SG Aachen, Urteil vom 07.03.2012 - S 20 SO 55/11
Fundstelle
openJur 2012, 85913
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Eingliederungshilfe in Höhe von 3.021,05 EUR als Zuschuss beanspruchen kann.

Der 0000 geborene verheiratete Kläger ist schwerbehindert nach einem Grad der Behinderung von 100 (Merkzeichen B, G, aG, H, RF). Er bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von monatlich ca. 1.030,00 EUR netto. Seine Ehefrau ist erwerbstätig und verdient monatlich ca. 2.300,00 EUR netto. Der Kläger und seine Frau sind Eigentümer eines Grundstücks mit Einfamilienhaus, das sie alleine bewohnen. Das Grundstück ist 860 m² groß; die Wohnfläche beträgt im Erdgeschoss 97,36 m², im Obergeschoss 51,38 m², insgesamt 148,74 m². Der Grundbesitz ist mit einer Grundschuld zu Gunsten der Sparkasse Heinsberg belastet; die Grundschuld ist durch monatliche Tilgungszahlungen auf aktuell (Februar 2012) 38.648,96 EUR gesunken. Nach Angaben des Klägers bewohnen er und seine Ehefrau nur das Erdgeschoss des Hauses. Bis Anfang September 2009 bewohnten der Sohn des Klägers und seine Ehefrau das Obergeschoss. Seit deren Auszug ist das Obergeschoss – mangels separater Abschließmöglichkeit – nicht vermietet.

Im April 2009 bewilligte die Pflegekasse dem Kläger den gesetzlichen Höchstzuschussbetrag von 2.557,00 EUR für den Bau einer Rampe zur Überwindung von drei Stufen am Hauseingang.

Am 04.05.2009 beantragte der Kläger bei dem Beklagten Eingliederungshilfe zum Umbau eines behindertengerechten Bades. Er legte hierzu einen Kostenvoranschlag über 18.180,34 EUR vor. Die Maßnahme wurde bereits im Mai/Juni 2009 durchgeführt. Die Kosten der gesamten Baumaßnahme betrugen 20.252,91 EUR (Rechnung vom 25.06.2009) und wurden vom Kläger bezahlt. In diesem Zusammenhang nahm er ein Darlehen bei der Kreissparkasse Heinsberg in Höhe von 50.000,00 EUR auf; unter Berücksichtigung der geleisteten Tilgungszahlungen beträgt dieses aktuell (Februar 2012) noch 47.848,12 EUR. Im Oktober 2010 bewilligte die Pflegekasse zu dem Badumbau einen Zuschuss in Höhe von 2.557,00 EUR.

Der Beklagte prüfte die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die Größe und Angemessenheit des Grundbesitzes und die Badumbaukostenrechnung im Hinblick auf die berücksichtigungsfähigen Kostenpositionen. Im Rahmen der hierüber geführten Korrespondenz mit dem Kläger lehnte dieser eine darlehensweise Eingliederungshilfe strikt ab.

Durch Bescheid vom 22.12.2010 erkannte der Beklagte 13.242,33 EUR der Kosten des Badumbaus als im Rahmen des Eingliederungshilfeanspruchs berücksichtigungsfähig an. Nach Abzug des Zuschusses der Pflegekasse für diese Wohnumfeldverbesserungsmaßnahme in Höhe von 2.557,00 EUR und eines als zumutbar erkannten Einkommenseinsatzbetrages von 7.664,28 EUR stellte der Beklagte einen Eingliederungshilfebedarf von 3.021,05 EUR fest. Im Hinblick auf das selbstgenutzte Einfamilienhaus führte der Beklagte an, hierbei handele es sich der Größe nach um sozialhilferechtlich nicht angemessenes Vermögen. Angemessen sei eine Grundstücksfläche bis 500 m² und unter Berücksichtigung eines Zwei-Personen-Haushaltes und der Behinderung des Klägers eine Wohnfläche bis zu 105 m². Der Grundbesitz sei daher nicht geschütztes Vermögen und grundsätzlich zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfes einzusetzen. Jedoch sei die sofortige Verwertung (Verkauf) des Hausgrundstücks nicht zumutbar, weshalb nur eine darlehensweise Gewährung der erforderlichen Hilfe bei entsprechender Besicherung in Betracht komme. Da der Kläger diese Hilfeform jedoch abgelehnt habe, sei der Antrag auf Bezuschussung des Badumbaus im Rahmen der Eingliederungshilfe abzulehnen.

