OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.12.2011 - 6 A 674/11
Fundstelle
openJur 2012, 83775
  • Rkr:

Erfolgloser Zulassungsantrag eines Polizeihauptkommissars, dessen Klage auf Schadensersatz wegen unterbliebener Beförderung gerichtet ist.

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf bis 25.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg; Zulassungsgründe im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO sind nicht dargelegt oder nicht gegeben.

Das Antragsvorbringen weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Hinsichtlich dieses Zulassungsgrundes bedarf es einer auf schlüssige Gegenargumente gestützten Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO in substantiierter Weise darzulegen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Entscheidungsergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn das Gericht schon auf Grund des Antragsvorbringens in die Lage versetzt wird zu beurteilen, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen. Diesen Anforderungen genügt die Antragsschrift nicht.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dem Schadensersatzanspruch des Klägers stehe entgegen, dass dieser es in zurechenbarer Weise unterlassen habe, frühzeitig Rechtsmittel gegen die ihm erteilte Regelbeurteilung vom 4. April 2006 einzulegen. Die damit vorgenommene Anwendung des Rechtsgedankens des § 839 Abs. 3 BGB im Streitfall entspricht dessen Sinn und Zweck. Danach besteht kein Wahlrecht zwischen alsbaldigem Primärrechtsschutz gegen eine rechtswidrige Benachteiligung und einem späteren Schadensersatzbegehren. Dem Verletzten soll nicht die zu missbilligende Möglichkeit offen stehen, zunächst den rechtswidrigen Hoheitseingriff hinzunehmen und später einen daraus entstehenden Schaden zu liquidieren.

Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 - 2 C 26.03 -, NVwZ 2004, 1257, mit weiteren Nachweisen; Papier in Münchener Kommentar zum BGB Bd. 5, 4. Auflage 2004, § 839 Rn. 330.

Das Verwaltungsgericht hat dazu zutreffend auf die Rechtsprechung des Senats verwiesen, wonach ein Widerspruch gegen eine Regelbeurteilung ein Rechtsmittel darstellen kann, mit dessen zeitnaher Einlegung der betreffende Beamte den in einer unterbleibenden Beförderung liegenden Schaden abwenden kann. Dass es sich bei einem solchen Widerspruch bzw. bei einem Antrag auf Abänderung der Beurteilung (und ggfs. einer nachfolgenden Klage) nicht um das Rechtsmittel gegen die Auswahlentscheidung handelt, auf deren Rechtswidrigkeit der Schadensersatzanspruch gestützt wird, steht der Anwendung des Rechtsgedankens des § 839 Abs. 3 BGB nicht entgegen. Die von der Rechtsprechung verwendete Formel, der Schadensersatzanspruch sei ausgeschlossen, wenn der Beamte mögliche Rechtsbehelfe "unmittelbar gegen die beanstandete Entscheidung" ohne hinreichenden Grund nicht in Anspruch genommen habe,

vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 1. August 2007 - 2 B 15.07 -, juris,

ist allein der Abgrenzung von vorrangigem Primär- und nachrangigem Sekundärrechtsschutz geschuldet. Der mit dem Rechtsinstitut des mitwirkenden Verschuldens nahe verwandte, allerdings darüber hinausgehende Rechtsgedanke des § 839 Abs. 3 BGB soll ein Wahlrecht zwischen der unmittelbaren Korrektur eines für rechtswidrig gehaltenen staatlichen Handelns und einem späteren Schadensersatzverlangen ausschließen. Danach kann auch ein Widerspruch oder ein Abänderungsantrag gegen eine dienstliche Beurteilung, die Grundlage für eine Auswahlentscheidung wird, ein Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB sein. Angesichts des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dienstlicher Beurteilung und Beförderung dient auch der frühzeitige Widerspruch oder Abänderungsantrag gegen eine für rechtswidrig gehaltene Beurteilung dazu, den Anspruch auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl durchzusetzen und so einen möglichen Schaden infolge einer Verletzung dieses Anspruchs abzuwenden. Nimmt ein Beamter demgegenüber eine für rechtwidrig gehaltene Benachteiligung hin und lässt es damit zu, dass sie Grundlage weiteren staatlichen Handelns wird, muss er das in einem späteren Schadensersatzprozess gegen sich gelten lassen.

Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 10. Juni 2010 - 6 A 1932/09 -, IÖD 2010, 187.

Wollte man dem Kläger die Möglichkeit eröffnen, wegen seiner Nichtberücksichtigung im Auswahlverfahren um die Stelle der Besoldungsgruppe A 12 BBesO im Sommer 2007 Schadensersatz zu beanspruchen, obwohl er sich gegen die ihm erteilte, der Auswahlentscheidung zugrunde liegende dienstliche Beurteilung zuvor nicht gewandt hat, würde diesem mithin gerade das ermöglicht, was nach dem Sinn der Regelung verhindert werden soll.

Das Verwaltungsgericht hat ferner zu Recht entschieden, das Versäumen des Abänderungsantrags sei dem Kläger als fahrlässiges Unterlassen zurechenbar. Ob es der Verletzte im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB schuldhaft unterlassen hat, ein Rechtsmittel einzulegen, beurteilt sich nach dem Maß an Umsicht und Sorgfalt, das von einem Angehörigen des Verkehrskreises zu verlangen ist, dem der Verletzte angehört; dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 1. August 2007 - 2 B 15.07 -, juris.

Eine Anwendung des Rechtsgedankens aus § 839 Abs. 3 BGB scheidet nicht schon dann aus, wenn die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel möglicherweise nicht erfolgreich gewesen wären, sondern erst, wenn die Inanspruchnahme von Rechtsschutz von vornherein aussichtslos erschien.

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger es schuldhaft unterlassen, sich gegen seine dienstliche Beurteilung zu wenden. Er konnte erkennen, dass die Submerkmale "Leistungsumfang" und "Leistungsgüte" mit lediglich drei Punkten und damit schlechter als das zugehörige Hauptmerkmal "Leistungsergebnis" bewertet waren und dass sich hieraus darüber hinaus ein Plausibilitätsdefizit ergab. Dafür waren juristische Kenntnisse nicht erforderlich; abgesehen davon hätte der Kläger erforderlichenfalls ergänzend rechtskundigen Rat einholen müssen.

Dagegen kann der Kläger nicht einwenden, die Ergreifung rechtlicher Schritte habe sich für ihn nicht aufgedrängt, weil die dienstliche Beurteilung für ihn günstig gewesen sei, so dass eine Anfechtung aus seiner Sicht nicht geboten gewesen sei. Schon der Ansatz, die Beurteilung sei für ihn (ausschließlich) günstig gewesen, ist unzutreffend. Als günstig für den Kläger mag sich zwar die Bewertung des Hauptmerkmals "Leistungsergebnis" mit vier Punkten dargestellt haben; ungünstig war dagegen die Bewertung der dem Hauptmerkmal zugeordneten Submerkmale mit jeweils drei Punkten sowie das sich daraus im Hinblick auf das Hauptmerkmal ergebende Plausibilitätsdefizit. Daraus folgt weiter, dass Rechtsbehelfen des Klägers gegen die Beurteilung auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis und damit nicht die Erfolgsaussicht abzusprechen gewesen wäre.

Auch das Argument, es hätte dem Beklagten oblegen, die dienstliche Beurteilung des Klägers durch Anhebung eines der Submerkmale zu plausibilisieren, lässt sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht ins Feld führen. Eine Pflichtverletzung des Dienstherrn - die hier in der mangelnden Plausibilisierung der dienstlichen Beurteilung liegt - ist stets Voraussetzung für einen gegen diesen gerichteten Schadensersatzanspruch des Beamten; ihr Vorliegen rechtfertigt mithin keine abweichende Bewertung des Streitfalls. Dass das pflichtgemäße Abfassen einer dienstlichen Beurteilung Sache des Beklagten ist, entbindet den Beamten nach den oben dargelegten Grundsätzen auch nicht davon, die Beurteilung auf erkennbare Mängel zu überprüfen und gegebenenfalls auf ihre Änderung hinzuwirken.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).