LG Bochum, Beschluss vom 07.03.2012 - 7 Qs 3/12
Fundstelle
openJur 2012, 85679
  • Rkr:
Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Bestellung von Rechtsanwalt N aus Recklinghausen zum Pflichtverteidiger wird zurückgenommen

An seiner Stelle wird Rechtsanwältin J aus E zur Pflichtverteidigerin des Angeklagten bestellt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten dadurch

entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Beschwerdeführer mit Anklageschrift vom 29.08.2011 einen Diebstahl sowie den Diebstahl einer geringwertigen Sache in Tateinheit mit Sachbeschädigung zur Last. Die vom Amtsgericht veranlasste Zustellung der Anklage erfolgte am 15.09.2011 durch persönliche Übergabe an seiner Wohnanschrift.

Unter dem 24.10.2011 sandte das Amtsgericht ein Anhörungsschreiben per einfachem Brief an die Wohnanschrift des Beschwerdeführers, in welchem er darüber informiert wurde, dass beabsichtigt sei, ihm im Hinblick auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage einen Pflichtverteidiger beizuordnen und in dem ihm ferner Gelegenheit gegeben wurde, binnen einer Woche einen Rechtsanwalt seines Vertrauens zu benennen. Ob dieses Schreiben dem Beschwerdeführer tatsächlich zugegangen ist, ist unbekannt.

Nachdem der Beschwerdeführer innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht reagiert hatte, bestellte das Amtsgericht mit Beschluss vom 21.11.2011 den ortsansässigen Rechtsanwalt N zu seinem Pflichtverteidiger und ließ zugleich die Anklage zur Hauptverhandlung zu.

Im der Folgezeit meldete sich Rechtsanwältin J mit Schreiben vom 06.01.2012 und beantragte ihre Beiordnung als Pflichtverteidigerin. Diesen Antrag lehnte das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.01.2012 ab, da bereits die Beiordnung von Rechtsanwalt N als Pflichtverteidiger erfolgt sei.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde vom 16.01.2012. Zur Begründung wird ausgeführt der Beschwerdeführer habe sich aufgrund seiner Abhängigkeitserkrankung seit dem 24.10.2011 für voraussichtlich zwölf Wochen in stationärer Behandlung befunden. Er sei daher nicht ausreichend angehört worden.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

1.)

Die gem. § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

a)

Die Bestellung von Rechtsanwalt N zum Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers erfolgte ermessensfehlerhaft iSv §§ 141, 142 StPO, da das Amtsgericht dem Recht des Beschwerdeführers auf Beteiligung an der Auswahl des Pflichtverteidigers nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen hat.

Nach § 142 Abs. 1 S. 1 StPO soll dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Verteidigers zunächst Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen. Dieses Anhörungs- und Mitwirkungsrecht des Beschuldigten ist Ausprägung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Beiordnung eines Rechtsanwalts, zu dem ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht (OLG Jena, Beschluss vom 23.08.2011, Az: 1 Ws 381/11; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.04.2010, Az: III-4 Ws 163/10, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.03.2011, Az: III-4 Ws 127/11 bei juris mwN; OLG Dresden StRR 2007, 305). Von einer Anhörung darf daher nur in seltenen Ausnahmefällen abgesehen werden (vgl. KG Berlin StV 2007, 288; OLG Dresden StRR 2007,305), etwa wenn eine Verfahrenslage vorliegt, in der die sofortige Bestellung eines Pflichtverteidigers notwendig erscheint oder wenn erkennbar ist, dass der Beschuldigte keinen Vorschlag machen wird (vgl. Meyer-Goßner, StPO,54. Aufl., § 142 StPO Rn. 9 mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier erkennbar nicht vor, so dass die vorherige Anhörung des Beschwerdeführers - wovon auch das Amtsgericht zutreffend ausging - geboten war.

Das bestehende Anhörungserfordernis ist durch das per einfachem Brief versandte Anhörungsschreiben jedoch nicht gewahrt worden Die in dem Anhörungsschreiben nach § 142 Abs. 1 StPO "zu bestimmende Frist" zur Stellungnahme stellt eine (gerichtliche) Entscheidung iSv § 35 Abs. 2 StPO dar (vgl. hierzu: Meyer-Goßner aaO, § 201 StPO Rn. 2 mwN; Karlsruher Kommentar-Schneider, 6. Aufl. 2008, § 201 StPO Rn. 4), welche die förmliche Zustellung erforderlich macht. Da diese nicht erfolgte und unbekannt ist, ob der Beschwerdeführer das Anhörungsschreiben überhaupt erhalten hat, kann nicht beurteilt werden, ob er die ihm gesetzte Frist hat verstreichen lassen.

Da es an der gebotenen Mitwirkungsmöglichkeit bei der Auswahl des Verteidigers fehlt, darf an der Bestellung des Pflichtverteidigers nicht festgehalten werden (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 23.08.2011, Az: 1 Ws 381/11 bei juris). Der beigeordnete Rechtsanwalt ist in diesem Fall auch dann zu entpflichten und ein von dem Angeklagten gewählter Verteidiger beizuordnen, wenn ernstzunehmende Anhaltspunkte für eine Störung des Vertrauensverhältnisses zu dem bisherigen Pflichtverteidiger nicht bestehen (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 23.08.2011, Az: 1 Ws 381/11: OLG Koblenz, Beschluss vom 02.02.2011, Az: 2 Ws 50/11 bei juris).

b)

Neben der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses hat die Kammer zugleich dem Beschwerdeführer gem. § 309 Abs. 2 StPO Rechtsanwältin J als Pflichtverteidigerin beigeordnet, da keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass diese nicht die Gewähr für eine sachgerechte und ordnungsgemäßen Verteidigung bietet.

2.)

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.