OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.12.2011 - 2 A 2645/08
Fundstelle
openJur 2012, 83653
  • Rkr:
Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheids zur Wohnnutzung des auf den in ihrem Eigentum stehenden Grundstück Gemarkung X. , Flur 24, Flurstück 31, befindlichen ehemaligen landwirtschaftlich genutzten Wohn- und Wirtschaftsgebäudes. Bei dem Gebäude handelt es sich um eine ehemalige sog. Katstelle aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert, ein sog. Hallenhaus mit Krüppelwalmdach. Das Gebäude gehörte ursprünglich zu einem nahe gelegenen landwirtschaftlichen Betrieb und wurde von einem Landarbeiter genutzt. Ende der 1960er Jahre wurde das Gebäude getrennt vom Hof an die Eltern der Klägerin veräußert, die das Gebäude dann - ohne entsprechende Baugenehmigung - zu Wochenendwohnzwecken umbauen wollten. Mit Ordnungsverfügung vom 6. März 1972 ordnete der seinerzeit zuständige Oberkreisdirektor des Kreises N. die sofortige Einstellung der von dem Vater der Klägerin vorgenommenen Bauarbeiten Errichtung eines Brunnens, einer Kläranlage und eines Wochenendhauses - an und untersagte die erneute Aufnahme dieser Bauarbeiten. Im Jahre 2004 wurde die Klägerin im Wege der Erbfolge Alleineigentümerin des Grundstücks.

Die Beigeladene - das heißt zunächst die U. GmbH und nach Übertragung des Unternehmensbereichs die S. GmbH - ist Eigentümerin des unmittelbar östlich an das Grundstück der Klägerin angrenzenden Grundstücks Gemarkung X. , Flur 24, Flurstück 87. Auf diesem Grundstück befinden sich die Betriebsanlagen der dort untertägig vorhandenen Gaskaverne W. 2. Zu dem von der Beigeladenen betriebenen Gaskavernenfeld Y. gehören weitere sieben Kavernen. Der Bohrbetrieb für die Kavernen wurde 1977 auf der Grundlage des Rahmenbetriebsplans vom 16. August 1976 - vom damals zuständigen Bergamt N. zugelassen am 15. Februar 1978 - aufgenommen. Nach Abschluss der Solphase für die Kavernen W. 1, 3 und 4 konnten diese Kavernen 1983 für den Gasspeicherbetrieb umgerüstet werden. In den Jahren 1982 bis 1985 entstanden die Kavernen W. 2, 5 und 8. Bei dem Betrieb dieser Gaskaverne werden große Mengen von Erdgas unter hohem Druck in unterirdische Hohlräume (Kavernen) gepresst und dort gelagert. Wegen der insoweit vorherrschenden Drücke und des gelagerten Stoffs handelt es sich um eine Anlage im Sinne der 12. BImSchV (Störfallverordnung). Die Gaskaverne dient als Zwischenspeicher für Gaslieferungen und zum Ausgleich von Abnahmeschwankungen. Darüber hinaus können kurzfristige Lieferausfälle abgefangen werden.

Hinsichtlich der um die Kavernenköpfe zu einer Wohnbebauung einzuhaltenden Sicherheitsabstände gingen Betreiberin und Zulassungsbehörde zunächst - zuletzt im Sicherheitsbericht 2002 - von einem erforderlichen Abstand von 70 m aus. Dieser Wert beruhte auf einer gutachterlichen, zum Kavernenfeld F. erstellten Äußerung des TÜV S1. aus dem Jahr 1985. Danach sei im Fall einer brennend ausblasenden Gasspeicherkaverne im Bereich eines 70 m vom Bohrlochkopf entfernten bewohnten Gebäudes mit keiner Gefährdung durch Temperatureinstrahlungen auf Personen zu rechnen.

Im Hinblick auf die bei den Kavernen W1. 1 bis 5 und 8 in den 1980er Jahren verwendete Technik (Landesitze mit nur einer tragenden Schulter) erteilte die Bezirksregierung B. nach einem entsprechenden Antrag der U. GmbH unter dem 23. Januar 2004 auf der Grundlage von § 109 Abs. 4 der Tiefbohrverordnung (BVOT a.F.) einen bis zum 31. Dezember 2018 befristete Ausnahmebewilligung zum vorläufigen Verzicht auf ein Untertagesicherheitsventil.

Die Gaskaverne wird derzeit auf der Grundlage der Hauptbetriebsplanzulassung der Bezirksregierung B. vom 29. Juni 2009 betrieben. Nachdem die Zulassung ursprünglich bis zum 30. Juni 2011 befristet war, wurde diese von der Bezirksregierung B. unter dem 29. Juli 2011 bis zum 31. August 2012 verlängert. Die - auch nach Verlängerung der Zulassung geltende - Nebenbestimmung 4.16 der Hauptbetriebsplanzulassung bestimmt:

"Vom Unternehmen sind im Rahmen einer Gefährdungsabschätzung Sicherheitsbereiche um Einrichtungen, von denen in Stör- oder Schadensfällen Gefahren für die Umgebung ausgehen könnten (z. B. Sondenköpfe von Gasspeicherkavernen), festzulegen, in denen keine betriebsfremden Gebäude oder ähnliche zu schützende betriebsfremde Anlagen i. S. v. § 9 BVOT errichtet werden dürfen. Wird dieser Sicherheitsabstand unterschritten, ist der Bergbehörde ein Sonderbetriebsplan mit gesonderter Gefährdungsabschätzung vorzulegen. Die Betriebsanlagen sind gegen den Zutritt von Unbefugten wirksam zu schützen."

Weiter bestimmt die Nebenbestimmung 4.17 für den Betrieb der hier in Rede stehenden Kaverne W1. 2:

"Unter Berücksichtigung der Nebenbestimmung 4.16 ist der Bergbehörde bei Änderung der Sachlage für die Kaverne W1. 2 ein Sonderbetriebsplan für den Weiterbetrieb der Kaverne vorzulegen."

Weiter wird im Hinweis Nr. 6.4.3 der Hauptbetriebsplanzulassung ausgeführt, die Nebenbestimmung Nr. 4.17 gelte für den Fall, dass innerhalb des Sicherheitsabstands von 85 m bei der Kaverne W. 2 ein Wohngebäude oder ein Gebäude zum Zwecke eines dauerhaften Aufenthalts bzw. ein Gebäude mit hohem Publikumsverkehr oder ähnlich sensiblen Nutzungen errichtet werde.

Der Hauptbetriebsplan legt unter I. 6.4.4.6 einen Sicherheitsabstand gemäß § 9 Abs. 1 BVOT fest:

"Für die Förderbohrungen des Kavernenspeichers Y. wurden Sicherheitsabstände gutachterlich ermittelt. Die Überprüfung durch den Sachverständigen ergab, dass der Wert von 12 kW/qm, bei dem die typische in Deutschland anzutreffende Bebauung dauerhaft Schutz biete, in einer Entfernung von 85 m und in einer Höhe von 10 m unter ungünstigen meteorlogischen Bedingungen (Windgeschwindigkeit von 10 m/Sek.) erreicht wird. Wohngebäude oder Gebäude zum Zweck eines dauerhaften Aufenthalts bzw. Gebäude mit hohem Publikumsverkehr oder ähnlich sensible Nutzungen liegen nicht innerhalb des genannten Einwirkungsbereichs. Zuwegungen zu den jeweiligen Kavernenplätzen werden vereinzelt von Spaziergängern genutzt. Südwestlich der Kaverne W1. 7 befindet sich eine gewerblich genutzte Fläche zur Lagerung von Schüttgut (recycelter Baustoff) ohne dauerhaften Aufenthalt von Personen im Wirkungsradius. Im Einwirkungsbereich der Kaverne W1. 7 liegt ein Kurvensegment von ca. 100 m Länge einer untergeordneten Anschlussstraße zum Industrie- und Gewerbegebiet der Stadt Y. . Unter Berücksichtigung der täglichen Verkehrsbewegungen von ca. 1.500 Fahrzeugen pro Tag und der Letalität durch die objektbezogen ermittelten Strahlungsleistung sowie der für Förderbohrungen ermittelten statistischen Blow out-Wahrscheinlichkeit von 3,066* 10-6 je Weyerlein-Operation und 1,9* 10*-5 pro Jahr für eine Produktionsbohrung ergibt sich eine Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses mit möglicher letaler Wirkung von 3,95* 10-7/a bzw. 2,45* 10-6 / a. Danach ist eine Verträglichkeit der bestehenden Nutzungen i. S. d. § 9 Abs. 1 BVOT bzw. § 50 BImSchG / Art. 12 Seveso-RL unter Berücksichtigung der Leitlinien für die Flächennutzungsplanung im Rahmen der Richtlinie 2003/105/EG gegeben."

Die Klägerin hat bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Az. 17 K 4968/09) insoweit gegen die Hauptbetriebsplanzulassung Klage erhoben, als der Hauptbetriebsplan um die Kaverne W1. 2 einen Sicherheitsradius von 85 m unter Einschluss des Grundstücks und des Wohnhauses der Klägerin vorsieht. Über die Klage ist bislang nicht entschieden.

Am 17. Oktober 2003 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten erstmals die Erteilung eines Bauvorbescheids zur Umnutzung eines Wochenendhauses zu Wohnzwecken und Erweiterung des Wohnraums. Im Rahmen dieses Vorbescheidsverfahrens teilte die Beklagte als Untere Denkmalbehörde unter dem 13. Februar 2004 mit, bei dem Gebäude handele es sich um ein das Bild der Kulturlandschaft prägendes Gebäude. Eine ständige Wohnnutzung diene der langfristigen Erhaltung und werde daher befürwortet. Die Bezirksregierung E. erteilte unter dem 15. April 2004 ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme der Wohnnutzung des Gebäudes. Unter dem 1. Juni 2004 erteilte die Landrätin des Kreises X1. als seinerzeit zuständige Untere Bauaufsicht einen Bauvorbescheid. Auf die hiergegen von der U. GmbH erhobene Klage stellte das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 31. August 2006 - 4 K 1055/06 - fest, dass der der Klägerin erteilte Bauvorbescheid vom 1. Juni 2004 nichtig sei. Das Urteil ist rechtskräftig.

Am 17. Oktober 2006 beantragte die Klägerin bei dem Landrat des Kreises X1. erneut die Erteilung eines bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Vorbescheids unter Ausklammerung der wegemäßigen Erschließung. Diesen Antrag lehnte der Landrat des Kreises X1. mit Bescheid vom 27. Juni 2007 ab. Zur Begründung wird ausgeführt, die beabsichtigte Wohnnutzung beeinträchtige den nach Bergrecht genehmigten Rahmenbetriebsplan für die Gaskavernenanlage. Das in Rede stehende Gebäude der Antragstellerin halte den nach dem Gutachten des TÜV von September 2006 einzuhaltenden Sicherheitsradius zu der Gaskaverne nicht ein. Durch diese Nichteinhaltung des Sicherheitsradius sei eine Beeinträchtigung der durch den Rahmenbetriebsplan abgesicherten Planungsziele gegeben. Auch der maßgebende Flächennutzungsplan enthalte eine entsprechende nachrichtlich übernommene Darstellung (Gasanlagensicherheitszone). Weiterhin orientierten sich die Sicherheitsradien an den im Störfall auftretenden Wärmestrahlungen, welche als schädliche Umwelteinwirkungen i. S. d. § 35 Abs. 3 BauGB zu werten seien. Das zuständige Bergamt habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass trotz des vorliegenden TÜV-Gutachtens, welches lediglich in einem Halbsatz die Gefahrenquellen als "vernünftigerweise auszuschließen" erwähne, die erforderlichen Sicherheitsabstände einzuhalten und einer Wiederaufnahme der Wohnnutzung die vorgenannten Gründe entgegen zu halten seien.

Hiergegen hat die Klägerin im 1. August 2007 Klage erhoben.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, von der benachbarten Gaskaverne gehe eine konkrete Gefahr für ihr Haus und deren Bewohner nicht aus. Die Festlegung der Schutzradien nach der Tiefbohrverordnung diene der planerischen Vorsorge, nicht der Abwehr konkreter Gefahren. Das Gutachten des TÜV vom 20. September 2006 führe zu Recht aus, dass die angenommenen Schadensereignisse auf dem Wirksamwerden von vernünftigerweise auszuschließenden Gefahrenquellen beruhten.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Versagungsbescheids vom 27. Juni 2007 zu verpflichten, ihr einen positiven bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Vorbescheid zum Umbau und zur Wiederaufnahme der Wohnnutzung des Gebäudes U1.-----straße 14d in Y. , Gemarkung X. , Flur 24, Flurstück 31 unter Ausklammerung der Frage der Erschließung gemäß ihrem Antrag vom 20. Dezember 2004 in Gestalt der Antragsfassung vom 16. Oktober 2006 zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene hat ebenfalls beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, das Vorhaben der Klägerin verstoße gegen das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot. Es sei in einem Bereich geplant, in dem aus Rücksicht auf die Verpflichtungen der Beigeladenen zur Einhaltung von Sicherheitsabständen keine Wohnbebauung zugelassen werden dürfe.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 21. August 2008, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, stattgegeben.