Dagegen erhob der Kläger am 12.01.2011 Widerspruch. Es sei nicht erkennbar, dass der tatsächliche Wert bzw. Verkehrswert des Grundbesitzes berücksichtigt worden sei; neben der Grundstücks- und Wohnungsgröße sei auch der Wert zu berücksichtigen. Er schätzte den derzeitigen Verkehrswert auf maximal 130.000,00 EUR und meinte, dies sei nicht unangemessen.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 06.04.2011 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 18.04.2011 Klage erhoben. Er wiederholt seine Auffassung, dass zur Bestimmung der Angemessenheit die Wohn- und Grundstücksfläche nicht allein maßgeblich sein könnten; es komme auch auf den Verkehrswert an. Er sei mit einer Verkehrswertermittlung einverstanden. Der Kläger ist der Auffassung, es könne hier lediglich um die Größe und den Wert des Erdgeschosses gehen, da er im Hinblick auf seine Behinderung nur das Erdgeschoss bewohne und bewohnen könne und es vorliegend auch nur um einen Zuschuss zu den Kosten des Badumbaus in der von ihm bewohnbaren Erdgeschosswohnung gehe.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.04.2011 zu verurteilen, die in Höhe von 3.021,05 EUR anerkannte Eingliederungshilfe als Zuschuss zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat ein Verkehrswertgutachten veranlasst. Der Diplomingenieur Mingers hat in dem Gutachten vom 21.11.2011 einen Verkehrswert von 127.900,00 EUR festgestellt. Der Beklagte verbleibt bei seiner in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung. Im Rahmen der Prüfung der sozialhilferechtlichen Angemessenheit des Hausgrundstückes sei unerheblich, dass der Kläger lediglich die Wohnung im Erdgeschoss nutze. Auch die Frage, ob das Obergeschoss separat vermietbar sei, führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Das Hausgrundstück sei einzusetzenden Vermögen; eine andere als die (angebotene) darlehensweise Hilfegewährung scheide aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch darauf, dass der festgestellte Eingliederungshilfebedarf (allein) durch einen Zuschuss aus Sozialhilfemitteln gedeckt wird.

Der Rechtsgrund für die in Rede stehende Eingliederungshilfe für den Kläger ergibt sich aus §§ 53, 54 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) i.V.m. § 55 Abs. 1 und 2 Nr. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Personen, die – wie der Kläger – durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe; solche sind u.a. Hilfen bei dem Umbau einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen der behinderten Menschen entspricht. Von den Kosten der durchgeführten Umbaumaßnahme sind allerdings nur diejenigen Positionen berücksichtigungsfähig, die diesen gesetzlichen Kriterien Rechnung tragen. Der Beklagte hat aus der vorgelegten Kostenrechnung 13.242,33 EUR als im Rahmen der Eingliederungshilfe grundsätzlich berücksichtigungsfähige Kosten anerkannt; dies wird vom Kläger nicht beanstandet.

Sozialhilfe (hier: Eingliederungshilfe) wird jedoch nur geleistet, soweit sich die hilfesuchende Person durch Einsatz des Einkommens und Vermögens nicht selbst helfen kann oder die erforderlichen Leistungen nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 2 Abs. 1 SGB XII). Hilfen zur Eingliederungshilfe für behinderte Menschen werden geleistet, soweit den Leistungsberechtigten und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist (§ 19 Abs. 3 SGB XII).

Der Beklagte hat hiernach zutreffend den festgestellten Eingliederungshilfebedarf um den Pflegekassenzuschuss von 2.557,00 EUR gemindert. Ebenfalls zutreffend und vom Kläger nicht beanstandet hat er gem. § 87 Abs. 3 SGB XII ein zur Deckung des Eingliederungshilfebedarfs einzusetzenden Einkommen von 7.664,28 EUR festgestellt und von dem verbliebenen Eingliederungshilfebedarf abgezogen. Hieraus ergab sich ein Resthilfebedarf von 3.021,05 EUR.

Zur Deckung dieses Eingliederungshilfebedarfs ist vom Leistungsberechtigten auch das verwertbare Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist (§ 90 SGB XII). Die Sozialhilfe darf u.a. nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person, seinem Ehegatten oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird, abhängig gemacht werden; die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Personen, dem Wohnbedarf (z. B. behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII). Nach der Rechtsprechung wird regelmäßig eine Grundstücksgröße zumindest von mehr als 500 m² nicht für angemessen erachtet (LSG NRW, Beschluss vom 09.10.2007 – L 20 B 114/07 SO ER – m.w.N.). Diese Angemessenheitsgrenze überschreitet das 860 m² große Grundstück erheblich. Soweit der Beklagte die Grenze der Angemessenheit im Hinblick auf die Wohnungsgröße bei einem Zwei-Personen-Haushalt und unter Berücksichtigung der Behinderung des Klägers bei 105 m² ansetzt, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. dazu z.B. BSG, Urteil vom 15.04.2008 – B 14/7b AS 34/06 R; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.09.2010 – L 29 AS 328/10). Auch diese Angemessenheitsgrenze wird von dem Einfamilienhaus des Klägers und seiner Ehefrau erheblich überschritten, da dessen Wohnfläche 148,74 m² beträgt. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es in diesem Zusammenhang nicht auf die tatsächliche genutzte, sondern auf die nutzbare Wohnfläche an. Anderenfalls könnte eine um Hilfe nachsuchende Person allein durch die Beschränkung der tatsächlichen Nutzung auf einen Teil der nutzbaren Wohnfläche über das Kriterium der Angemessenheit einer Wohnung bzw. eines Hausgrundstücks den Sozialhilfeanspruch beeinflussen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung nur die Erdgeschosswohnung nutzen kann. Das Haus wird nicht nur vom Kläger, sondern auch seiner Ehefrau bewohnt. Diese ist erwerbstätig und – soweit ersichtlich – nicht schwerbehindert. Sie ist also durchaus in der Lage, auch Räume im Obergeschoss des Einfamilienhauses zu nutzen. Maßstab für die Angemessenheit kann daher nur die tatsächlich nutzbare Wohnfläche sein, dies sind vorliegend 148,74 m². Diese Wohnflächengröße ist hier sozialhilferechtlich unangemessen. Allein der ermittelte Verkehrswert von 127.900,00 EUR begründet keine Unangemessenheit des Hausgrundstücks. Im Hinblick auf die Grundstücksgröße und auch die Wohnfläche ist jedoch der Grundbesitz als sozialhilferechtlich unangemessen anzusehen und dieses Vermögen grundsätzlich zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs einzusetzen. Seine Verwertung wäre auch nicht unwirtschaftlich, da sein Wert auch nach Abzug der noch nicht getilgten Grundschuld ca. 89.000,00 EUR beträgt.

Ist somit – wie festgestellt – für den Eingliederungshilfebedarf des Klägers das Vermögen "Hausgrundstück" einzusetzen, so steht dies grundsätzlich einem Anspruch auf Eingliederungshilfe zu Lasten der Sozialhilfe entgegen. Allerdings eröffnet § 91 SGB XII die Möglichkeit, dass die Sozialhilfe als Darlehen geleistet wird, wenn der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist oder für die Person, die es einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde. Dann kann die Leistungserbringung davon abhängig gemacht werden, dass der Anspruch auf Rückzahlung dinglich oder in anderer Weise gesichert wird. Aus dieser Vorschrift folgt zunächst, dass bei Vorhandensein einzusetzenden Vermögens die Gewährung von Sozialhilfe durch einen (nicht zurückzuzahlenden) Zuschuss ausgeschlossen ist. Wenn ein sofortiger Verbrauch oder eine sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist oder eine Härte bedeuten würde, kommt – ausnahmsweise – Sozialhilfe in Form eines Darlehens in Betracht. Der Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die sofortige Verwertung des Vermögens für den Kläger und seine Ehefrau nicht möglich ist bzw. eine Härte bedeuten würde. Deshalb hat er die Eingliederungshilfe als Darlehen angeboten. Da der Kläger dies jedoch strikt abgelehnt hat und ausschließlich die zuschussweise Gewährung beansprucht, hat der Beklagte den Eingliederungshilfeantrag zu Recht abgelehnt und war die allein auf einen Zuschuss gerichtete Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.