OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.02.2012 - 7 A 2444/09
Fundstelle
openJur 2012, 84974
  • Rkr:
Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Der Vorbescheid vom 15. Oktober 2007 in der Fassung der Änderung vom 29. September 2009 wird aufgehoben.

Die Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen jeweils zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beklagte und der Beigeladene jeweils selbst.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines dem Beigeladenen erteilten planungsrechtlichen Vorbescheids für ein grenzständiges, mehrgeschossiges Gebäude.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung L. Flur 62, Flurstück 361 mit der Bezeichnung S.---------straße 7 in L1. . Dieses Grundstück sowie das im Eigentum des Beigeladenen stehende Nachbargrundstück S1. -dorffstraße 5 (Flurstück 362) sind mit einem Doppelwohnhaus mit jeweils zwei Geschossen und einem Dachgeschoss mit einem Satteldach und einer Firsthöhe von 11,60 m bebaut. Die beiden Haushälften stehen mit 4 bzw. 6 m Abstand zu einer Baufluchtlinie zur S.---------straße hin, die in einem Fluchtlinienplan aus dem Jahr 1897 festgesetzt ist. Die Haushälfte des Klägers wurde aufgrund einer 1971 erteilten Baugenehmigung errichtet. Die Haushälfte des Beigeladenen wurde 1954 genehmigt und errichtet.

Die übrige Bebauung der S.---------straße zwischen der B. Straße und der G. -T. -Straße besteht auf der westlichen Seite (ungerade Hausnummern) - abgesehen von einem freistehenden zweigeschossigen Wohngebäude - aus zwei- oder mehrgeschossigen Häusern, Doppelhäusern bzw. Hausgruppen, in denen Wohnnutzung stattfindet und Rechtsanwälte, Steuerberater und Ärzte tätig sind bzw. mehrere Handelsgesellschaften ihren Sitz haben. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite (gerade Hausnummern) findet ganz überwiegend Wohnnutzung statt. Dort herrscht zwei- bis dreigeschossige offene Bauweise mit Doppelhäusern bzw. Hausgruppen vor. Abgesehen von dem Fluchtlinienplan besteht keine bauplanerische Festsetzung für das beschriebene Gebiet.

Das Bauaufsichtsamt der Beklagten erteilte dem Beigeladenen unter dem 15. Oktober 2007 auf seinen Antrag vom 17. Juli 2007 einen planungsrechtlichen Vorbescheid mit zweijähriger Geltungsdauer für ein Gebäude mittlerer Höhe mit Räumen für freiberufliche Nutzungen im Sinne des § 13 BauNVO, Praxen mit weniger als 50 % der Gesamtnutzfläche und Wohnungen sowie einer Tiefgarage mit 8 Stellplätzen. Gegenstand dieses Vorbescheids ist nach den Bauvorlagen ein 15 m hohes, viergeschossiges Wohn- und Geschäftshaus mit zusätzlichem Staffelgeschoss und einem Flachdach; es soll anstelle der vorhandenen Doppelhaushälfte grenzständig und unter voller Ausnutzung der Baufluchtlinie auf dem Grundstück S.---------straße 5 errichtet werden.

Gegen den - ihm am 30. November 2007 zugestellten - Vorbescheid hat der Kläger am 14. Dezember 2007 Klage erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen: Das Vorhaben füge sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Es verletze das Gebot der Rücksichtnahme, da es wegen seiner Höhe und Größe mit insgesamt fünf Geschossen gegenüber dem kleineren Gebäude auf seinem Grundstück erdrückend wirke. Das Ortsbild werde beeinträchtigt, da das Straßenbild in der unmittelbaren Nachbarschaft mit seiner nur zwei- bis dreigeschossigen Bebauung gestört werde. Die Bebauung auf den Grundstücken Nr. 9 und 11 sei als Fremdkörper zu betrachten. Schließlich verstoße der Vorbescheid gegen § 13 BauNVO. Es werde Raum für freiberufliche Nutzung bis 50 % der Gesamtnutzfläche zugelassen.

Der Kläger hat beantragt,

den Vorbescheid vom 15. Oktober 2007 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist dem Vorbringen des Klägers entgegengetreten.

Der Beigeladene hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen: Das Vorhaben füge sich in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Das Gebäude des Klägers stelle sich als Minderbebauung und als Fremdkörper im Gefüge der Umgebungsbebauung dar. Von einer erdrückenden Wirkung könne angesichts des geringen Höhenunterschieds der beiden Häuser von wenig mehr als 3 m nicht die Rede sein. Eine gewerbliche Nutzung des Vorhabens sei nicht geplant.