Zur Begründung der durch den vormals zuständigen 10. Senat des erkennenden Gerichts zugelassenen Berufung macht die Beigeladene geltend: Da das Grundstück der Klägerin im Flächennutzungsplan der Beklagten als landwirtschaftliche Nutzfläche ausgewiesen sei, beeinträchtige das nicht privilegierte Vorhaben öffentliche Belange. Insoweit greife nicht zugunsten des klägerischen Vorhabens die Regelung des § 35 Abs. 4 Nr. 4 BauGB ein. Aus den bauhistorischen Gutachten des Universitätsdozenten ergebe sich, dass es sich bei dem vorhandenen Gebäude um einen architektonisch nicht anspruchsvollen Zweckbau handele. Dieses weise keinerlei nennenswerte bauliche Besonderheiten auf, denen eine kulturhistorische Bedeutung zukomme. Bei dem Gebäude handele es sich um ein Nebengebäude zu dem ehemals zugehörigen Haupthof "B1. -P. ". Für Gebäude, die - wie hier - Teil einer Gruppe von Gebäuden sei, komme es aber maßgeblich darauf an, ob das Gebäude in seinem optischen Erscheinungsbild die anderen Gebäude überwiege und für sich allein genommen präge. Dies sei hier gerade nicht der Fall. Nach den vorgelegten Luftaufnahmen dränge sich weder mit dem ehemaligen Haupthof B1. -P. noch mit dem direkt daneben befindlichen O. -P. noch mit einem anderen Gebäude in der Umgebung ein Zusammenhang mit dem Gebäude der Klägerin auf. Im Gegenteil wirke das gänzlich mit Bäumen und Sträuchern eingefriedete Grundstück der Klägerin mit dem darauf befindlichen Gebäude wie eine in sich abgeschlossene Einheit. Eine Ensemblewirkung sei jedenfalls nicht erkennbar. Die frühere Funktion und Nutzungsart des Gebäudes lasse sich lediglich aus der Historie ableiten, sei in der Örtlichkeit aber nicht mehr erkennbar. Zudem werde bestritten, dass die von der Klägerin beabsichtigten und für eine Wohnnutzung des Gebäudes erforderlichen Änderungen desselben den Gestaltswert des Gebäudes erhalten würden bzw. zur seiner Erhaltung dienten.

Das Vorhaben der Klägerin beeinträchtige auch öffentliche Belange i. S. v. § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB, weil es schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt werde. Eine Genehmigung des klägerischen Vorhabens führe dazu, dass sie, die Beigeladene, den in der Hauptbetriebsplanzulassung der Bezirksregierung B. vom 29. Juni 2009 festgelegten Sicherheitsradiums von 85 m nicht einhalten könne. Der weitere Betrieb der Kaverne W1. 2 wäre dann davon abhängig, dass sie im Rahmen eines der Bezirksregierung B. vorzulegenden Sonderbetriebsplans nachweisen könne, dass aufgrund anderweitiger Maßnahmen oder Vorkehrungen der Schutz der Umgebung innerhalb des festgelegten Sicherheitsradiums von 85 m auch weiterhin gewährleistet werden könne. Unabhängig von der aus ihrer Sicht zu verneinenden Frage, ob solche Maßnahmen oder Vorkehrungen, die den Schutz von Leib und Leben der Klägerin im Störfall gewährleisten könnten, denkbar und realisierbar wären, ergebe sich damit schon aus der entsprechenden Nebenbestimmung 4.17 der Hauptbetriebsplanzulassung, dass das Vorhaben der Klägerin zu einer Verschärfung von immissionsschutzrechtlichen bzw. bergrechtlichen Anforderungen an den Betrieb des Erdgasspeichers führen werde. Bereits im Hinblick darauf sei das Vorhaben der Klägerin gegenüber dem auf dem Nachbargrundstück betriebenen Erdgasspeicher der Beigeladenen rücksichtslos. Es gehe insoweit nicht darum, ob und wieweit die Regelung in § 9 BVOT Bauverbote für speichernahe Grundstücke regele. Entscheidend sei vielmehr, dass das Bauvorhaben der Klägerin zu erheblichen Nutzungseinschränkungen in Bezug auf den benachbarten Speicherbetrieb führen werde. Zudem falle der Speicherbetrieb auch unter den Anwendungsbereich der 12. BImSchV. Sie treffe daher neben der Verpflichtung zur Einhaltung von Sicherheitsabständen aus § 9 BVOT auch die sich aus § 3 der 12. BImSchV ergebende Pflicht zur Einhaltung auswirkungsbegrenzender Sicherheitsabstände zu einer Wohnbebauung. In der Vorschrift des § 3 der 12. BImSchV unterscheide der Verordnungsgeber zwischen vernünftigerweise auszuschließenden und vernünftigerweise nicht auszuschließenden Gefahrenquellen. Erstere könnten zu sog. Dennoch-Störfällen führen, deren Eintreten zwar nicht zu verhindern sei, gegen deren Auswirkung jedoch unabhängig von den Störfall verhindernden Vorkehrungen nach § 3 Abs. 1 der 12. BImSchV störfallauswirkungsbegrenzende Vorkehrungen zu treffen seien. Um zu klären, durch welche auswirkungsbegrenzenden Vorkehrungen die Beigeladene ihre Verpflichtung aus § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV erfüllen könne, sei beim TÜV ein Gutachten über die Auswirkungen von DennochStörfällen an den Kavernenplätzen in Y. in Auftrag gegeben worden. Die TÜV-Gutachter hätten in diesem Gutachten aber gerade keine Bewertung in Bezug auf die Eintrittswahrscheinlichkeit der berechneten Szenarien angestellt, weil es auf diese Eintrittswahrscheinlichkeit auch abgrenzend zu den sog. exzeptionellen Störfällen, die, wie Flugzeugabstürze und für die Gegend völlig ungewöhnliche Erdbeben, aus solchen Gefahrenquellen entstünden, die sich jeder Berechenbarkeit entziehen und daher auch nicht von dem Betreiber bei den ihm obliegenden auswirkungsbegrenzenden Maßnahmen zu berücksichtigen seien, nicht ankomme. Maßgeblich sei nicht die Eintrittswahrscheinlichkeit eines denkbaren Störfallszenarios, sondern vielmehr dessen Berechenbarkeit. Im Übrigen müsse der Betreiber trotz der denkbar geringen Eintrittswahrscheinlichkeit für ein solches Störfallszenario, welches auf mannigfaltigen Ursachen beruhen könne, Maßnahmen zur Minimierung der Auswirkungen eines solchen Störfalls ergreifen. Im vorliegenden Fall sei die Einhaltung von Sicherheitsabständen zur Minimierung der Auswirkungen eines Störfalls und insbesondere der Auswirkungen der bei einer in Brand geratenen Erdgasmenge entstehenden Wärmestrahlung geeignet. Die Wärmestrahlung nehme naturgemäß ab, je größer die Entfernung vom Brandherd sei. Für die Not- und Störfallplanung seien die notwendigen Sicherheitsabstände konservativ auf der Basis einer spezifischen Strahlungsleistung von 12 kW/m² berechnet worden. Die sog. Achtungsabstände nach dem Leitfaden des Technischen Ausschusses für Anlagensicherheit der Störfall-Kommission beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 18. Oktober 2005 "Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG" würden dagegen wesentlich größer ausfallen, weil diese Achtungsabstände auf der Grundlage einer spezifischen Strahlungsleistung von nur noch 1,6 kW/m² zu berechnen seien.

Von einem Dennoch-Störfall sei im Übrigen selbst dann auszugehen, wenn die Gaskaverne mit einem Untertagesicherheitsventil ausgestattet wäre. Zu einer entsprechenden Nachrüstung sei sie aufgrund der erteilten Ausnahmebewilligung aber auch nicht verpflichtet.

Der auch das Gebäude der Klägerin erfassende Sicherheitsabstand von 85 m werde durch die von dieser vorgelegten Gutachten der B. J. GmbH nicht in Frage gestellt. Diese Gutachten gingen, wie sich aus den Stellungnahmen des TÜV und des LANUV im Einzelnen ergebe, in wesentlicher Hinsicht von unzutreffenden Tatsachen aus. So sei etwa mit einem viel zu niedrigen Massenstrom gerechnet worden.

Desweiteren könne dem TÜV-Gutachten nicht entgegen gehalten werden, dass dieses von einer unzutreffenden Wetter- und Windsituation ausgegangen sei. Denn die zu treffenden Stör- und Notfallmaßnahmen müssten selbstverständlich sämtliche Windrichtungen zugrunde legen. Es komme daher nicht darauf an, dass im Bereich des Kavernenplatzes bzw. des klägerischen Grundstücks Westwinde vorherrschend seien.

Schließlich könne einem Sicherheitsradius von 85 m auch nicht entgegengehalten werden, dass ursprünglich - das heißt in den 1980er Jahren - für den Speicher Y. ein Radius von 70 m als ausreichend erachtet worden sei. Dieser Radius beruhe auf einem eher pauschalen Berechnungsansatz, eine Berechnung des Massenstroms im Blowout-Fall sei damals nicht vorgenommen worden.

Im Falle eines Störfalls sei der erforderliche Schutz auch weder durch eine Brandschutzmauer noch durch ähnliche Maßnahmen zu erreichen. Aufgrund der im Speicher vorherrschenden Druckverhältnisse entweiche das Erdgas im Störfall mit sehr hohem Druck. Entzünde es sich, so entstehe eine an die 30 bis 40 m hohe Flamme. Selbst eine mehrere Meter hohe Brandmauer könne daher das Ausbreiten der von einem solchen Brand ausgehenden Wärmestrahlung nicht verhindern. Im Übrigen würden solche Maßnahmen den Speicherbetrieb mit zusätzlichen Anforderungen belasten, deren verpflichtende Einhaltung ihr nach dem Gebot der Rücksichtnahme gerade nicht auferlegt werden könne.

Eine überwiegende Rücksichtnahmepflicht ergebe sich im Übrigen nicht aus den Ende der 1970er Jahre geschlossenen Verträgen mit den Rechtsvorgängern der Klägerin über die Nutzung und den Erwerb der Wegeparzelle Gemarkung X. , Flur 24, Flurstück 40. In § 4 des Grundstückskaufvertrags hätten die Parteien ausdrücklich vereinbart, dass die Verkäufer und damit heute die Klägerin die betrieblichen Belange des Kavernenbetreibers zu beachten hätten.

Die Beigeladene beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise, das vorliegende Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage der Klägerin beim Verwaltungsgericht Düsseldorf - 17 K 4968/09 - auszusetzen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus:

Das Gebäude auf ihrem Grundstück sei bis zum Jahr 1967 als Landarbeiterwohnhaus genutzt worden. Nach dem Auszug des letzten Landarbeiters im Jahre 1967 sei das Gebäude bis 1968 noch von dem damaligen Landwirt des B1. -P1. bewohnt worden. Im Jahr 1968 hätten ihre Eltern die Katstelle gekauft. Sie hätten diese seitdem als Wochenend- und Freizeithaus genutzt. Die damit einhergehende Nutzungsänderung sei bereits nach der damals geltenden Rechtslage, jedenfalls seit der Geltung des § 35 Abs. 4 BauGB ab dem 1. Januar 1977 zulässig gewesen. Auf dem Grundstück der Beigeladenen sei der Kavernenspeicher daher zu einem Zeitpunkt errichtet worden, als das Wohnhaus bereits legal bestanden habe. Unabhängig von der Legalität der Nutzungsänderung habe die Bauaufsichtsbehörde den gegenwärtigen Zustand mehr als vier Jahrzehnte geduldet. Abwehransprüche der Beigeladenen gegen diese seien daher verwirkt.

Die Beigeladene sei zudem zur Errichtung des Kavernenspeichers, namentlich zur Erschließung, auf die Kooperation ihre Eltern angewiesen gewesen. Deshalb hätten die Parteien ihre wechselseitigen Rücksichtnahmepflichten vertraglich, insbesondere in dem Nutzungsvertrag über die Benutzung der alten Zufahrt zum Haus U1.-----straße 14d, namentlich des Grundstücks Gemarkung X. , Flur 24, Flurstück 32, vertraglich geregelt. Nach § 6 dieses Nutzungsvertrags habe die Beigeladene Rücksicht auf das bebaute Grundstück zu nehmen. Am 25. Oktober 1979 habe dann die U. GmbH die Teilfläche aus dem Grundstück Gemarkung X. , Flur 24, Flurstück 32, die die alte Zuwegung der Kate gebildet habe, gekauft. In § 4 dieses Kaufvertrages habe sich die U. GmbH verpflichtet, als Ersatz für die fortfallende Zufahrt das Recht am Mitbenutzung der X. straße von der U1.-----straße als Zufahrt zu den verbleibenden Flurstücken 31 und 32 einzuräumen und eine entsprechende Dienstbarkeit zu bewilligen. Im Rahmen der Dienstbarkeit seien dem herrschenden Grundstück keinerlei Nutzungsbeschränkungen auferlegt worden. Auch dies spreche für eine Rücksichtnahmepflicht der Beigeladenen.

