VG Gelsenkirchen, Urteil vom 22.03.2012 - 5 K 1600/10
Fundstelle
openJur 2012, 85565
  • Rkr:

Im Rahmen des Schutzes der Berufsfreiheit kann eine Gewerbesteuerbelastung nur dann als erdrosselnd angesehen werden,wenn ein durchschnittlicher Gewerbetreibender auf dem Gebiet der hebeberechtigten Gemeinde gerade durch die Gewerbesteuer und nicht durch andere, insbesondere wirschaftliche Gründe nicht mehr in der Lage ist, in seinem Gewerbe die wirtschaftliche Grundlage seiner Lebensführung zu finden.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung seitens der Beklagten in Höhe des jeweils vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung einer Gewerbesteuer für das Jahr 2008.

Die Klägerin betrieb im Jahre 2008 in angemieteten Räumlichkeiten unter der Anschrift S. Str. 18 in F. ein Unternehmen des kaufmännischen und technischen Gebäudemanagements.

Mit Gewerbesteuermessbescheid vom 8. Februar 2010 setzte das Finanzamt F. -Süd den Gewerbesteuermessbetrag für das Jahr 2008 auf der Grundlage eines Gewerbeertrages von 13.800,00 Euro auf 483,00 Euro fest.

Dem mit 300,00 Euro veranschlagten Gewinn aus Gewerbebetrieb wurde dabei ein Betrag von 13.565,00 Euro hinzugerechnet, der sich ermittelte aus:

6.605,00 Euro aus Entgelten für Schulden zuzüglich

1.371,00 Euro als Anteil aus Miet- bzw. Pachtzinsen für bewegliche Wirtschaftsgüter im Eigentum eines anderen sowie zuzüglich

146.285,00 Euro als Anteil aus Miet- bzw. Pachtzinsen für unbewegliche Wirtschaftsgüter im Eigentum eines anderen.

Von der sich hieraus ergebenden Gesamtsumme von 154.261,00 Euro wurde ein Freibetrag in Höhe von 100.000,00 Euro in Abzug gebracht (54.261,00 Euro). Die endgültige Hinzurechnung ergab sich aus einem Viertel dieses Betrages von 54.261.00 Euro.

Unter Anwendung eines Hebesatzes von 470 v.H. setzte die Beklagte mit Gewerbesteuerbescheid vom 15. März 2010 die Gewerbesteuer für das Jahr 2008 gegenüber der Klägerin auf insgesamt 2.270,10 Euro fest und forderte die Klägerin unter Anrechnung von Gewerbesteuervorauszahlungen in Höhe von 893,00 Euro zur Zahlung von noch 1.377,10 Euro, fällig am 18. April 2010, auf.

Am 15. April 2010 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin unter Vertiefung einzelner Gesichtspunkte im Wesentlichen aus:

Die Festsetzung der Gewerbesteuer wirke sich für die Klägerin wie eine verfassungswidrige "Erdrosselungssteuer" aus. Daher sei verfahrensrechtlich nicht der Gewerbesteuermessbescheid anzufechten, sondern ausschließlich der Gewerbesteuerbescheid, weil der Regelungsgehalt des Gewerbesteuermessbescheides sich allein auf die Festsetzung des Messbetrages beschränke. Erst aus der Steuerfestsetzung selbst könne sich eine Erdrosselungswirkung ergeben.

Diese Óbermaßbesteuerung folge für die Klägerin aus der Hinzurechnung der Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung der unbeweglichen Wirtschafsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen. Diese Hinzurechnung sei schon bereits vor der Unternehmenssteuerreform 2008 vehement bekämpft worden, weil wesentliche Wirtschaftszweige, wie etwa der Filialeinzelhandel oder das Hotelgewerbe, durch diese Hinzurechnung übermäßig belastet würden. Werde im Falle der Klägerin nur der Gewinn besteuert, so ergebe sich eine Gewerbesteuer von 49,35 Euro. Allein durch die Hinzurechnung steige die Gewerbesteuer um 737,27 v.H. Unternehmen, die im Regelfall auf die Anmietung der für den Betrieb notwendigen Baulichkeiten angewiesen seien, würden durch diese Hinzurechnung gegenüber anderen Unternehmen prinzipiell benachteiligt, ohne dass für diese Sonderbelastung einleuchtende Gründe ersichtlich seien. Im Óbrigen seien die Hinzurechnungssätze nur griffweise geschätzt worden.

Wenn eine Ertragssteuer auf mangelnden Ertrag - wie hier - keine Rücksicht nehme und dem Steuerpflichtigen zumute, die Existenzgefährdung hinzunehmen und die Steuer aus der Substanz zu zahlen, wie dies die Klägerin mangels ausreichenden Gewinns vor Steuern hier müsse, habe die Steuer erdrosselnde Wirkung. Als zwangsläufige Folge der gesetzlichen Regelung stelle sich bei der Klägerin vorliegend ein, dass diese Zahlungspflicht das wirtschaftliche Bestehen, also die Forstsetzung der Erwerbstätigkeit, ernsthaft gefährde. Nach der Ertragslage im Streitjahr würde sich eine tatsächliche Fortsetzung aber als unmöglich erweisen, wenn sich eine solche Situation wie im Jahre 2008 - u.U. mehrfach - wiederholte und trotzdem die Zahlungspflicht aufgrund der gesetzlichen Regelung bestehen bliebe. Weil eine zeitliche Zuordnung oder Bemessung dahingehend unmöglich sei, ab welchem Verlustjahr die Gefährdung der Fortsetzung der Erwerbstätigkeit eintrete, müsse dies bereits ab dem ersten Verlustjahr gelten, weil ansonsten Verstöße des Gesetzgebers gegen das Verbot der Erdrosselungssteuer zumindest zeitweise disponibel wären.

Die Klägerin beantragt (schriftsätzlich),

den Gewerbesteuerbescheid der Beklagten vom 15. März 2010 aufzuheben, soweit die Gewerbesteuerfestsetzung für das Jahr 2008 einen Betrag von 49,35 Euro übersteigt.

Die Beklagte beantragt (schriftsätzlich),

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor:

Bei Einführung des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 seien der Körperschaftssteuersatz und die Gewerbesteuermesszahl auf ein niedrigeres Niveau abgesenkt worden. Zum Zwecke der Gegenfinanzierung seien die Hinzurechnungen modifiziert und u.a. grundsätzlich sämtliche Fremdfinanzierungsaufwendungen in die Hinzurechnung mit einbezogen worden. Diese Maßnahmen trügen dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer Rechnung da bei der Gewerbesteuer nicht der Gewinn, sondern der Betriebsertrag besteuert werde. Es dürfe keinen Unterschied machen, ob ein Unternehmer den Betrieb mit Eigenkapital, einem Bankdarlehen oder mittels Anmietung des notwendigen Betriebsvermögens finanziere. Bislang sei die Finanzierungsalternative "Darlehen" gegenüber der Alternative "Anmietung" benachteiligt gewesen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Angesichts des Verzichtes der Beteiligten entscheidet die Kammer ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung, vgl. § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet. Die im Gewerbesteuerbescheid vom 15. März 2010 erfolgte Festsetzung der Gewerbesteuer für das Jahr 2008 in Höhe von 2.270,10 Euro ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Festsetzung der Gewerbesteuer findet ihre Rechtsgrundlage in § 155 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 4 der Abgabenordnung (AO) sowie in § 16 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG). Danach wird die Gewerbesteuer auf Grund des Gewerbesteuermessbetrages mit einem Hebesatz durch schriftlichen Steuerbescheid festgesetzt und von der hebeberechtigten Gemeinde - hier der Beklagten - erhoben.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Beklagte hat auf der Grundlage des vom Finanzamt F. -Süd festgesetzten Gewerbesteuermessbetrages im Gewerbesteuermessbescheid vom 8. Februar 2010 in Höhe von 483,00 Euro unter Anwendung des für das Jahr 2008 maßgeblichen Hebesatzes in Höhe von 470 v.H. die Gewerbesteuer für die Klägerin zutreffend auf 2.270,10 Euro festgesetzt.

Die von der Klägerin gegen diese Steuerfestsetzung geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Gewerbesteuererhebung durch die Beklagte teilt die Kammer nicht.

(1) Sofern die Klägerin in Hinzurechnungsregelungen des § 8 GewStG (hier in erster Linie § 8 Nr. 1 Buchst. e) GewStG) eine prinzipielle Benachteiligung von Unternehmen, die auf die Anmietung der für den Betrieb notwendigen Baulichkeiten angewiesen seien, sieht, kann sie im vorliegenden Verfahren nicht gehört werden. Der Sache nach wird mit diesem Einwand nämlich gerügt, diese Hinzurechnungsregelungen widersprächen der aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) abzuleitenden Steuergerechtigkeit.

Die Beklagte ist an die Vorgaben des Gewerbesteuermessbescheides gebunden, §§ 184 Abs. 1, 182 Abs. 1 AO. Konsequenterweise können Entscheidungen in einem Gewerbesteuermessbescheid auch nur durch Anfechtung dieses Messbescheides und nicht durch Anfechtung des Gewerbesteuerbescheides angegriffen werden, §§ 1 Abs. 2 Nr. 6, 351 Abs. 2 AO. Daraus folgt für das vorliegende Verfahren, dass der im Gewerbesteuermessbescheid vom 8. Februar 2010 festgesetzte Gewerbesteuermessbetrag auch in seinem Zustandekommen weder von der Beklagten noch vom erkennenden Gericht zu überprüfen ist. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin hätte in einen Verfahren gegen den Gewerbesteuermessbescheid vom 8. Februar 2010 und damit vor dem Finanzgericht seinen Platz.

(2) Anders stellt sich die Situation angesichts des Vortrages dar, die Gewerbesteuererhebung habe für Klägerin erdrosselnde Wirkung. Insoweit weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass dieser Einwand regelmäßig nicht gegen den Gewerbesteuermessbescheid zu erheben ist, da ein Gewerbesteuermessbescheid grundsätzlich keine erdrosselnde Wirkung haben kann. Diese Wirkung kann im Regelfall erst durch die Steuererhebung selbst eintreten.

Vgl. z.B. Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 16. Oktober 2009 - III B 170/08 -, z.B. Juris-Dokument, Rn 5 m.w.N.

Gleichwohl führt dieser Einwand im vorliegenden Fall nicht zum Erfolg der Klage. Der Einwand einer erdrosselnden Wirkung der Steuer, also einer die Steuerquelle selbst vernichtenden Belastung,

vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 18. Januar 2006 - 2 BvR 2194/99 -, z.B. Juris-Dokument, Rn 44,

ist nicht auf ein unmittelbar der Verfassung zu entnehmendes Verbot einer erdrosselnden Steuer zurückzuführen, sondern im Rahmen des konkreten Grundrechtsschutzes der Betroffenen zu prüfen. Das bedeutet im Falle der Klägerin namentlich die Prüfung der Gewerbesteuererhebung vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG und vor dem Hintergrund des Eigentumsschutzes aus Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG.

In beiden Fällen vermag die Kammer Anhaltspunkte für einen Verfassungsverstoß der Gewerbesteuererhebung auf der Ebene des gemeindlichen Satzungsrechts nicht zu erkennen.

Im Rahmen des Schutzes der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) kann eine Gewerbesteuerbelastung nur dann als erdrosselnd angesehen werden, wenn ein durchschnittlicher Gewerbetreibender auf dem Gebiet der hebeberechtigten Gemeinde gerade durch die Gewerbesteuer und nicht durch andere, insbesondere wirtschaftliche Gründe nicht mehr in der Lage ist, in seinem Gewerbe die wirtschaftliche Grundlage seiner Lebensführung zu finden.

Vgl. zu diesem Maßstab z.B. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13. April 2005 - 10 C 5.04 -, z.B. Juris-Dokument, Rn 54 m.w.N. (kommunale Vergnügungssteuersatzung).

Anhaltspunkte, der auf dem Gebiet der Beklagten im Jahre 2008 maßgebliche Hebesatz von 470 vom Hundert habe eine solche erdrosselnde Wirkung, sind nicht zu erkennen:

In F. wurden

im Jahre 2007 insgesamt 6.226 Gewerbe an- und 5.764 abgemeldet;

im Jahre 2008 insgesamt 6.251 Gewerbe an- und 5.972 abgemeldet;

im Jahre 2009 insgesamt 5.902 Gewerbe an- und 5.777 abgemeldet und

im Jahre 2010 insgesamt 6.070 Gewerbe an- und 5.777 abgemeldet.

Vgl. Statistische Jahrbücher Nordrhein-Westfalen 2008 bis 2011, jeweils IX Nr. 6.

Der daraus resultierende absolute Anstieg der angemeldeten Gewerbe schließt aus Sicht der Kammer die Annahme einer die Steuerquelle selbst vernichtenden Gewerbesteuer vielmehr von vornherein aus.

Auch einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG vermag die Kammer in der Gewerbesteuererhebung auf der Grundlage eines Hebesatzes von 470 vom Hundert für das Jahr 2008 nicht zu bejahen:

Die steuerlichen Schrankenbestimmungen des Eigentums unterliegen den allgemeinen Eingriffsbegrenzungen. Besondere Bedeutung kommt dabei - auch unterhalb der Schwelle einer die Steuerquelle selbst vernichtenden Steuer - dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu mit seinen Anforderungen an ein hinreichendes Maß an Rationalität (Eignung und Erforderlichkeit der Beeinträchtigung) und an Abgewogenheit beim Ausgleich zwischen den beteiligten individuellen Belangen und denen der Allgemeinheit. Eine allgemein verbindliche, absolute Belastungsobergrenze lässt sich hieraus allerdings nicht ableiten. Aufgabe des Normgebers ist es, in Erfüllung seines Regelungsauftrags der Garantie des Eigentums und dem Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung in gleicher Weise Rechnung zu tragen und die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Dabei bietet die Belastung mit Steuern den im Verhältnismäßigkeitsprinzip enthaltenen Geboten der Eignung und der Erforderlichkeit kaum greifbare Ansatzpunkte für eine Begrenzung. Steuern mit dem Zweck, Einnahmen zur Deckung des staatlichen Finanzbedarfs zu erzielen, werden gemessen an diesem Zweck grundsätzlich immer geeignet und erforderlich sein. Allein aus der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, können sich problem- und situationsbezogen Obergrenzen für eine Steuerbelastung ergeben.

Vgl. zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2006 - 2 BvR 2194/99 -, z.B. Juris-Dokument, Rnrn. 39 ff. m.w.N.

Anhaltspunkte dafür, die Gewerbesteuererhebung durch die Beklagte im Jahre 2008 führe zu einer in diesem Sinne unzumutbaren Steuerbelastung der Gewerbetreibenden im Gemeindegebiet der Beklagten, ergeben sich nicht. Der aus dem Vergleich von Gewerbean- und -abmeldungen ergebende absolute Anstieg von Gewerbeanmeldungen in F. in den Jahre 2007 bis 2010 spricht deutlich dagegen.

(3) Soweit die Klägerin die ihr gegenüber konkret erfolgte Gewerbesteuerfestsetzung für unzumutbar weil erdrosselnd hält, folgt die Kammer ihr auch insoweit nicht.

Normativ angebunden ist dieser Vortrag an die Möglichkeit der Beklagten, die Steuer schon im Erhebungsverfahren aus Billigkeitsgründen niedriger Festzusetzen, vgl. § 163 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 4 AO. Anlass für die Beklagte, die Möglichkeit eines Billigkeitserlasses im Sinne dieser Vorschrift schon im Erhebungsverfahren in Betracht zu ziehen, Bestand nicht.

Dies gilt zunächst für den Fall der Unbilligkeit aus sachlichen Gründen. Diese liegt vor, wenn die Unbilligkeit unmittelbare Folge der Anwendung des steuerlichen Tatbestandes ist. Grundsätzlich ist ein Fall der Unbilligkeit aus sachlichen Gründen gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Normgebers der Abgabenregelung angenommen werden kann, dass der Normgeber die im Billigkeitsweg zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne des beabsichtigten Erlasses entschieden haben würde. Umstände, die dem Zweck der Abgabenerhebung entsprechen und die der Normgeber bei der Ausgestaltung der Abgabennorm bewusst in Kauf genommen hat, können einen Erlass aus Gründen sachlicher Unbilligkeit nicht rechtfertigen.

Vgl. BFH, Urteil vom 23. März 1998 - II R 41/96 -, BStBl. II 1998, S. 396 f.; Kühn u.a., Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 18. Auflage 2004, § 227 Rn 5; jew. m.w.N.

Entspricht die Einziehung der Abgabe zwar dem Willen des Normgebers, hält dieser Wille aber einer an den Grundrechten ausgerichteten verfassungsrechtlichen Óberprüfung nicht stand, ist bereits die Abgabennorm selbst verfassungswidrig. Dies kann grundsätzlich nur in den dafür vorgesehenen Verfahren geltend gemacht werden und rechtfertigt keinen Billigkeitserlass. Zur Wahrung der Grundrechte kann jedoch bei generalisierenden und typisierenden Steuertatbeständen ein Billigkeitserlass wegen sachlicher Härte geboten sein, wenn die Regelungen nur deshalb einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten, weil im Einzelfall oder in Gruppen von Einzelfällen die Möglichkeit besteht, auftretenden Härten durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen.

Vgl. BFH, Urteil vom 23. März 1998 - II R 41/96 - , BStBl. II 1998, S. 396 f. (S. 396); vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1994 - 2 BvR 89/91 -, NVwZ 1995, S. 989 f. (S. 990) m.w.N.

Anhaltspunkte für eine solche Härte sind dem Erhebungsverfahren nicht zu entnehmen, insbesondere können die im Gewerbesteuermessbescheid vom 8. Februar 2010 ausgewiesenen "Hinzurechnungen" nicht als Anhaltspunkte für eine Härte herangezogen werden: Die in § 8 GewStG aufgeführten Hinzurechnungen sollen lediglich Abzüge, die bei der Ermittlung des Gewinns statthaft sind, für die Ermittlung des Gewerbeertrags, und damit der nach § 6 GewStG allein maßgeblichen Besteuerungsgrundlage im Gewerbesteuerrecht, wieder rückgängig machen. Der Sache nach handelt es sich also um Abzugsverbote, die der Verwirklichung des Objektsteuerprinzips dienen. Diese Abzugsverbote sollen sicherstellen, dass für die Höhe der Gewerbsteuer nicht der auf ein bestimmtes Steuersubjekt bezogene Gewinn maßgebend ist, sondern der Ertrag, den der von dem jeweiligen Rechtsträger losgelöste Gewerbebetrieb an sich abwirft, gleichgültig, wem er zufließt.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Mai 1969 - 1 BvR 25/65 -, z.B. Juris-Dokument, Rnrn. 34 f. m.w.N.

Eine Härte im vorgenannten Sinne vermag die Kammer aus dem Verfahren zur Bestimmung des Ertrages des Gewerbebetriebes der Klägerin nicht abzuleiten. Dass der Gesetzgeber im Grundsatz davon ausgeht, dass der Gewerbebetrieb die Miet- und Pachtzinsen z.B. für die Räumlichkeiten, in denen der Gewerbebetrieb angesiedelt ist, auch erwirtschaftet, erscheint vielmehr naheliegend.

Anhaltspunkte für eine Unbilligkeit der Steuererhebung aus persönlichen Gründen sieht die Kammer im Erhebungsverfahren ebenfalls nicht. Die Beklagte hatte auch insofern keinen Anlass zur weiteren Prüfung. Eine Unbilligkeit aus persönlichen Gründen ist anzunehmen, wenn im Falle der Versagung des Erlasses die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichtet oder ernsthaft gefährdet wird. Nur vorübergehende Zahlungsschwierigkeiten gefährden nicht in jedem Fall die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtgen, in solchen Fällen können Maßnahmen wie eine Stundung der Steuerforderung, Gewährung von Ratenzahlungen oder die einstweilige Einstellung der Vollstreckung Platz greifen.

St.R. vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 14. Januar 2002 - XI B 146/00 -, z.B. Juris-Dokument, Rnrn. 15 f. m.w.N.

Bei einem im Gewerbesteuermessbescheid vom 8. Februar 2010 ausgewiesenen Gewerbeertrag in Höhe von 13.800,00 Euro und einer Gewerbesteuer in Höhe von 2.270,10 Euro erscheint die Möglichkeit einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Klägerin eher fernliegend. Die Kammer teilt auch nicht die Auffassung der Klägerin, wonach schon das erste Verlustjahr zu berücksichtigen sei, da eine zeitliche Zuordnung dahingehend unmöglich sei, ab dem wievielten Verlustjahr die Gefährdung der Fortsetzung der Erwerbstätigkeit eintrete. Maßgeblich ist der Gewerbesteuerertrag, den der von dem jeweiligen Rechtsträger losgelöste Gewerbebetrieb an sich abwirft, gleichgültig, wem er zufließt (s.o.). Wem der Gewerbetreibende den Ertrag zufließen lässt bzw. zufließen lassen muss, hängt nicht zuletzt von seinen eigenen wirtschaftlichen Entscheidungen ab. Erweist sich der Gewerbeertrag im Verhältnis zu den Miet- und Pachtzinsen aus Sicht des Gewerbetreibenden als zu gering, ist es in erster Linie Sache des Gewerbetreibenden selbst, z.B. durch Erhöhung des Ertrages, durch Senkung der Miet- und Pachtzinsen, durch eine Kombination beider Möglichkeiten oder durch Kostensenkungen an anderer Stelle auf die zukünftige Ertragslage des Gewerbebetriebes Einfluss zu nehmen. Aber selbst angenommen, das Jahr 2008 sei im Sinne der Klägerin als Verlustjahr anzusehen, käme eine prognostische Fortschreibung dieses Befundes nicht in Betracht, da eine solche Prognose die wirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Klägerin unberücksichtigt lassen müsste. Sie wäre offenkundig realitätsfremd.

Die Erlassregelungen in § 227 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 5 AO prüft die Kammer nicht, da es hierzu eines vom Erhebungsverfahren unabhängigen - zunächst auch behördlichen - Erlassverfahrens bedarf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.