In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 29. September 2009 hat der Beigeladene erklärt, er verstehe die Bezeichnung "Wohn- und Geschäftshaus" im eingereichten Lageplan als Versehen, er lege den Vorbescheid nur entsprechend seinem Tenor aus. Die Beklagte hat in der Verhandlung den Begriff "Gesamtnutzfläche" im Vorbescheid durch den Begriff "Wohnfläche" ersetzt. Dem hat der Beigeladene zugestimmt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. September 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das Vorhaben verstoße nicht gegen materielle nachbarschützende planungsrechtliche Vorschriften. Es sei zwar durchaus zweifelhaft, ob das vom Beigeladenen ohne seitlichen Grenzabstand geplante Gebäude zusammen mit der jetzigen Doppelhaushälfte des Klägers noch ein Doppelhaus im Sinne des § 22 BauNVO darstelle. Die Kammer folge aber nicht dem 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, der § 22 Abs. 2 BauNVO oder zumindest den darin enthaltenen Rechtsgedanken für nachbarschützend halte und demgemäß unabhängig von der Frage, ob eine bisherige Doppelhaushälfte in einem beplanten oder unbeplanten Gebiet liege, dem bisherigen Doppelhausnachbarn das subjektive Recht einräume, planungsrechtlich gegen die Neuerrichtung oder Erweiterung der anderen Doppelhaushälfte vorzugehen, wenn die Verwirklichung des Vorhabens dazu führen würde, dass es sich bei dem Gesamtbaukörper im Ergebnis nicht mehr um ein Doppelhaus handele. Es gehe um ein Nichteinfügen nach der Bauweise. Dies reiche nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht aus, um ein Abwehrrecht zu begründen.

Das Verwaltungsgericht hat die Berufung wegen Abweichung von der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2007 - 10 B 1090/07 -) zugelassen.

Der Kläger hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und trägt im Wesentlichen vor, er habe einen nachbarrechtlichen Abwehranspruch aus dem zwischen ihm und dem Beigeladenen bestehenden wechselseitigen Austauschverhältnis, das durch die Doppelhausbebauung der Grundstücke gem. § 34 Abs. 1 BauGB entstanden sei; das Bauvorhaben des Beigeladenen lasse ferner die gebotene Rücksichtnahme auf die Bebauung seines Grundstücks vermissen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts L1. vom 29. September 2009 - 2 K 5456/07 - sowie den Vorbescheid der Beklagten vom 15. Oktober 2007 in der Fassung vom 29. September 2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat sich im Berufungsverfahren nicht zur Sache geäußert.

Der Beigeladene beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat er auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Darüber hinaus trägt er im Wesentlichen vor: Bei zutreffender Betrachtung seien die grenzständigen Gebäude S.---------straße Nr. 5 und Nr. 7 kein Doppelhaus im Rechtssinn. Abgesehen davon könne der Rechtsprechung des 10. Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, die die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf den unbeplanten Innenbereich übertrage, nicht gefolgt werden. Danach könnte der Nachbar bei einem einseitigen frühen Grenzbau für den späteren Bauherrn des Nachbargrundstücks Baurecht setzen, wenn er die baurechtlich gegebenen Nutzungsmöglichkeiten nur zu einem geringen Teil ausnutze. Eine solche Ausprägung des öffentlichrechtlichen Baurechts wäre verfassungsrechtlich bedenklich. Die vorgesehene Bebauung sei im Übrigen auch nicht gegenüber dem Kläger rücksichtslos.

Der Berichterstatter des Senats hat die Örtlichkeit am 17. Januar 2012 besichtigt. Wegen der hierbei getroffenen Feststellungen wird auf das Ortsterminprotokoll verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Der Senat hat das Rubrum von Amts wegen berichtigt. Seit Inkrafttreten des Justizgesetzes NRW am 1. Januar 2011 sind Anfechtungsklagen gegen den Rechtsträger zu richten, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Die zulässige Klage ist begründet. Der streitbefangene Vorbescheid vom 15. Oktober 2007 - hier maßgeblich in der Fassung der im Rahmen der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts erfolgten Änderung - ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das angefochtene Urteil ist deshalb zu ändern und der Vorbescheid aufzuheben.

Die Klage ist zulässig.

Der angefochtene Vorbescheid ist nicht zwischenzeitlich durch Ablauf der auf zwei Jahre festgelegten Geltungsdauer (vgl. § 71 Abs. 2, § 77 BauO NRW) unwirksam geworden. Der Lauf der Frist ist durch die gegen den Bescheid gerichtete Klage jedenfalls gehemmt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. März 2006

- 8 B 1920/05 - BRS 70 Nr. 152.

Die Klage ist auch begründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Nach § 71 Abs. 2, § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW kommt die Erteilung eines planungsrechtlichen Vorbescheides (Bebauungsgenehmigung) nicht in Betracht, weil das Vorhaben des Beigeladenen gegen öffentlichrechtliche Vorschriften des Bauplanungsrechts verstößt. Es ist mit § 34 Abs. 1 BauGB unvereinbar.

§ 34 BauGB ist hier für die planungsrechtliche Beurteilung maßgeblich, weil das Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt und ein Bebauungsplan im Sinne von § 30 Abs. 1 BauGB für den in Rede stehenden Bereich nicht existiert. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil sich das Vorhaben des Beigeladenen hinsichtlich der Bauweise nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Die gleichwohl erteilte Bebauungsgenehmigung verletzt damit zugleich Nachbarrechte des Klägers.

Das Vorhaben fügt sich nach der Bauweise nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein.

Die Umgebung des Vorhabens ist durch die Bebauung an beiden Seiten der S.---------straße geprägt. Hier befindet sich Bebauung in offener Bauweise mit Doppelhäusern, Hausgruppen und wenigen Einzelhäusern. Um ein Doppelhaus handelt es sich auch bei der Bebauung auf dem Grundstück des Beigeladenen und des Klägers. Die dort errichteten jeweils einseitig grenzständigen Gebäude sind - anders als der Beigeladene meint - als Doppelhaus im Rechtssinne anzusehen. Im Falle der Realisierung des geplanten Vorhabens des Beigeladenen ist diese Voraussetzung indes nicht mehr erfüllt. Diese Feststellungen trifft der Senat in Anwendung der nachfolgenden Rechtsgrundsätze auf der Grundlage des vorliegenden Karten- und Bildmaterials und dem dies bestätigenden, in der Beratung vermittelten Eindruck des Berichterstatters, der die Örtlichkeit besichtigt hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff des Doppelhauses entsteht ein Doppelhaus (vgl. § 22 BauNVO), wenn zwei Gebäude derart zusammen gebaut werden, dass sie einen Gesamtkörper bilden, dessen beide Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut sind. Das Erfordernis der baulichen Einheit enthält neben dem quantitativen auch ein qualitatives Element. Aufeinander abgestimmt sind die Hälften eines Doppelhauses, wenn sie sich in ihrer Grenzbebauung noch als "gleichgewichtig" und "im richtigen Verhältnis zueinander" und daher als harmonisches Ganzes darstellen, ohne disproportional, als zufällig an der Grundstücksgrenze zusammengefügte Einzelhäuser ohne hinreichende räumliche Verbindung zu erscheinen. Denn kennzeichnend für die offene Bauweise ist der seitliche Grenzabstand der Gebäude; die Hälften des Doppelhauses müssen folglich gemeinsam als ein Gebäude in Erscheinung treten. Dementsprechend muss ein Haus, soll es Teil eines Doppelhauses sein, ein Mindestmaß an Übereinstimmung mit dem zugehörigen Nachbarhaus aufweisen, indem es zumindest einzelne der ihm Proportionen und Gestalt gebenden baulichen Elemente aufgreift. Anderenfalls wäre der die Hausform kennzeichnende Begriff der baulichen Einheit sinnentleert. Allgemeingültige Kriterien lassen sich jedoch insoweit mit Blick auf die von § 22 Abs. 2 BauNVO verfolgten städtebaulichen Zwecke der Steuerung der Bebauungsdichte sowie der Gestaltung des Orts- und Stadtbildes-, die keine einheitliche Gestaltung erfordern, nicht aufstellen. Regelmäßig geben Höhe, Breite und Tiefe, sowie die Zahl der Geschosse und die Dachform einem Haus seine maßgebliche Gestalt. Diese Kriterien können daher im Einzelfall Anhaltspunkte für die Beurteilung des wechselseitigen Abgestimmtseins geben. Auch Übereinstimmungen und Abweichungen in der Kubatur der Häuser infolge hervortretender Bauteile wie Dachterrassen, Gauben oder Anbauten können mitentscheidend für die Beantwortung der Frage sein, ob noch von einer baulichen Einheit und damit von einem Doppelhaus die Rede sein kann. Insoweit erfährt ein geplantes Haus durch die bereits vorhandene Grenzbebauung eine das Baugeschehen beeinflussende Vorprägung. Umgekehrt trägt der Erstbauende das Risiko, dass die spätere Nachbarbebauung den planerisch eröffneten Freiraum stärker ausschöpft als er selbst. Er kann nicht erwarten, dass die später errichtete Doppelhaushälfte die überbaubare Grundstücksfläche nur in demselben Umfang ausnutzt wie er es getan hat.

Vgl. zum vorstehenden BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 - 4 C 12.98 -, BRS 63 Nr. 185,

sowie OVG NRW, Urteil vom 16. August 2011

- 10 A 1224/09 -.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist festzustellen, dass sich die bestehende Bebauung auf den Grundstücken des Beigeladenen und des Klägers als Gesamtbaukörper mit dem Charakter eines Doppelhauses darstellt. Die Häuser sind auf einer Länge von etwa 15 m aneinander gebaut und verspringen zur Straßenfront bzw. in den rückwärtigen Bereich nur geringfügig. Die Haushälften weisen Übereinstimmungen in Höhe, Geschossigkeit und Dachform auf. Lediglich hinsichtlich der Dachaufbauten bestehen gewisse Unterschiede, die indes dem Eindruck wechselseitigen verträglichen Abgestimmtseins der grenzständigen Haushälften nicht entgegen stehen.

Demgegenüber stellt sich der Baukörper auf den Grundstücken im Falle der Realisierung des Vorhabens des Beigeladenen nicht mehr als wechselseitig in verträglicher Weise abgestimmter Gesamtbaukörper und damit als Doppelhaus im Sinne der dargestellten Grundsätze dar.

Der vorgesehene grenzständige Baukörper auf dem Grundstück der Beigeladenen überschreitet die Dimensionen des Hauses des Klägers in erheblicher Weise. Er verfügt über zusätzliche zwei Vollgeschosse sowie über ein zusätzliches Staffelgeschoss mit Flachdach. Die Höhe dieses Flachdaches liegt 3,60 m über dem First des Satteldachs des Hauses des Klägers. Hinzu tritt die rückwärtige Erweiterung im viergeschossigen Bereich um 2 m sowie die zusätzliche Erweiterung im zweigeschossigen Bereich, die dazu führt, dass die Bautiefe insgesamt 21m beträgt. Dadurch übersteigt das Bauvolumen des Vorhabens dasjenige des Hauses des Klägers erheblich. Neben diesen quantitativen Aspekten ist auch in qualitativer Hinsicht festzustellen, dass der Baubestand nicht mehr als Gesamtbaukörper gewertet werden kann, der ein harmonisches Ganzes darstellt. Nach den aufgezeigten Umständen des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der völlig unterschiedlichen Dachformen (Satteldach, daneben wesentlich höheres Flachdach) erwecken die Haushälften im Falle der Realisierung des Vorhabens vielmehr den Eindruck disproportionaler, zufällig in grenzständiger Weise nebeneinander gestellter Baukörper. Von einem wechselseitigen verträglichen Abgestimmtsein kann danach nicht mehr die Rede sein. Die dieser Würdigung zugrundeliegenden Rechtsgrundsätze begegnen im Übrigen entgegen der Auffassung des Beigeladenen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Eine die Bebauungsmöglichkeiten nicht voll ausschöpfende faktische Bebauung ("Mindernutzung") stellt für den Nachbarn eine hinzunehmende und nach Maßgabe des Einfügensgebots (§ 34 Abs. 1 BauGB) rechtserhebliche Vorbelastung dar, die nach den dargestellten Grundsätzen gerade das Resultat einer wechselseitigen Abstimmung im Rahmen des Nachbarschaftsverhältnisses ist (vgl. dazu auch S. 12).

Auf den damit vorliegenden Verstoß gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann sich der Kläger auch berufen. Der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für eine planerisch festgesetzte Doppelhausbebauung entwickelte Drittschutz für den Doppelhausnachbarn beansprucht auch für den hier gegebenen unbeplanten Innenbereich Geltung.

Durch die Doppelhausbebauung gehen die Grundstückseigentümer ein nachbarliches Austauschverhältnis ein, das nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf. Die Zulässigkeit einer Bebauung als Doppelhaus setzt den Verzicht der Grundstückseigentümer auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze voraus. Dieser Verzicht bindet die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein. Ihre Baufreiheit wird zugleich erweitert und beschränkt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000

- 4 C 12.98 -, BRS 63 Nr. 185.

Die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Doppelhausnachbarn bestehen unabhängig davon, ob ihr Doppelhaus in einem mittels Bebauungsplan überplanten Bereich oder in einem unbeplanten Innenbereich liegt. Durch die Möglichkeit des Grenzanbaus wird die bauliche Nutzbarkeit der häufig schmalen Grundstücke in beiden Fällen erhöht, während demgegenüber Freiflächen, die dem Wohnfrieden dienen, an der gemeinsamen Grundstücksgrenze verloren gehen. Die wechselseitigen Interessen der Doppelhausnachbarn sind in beiden Fällen schutzwürdig.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. August 2011 10 A 1224/09 -; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Mai 2011- 10 B 29/11 -, und vom 23. Juli 2007 - 10 B 1090/07 -, juris.

Die hiergegen gerichteten Bedenken des Verwaltungsgerichts,

vgl. ebenfalls einen Nachbarschutz insoweit ablehnend: OVG Rh.-Pf., Urteil vom 27. Mai 2009

- 8 A 11090/08 -, juris,

teilt der Senat nicht. Den vom Verwaltungsgericht formulierten Rechtssatz, ein Nichteinfügen eines Vorhabens hinsichtlich der Bauweise reiche im Rahmen des § 34 BauGB nicht aus, um ein Abwehrrecht des Nachbarn zu begründen, vermag der Senat den vom Verwaltungsgericht angeführten Zitaten,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. November 1997 - 4 B 195.97 -, BRS 59 Nr. 177 und Urteil vom 28. April 2004 - 4 C 10.03 -, BRS 67 Nr. 68,

nicht zu entnehmen. Sie beziehen sich nicht auf die hier in Rede stehende spezielle Fallgestaltung bzw. die vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 24. Februar 2000 behandelte besondere Konstellation.

Auch die Einwände gegen die Anwendbarkeit des in § 22 BauNVO enthaltenen Rechtsgedankens hält der Senat nicht für überzeugend. Hier geht es um die Wertung, dass das planerisch begründete Austauschverhältnis sich nicht wesentlich von dem Austauschverhältnis der Nachbarschaft unterscheidet, das sich aus einer faktischen Doppelhausbebauung im Rahmen offener Bauweise ergibt, die sich in einem Baugebiet befindet. Auch diese den Bebauungsplan ersetzende faktische Bebauung mit einem Doppelhaus begründet ein entsprechendes Austauschverhältnis. Der Eigentümer einer Doppelhaushälfte ist in der Ausnutzung seines Grundstücks den oben dargestellten Beschränkungen unterworfen, deshalb kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zu dem Doppelhausnachbarn durchsetzen. Eine planerische Festsetzung ist hier mithin ebensowenig erforderlich wie bei einem Gebietsgewährleistungsanspruch, der nicht nur im förmlich festgesetzten Baugebiet Anwendung finden kann, sondern auch in einem Gebiet, dessen Charakter maßgeblich durch die tatsächliche Bebauung geprägt ist.

Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 -, BRS 55 Nr. 110.

Dies stimmt im Übrigen auch mit den Grundsätzen überein, die das Bundesverwaltungsgericht für das Rücksichtnahmegebot entwickelt hat, das Teil des Begriffs des Einfügens im Sinne des § 34 BauGB ist. Ein solcher Verstoß setzt voraus, dass ein Vorhaben, das sich nicht innerhalb des Rahmens hält, der durch die Bebauung der Umgebung gebildet wird, zusätzlich objektivrechtlich im Verhältnis zur Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen erzeugt, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich ziehen und subjektivrechtlich, dass es die gebotene Rücksichtnahme speziell auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung vermissen lässt.

Vgl. BVerwG, 13. November 1997 - 4 B 195.97 -, BRS 59 Nr. 177.

Eine solche Konstellation liegt vor, wenn ein bestehendes Doppelhaus durch eine nicht in der erforderlichen Weise abgestimmte einseitige Veränderung einer Haushälfte seinen Charakter als Doppelhaus im Sinne der dargestellten Grundsätze verliert und damit auch für die andere Doppelhaushälfte des Nachbarn die planungsrechtliche Rechtfertigung als einseitig grenzständiger Baukörper entfällt.

Verletzt der Vorbescheid mithin schon aus den vorgenannten Gründen Nachbarrechte des Klägers, kann offen bleiben, ob das Verwaltungsgericht vorliegend einen Gebietsgewährleistungsanspruch des Klägers zu Recht verneint hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.