Zudem sei § 9 Abs. 2 BVOT nicht einschlägig. Diese Vorschrift betreffe allein die Errichtung von Einrichtungen, von denen in Stör- oder Schadensfällen Gefahren für die Umgebung ausgehen könnten, nicht jedoch den Betrieb einer errichteten Anlage. Zudem begründe § 9 BVOT für Nachbarn einer Tiefbohrung kein Bauverbot. Insoweit gelte alleine § 3 Abs. 1 BauO NRW.

Aus § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV könne die Beigeladene bereits deshalb keine Rechte herleiten, weil auf der Grundlage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 15. September 2011 - C-53/10 - nicht davon ausgegangen werden könne, dass diese Vorschrift nachbarschützend sei. Diese Vorschrift ordne bei exzeptionellen Störfällen eine allein im öffentlichen Interesse bestehende Vorsorgepflicht an und vermittle keinen Drittschutz. Hier gehe es aber lediglich um einen Abstand zur Minderung der Auswirkungen eines exzeptionellen Störfalls, also nicht etwa eines wegen des Versagens von Verhütungsmechanismen eintretenden Dennoch-Störfalls. Der Abriss des Kavernenkopfs sei ein nach Maßstäben der praktischen Vernunft auszuschließendes Ereignis und daher ein exzeptioneller Störfall. So gehe der TÜV von einer Versagenswahrscheinlichkeit von einem Vorfall in 326.000 Jahren aus. Auch sei es dem Beigeladenen nicht gelungen, ein Szenario aufzuzeigen, welches überhaupt zu einem solchen Störfall führen könne. Aufgrund der technischen Gegebenheiten am Kavernenkopf, insbesondere der dort vorhandenen Drucküberwachung, die der Vermeidung von Störfällen außerhalb des Kavernenkopfs dienten, sei davon auszugehen, dass der Kavernenkopf auch Drücken standhalte, die weit unterhalb des Kavernendrucks von 200 bar lägen und ein abrisskritischer Druck nicht erreicht werden könne. Jedenfalls sei dies so unwahrscheinlich, dass es sich um einen exzeptionellen Störfall handele.

Im Übrigen würden die nach § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV ermittelten "Achtungsabstände" kein absolutes Maß für den zwischen einem Vorhaben und einer heranrückenden Bebauung einzuhaltenden Sicherheitsabstand vorgeben, sondern unterlägen der Korrektur unter Würdigung der konkreten örtlichen Verhältnisse. Dies führe dazu, dass die Beigeladene das klägerische Vorhaben nicht abwehren könne, weil sie - wie ausgeführt - die derzeitige Nutzung des Grundstücks als Vorbelastung hinzunehmen habe.

Unter Berücksichtigung der von der Beigeladenen hinzunehmenden Nutzung des Grundstücks für Wochenend- und Freizeitzwecke sei nicht erkennbar, dass die Nutzungsänderung in ein Wohnhaus zusätzliche Vorsorgemaßnahmen nach § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV auslösen könne, die der Beigeladenen nicht schon ohnehin abverlangt werden könnten.

Im Übrigen sei das von Beigeladenenseite in Auftrag gegebene TÜV-Gutachten von einem rein fiktiv erdachten "Super-GAU" ausgegangen. Der Gutachter habe Sachverhalte untersucht, die sich nicht an den konkreten örtlichen Verhältnissen orientierten. Zudem habe der Gutachter zur Erzielung seiner Ergebnisse diverse Rechenvereinfachungen vorgenommen, die zu "überschätzenden (konservativen) Ergebnissen" führten. Dies ermögliche insgesamt keine sachgerechte Abschätzung notwendiger vorbeugender Maßnahmen i. S. d. § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV. Insgesamt gehöre das, was der Gutachter berechnet habe, der 3. Kategorie der Dennoch-Störfälle i. S. d. Vollzugshilfe des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur StörfallVerordnung an. Danach seien gegen exzeptionelle Störfälle keine anlagenbezogenen Vorkehrungen zu treffen. In Hinblick darauf sei eine Festlegung von Sicherheitsabständen zu bewohnten Gebieten nicht gerechtfertigt. Insbesondere ergänze § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV insoweit nicht den Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG. Im Übrigen wären die von dem TÜVGutachter diskutierten Ereignisse nach dem Leitfaden "Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG" noch nicht einmal im Rahmen einer Bauleitplanung als mögliche Störfälle zu Festlegen von Abständen zu berücksichtigen. Erst recht könnten sie nicht einem sonst zulässigen Einzelvorhaben im Außenbereich entgegen gehalten werden. Zudem ergebe sich die Fehlerhaftigkeit des TÜV-Gutachtens aus dem Jahre 2006 aus den vorgelegten Gutachten der B2. J. . Daraus ergebe sich, dass der TÜV - und auch das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des LANUV - von einer viel zu hohen Quellstärke ausgegangen sei. Dafür spreche nicht zuletzt, dass der TÜV selbst - vgl. etwa dessen Gutachten vom 7. Februar 1985 - bzw. die Inburex - vgl. den Sicherheitsbericht 2002 - in der Vergangenheit von einem Sicherheitsabstand von 70 m und einer Quellstärke von 87,7 kg/s ausgegangen seien. Da sich weder die Gesetze der Physik noch die örtlichen bzw. technischen Gegebenheiten an der Kaverne geändert hätten, sei es unverständlich, dass und wie der TÜV nunmehr zu einem Wert von 165 kg/s komme. Die maximal mögliche Quellstärke betrage 120 kg/s. Der von dem M. berechnete Wert sei demgegenüber nicht nachvollziehbar bzw. fehlerhaft. Daraus folge, dass selbst bei den ungünstigsten - rein theoretischen und am Niederrhein nicht vorkommenden - Windbedingungen auf dem Vorhabengrundstück im Abstand von 75 m zur Ausdrucksstelle nur eine Strahlungsleistung von unter 2 kW/m² erreicht werde. Es sei aber - wie die Bezirksregierung B. dies in der Vergangenheit getan habe - davon auszugehen, dass Gebäude hiesiger Bauart Menschen bis zu einer Wärmestrahlung von 12 kW/m² unbegrenzt Schutz gewährten. Für die im Umfeld des betroffenen Hauses sich aufhaltenden Menschen hätten die Sachverständigen zudem errechnet, dass die Wärmestrahlung nur sehr kurzfristig wirke, so dass selbst hierdurch keine Schädigungen zu befürchten seien. Im Übrigen seien die dem TÜV-Gutachten zugrunde liegenden Windverhältnisse äußerst unwahrscheinlich und vernünftigerweise auszuschließen. Aufgrund der vorliegenden Wetterdaten sei nicht damit zu rechnen, dass an der Kaverne überhaupt Wind mit einer Windstärke von mehr als 8,33 m/s aus südöstlicher Richtung auftreten könne.

Aus der sich auch für die Beigeladene ergebende Rücksichtnahmepflicht ergebe sich deren Verpflichtung, mit relativ geringem Aufwand auf dem eigenen Grundstück die nötigen Schutzvorkehrungen gegen die in dem TÜV-Gutachten diskutierten Schadensereignisse zuzutreffen. In Betracht komme hier insbesondere die Errichtung einer 2 bis 3 m hohen, U-förmigen Brandschutzmauer um den Bohrkopf, durch welche die vom TÜV-Gutachter zugrunde gelegte - ohnehin nicht bestehende - hindernisfreie Ausbreitung beseitigt werde.

Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass der Hauptbetriebsplanzulassungsbescheid vom 29. Juni 2009 dem von der Beigeladenen beanspruchten Sicherheitsradius keine Priorität gegenüber der beabsichtigten Wohnnutzung einräume. Dies könne insbesondere nicht aus den Nebenbestimmungen Nr. 4.16 und 4.17 hergeleitet werden. Diese Nebenbestimmungen verlangten von der Beigeladenen, eine Zulassung des klägerischen Vorhabens zu respektieren und hierauf mit einem Sonderbetriebsplan zu reagieren. Der Hauptbetriebsplanzulassungsbescheid sei im Übrigen von ihr mit Klage insoweit angefochten worden, als der Hauptbetriebsplan um die Kaverne W1. 2 einen Sicherheitsradius von 85 m vorsehe.

Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Der Berichterstatter des seinerzeit zuständigen 10. Senats des erkennenden Gerichts hat die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokolls des Ortstermins vom 14. Oktober 2009 und die gefertigten Fotos verwiesen.

Der Senat hat Stellungnahmen des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) vom 28. August 2011 und vom 28. November 2011 eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die Gerichts- und Verwaltungsakten in dem Verfahren 17 K 4968/09 des Verwaltungsgerichts Düsseldorf verwiesen.

Gründe

Der Senat entscheidet über die Berufung der Beigeladenen, ohne das Verfahren - wie von der Klägerin hilfsweise beantragt - bis zur Entscheidung über die von der Klägerin gegen die Hauptbetriebsplanzulassung erhobene Klage (Verwaltungsgericht Düsseldorf, Az. 17 K 4968/09) auszusetzen. Nach § 94 VwGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Hauptbetriebsplanzulassung regelt für das vorliegende Baugenehmigungsverfahren nicht rechtlich bindend, welche Abstände von dem Kavernenkopf W. 2 einzuhalten sind. Der Hauptbetriebsplan regelt insoweit lediglich Betreiberpflichten, nämlich dass bei Unterschreitung des Sicherheitsabstands ein Sonderbetriebsplan vorzulegen ist.

Die Berufung der Beigeladenen ist zulässig (I.) und begründet (II.).

I. Die Berufung der Beigeladenen, die das Verfahren als Rechtsnachfolgerin der U. GmbH übernommen hat und mit Einverständnis der Klägerin an deren Stelle fortführt (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 265 Abs. 2 Sätze 1 und 2 ZPO), ist zulässig.

Die Beigeladene ist Beteiligte am Verfahren (vgl. § 63 Nr. 3 VwGO) und kann gemäß § 66 VwGO selbständig Rechtsmittel einlegen. Für die Zulässigkeit der vorliegenden Berufung ist allerdings erforderlich, dass das angefochtene Urteil die Beigeladene beschwert, also zu einer Beeinträchtigung ihrer eigenen subjektiven Rechte führen kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Beigeladene geltend machen kann, auf Grund der Bindungswirkung des angefochtenen Urteils nach § 121 VwGO präjudiziell und unmittelbar in seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt zu werden

Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. April 1997 - 3 C 3.95 -, BVerwGE 104, 289 = DVBl. 1997, 1324 = juris Rn. 16, und vom 30. Mai 1984 - 4 C 58.81 -, BVerwGE 69, 256 = NVwZ 1984, 718 = juris Rn. 24.

Eine solche Beschwer der Beigeladenen ist vorliegend gegeben. Die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen ist von dem Verwaltungsgericht auf der Grundlage des § 65 Abs. 1 VwGO an dem Verfahren beteiligt worden, weil der von der Klägerin begehrte Bauvorbescheid unter anderem mit der Begründung abgelehnt worden ist, ihr Vorhaben sei im Falle eines Störfalls der auf dem Grundstück der Beigeladenen (Flurstück 87) betriebenen Gaskaverne schädlichen Umwelteinwirkungen - nämlich Wärmestrahlungen - im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ausgesetzt. Wäre dies tatsächlich der Fall, stünde der Beigeladenen - wie sich aus II. 2. ergibt - als Grundstückseigentümerin aber wegen der im Falle der Erteilung des Bauvorbescheids für eine Wohnnutzung zu befürchtenden Einschränkungen des Betriebs der Gaskaverne unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots möglicherweise ein Abwehranspruch zu, und zwar unabhängig davon, ob sie auch Betreiberin der Gaskaverne ist. Im Falle der Rechtskraft des angefochtenen Urteils stünde die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Wohnbauvorhabens der Klägerin - mit Ausnahme der Erschließung - aber auch im Verhältnis zur Beigeladenen bindend fest und könnte sich diese zukünftig gerade nicht mehr auf eine eventuelle Unzulässigkeit des Vorhabens nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB berufen.

II. Die Berufung der Beigeladenen ist auch begründet.

Der Erfolg eines Rechtsmittels des - wie hier - nach § 65 Abs. 1 VwGO einfach Beigeladenen setzt nach dem das geltende Verwaltungsprozessrecht tragenden und in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO niedergelegten Grundsatz voraus, dass das angefochtene Urteil eigene subjektive Rechte des Beigeladenen verletzt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1987 - 3 C 2.86 -, BVerwGE 77, 102 = NVwZ 1987, 970 = juris Rn. 35, Beschluss vom 22. Juni 1993 - 4 B 257.92 -, juris Rn. 9; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 1. März 2011 - 3 N 67.10 -, juris Rn. 3.

Das ist in der vorliegenden Prozesssituation einer erfolgreichen Verpflichtungsklage in einem baurechtlichen Nachbarschaftsverhältnis nur der Fall, wenn der Verwaltungsakt, dessen Erteilung der Kläger verfolgt, würde er entsprechend dem Urteil erteilt werden, Rechte des Beigeladenen verletzt.

Gemessen daran hat die Berufung der Beigeladenen Erfolg. Denn ihr steht gegenüber dem von der Klägerin zur Vorbescheidung gestellten Vorhaben - Wiederaufnahme einer Wohnnutzung auf der ehemaligen Katstelle auf dem Grundstück Gemarkung X. , Flur 21, Flurstück 31 (U2. . 14d) - ein Abwehrrecht zu. Das Vorhaben ist planungsrechtlich unzulässig, weil es öffent- liche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB beeinträchtigt und - im Falle seiner Zulassung - zugleich unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rücksichtnahme subjektive Rechte der Beigeladenen verletzt.

Zwar handelt es sich bei dem Vorhaben wohl um ein solches nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB, dem insbesondere nicht entgegengehalten werden kann, dass es den Darstellungen des Flächennutzungsplans (hier: Fläche für die Landwirtschaft) widerspricht oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt (dazu 1.). Dies entbindet indes nicht von den Anforderungen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB, die das Vorhaben hier mit Blick auf im Falle eines Störfalls am Gaskavernenkopf zu gewärtigende schädliche Umwelteinwirkungen nicht erfüllt (dazu 2.).

1. Bei der ehemaligen Katstelle auf dem Grundstück der Klägerin handelt es sich, wie es § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB voraussetzt, um ein die Kulturlandschaft prägendes Gebäude; es dient auch der zweckmäßigen Verwendung der ehemaligen Katstelle und der Erhaltung des Gestaltswert.

Ein Gebäude kann eine Kulturlandschaft prägen, wenn es für die konkrete Landschaftsstruktur ein bestimmendes und für den typischen Charakter der in Rede stehenden Kulturlandschaft wesentliches Element darstellt, welches das Erscheinungsbild der Landschaft in der Summe mit den übrigen charakteristischen Strukturelementen letztlich mit festlegt und dadurch seinen Gestaltswert im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB erhält.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Oktober 1990 - 7 A 1889/88 -, S. 8 des amtlichen Abdrucks; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Loseblatt, Band 2, Stand: September 2011, § 35 Rn. 155.

Darunter fallen landschaftstypische Gebäude, die für die Landschaft kennzeichnend sind, wie etwa alte Bauernhöfe, Mühlen, Fachwerkhäuser, Speicher, Zwinger etc. Die vorgenannte Umschreibung rückt die begünstigten Bauwerke in die Nähe von Baudenkmälern, ohne aber eine Denkmaleigenschaft im engeren Sinne vorauszusetzen.

Vgl. Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Loseblatt, Stand: August 2010, § 35, Rn. 116; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Loseblatt, Band 2, Stand: September 2011, § 35 Rn. 155.

Danach stellt die hier in Rede stehende ehemalige Katstelle ein die Kulturlandschaft prägendes Gebäude dar.

Dies wurde bereits unter dem 13. Februar 2004 von der Beklagten als Untere Denkmalbehörde festgestellt. In deren Einschätzung heißt es, das aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts stammende Gebäude verkörpere den im Kulturraum Niederrhein nur noch selten anzutreffenden typischen Baustil als Hallenhaus mit Krüppelwalmdach.

Die Bedeutung der ehemaligen Katstelle für die Kulturlandschaft ergibt sich aber vor allem aus dem im Auftrag der Klägerin erstellten bauhistorischen Gutachten des vom 1. März 2009. In diesem Gutachten wird die besondere Bedeutung des Gebäudes ausführlich und im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt. Unter anderem wird ausgeführt, die Bauweise, konstruktive Struktur und formale Ausprägung des Gebäudes entspreche der niederrheinischen Bautradition der Erbauungszeit. Sie seien in bemerkenswert gutem Erhaltungszustand. Im Einzelnen handele es sich bei dem Gebäude um ein eingeschossiges niederrheinisches Hallenhaus in einfacher Backsteinbauweise mit an den Traufseiten tief herunter gezogenem Krüppelwalmdach. Bis auf die etwas reicher gestaltete Nordgiebelseite, die den Wohnbereich im Außenbau markiere, seien die Wände als einfach durchlaufender Backsteinverband ausgeführt. Dieser sei bis auf geringfügige Eingriffe vollständig erhalten. Die Kulturlandschaft im nordwestlichen Bereich um Y. sei geprägt durch eine spezifische Wechselwirkung zwischen vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Flächen und der Stadt Y. selbst. Neben den natürlichen landschaftsprägenden Elementen (Felder, Bewuchs etc.) sei es vor allem das Netz der erhaltenen, scheinbar willkürlich verstreuten Gehöfte, das diese Wechselwirkung bestimme. Innerhalb der landwirtschaftlichen Erschließung der Landschaft durch die Gehöfte stelle die Hierarchisierung von aufwendigen Haupthöfen und zugeordneten einfachen Katstellen eine niederrheinische Besonderheit dar. Sie sei bis heute innerhalb der Strukturierung der Landschaft besonders prägend. Aufgrund der technisch-ökonomischen und sozialen Veränderungen innerhalb der landwirtschaftlichen Arbeitsstruktur hätten die Katstellen im Laufe der Entwicklung ihre ursprüngliche Funktion verloren. Sie seien in der Folgezeit häufig vernachlässigt, aufgegeben oder zerstört worden. Umso bedeutender sei die Tatsache, dass hier der Zusammenhang der Katstelle zum ehemaligen Haupthof erhalten geblieben sei. Gerade die Bescheidenheit und Einfachheit der Katstelle sei unmittelbarer Ausdruck der funktionalen und sozialen Gegebenheiten der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das vorliegende Gebäude sei somit ein beredtes bauhistorisches Zeugnis für die landwirtschaftliche Erschließung und Entwicklung im Raum Y. . Die funktionale und soziale Hierarchisierung des landwirtschaftlich genutzten Raums am Niederrhein sei im bestehenden Ensemble in seiner besonderen Charakteristik ablesbar. Gleiches gelte für das Wechselverhältnis des unmittelbar an die Stadtgrenzen reichenden landwirtschaftlich genutzten Raums mit der Stadt. Das bestehende Ensemble sei damit ein erhaltenswertes historisches Zeugnis der agrarisch geprägten Arbeitswelt des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts in seiner spezifischen niederrheinischen Form.

Diese Ausführungen sind auf der Grundlage der in den Bauakten befindlichen Fotos der Katstelle sowie der Luftbilder, aus denen sich der räumliche Zusammenhang mit dem Haupthof ergibt, ohne Weiteres nachvollziehbar. Insbesondere lässt sich die Zugehörigkeit des Gebäudes zu einem kulturhistorisch bedeutsamen Zusammenhang, noch im Gebäude selbst erkennen

Prägend für die niederrheinische Kulturlandschaft ist das Gebäude danach vor allem deshalb, weil sich in dem nach wie vor gegebenen Zusammenhang mit dem Haupthof - dem B1. -P2. - die für den Niederrhein typische Hierarchisierung von aufwändigem Haupthof und einfacher Katstelle ablesen lässt. Dies ist - anders als die Beigeladene meint - eben nicht eine nur rein historische Feststellung, sondern ein in der Landschaft noch festzustellender Sachverhalt. Dabei ist es auch unerheblich, ob eine Blickbeziehung zwischen Haupthof und Katstelle besteht und ob sich daher die Ensemblewirkung auch optisch aufdrängt. Entscheidend für die Ensemblewirkung ist vielmehr die räumliche Zuordnung von Haupthof und Katstelle zueinander; durch eine fehlende Blickbeziehung wird diese nicht aufgehoben. Auch ist aus dem - gegenüber dem ursprünglichen Zustand nur wenig veränderten - äußeren und inneren Bauzustand noch gut ablesbar, dass es sich um eine ehemalige Katstelle handelt. Das Gebäude stellt sich nicht nur als gewöhnliches Wirtschaftsgebäude dar, sondern lässt die frühere Funktion als Wohn- und Wirtschaftsgebäude für einen Landarbeiter noch gut erkennen. Da die Umgebung auch noch weitgehend landwirtschaftlich genutzt wird, ist die Wechselwirkung mit der das Gebäude umgebenden Landschaft nach wie vor gegeben. Damit geht eine erhaltenswerte, die Kulturlandschaft prägende Wirkung von dem in Rede stehenden Gebäude selbst aus. Da das Y1. Stadtzentrum nach dem Vortrag der Beigeladenen 2 km und ein Gewerbegebiet bzw. der B3. Park immerhin 1 km entfernt liegen, stehen diese Nutzungen der Annahme einer das Bild der Kulturlandschaft prägenden Wirkung nicht entgegen.

Das von der Klägerin zur Vorbescheidung gestellte Vorhaben dient auch der zweckmäßigen Verwendung der ehemaligen Katstelle und der Erhaltung des Gestaltswert.

Die Klägerin beabsichtigt nach den zur Vorbescheidung gestellten, mit dem Bauantrag vom 20. Dezember 2004 eingereichten Bauvorlagen eine sich auf alle Gebäudeteile erstreckende Wohnnutzung der baulich noch weitgehen erhaltenen Katstelle. Dies dient zum einen der Erhaltung des früheren Verwendungszwecks, da die Katstelle ursprünglich auch als Wohnhaus eines Landarbeiters gedient hat. Aufgrund der relativ geringfügigen Eingriffe in das äußere Erscheinungsbild bleibt zudem im Wesentlichen auch das typische Erscheinungsbild einer Katstelle erhalten.

Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 1993 - 4 B 160.93 -, BRS 55 Nr. 77 = juris Rn. 5.

Von einem "Neubau" kann daher insgesamt nicht die Rede sein, so dass der Gestaltswert der ehemaligen Katstelle erhalten bleibt.

2. Das Vorhaben der Klägerin ist aber deshalb planungsrechtlich unzulässig - und ihre Klage daher unbegründet -, weil es öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB beeinträchtigt und damit zugleich zu Lasten der Beigeladenen einen Verstoß gegen das in jener Vorschrift verankerte Rücksichtnahmegebots begründet.

Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange insbesondere dann vor, wenn ein an einen emittierenden Betrieb heranrückendes Wohnbauvorhaben schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt wird. Ergibt sich daraus für den emittierenden Betrieb die Gefahr möglicher Betriebseinschränkungen, steht dem Eigentümer des Betriebsgrundstücks, zumal wenn es sich bei dem emittierenden Betrieb - wie hier bei dem Erdgaskavernenspeicher W1. 2 - um einen solchen handelt, der nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung sowie der nachteiligen Auswirkungen auf diese nur im Außenbereich ausgeführt werden soll (sog. privilegiertes Außenbereichtsvorhaben), gegenüber dem heranrückenden Wohnbauvorhaben wegen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB enthaltenen speziellen Ausprägung des Gebots der Rücksichtnahme bezüglich Immissionen im Grundsatz ein Abwehranspruch zu.

Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 5. September 2000 - 4 B 56.00 -, BRS 63 Nr. 107 = juris Rn. 5; OVG NRW, Urteil vom 1. Juni 2011 - 2 A 1058/09 -, DVBl. 2011, 1241 = juris (zum Abwehranspruch eines Gewerbebetriebs gegen eine heranrückende Wohnbebauung).

Dies gilt auch im Verhältnis zu einem - wie hier - nach § 35 Abs. 4 BauGB begünstigten Vorhaben. Auch in diesem Fall ist von einem Vorrang der privilegierten Vorhaben im Außenbereich auszugehen. Erfüllt daher eine nicht privilegierte Wohnbebauung die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 BauGB, so verbleibt es dabei, dass diese Wohnbebauung gleichwohl öffentliche Belange beeinträchtigt, wenn sie etwa unzumutbaren Immissionen eines privilegierten Vorhabens ausgesetzt ist. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung in § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB, wonach die durch diese Regelung begünstigten Vorhaben nur dann zulässig sein sollen, "soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind."

Vgl. Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Loseblatt, Band 2, Stand: September 2011, § 35 Rn. 89 und 133 f.; Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand: Mai 2011, § 35 Rn. 97.

Danach steht der Beigeladenen der von ihr mit dem Berufungsverfahren geltend gemachte Abwehranspruch gegenüber dem Wohnbauvorhaben der Klägerin zu.

Das Wohnbauvorhaben setzt sich im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB schädlichen Umwelteinwirkungen aus und begründet für den Erdgaskavernenspeicherbetrieb W1. 2 die Gefahr weitergehender Betriebseinschränkungen.

Zur Bestimmung der Zumutbarkeit von Immissionen ist auf die Begriffsbestimmungen und die materiellrechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts zurückzugreifen. Das Bundesimmissionsschutzgesetz regelt die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen und damit das Maß der gebotenen gegenseitigen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht grundsätzlich allgemein.

Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 23. September 1999 - 4 C 6.98 -, BRS 62 Nr. 86 = juris Rn. 22, mit weiteren Nachweisen; OVG NRW, Urteil vom 1. Juni 2011 - 2 A 1058/09 -, DVBl. 2011, 1241 = juris Rn. 56.

Die Zumutbarkeitsschwelle wird grundsätzlich überschritten, wenn die Störungen oder Belästigungen unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse erheblich im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind. Liegen solchermaßen erhebliche Immissionen vor, ist die an ein privilegiertes Vorhaben heranrückende Wohnbebauung schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ausgesetzt. Würde man in diesem Fall die Wohnbebauung zulassen, könnte der Betreiber der emittierenden Anlage nicht darauf vertrauen, vor Auflagen zum Schutz der Wohnbebauung vor Immissionen verschont zu bleiben. Aufgabe des sich aus § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB ergebenden Gebots gegenseitiger Rücksichtnahme ist es in diesem Fall, den emittierenden Betrieb in seiner Existenz zu sichern. Von daher ist die heranrückende Wohnbebauung, die für den - privilegierten - emittierenden Betrieb potentiell zu einer Verschärfung immissionsschutzrechtlicher Anforderungen führt, gegenüber dem Betrieb rücksichtslos und wegen der Beeinträchtigung öffentlicher Belange planungsrechtlich unzulässig.

Nach diesen Maßstäben ist das Wohnbauvorhaben der Klägerin im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB schädlichen und damit unzumutbaren Umwelteinwirkungen durch die Folgen eines "Dennoch-Störfalls" am Erdgaskavernenspeicher W. 2 ausgesetzt.

Sowohl aus der Tiefbohrverordnung (BVOT) vom 31. Oktober 2006 (Amtsblatt der Bezirksregierung B. 2006, Nr. 48 Beilage) als auch aus der Zwölften Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung - 12. BImSchV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Juni 2005 (BGBl. I 1643) folgt die grundsätzliche Verpflichtung zur Einhaltung von Sicherheitsabständen um den Erdgaskavernenspeicher W. 2 (dazu 2.1). Die Unterschreitung dieses Sicherheitsabstands führt dazu, dass ein heranrückendes Vorhaben schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt ist (dazu 2.2). Im Falle des Wohnbauvorhabens der Klägerin wird der erforderliche Sicherheitsabstand nicht eingehalten (dazu 2.3). Daraus folgt die planungsrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens (dazu 2.4).

2.1 Die Verpflichtung zur Einhaltung eines Sicherheitsabstands um die Erdgasspeicherkaverne W. 2 ergibt sich im Grundsatz sowohl aus der BVOT als auch aus der 12. BImSchV.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, 3. Spiegelstrich BVOT gilt die Tiefbohrverordnung auch für die Errichtung und den Betrieb der den berggesetzlichen Vorschriften (vgl. §§ 2 Abs. 2 Nr. 2, 4 Abs. 9 BBergG) unterliegenden Betriebsanlagen und Betriebseinrichtungen (Einrichtungen) zur behälterlosen unterirdischen Speicherung von Gasen, Flüssigkeiten und festen Stoffen mit Ausnahme von Wasser durch über Tage angesetzte Bohrungen. Damit fällt auch die zur unterirdischen Speicherung von Erdgas dienende Kavernenanlage in Y. in den Anwendungsbereich dieser Verordnung.

Nach § 9 Abs. 1 BVOT müssen Einrichtungen, von denen in Stör- oder Schadensfällen Gefahren für die Umgebung ausgehen können, von Gebäuden, öffentlichen Verkehrsanlagen und ähnlichen zu schützenden Objekten so weit entfernt errichtet werden, dass Gefahren für das Leben und die Gesundheit von Personen vermieden werden und eine ungehinderte Bekämpfung der Gefahren möglich ist. Diese Vorschrift richtet sich an den Betreiber der Anlage, der sowohl bei der Einrichtung als auch dem Betrieb einer Einrichtung im Sinne von § 1 Abs. 1 BVOT von schutzwürdigen Objekten - also auch von Wohngebäuden - die erforderlichen Abstände einzuhalten hat. Dementsprechend hat die Bezirksregierung B. bereits in ihrem Bescheid vom 15. Dezember 2008, mit der sie die Geltungsdauer der Hauptbetriebsplanzulassung vom 30. Dezember 2004 für den Erdgaskavernenspeicher Y. bis zum 30. Juni 2009 verlängert hat, darauf hingewiesen, dass § 9 Abs. 1 BVOT auch für den Betrieb bestehender Anlage und Einrichtungen gelte.

Konkrete Vorgaben für die Bemessung der nach § 9 Abs. 1 BVOT einzuhaltenden Sicherheitsabstände enthält die Tiefbohrverordnung nicht. Da die nach dieser Vorschrift einzuhaltenden Sicherheitsabstände aber der Abwehr der in einem Stör- oder Schadensfall entstehenden Gefahrenlage dienen sollen, entsprechen die Betreiberpflichten der ebenfalls auf Störfälle zugeschnittenen Regelung in § 3 der 12. BImSchV. Diese sog. Störfall-Verordnung ist auf den Betrieb der Kavernen in Y. mit einer Speicherkapazität von insgesamt ca. 215 Mio. m³ Erdgas, das entspricht einer insgesamt gelagerten Höchstmenge von ca. 180.000 t (vgl. Ziffer I.6.1 des Hauptbetriebsplans 2009), ohnehin anzuwenden, weil die in Nr. 11 der Stoffliste in Anhang I der 12. BImSchV genannten Mengenschwellen deutlich überschritten werden.

Auch aus der 12. BImSchV kann sich aber die Verpflichtung des Anlagenbetreibers zur Einhaltung eines Sicherheitsabstands ergeben.

§ 3 der 12. BImSchV erlegt der Betreiberin des Erdgaskavernenspeichers allgemeine Betreiberpflichten auf. Nach § 3 Abs. 1 der 12. BImSchV muss der Betreiber zunächst die nach Art und Ausmaß der möglichen Gefahren erforderlichen Vorkehrungen treffen, um Störfälle zu verhindern (sog. störfallverhindernde Maßnahmen). Dabei sind betriebliche und umgebungsbedingte Gefahrenquellen sowie Eingriffe Unbefugter zu berücksichtigen, die als Störfallursachen vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden können (§ 3 Abs. 2 der 12. BImSchV). Zu den störfallverhindernden Maßnahmen wird zwar die Einhaltung von Sicherheitsabständen in aller Regel nicht zählen; insoweit geht es vorrangig um technische und organisatorische Maßnahmen.

Bei den sog. Dennoch-Störfällen geht der Verordnungsgeber davon aus, dass solche Szenarien trotz aller notwendigen störfallverhindernder Maßnahmen nach § 3 Abs. 1 der 12. BImSchV erfahrungsgemäß "dennoch" auftreten können. Der Betreiber hat für diesen Fall nach § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV Maßnahmen zu treffen, um die Auswirkungen von Dennoch-Störfällen so gering wie möglich zu halten. Diese auswirkungsbegrenzenden Maßnahmen sind kein Ersatz für störfallverhindernde Maßnahmen im Sinne von § 3 Abs. 1 der 12. BImSchV, sondern ergänzend zu diesen zu ergreifen. Denn die Vorschrift des § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV geht von der Möglichkeit aus, dass die nach Abs. 1 zu ergreifenden störfallverhindernden Maßnahmen nicht greifen und es aufgrund einer vernünftigerweise auszuschließenden Gefahrenquelle zu einem Störfall kommt. In Betracht kommen hier immer wieder auftretende und letztlich nicht auszuschließende Ursachen, wie etwa menschliches Versagen, unerkannte Anlagenmängel, Funktionsstörungen oder ein Ausfall der technischen Sicherheitsvorkehrungen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2009 - 8 D 6/08.AK -, juris Rn. 393; Bay. VGH, Urteil vom 14. Juli 2006 - 1 BV 03.2179 u. a. -, BRS 70 Nr. 165 = juris Rn. 52; Hess. VGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 2 UE 2899/96 -, NVwZ 2002, 742 = juris Rn. 39.

Die Pflicht des § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV erstreckt sich allerdings nicht auf vorbeugende Maßnahmen gegen Gefahrenquellen, die sich jeder Erfahrung und Berechenbarkeit entziehen und daher auch außerhalb der durch § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG gezogenen Grenzen liegen. Gegen das Eintreten solcher - sog. exzeptionellen - Störfälle sind keine anlagenbezogenen Vorkehrungen zu treffen, also insbesondere keine Sicherheitsabstände einzuhalten. Hierzu gehören z. B. Störfälle, die durch kriegerische Zustände oder nicht vorhersehbare Naturkatastrophen hervorgerufen werden können. Solche nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch auszuschließenden Risiken sind von der Allgemeinheit als sozialadäquat hinzunehmen.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 14. Juli 2006 - 1 BV 03.2179 u. a. -, BRS 70 Nr. 165 = juris Rn. 53; Hess. VGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 2 UE 2899/96 -, NVwZ 2002, 742 = juris Rn. 40; sowie bereits BVerfG, Beschluss vom 8. August 1978 - 2 BvL 8/77 - (Kalkar I), BVerfGE 49, 89 = juris Rn. 120; vgl. auch Ziffer 3 des Abschlussberichts der Störfall-Kommission "Schadensbegrenzung bei Dennoch-Störfällen" vom 12. Oktober 1999, abrufbar unter "www.sfktaa.de".

Liegt nach diesen Maßstäben ein Dennoch-Störfall im Sinne von § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV vor, kann die Einhaltung eines Sicherheitsabstands, also eines ausreichenden Abstands zu schutzwürdigen Objekten, als geeignete auswirkungsbegrenzende Maßnahme in Betracht kommen. Die Einhaltung von Sicherheitsabständen ist ein klassisches Mittel der Risikobewältigung im technischen Sicherheitsrecht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Juli 1988 - 21 B 1092/88 -, NVwZ 1989, 172 = juris Rn. 17 ff.; Hess. VGH, Urteile vom 4. Dezember 2008 - 4 A 882/08 -, BRS 73 Nr. 170 = juris Rn. 61, und vom 21. Februar 2001 - 2 UE 2899/96 -, NVwZ 2002, 742 = juris Rn. 42 ff.; Bay. VGH, Urteil vom 14. Juli 2006 - 1 BV 03.2179 u. a. -, BRS 70 Nr. 165 = juris Rn. 54; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Loseblatt, Band IV, Stand: April 2011, Rn. 25 zu § 3 der 12. BImSchV; Hellriegel/Schmitt, NuR 2010, 98, 103.

Dem steht nicht entgegen, dass solche Sicherheitsabstände weder in § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV noch in der die Anforderungen zur Begrenzung von Störfallauswirkungen konkretisierenden Vorschrift des § 5 der 12. BImSchV expressis verbis genannt sind. Diese Regelung enthält keine abschließende Aufzählung ("insbesondere"), so dass die Forderung nach einer solchen Maßnahme von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG gedeckt wäre. Zudem ist die Störfall-Kommission bereits in ihrem Bericht aus dem Jahr 1994 "Sicherheitsabstände als Schadensvorsorge" davon ausgegangen, dass Sicherheitsabstände Vorsorgemaßnahmen zur Begrenzung der Auswirkungen von Störfällen darstellen, so dass die Wirksamkeit solcher Abstände nicht grundsätzlich, sondern allenfalls im Einzelfall in Zweifel gezogen werden kann.

Vgl. hierzu auch die Empfehlung des Bundesrats zur 12. BImSchV 1991, BR-Drs. 213/1/91, S. 95 f.

Die Zulässigkeit von Sicherheitsabständen folgt nicht zuletzt auch daraus, dass die 12. BImSchV zur Umsetzung der Richtlinie 96/82/EG des Rats vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso II - Richtlinie, ABl. Nr. L 010 vom 14. Januar 1997, S. 13) ergangen ist und diese Richtlinie in Art. 12 Abs. 1 einen angemessenen Abstand zwischen Betrieben und Wohngebieten fordert. Zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit dieser Regelung sind auch die Baugenehmigungsbehörden verpflichtet, das Erfordernis der Wahrung angemessener Abstände im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens zu beurteilen.

Vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - C-53/10 -, Rn. 18 ff. des amtlichen Umdrucks (http://curia.europa.eu/).

Die Seveso II - Richtlinie überlässt es den zuständigen nationalen Behörden - also etwa den Baugenehmigungsbehörden -, die erforderlichen Abstände zu berechnen und anhand aller maßgeblichen Faktoren festzulegen. Zwar kann die Richtlinie nicht so ausgelegt werden, dass danach alle Vorhaben abgelehnt werden müssten, die die angemessenen Abstände unterschreiten. Allerdings verlangt die "Berücksichtigung" der angemessenen Abstände, dass diese bei der Risikobewertung neben anderen Faktoren auch tatsächlich berücksichtigt werden, sei es in allgemeiner Weise bei der Aufstellung der Flächenausweisungs- oder Flächennutzungspläne oder, mangels einer Planung, in spezifischer Weise, insbesondere beim Erlass von Entscheidungen über Baugenehmigungen. Der den nationalen Behörden obliegende Wertungsspielraum kann daher nicht so ausgelegt werden, dass er es ihnen gestattet, von der Berücksichtigung angemessener Abstände gänzlich abzusehen.

Vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - C-53/10 -, Rn. 39 ff. des amtlichen Umdrucks (http://curia.europa.eu/).

Mit dieser sich unmittelbar aus Art. 12 Abs. 1 der Seveso II - Richtlinie ergebenden Verpflichtung der Baugenehmigungsbehörden korrespondiert die sich aus nationalem Recht, nämlich aus § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV ergebende Verpflichtung des Anlagenbetreibers zur Einhaltung von Sicherheitsabständen.

2.2 Die Unterschreitung eines nach § 9 Abs. 1 BVOT sowie § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV einzuhaltende Sicherheitsabstands durch ein heranrückendes - nicht privilegiertes oder nach § 35 Abs. 4 BauGB nur teilprivilegiertes - Wohnbauvorhaben führt im Regelfall dazu, dass dieses schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ausgesetzt ist.

Mit der Einhaltung von Sicherheitsabständen kommt der Anlagenbetreiber nicht nur der ihm nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG obliegenden Vorsorgepflicht nach, da es insoweit nicht (nur) um die Vorbeugung gegenüber potentiell schädlicher Umwelteinwirkungen unterhalb der Gefahrenschwelle bzw. die Minimierung eines - grundsätzlich tolerierbaren - Restrisikos im Sinne einer Vorsorgepflicht geht. Da durch die Sicherheitsabstände vielmehr die Auswirkungen eines von der Anlage ausgehenden - nicht exzeptionellen - Störfalls so gering wie möglich gehalten werden sollen, geht es um die Betreiberpflicht zur vorbeugenden Abwehr von schädlichen Umwelteinwirkungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG.

Vgl. Hess. VGH, Urteile vom 4. Dezember 2008 - 4 A 882/08 -, BRS 73 Nr. 170 = juris Rn. 62, und vom 21. Februar 2001 - 2 UE 2899/96 -, NVwZ 2002, 742 = juris Rn. 40; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Loseblatt, Band IV, Stand: April 2011, Rn. 24 zu § 3 der 12. BImSchV.

Dafür spricht auch, dass sich die Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörden zur Berücksichtigung angemessener Abstände in konkreten Genehmigungsverfahren - wie ausgeführt - unmittelbar aus der Seveso II - Richtlinie 96/82/EG ergibt. Diese Richtlinie bezweckt aber nicht nur eine allgemeine Vorsorge, sondern die Verhütung (konkreter) schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen und die Begrenzung der Unfallfolgen für Mensch und Umwelt (vgl. Art. 1). Zu den spezifischen Faktoren, die die nationalen Behörden nach Art. 12 Abs. 1 der Seveso II - Richtlinie 96/82/EG bei den ihnen obliegenden wertenden Entscheidungen zu treffen haben, gehören neben der Art der jeweiligen gefährlichen Stoffe die Wahrscheinlichkeit eines schweren Unfalls in einem unter die Richtlinie fallenden Betrieb sowie die Folgen eines etwaigen Unfalls für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Art der Tätigkeit der neuen Ansiedlung oder die Intensität ihrer öffentlichen Nutzung und die Leichtigkeit gehören, mit der Notfallkräfte bei einem Unfall eingreifen können. Außerdem können alle diese spezifischen Faktoren mit der Berücksichtigung sozioökonomischer Faktoren zusammentreffen.

Vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - C-53/10 -, Rn. 44 des amtlichen Umdrucks (http://curia.europa.eu/).

Haben die nationalen Behörden bei ihrer Entscheidung über die Berücksichtigung von Abständen aber vor allem auch das konkrete Risiko und die konkreten Folgen eines Störfalls in den Blick zu nehmen, dienen die Sicherheitsabstände erkennbar - anders als die Klägerin meint - nicht (nur) der reinen Vorsorge, sondern in erster Linie der Abwehr konkreter Gefahren. Dass vor diesem Hintergrund für die sich aus nationalem Recht, nämlich aus § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV ergebende korrespondierende Verpflichtung des Anlagenbetreibers zur Einhaltung von Sicherheitsabständen bei Dennoch-Störfällen etwas anderes - nämlich eine Qualifizierung als reine Vorsorgemaßnahme - gelten soll, ist nicht erkennbar.

Handelt es sich bei der nach § 9 Abs. 1 BVOT sowie nach § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV gebotenen Einhaltung von Sicherheitsabständen aber um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, wird damit zugleich das Maß der nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zwischen emittierender Anlage und heranrückendem (nicht privilegiertem) Vorhaben einzuhaltenden Rücksichtnahmepflichten konkretisiert. Ohne diesen Sicherheitsabstand wäre das heranrückende Vorhaben potentiell schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt, die nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegen. Das bedeutet für den emittierenden Betrieb aber zugleich, dass eine Unterschreitung des Sicherheitsabstands weitere immissionsschutzrechtliche Anforderungen nach sich ziehen kann. Dementsprechend hat die Bezirksregierung B. in der Nebenbestimmungen Nr. 4.17 und dem Hinweis Nr. 6.4.3 zur Hauptbetriebsplanzulassung vom 29. Juni 2009 bei "Änderung der Sachlage" und damit insbesondere bei Unterschreitung des Sicherheitsabstands durch ein schutzwürdiges Wohnbauvorhaben - wie insbesondere das Wohnbauvorhaben der Klägerin - die Vorlage eines Sonderbetriebsplans - auf der Grundlage von § 52 Abs. 2 Nr. 2 BBergG - für den Weiterbetrieb der Kaverne gefordert. Hinzu kommt, dass bei der Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 56 i. V. m. § 35 Abs. 4 BVOT (§ 159 Abs. 1 i. V. m. § 109 Abs. 4 BVOT a. F.) zu berücksichtigen ist, ob sich innerhalb des Sicherheitsabstands schutzwürdige Wohngebäude befinden. Bei der Erteilung der Ausnahmebewilligung vom 23. Januar 2004 betreffend den vorläufigen Verzicht auf den Einbau eines Untertagesicherheitsventils konnte die Bezirksregierung B. entsprechend dem Antrag der U. GmbH vom 18. Dezember 2001 davon ausgehen, dass dies nicht der Fall ist. Würde die Klägerin nunmehr auf ihrem Grundstück erstmals legalerweise eine Wohnnutzung aufnehmen dürfen, hätte dies daher zur Folge, dass die Bezirksregierung B. ernsthaft zu prüfen hätte, ob die Ausnahmebewilligung wegen veränderter Sachlage zu widerrufen oder diese nach dem 31. Dezember 2018 jedenfalls nicht mehr zu verlängern ist.

Wird der - in jedem Einzelfall zu bestimmende - Sicherheitsabstand dagegen eingehalten, dann sind die Auswirkungen eines Dennoch-Störfalls nicht so gravierend, dass es - unter Berücksichtigung der geringen Wahrscheinlichkeit eines solchen Störfalls - gerechtfertigt wäre, von einem Bauherrn aus Rücksicht auf den Betrieb einen Verzicht auf die Ausführung eines (Wohnbau-)Vorhabens zu verlangen.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 14. Juli 2006 - 1 BV 03.2181 u. a. -, BRS 70 Nr. 165 = juris Rn. 62.

2.3 Im Falle des Wohnbauvorhabens der Klägerin wird der danach erforderliche Sicherheitsabstand nicht eingehalten.

Nach den dem Senat vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen - insbesondere des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) - ist davon auszugehen, dass es sich bei dem zu betrachtenden Störfall um einen Dennoch-Störfall handelt (dazu 2.3.1) und das Wohnbauvorhaben der Klägerin innerhalb des um die Kaverne W. 2 einzuhaltenden Sicherheitsradius liegt (dazu 2.3.2).

2.3.1 Bei dem Abriss des Kavernenkopfs handelt es sich um einen Dennoch-Störfall. Ob dies auch für den von den Gutachtern des TÜV und des LANUV ebenfalls betrachteten Abriss des 2 1/16″ Stutzens gilt, kann daher dahingestellt bleiben.

Bei einem Dennoch-Störfall handelt es sich - wie bereits unter 2.1 ausgeführt - um die Realisierung einer vernünftigerweise auszuschließenden Gefahrenquelle. In Betracht kommen hier immer wieder auftretende und letztlich nicht auszuschließende Ursachen, wie etwa menschliches Versagen, unerkannte Anlagenmängel, Funktionsstörungen oder ein Ausfall der technischen Sicherheitsvorkehrungen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2009 - 8 D 6/08.AK -, juris Rn. 393; Bay. VGH, Urteil vom 14. Juli 2006 - 1 BV 03.2179 u. a. -, BRS 70 Nr. 165 = juris Rn. 52; Hess. VGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 2 UE 2899/96 -, NVwZ 2002, 742 = juris Rn. 39.

Dementsprechend wird der Dennoch-Störfall - und in Abgrenzung dazu der exzeptionelle Störfall - vom Arbeitskreis "Dennoch-Störfälle" der Störfall-Kommission (heute: Kommission für Anlagensicherheit) beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Abschlussbericht "Empfehlungen für Kriterien zur Abgrenzung von Dennoch-Störfällen und für Vorkehrungen zur Begrenzung ihrer Auswirkungen" (vgl. dort S. 6; veröffentlicht unter www.sfktaa.de) vom Oktober 1999 wie folgt definiert:

"Dennoch-Störfälle stellen die Ausweitung von Betriebsstörungen dar, die trotz störfallverhindernder Maßnahmen, aber aufgrund des Wirksamwerdens einer vernünftigerweise auszuschließenden Gefahrenquelle oder des zeitgleichen Wirksamwerdens mehrere voneinander unabhängiger Gefahrenquellen (Nr. 3.2.4 der 2. Störfall-VwV) eine ernste Gefahr hervorrufen. ...

Exzeptionelle Störfälle entstehen aus Gefahrenquellen, die sich jeder Erfahrung und Berechenbarkeit entziehen und daher außerhalb jeder durch § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG gezogenen Grenze liegen. ... Hierzu gehören z. B. Störfälle, die durch kriegerische bzw. bürgerkriegsähnliche Zustände und Ereignisse hervorgerufen werden können"

Gemessen daran handelt es sich bei dem Abriss des Kavernenkopfs um einen Dennoch-Störfall.

Wie der von dem Senat mit der Abgabe einer sachverständigen Stellungnahme beauftragte Gutachter des LANUV, , in der mündlichen Verhandlung am 15. Dezember 2011 ausgeführt hat, kommt ein solcher Vollabriss des Kavernenkopfs bei nicht vorhersehbaren Materialschäden oder nicht vorhersehbarem menschlichem Versagen - etwa Übersehen eines Materialschadens oder einer Bolzenlockerung bei einer Inspektion - in Betracht. Dass bei solchen Störfall-Ursachen die auf den Sondenkopf - insbesondere mit Blick auf die Druckverhältnisse in der Kaverne - einwirkenden Kräfte zu dessen Abriss führen können, ist ohne Weiteres nachvollziehbar. Dies wird auch von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt, zumal sie selbst Drücke von bis zu 120 bar einräumt. Soweit der in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag 1.5 nicht ohnehin nur einen intakten Sondenkopf vor Augen hat, handelt es sich um einen unzulässigen Beweisermittlungsantrag, der ohne greifbare Stütze im Tatsächlichen gleichsam ins Blaue hinein aufgestellt worden ist und dem das erkennende Gericht nicht weiter nachgehen musste.

Vgl. zum Beweisermittlungsantrag: BVerwG, Beschlüsse vom 25. März 2010 - 9 B 74/09 -, juris Rn. 32, und vom 30. Januar 2002 - 1 B 326/01, 1 PKH 43/01 -, juris Rn. 5.

Das aufgezeigte nicht vorhersehbare menschliche Versagen und die nicht vorhersehbaren Materialschäden sind aber dem Bereich der Dennoch-Störfälle zuzurechnen.

Die Einhaltung der technischen Standards - etwa hinsichtlich der Befestigung des Kavernenkopfs mit einer ausreichenden Anzahl hinreichend stabiler Bolzen - sowie die regelmäßige Überprüfung des Kavernenkopfs auf Leckagen und auf Materialschäden sind störfallverhindernde Maßnahmen im Sinne von § 3 Abs. 1 der 12. BImSchV, die von dem Betreiber zu ergreifen sind. Den - nach heutigen Maßstäben - nicht vorhersehbaren und daher vernünftigerweise auszuschließenden, aufgrund von Materialschäden und menschlichem Versagen bestehenden Gefahrenquellen kann dagegen nicht mit störfallverhindernden Maßnahmen entgegengewirkt werden. Andererseits handelt es sich hierbei - dies gilt auch für das in Rede stehende Störfall-Szenario - um solche Gefahrenquellen, die bei technischen Anlagen immer wieder auftreten und daher letztlich nicht ausgeschlossen werden können und somit gerade nicht um ein außerhalb jeder Erfahrung liegendes exzeptionelles Störfall-Szenario. Dabei ist es für die Einordnung als Dennoch-Störfall rechtlich unerheblich, dass die (rein) rechnerische Eintrittswahrscheinlichkeit äußerst gering ist. Denn zum einen zeigt die Möglichkeit der Berechnung einer Eintrittswahrscheinlichkeit, dass es sich gerade nicht um einen sich jeder Berechenbarkeit entziehenden exzeptionellen Störfall handelt. Zum anderen ist es auch bei einer - wie hier - sehr geringen Eintrittswahrscheinlichkeit nicht ausgeschlossen, dass der Dennoch-Störfall jederzeit eintritt. Rechtlich unerheblich ist auch, dass der Gutachter des LANUV auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung keine konkreten Ursachen benennen konnte, die im Einzelfall zu einem Abriss des Kavernenkopfs führen könnten. Denn es liegt gerade in der Natur eines Dennoch-Störfalls, dass es sich um derzeit nicht vorhersehbare Gefahrenquellen handelt; ansonsten wären von dem Betreiber insoweit störfallverhindernde Maßnahmen zu ergreifen.

2.3.2 Das Gebäude, welches von der Klägerin für Wohnzwecke umgebaut werden soll, hält zum Kavernenkopf des Gaskavernenspeichers W. 2 lediglich einen Abstand von 75 m ein und unterschreitet damit den um den Kavernenkopf mit einer Wohnnutzung einzuhaltenden Sicherheitsabstand. Dies Feststellung lässt sich zur Überzeugung des erkennenden Gerichts auf der Grundlage der vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen, insbesondere der sachverständigen Stellungnahme des LANUV treffen, welche die Ergebnisse des von der Beigeladenen vorgelegten Gutachtens des TÜV im entscheidungserheblichen Kern bestätigt hat.

a) Das Gutachten des LANUVist eine taugliche Grundlage für die aufgeworfene Frage, ob das Bauvorhaben innerhalb des auf der Grundlage des nach § 9 Abs. 1 BVOT und § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV einzuhaltenden Sicherheitsabstands liegt bzw. ist tragende Stütze für die Beurteilung der Validität des TÜV-Gutachtens.

Die Heranziehung jenes Gutachtens ist nicht aus prozessualen Gründen ausgeschlossen. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellte Befangenheitsantrag nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO unzulässig gewesen sein dürfte, weil die Gutachter bereits in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 28. November 2011, die dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 30. November 2011 - und damit mehr als zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung per Fax - zugeleitet worden ist, auf die von der Klägerin gerügte Besichtigung des Kavernenkopfs hingewiesen haben und es sich aufdrängt, dass ein solcher Termin auf privatem Betriebsgelände nur in Anwesenheit eines Mitarbeiters der Beigeladenen durchgeführt worden sein konnte. Denn der Antrag war jedenfalls in der Sache unbegründet.

Die Mitarbeiter des LANUV, die anlässlich einer Inaugenscheinnahme des Kavernenkopfs W. 2 am 10. November 2011 Kontakt zu einem Mitarbeiter der Beigeladenen hatten, sind nicht aus diesem Grund befangen im Sinne von § 98 VwGO i. V. m. §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 2 ZPO. Ein (Fehl-)Verhalten eines Sachverständigen begründet nämlich nur dann die Besorgnis der Befangenheit, wenn es den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt. Dies ist nur dann der Fall, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger und objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, der Gutachter werde sein Gutachten nicht unvoreingenommen erstatten. Für die Beurteilung kommt es wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an.

Vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 27. April 2011 - 1 So 15/11 -, juris Rn. 3; Bay. VGH, Beschluss vom 4. August 2003 - 1 C 03.950 -, NJW 2004, 90 = juris Rn. 20; Lang, in: Sodann/Ziekow, VwGO, 3. Auflage 2010, § 98 Rn. 179.

Bei Zugrundelegung dieses verobjektivierten Maßstabs haben die Mitarbeiter des LANUV nicht den Eindruck erweckt, ihre Stellungnahme sei voreingenommen erstellt worden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die eigentliche sachverständige Stellungnahme des LANUV - vom 28. August 2011 - im Zeitpunkt der Besichtigung des Kavernenkopfs W1. 2 - am 10. November 2011 - bereits vorlag. Mit der Besichtigung wollten die Mitarbeiter des LANUV lediglich dem Einwand entgegentreten, sie hätte ihre Stellungnahme ohne hinreichende Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten abgegeben. Sie diente der allgemeinen technischen Information und fand - ebenso wie eine Besichtigung eines weiteren Kavernenfelds in F. - im Beisein und auf Veranlassung der zuständigen Bergbehörde statt. Zudem haben die dabei gewonnenen Erkenntnisse ihren Niederschlag in der ergänzenden Stellungnahme vom 28. November 2011 gefunden. Anhaltspunkte dafür, dass anlässlich der Besichtigung Erkenntnisse gewonnen worden sind, die von den Mitarbeitern des LANUV hätten berücksichtigt werden und im Ergebnis zu einer anderen Beurteilung hätten führen müssen, macht auch die Klägerin nicht ansatzweise geltend.

b) Nach den vorliegenden sachverständigen Stellungnahmen des LANUV und den hierdurch im Ergebnis bestätigten Gutachten des TÜV ist davon auszugehen, dass das in Rede stehende Gebäude der Klägerin im Fall eines Eintritts des betrachteten Dennoch-Störfalls - Abriss des Kavernenkopfs - einer Wärmestrahlungsleistung von 12 kW/m² ausgesetzt ist. Bei Erreichen einer solchen Wärmestrahlung bietet nach der nachvollziehbar begründeten Einschätzung der für die Zulassung des Betriebs des Kavernenspeichers zuständigen Bergbehörde - der Bezirksregierung B. - ein Wohngebäude regelmäßig keinen hinreichenden Schutz mehr, vielmehr ist mit letalen Folgen zu rechnen. Die Gefahr der Überschreitung dieser Wärmestrahlung im Falle des Eintritts des ins Auge gefassten Dennoch-Störfalls ist einer Wohnnutzung regelmäßig nicht zuzumuten. Ob und ggfs. unter welchen Umständen - wie die Gutachter des LANUV angedeutet haben - die Grenze für die Zulässigkeit einer Wohnnutzung bereits bei einer geringeren Wärmestrahlung zu ziehen sein könnte und weitere Betreiberpflichten begründet, bedarf anlässlich des vorliegenden Streits keiner Vertiefung.

Wird als Grenze eine Wärmestrahlung gewählt, bei der letale Folgen selbst innerhalb des Wohngebäudes unmittelbar zu erwarten stehen, ist im Gegenzug bei der Betrachtung des Störfallszenarios eine Windstärke von 10 m/s, das heißt eine Starkwindlage - die allerdings lediglich einer Windstärke von 5 Beaufort entspricht und damit deutlich unter Sturmstärke (ab 20 m/s) liegt - zu berücksichtigen. Zwar mag es sein, dass eine solche Windstärke insoweit äußerst ungewöhnlich ist, als diese bei in Richtung des klägerischen Gebäudes wehenden Winden nach der von den Klägerin im Verfahren 4 K 1055/06 beim VG Düsseldorf vorgelegten Stärkewindrose (für C. ) praktisch kaum auftritt. Allerdings sind in dieser vom Deutschen Wetterdienst erstellten Stärkewindrose aus östlicher Richtung immerhin Windgeschwindigkeiten von 8 m/s und aus ostnordöstlicher Richtung mit einer Windgeschwindigkeit von bis zu 9 m/s erfasst. Da diese Statistik zudem einen Zeitraum von lediglich 10 Jahren (1992-2001) erfasst, können Starkwindereignisse mit 10 m/s in Richtung des klägerischen Anwesens für die Zukunft nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der betrachtete Störfall mit einer Wärmstrahlung von 12 kW/m² für die Bewohner eines Hauses - welches gegenüber dieser Wärmestrahlung keinen Schutz bietet - letale Folgen haben wird, es daher - zum Schutz und im Interesse der Bewohner - zwingend geboten ist, bei der Bemessung eines Sicherheitsabstands auch von eher ungewöhnlichen Windereignisse auszugehen. Denn nur so ist hinreichend gewährleistet, dass die Abschätzung in dem gebotenen Umfang auf der sicheren Seite liegt. Aus den entsprechenden Gründen ist auch der Aspekt der Windverteilung zu vernachlässigen. Hinzuweisen ist insoweit noch darauf, dass bereits aus den in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll diktierten Gründen des ergangenen Beschlusses über die Ablehnung der gestellten Beweisanträge, keine Veranlassung bestand, zu der mit Beweisantrag Nr. 3 aufgeworfenen Frage der Windverhältnisse im Bereich der Kaverne ein Sachverständigengutachten einzuholen. Dass dieses im Hinblick auf die in der Vergangenheit vorherrschenden Windverhältnisse im Bereich des Vorhabengrundstücks gegenüber den dem Senat vorliegenden Daten relevante neue Erkenntnisse bringen könnte, ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Ein solches Gutachten könnte im Übrigen auf der Grundlage der Wetterdaten vergangener Jahre lediglich Aussagen zum Auftreten entsprechender Windereignisse in der Vergangenheit treffen und sich allenfalls zur (statistischen) Eintrittswahrscheinlichkeit verhalten; diese Ereignisse sind damit aber noch nicht für die Zukunft auszuschließen.

Nach dem Gutachten des TÜV vom 20. September 2006 (vgl. dort Tabelle 3), in dessen Folge der Sicherheitsabstand in dem derzeit zugelassenen Hauptbetriebsplan auf 85 m festgelegt worden ist, wird bei dem betrachteten Störfall bei einer Windgeschwindigkeit von 10 m/s und in einer Höhe von 2 m noch in einer Entfernung von 80 m eine Wärmestrahlungsleistung von 12 kW/m² erreicht, mithin am geplanten Standort des Wohnhauses (Entfernung 75 m) sicher erreicht. Bei dieser Berechnung ist der Gutachter des TÜV, , von einem Massenstrom von 165 kg/s ausgegangen. Diese Annahmen sind tragfähig und durch die sachverständigen Stellungnahmen des LANUV vom 28. August 2011 und vom 28. November 2011 im Wesentlichen bestätigt worden.

Insbesondere führt das LANUV in seiner Stellungnahme vom 28. August 2008 aus, der Vergleich der mit Modellen ermittelten Abstände ergebe eine gute Übereinstimmung sowohl mit den auf der Grundlage des angepassten Zylinderstrahlmodells gewonnenen Ergebnisses des TÜV S1. als auch mit denen des Modells Aloha. Dabei gelangen die Gutachter des LANUV auf der Grundlage des Programms Aloha bei gleichen Rahmenbedingungen - Windgeschwindigkeit 10 m/s, Wärmestrahlung von 12 kW/m² (insoweit interpoliert) - sogar zu einem Sicherheitsabstand von 90 m. Den von dem TÜV zugrundegelegten Massenstrom von 165 kg/s hat das LANUV in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. November 2011 unter Berücksichtigung des Realgasverhaltens ebenfalls ausdrücklich bestätigt; mit dem Programm Effekts der TNO (Niederländische Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung) errechne sich sogar ein Massenstrom von bis zu 184 kg/s.

Die Validität der von dem TÜV und dem LANUV getroffenen Abschätzung, innerhalb welcher Abstände im betrachteten Störfall die kritische Strahlungswärme erreicht wird, wird durch die von der Klägerin vorgelegten Gutachten der B2. J. nicht durchgreifend in Frage gestellt. Die Gutachter H. und Dr. G. berechnen in ihren Stellungnahmen vom 21. September 2010, vom 15. März 2011 und vom 25. Oktober 2011 den erforderlichen Sicherheitsabstand anhand des Programms Aloha, welches von usamerikanischen Behörden - der Environmental Protection Agency - zur Bewertung von Störfällen und Erstellung von Notfallplänen verwendet und dafür im Internet allgemein zugänglich gemacht wird (vgl. http://www.epa.gov/osweroe1/content/cameo/aloha.htm).

Vgl. auch die Beschreibung des Programms im Benutzerhandbuch (englisch, Stand: Februar 2007; S. 11): "ALOHA (Areal Locations of Hazardous Atmospheres) is a computer program designed especially for use by people responding to chemical releases, as well as for emergency planning and training."

Das Programm Aloha ist aber von den B2. -Gutachtern offensichtlich fehlerhaft angewendet worden, so dass die von diesen berechneten Ergebnisse nicht valide sind und die vom TÜV sowie vom LANUV berechneten Sicherheitsabstände nicht in Frage stellen können. Den Stellungnahmen der B2. lässt sich nämlich entnehmen, dass diese im Aloha-Programm als "Pipe Press" einen Druck von 15 bar bzw. von 120 bar eingegeben haben. In der letzten Stellungnahme vom 14. Dezember 2011 wird dies damit begründet, dass nicht der Kavernendruck - hier von max. 200 bar - sondern wegen der Reibungsverluste beim Übergang Kaverne/Rohrschuh der "Inlet Pipe Pressure" einzugeben sei. Dies ist objektiv falsch. Vielmehr haben sowohl der TÜV-Gutachter als auch die Mitarbeiter des LANUV zutreffend darauf hingewiesen, dass in die entsprechende Eingabemaske des Aloha-Programms der Kaverneninnendruck einzugeben ist. Dies ist ohne Weiteres nachvollziehbar, da es gerade Aufgabe des Programms ist, ausgehend von dem Kavernendruck die Umstände - wie etwa Reibungsverluste im bzw. am Rohr - zu berücksichtigen, die zur Reduzierung des Drucks und damit des Massenstroms an der Austrittsöffnung führen. Würde man - wie die B2. -Gutachter dies getan haben - bereits den in das Aloha-Programm einzugebenden Druck, den Input (nicht: Inlet) Pipe Pressure, wegen der auftretenden Reibungsverluste "runterrechnen", würden die druckmindernden Faktoren doppelt berücksichtigt und würde man daher deutlich zu niedrige Werte erhalten.

Die fehlerhafte Anwendung des Aloha-Programms durch B2. wird nicht zuletzt durch das von den usamerikanischen Behörden zur Verfügung gestellte Benutzerhandbuch für das Aloha-Programm (http://www.epa.gov/osweroe1/docs/ cameo/ALOHAManual.pdf) bestätigt. Darin wird auf S. 147 erklärt, welche Daten in die Eingabemaske "Pipe Pressure and Hole Size" einzugeben sind:

"Pipe pressure. If the pipeline is connected to a very large (infinite) reservoir, use the pressure within the reservoir as your value for pipe pressure."

