich im Hinblick auf andere Leistungen "aus einer öffentlichen Kasse" - also nicht etwa nur aus der Kasse des Dienstherrn - entlasten dürfe.

BVerfG, Beschluss vom 16. August 2011 - 2 BvR 287/10 -, juris Rn. 26 ff., insb. Rn. 28.

Vor dem Hintergrund einer typisierenden Betrachtung ist es irrelevant, ob es im Einzelfall der Ehefrau des Klägers bei Bezug der Rente gelingen könnte, in nicht systemkonformer Weise den Beitragszuschuss selbst zu tragen.

Der Kläger rügt ferner ohne Erfolg, seine Ehefrau sei in ihren Rechten aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt, weil sie faktisch gezwungen werde, auf ihre Rente zu verzichten. Der Kläger kann im vorliegenden Verfahren, das die ihm selbst als Beihilfeberechtigten zustehenden Beihilfeleistungen zum Gegenstand hat, Rechte seiner Ehefrau (aus der gesetzlichen Rentenversicherung) nicht geltend machen. Abgesehen davon ist Art. 14 Abs. 1 GG nicht dadurch verletzt, dass sich jemand im Einzelfall aus wirtschaftlichen Erwägungen gehalten fühlt, auf eine ihm zustehende Rente freiwillig deshalb zu verzichten, um weiterhin (als beihilfeberechtigtes Familienmitglied) solche beihilferechtlichen Leistungen erhalten zu können, welche über das Maß der ihm in der gesetzlichen Krankenversicherung auf jeden Fall gewährten, medizinisch ausreichenden Leistungen (in angenehmer Weise) hinausgehen. Vielmehr ist bereits der Schutzbereich der Norm nicht eröffnet. Denn Rentenversicherungsansprüche werden nicht schon dadurch beeinträchtigt, dass sie einen der Bestimmungsfaktoren dafür bilden, in welchem Umfang Beihilfe geleistet wird.

BVerfG, Beschluss vom 16. August 2011 - 2 BvR 287/10 -, juris Rn. 18.

2. Die Berufung ist nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen. Gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist. Solche liegen vor, wenn der Ausgang des Rechtsstreits aufgrund des Zulassungsvorbringens bei summarischer Prüfung als offen erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn das Zulassungsvorbringen Anlass zu solchen Zweifeln gibt, welche sich nicht schon ohne Weiteres im Zulassungsverfahren, sondern erst in einem Berufungsverfahren mit der erforderlichen Sicherheit klären und entscheiden ließen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Januar 2012 - 1 A 134/10 -, n. v., m. w. N.

Solche Schwierigkeiten hat der Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO genügenden Weise dargelegt. Im Übrigen bestehen sie auch nicht. Die vom Kläger behaupteten komplizierten Fragen und verfassungsrechtlichen Wertungen im Beihilferecht und im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sind, wie unter 1. ausgeführt, obergerichtlich und höchstrichterlich geklärt.

Besondere rechtliche Schwierigkeiten ergeben sich nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht die Sache in Kammerbesetzung entschieden und sie nicht auf den Einzelrichter übertragen hat. Dies ist nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 VwGO möglich, wenn die "Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art" aufweist. Durch die unterbliebene Übertragung auf den Einzelrichter wird das allein aus der Sicht des Oberverwaltungsgerichts zu beurteilende Vorliegen des Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO weder indiziert noch gar bindend vorgegeben.

Vgl. OVG NRW Beschlüsse vom 1. August 2011 - 1 A 172/09 - (BA S. 10 n. v.) und vom 26. Januar 1999 - 3 B 2861/97 -, NVwZ-RR 1999, 696 = juris Rn. 8 f., jeweils m. w. N.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO und - hinsichtlich der Streitwertfestsetzung - gemäß den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig, § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO.