OLG Hamm, Urteil vom 29.03.2012 - I-28 U 150/11
Fundstelle
openJur 2012, 85764
  • Rkr:

Zu den Ansprüchen des Käufers eines Gebrauchtwagens gegen den Fahrzeughändler, wenn das Fahrzeug wegen Diebstahlsverdachts sichergestellt und später verwertet wird, nachdem die Staatsanwaltschaft es zugunsten des früheren Eigentümers freigegeben hat.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 19. Mai 2011 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von der Darstellung tatsächlicher Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO abgesehen.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Zwar hat das Landgericht die Klage mit unzutreffender Begründung abgewiesen, weil es auf die vom Beklagten formularmäßig auf ein Jahr verkürzte Verjährungsfrist für Sachmängel abgestellt hat. Um einen Sachmangel geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht. Im Ergebnis erweist sich das angefochtene Urteil aber als richtig, ohne dass es auf die Frage der Anspruchsverjährung ankommt.

1. Die Klägerin macht (aus gemäß § 398 BGB abgetretenem Recht ihres Ehemannes) ohne Erfolg einen Schadensersatzanspruch statt der (ganzen) Leistung gemäß § 437 Nr. 3 BGB, § 311a Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB geltend. Der Anspruch setzt u.a. voraus, dass das Fahrzeug dem Voreigentümer, dem Autohaus T, entwendet worden ist und der Beklagte dem Ehemann der Klägerin das Eigentum nicht verschaffen konnte (§ 275 Abs. 1, §§ 929, 935 BGB).

a) Ein Diebstahl des Fahrzeugs steht jedoch nicht fest. Es ist ebenso möglich, dass das Fahrzeug mit dem Willen des Autohauses T in den Verkehr gegeben worden ist. Dafür spricht der Umstand, dass es an einen "Kunden" zum Zwecke der Probefahrt übergeben worden sein soll, ohne dessen Personalien festzuhalten; bereits das ist lebensfremd. Gegen einen Diebstahl spricht auch der weitere Umstand, dass das Verschwinden des Fahrzeugs über Wochen unbeachtet geblieben sein soll; die Tatzeit konnte von der Fa. T nur sehr vage angegeben werden. Für einen vorgetäuschten Diebstahl kann auch sprechen, dass die (vermeintliche) Tat am 21. April 2005 angezeigt wurde und das Fahrzeug einen Tag später, nämlich 22. April 2005, wieder in den Verkehr gelangte, nunmehr mit einer manipulierten Fahrzeugidentitätsnummer. Da über das Vermögen des Autohauses wenige Monate später das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, ist ein Motiv denkbar, Vermögen beiseite zu schaffen.

b) Die Frage, ob der Beklagte die Verschuldensvermutung des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB entkräftet hat, weil er keinen Anlass zur Prüfung hatte, ob die Fahrzeugidentitätsnummer manipuliert war, ist vor diesem Hintergrund nicht entscheidungserheblich.

2. Ein Schadensersatzanspruch wegen eines Rechtsmangels (§ 437 Nr. 3, § 281, § 433 Abs. 1 Satz 2, § 435 BGB) bzw. ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags unter dem Gesichtspunkt eines Rechtsmangels (§ 437 Nr. 2, § 435, § 323, § 346 Abs. 3 Nr. 3 BGB) besteht ebenfalls nicht.

a) Die (behauptete) Nichtverschaffung des Eigentums stellt grundsätzlich keinen Rechtsmangel im Sinne von § 435 BGB dar. Die Pflicht zur Verschaffung des Eigentums ergibt sich schon aus § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB, nicht erst aus § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Nichterfüllung einer Hauptleistungspflicht stellt nicht zugleich einen Mangel dar (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2007 - V ZR 211/06, BGHZ 174, 61, Rn. 27; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 8. Aufl., Rn. 392). Es handelt sich um einen Fall der Nichterfüllung (Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl., § 435 Rn. 2; MünchKomm-BGB/Westermann, 6. Aufl., § 435 Rn. 1). Der Verkauf eines gestohlenen Fahrzeugs fällt nicht unter die Rechtsmängelhaftung (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl., Rn. 4651, 4764).

b) Die Klägerin kann die Klage auch nicht darauf stützen, dass das Fahrzeug am 22. Dezember 2009 gemäß § 94 StPO polizeilich sichergestellt wurde und später auf Anordnung der Staatsanwaltschaft an den Insolvenzverwalter des Autohauses herausgegeben wurde, der es verwerten ließ.

aa) Unter den Begriff der Rechte Dritter i.S. des § 435 Satz 1 BGB fallen zwar auch öffentlichrechtliche Befugnisse wie eine staatliche Sicherstellung bzw. Beschlagnahme, sofern diese tatsächlich ausgeübt wird, zu Recht erfolgt und den Verfall oder die Einziehung der Sache zur Folge haben kann (BGH, Urteil vom 18. Februar 2004 - VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802, unter II 1, m.w.N.). Dies gilt auch für Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden, die auf § 111b StPO gestützt sind und auch für solche Maßnahmen, die sowohl auf § 111b StPO als auch auf § 94 StPO gestützt sind (BGH, aaO, unter II 2). Die Sicherstellung des Fahrzeugs diente im Streitfall indes nicht zum Zweck des Verfalls oder der Einziehung, sondern nur zu Beweiszwecken.

bb) Der Bundesgerichtshof hat in dem vorgenannten Urteil offen lassen können, ob eine lediglich nach § 94 StPO vorgenommene Sicherstellung der verkauften Sache als Beweismittel einen Rechtsmangel darstellen kann (aaO, unter II 2). Dies wird überwiegend verneint (siehe Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl., § 435 Rn. 13, m.w.N.; anders Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl., § 435 Rn. 10). Die überwiegende Meinung führt an, dass die Eigentümerposition des Käufers nicht beeinträchtigt werde; eine vorübergehende Entziehung der Sache nach Gefahrübergang sei allgemeines Lebensrisiko des Käufers. Für einen Rechtsmangel könnte vor diesem Hintergrund allerdings unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles der Gesichtspunkt sprechen, dass die Sicherstellung gemäß § 94 Abs. 1 StPO im Ergebnis gleichwohl zu einem dauerhaften Entzug des Fahrzeugs geführt hat. Dies kann jedoch auf sich beruhen.

cc) Denn weder der Ehemann der Klägerin noch diese selbst haben den Beklagten zur Nacherfüllung aufgefordert (§ 439 Abs. 1 BGB). Davon hängt nicht nur der Rücktritt vom Kaufvertrag, sondern auch ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung ab (siehe § 323 BGB und § 281 BGB). Auch in dem anwaltlichen Aufforderungsschreiben vom 6. April 2010 ist dies unterblieben; vielmehr forderte die Klägerin sogleich Rückzahlung des Kaufpreises. Die Klägerin bzw. ihr Ehemann hätte dem Beklagten jedoch eine Nachfrist setzen müssen, um für die Freigabe des Fahrzeugs zu sorgen und es ggf. vom - vermeintlich - wahren Eigentümer zu erwerben. Eine Fristsetzung war nicht entbehrlich.

(1) Nacherfüllung war nicht unmöglich (§ 326 Abs. 5 BGB). Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich der Diebstahlsverdacht bestätigt und der wahre Eigentümer nicht zum Verkauf bereit ist (Wertenbruch, ZGS 2004, 367, 369). So war es hier nicht, denn der Insolvenzverwalter hat das Fahrzeug verwerten lassen. Das zeigt, dass er zum Verkauf bereit gewesen wäre.

(2) Eine Nacherfüllungsaufforderung war der Klägerin nicht unzumutbar (§ 323 Abs. 2 Nr. 3, § 440 Satz 1 Alt. 2 BGB). Das wäre zwar möglicherweise anzunehmen, wenn der Beklagte an einer Straftat beteiligt gewesen wäre oder er beim Verkauf arglistig getäuscht hätte. Dafür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Die Klägerin macht das auch nicht geltend.

(3) Es liegt keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung im Sinne von § 281 Abs. 2, § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB vor. Der Beklagte hat vorprozessual mit Anwaltsschreiben vom 5. Mai 2010 lediglich um eine Überlegungsfrist gebeten und sich dann nicht mehr gemeldet. Daran liegt keine Erfüllungsverweigerung (zu deren Voraussetzungen siehe BGH, Urteile vom 21. Dezember 2005 - VIII ZR 49/05, NJW 2006, 1195, Rn. 25; vom 11. März 2010 - III ZR 178/09, NJW 2010, 1956, Rn. 22.). Das Prozessverhalten des Beklagten ist im Übrigen zulässige Rechtsverteidigung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.