Diese Aussage ist eindeutig und besagt, dass der Druck innerhalb ("within") der Kaverne - also nicht etwa ein um Reibungsverluste am Rohrschuh oder ähnliche Faktoren reduzierter Druck - als maßgeblicher Wert in die Eingabemaske einzugeben ist, so wie das der TÜV-Gutachter und die Mitarbeiter des LANUV bei ihren Berechnungen getan haben.

Entscheidend ist dabei der zugelassene maximale Druck. Demgegenüber ist unerheblich, ob der tatsächlich erreichte Kavernendruck, wie von der Klägerin mit ihrem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu 2. geltend gemacht, regelmäßig nur 130 bar beträgt. Maßgeblich ist der zugelassene Betrieb, als eine realistische Betriebssituation, in deren Rahmen der zu betrachtende Störfall eintreten kann. Entsprechend war auch dieser Beweisantrag abzulehnen.

Das von den B2. -Gutachtern - und der Klägerin - als aussagekräftig angesehene Programm Aloha bestätigt bei Eingabe der maßgelblichen Betriebsverhältnisse des Kavernenbetriebs das von dem TÜV gewonnene Ergebnis, dass das streitige Wohnbauvorhaben im Störfall einer Wärmestrahlung von 12 kW/m² ausgesetzt ist. Bei dieser Sachlage bedurften die Einzelheiten der unterschiedlichen Herleitung der im Wesentlichen gleichen Ergebnisse keiner weiteren vertiefenden Betrachtung und ist den von der Klägerin in diesem Zusammenhang gegenüber dem vom TÜV gewählten Ansatz erhobenen Einwendungen nicht weiter nachzugehen. Durchgreifende Bedenken gegen diese Ansätze, die zugleich die Aussagekraft der Ergebnisse der vom LANUV vorgenommenen Aloha-Berechnung in Frage stellen würden, ergeben sich nicht. Das betrifft namentlich die Frage der Berechnung des Massenstroms sowie die - hierauf zielte der Beweisantrag 1.5 - zugrunde gelegten Druckverhältnisse. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass für die Berechnung der Sicherheitsabstände nach dem Programm Aloha - wie ausgeführt - allein der Kaverneninnendruck maßgeblich ist; der Massenstrom wird von Aloha (nur) berechnet und ist kein für die Berechnung maßgeblicher Eingabefaktor.

Im Übrigen erhält der vom TÜV angesetzte Massenstrom von 165 kg/s eine gewisse Bestätigung durch die (iterative) Berechnung des LANUV in seiner Stellungnahme vom 28. November 2011. Die Eingabegrößen sind im Anhang zur Stellungnahme des LANUV aufgeführt, ebenso die Berechnungsgrundlagen. Hinweise auf durchgreifende, die Aussagekraft der Abschätzung in relevantem Umfang relativierende Fehler bei den Berechnungsgrundlagen, welche Anlass hätten bieten können, die in diesem Zusammenhang von Seiten des LANUV angelegten Excel-Tabellen anzufordern, sind nicht ersichtlich. Die Erwägung der B2. -Gutachter, aus physikalischen bzw. technischen Gründen sei ein Massenstrom von mehr als 120 kg/s nicht denkbar, vermag nicht zu überzeugen. Die diesbezügliche Berechnung beruht auf der Annahme eines Idealgasverhaltens, wie der Gutachter in der mündlichen Verhandlung - ohne dass dem die B2. -Gutachter entgegengetreten wären - bestätigt hat. Indes überzeugt die Annahme der Gutachter Dr. H1. und Dr. L. , in dem gegebenen Zusammenhang sei nicht von einem Idealgasverhalten auszugehen, sondern ein Realgasverhalten zu berücksichtigen, welches zu einer höheren Dichte führe. Entsprechend seien höhere Quellströme als 120 kg/s plausibel. Der Verweis auf den in dem Sicherheitsbericht vom August 2002 (vgl. dort Kap. 5, S. 21) von der Fa. J1. angeführten Massenstrom von 87,7 kg/s ist, auch wenn sich die technischen Verhältnisse der Kaverne seither nicht geändert haben, ebenfalls nicht zielführend. Denn es war - wie die Beigeladene herausgestellt hat - im Besonderen das Schadensereignis in N1. C. im Jahr 2004 (Blow out einer Kaverne mit Zündung der Gaswolke) Anlass, den bei Gaskavernen in Deutschland bis dahin einzuhaltenden Sicherheitsabstand zu hinterfragen und insoweit neue Berechnungen unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse zur Bestimmung von Wärmestrahlleistungen anzustellen. Soweit ersichtlich wurden in diesem Zusammenhang erstmals speicherspezifische Massenstromberechnungen auf Basis der konkreten Daten - etwa der Kaverne W1. 2 - durchgeführt.

Für die Validität der Annahme des TÜV zum Massenstrom spricht auch der vom Bergamt N. bereits im Bauvorbescheidsverfahren mit Schreiben vom 15. September 2005 vorgelegte Bericht einer Arbeitsgruppe zu den "Auswirkungen von Störfällen im Speicherbetrieb auf die Nachbarschaft" (vgl. dort S. 3 und 8) vom 8. Oktober 2001. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass bei einer Austrittsfläche von 200 mm (W. 2: 198,7 mm), einer Tiefe des Rohrschuhs von 1.000 m (W. 2: 1.055 m) und einem Druck am Rohrschuh von 190 bar (W. 2: max. 204 bar) bei einem Blow out an der Austrittsöffnung ein Massenstrom von 165 kg/s entsteht. Soweit die Gutachter von B2. auf die Massenströme verweisen, die nach ihren Eingaben das Berechnungsprogramm von Aloha auswiesen, ist wiederum darauf zu verweisen, dass die Eingaben zum Druck ("Pipe Pressure") offensichtlich fehlerhaft waren.

Verbleibende Friktionen im Hinblick auf die Frage, welcher Massenstrom im Störfall zugrunde zu legen ist, sind bei der gegebenen Sach- und Beweislage zu vernachlässigen. Auch der in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Frage des genauen Druckverhaltens am Rohrschuh bei Auftreten des Störfalls, welche die Klägerin mit ihrem Beweisantrag Nr. 1.3 ins Auge gefasst hat, ist nicht weiter nachzugehen. Entscheidend bleibt - wie ausgeführt -, dass das Programm Aloha - bei zutreffender Eingabe der Ausgangsdaten - und der TÜV zur allein entscheidenden Frage, innerhalb welchen Abstands im betrachteten Störfall kritische Wärmestrahlungen zu erwarten sind, zu weitgehend übereinstimmen Ergebnissen gelangen. Auch deshalb bedurfte es letztlich keiner weitergehenden Vertiefung der einzelnen Berechnungsschritte des LANUV und war die Anordnung der Vorlage weiterer Unterlagen der Massenstromberechnung der Gutachter des LANUV entsprechend dem Beweisantrag der Klägerin zu 2. auch schon deshalb entbehrlich und bedurfte es zudem keiner weiteren sachverständigen Stellungnahme zu der Frage, welcher Massenstrom am Kavernenkopf herrscht (Beweisantrag 1.4). Auch war zu den von der Klägerin mit den Beweisanträgen zu 1.1 bis 1.3 angesprochenen (technischen) Zusammenhängen, kein (weiteres) Gutachten einzuholen.

Die Einholung eines (weiteren) Gutachtens zur Innenrauhigkeit des Steigrohrs, zur Ausflussziffer sowie zu den am Rohrschuh entstehenden Reibungsverlusten (vgl. Ziffer 1 des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags) erübrigt sich insbesondere auch dann, wenn man - wie auch die Kläger selbst - den Sicherheitsabstand nach dem Aloha-Programm berechnet. Den Reibungsverlusten am bzw. im Rohr trägt das Aloha-Programm - wie ausgeführt - Rechnung, ohne dass diese Faktoren im konkreten Einzelfall zusätzlich gesondert ermittelt werden müssten. Ebenso wird die Innenrauhigkeit des Steigrohrs (nur) dadurch berücksichtigt, dass man bei der Eingabemaske "Gas Pipeline Input" den Punkt "Rough Pipe" markiert, wie dies der Mitarbeiter des LANUV, Herr Dr. H1. , getan und in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat. Eine darüber hinausgehende Ermittlung der Innenrauhigkeit im Einzelfall ist nicht erforderlich. Eine Reduzierung des Massenstroms durch Angabe einer diesen reduzierende Ausflussziffer sieht das Programm Aloha nicht vor.

Soweit die Klägerin mit dem Beweisantrag zu 1.2 eine Ausflusszahl von höchsten 0,65 in Abhängigkeit von einem gezackten Bruch behauptet, kann dem im Übrigen schon auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Darstellung nicht gefolgt werden. Wie Herr Dr. H1. in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, wird in den Fachkreisen ein Vollabriss des Sondenkopfs im Querschnitt immer als Guillotinenabriss bezeichnet, unabhängig davon, dass sich eine gezackte Bruchstelle ergebe. Zugleich ist nicht notwendig mit weiteren Deformationen des Steigrohrs im Bereich der Abrissstelle zu rechnen. Danach ist aber durchaus nachvollziehbar, dass sich im Störfall aus dem gezackten Abriss nicht notwendig ein weitergehender Widerstand für den Ausfluss ergibt.

2.4 Die nach alledem festzustellende Unterschreitung des einzuhaltenden Sicherheitsabstands führt dazu, dass die von der Klägerin mit dem Vorbescheidsantrag begehrte Wohnnutzung der ehemaligen Katstelle auf dem Flurstück 31 öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB beeinträchtigt. Das Vorhaben ist daher planungsrechtlich unzulässig und verletzt mit Blick auf die damit einhergehende Gefahr von Betriebsbeeinträchtigungen zugleich subjektive Rechte der Beigeladenen.

Anders als bei den privilegierten Vorhaben, bei denen entsprechend ihrem gesteigerten Durchsetzungsvermögen die öffentlichen Belange entgegenstehen müssen, dürfen sonstige Vorhaben - zu denen im Grundsatz auch Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 4 BauGB gehören - die öffentlichen Belange nicht einmal beeinträchtigen. Indem das Gesetz in § 35 Abs. 2 BauGB bereits eine Beeinträchtigung als einen "entgegenstehenden" öffentlichen Belang genügen lässt, legt es zugleich fest, dass ein sicherer Nachweis nicht erforderlich ist, weil dieser häufig im Außenbereich nicht zu führen sein wird. § 35 Abs. 2 BauGB begnügt sich mit dem Maßstab verständiger Plausibilität und stellt darauf ab, ob nach Lage der Verhältnisse des Einzelfalls eine Beeinträchtigung anzunehmen ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. November 1994 - 4 B 226/94 -, BRS 56 Nr. 79 = juris Rn. 5; Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand: Mai 2011, § 35 Rn. 54.

Für die Beurteilung, ob gemessen daran im konkreten Einzelfall öffentliche Belange beeinträchtigt werden, weil ein sonstiges Vorhaben - wie hier - schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ausgesetzt ist, können insbesondere die Kriterien herangezogen werden, die der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. September 2011 - C-53/10 - (dort Rn. 44) zur Ausfüllung des Wertungsspielraums bei der Anwendung des Abstanderfordernisses nach Art. 12 Abs. 1 der Seveso II - Richtlinie 96/82/EG genannt hat. Zu berücksichtigen sind also insbesondere die Art der jeweiligen gefährlichen Stoffe, die Wahrscheinlichkeit eines schweren Unfalls sowie die Folgen eines etwaigen Unfalls für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Art der Tätigkeit der neuen Ansiedlung oder die Intensität ihrer öffentlichen Nutzung und die Leichtigkeit gehören, mit der Notfallkräfte bei einem Unfall eingreifen können.

Ausgehend davon führt die Unterschreitung des nach § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV zum Schutz von Leib und Leben einzuhaltenden Sicherheitsabstands im vorliegenden Fall zur Unzulässigkeit des in Rede stehenden Wohnbauvorhabens der Klägerin und zu einem Abwehrrecht der Beigeladenen.

Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass es sich bei der Gaskaverne W. 2 um einen Betrieb handelt, der nicht "willkürlich" an jeder beliebigen Stelle im planungsrechtlichen Außenbereich eingerichtet werden kann. Die Einrichtung einer Gaskaverne setzt vielmehr bestimmte geologische Gegebenheiten - etwa wie in Y. einen Salzstock bestimmter Mächtigkeit und Homogenität - voraus und erfolgt im Rahmen eines aufwändigen Verfahrens (Kavernenbohrung, Solen der Kaverne, Installation der Komplettierung, Nachweis der Kavernenintegrität, Erstbefüllung). Nach Aufnahme des Betriebs der Gaskaverne wäre eine Verlagerung des Betriebs mit einer Betriebsaufgabe am konkreten Standort gleichzusetzen und mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen verbunden. Von daher ist das Interesse des nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegierten Betriebs an der Fortführung des (uneingeschränkten) Betriebs am konkreten Standort hoch zu gewichten.

Derart gewichtige Interessen kann die Klägerin auch nicht annähernd ins Feld führen. Zwar war die Katstelle als solche schon lange vor der Errichtung der Gaskaverne W. 2 vorhanden. Die Wohnnutzung des im Eigentum der Klägerin stehenden Gebäudes wurde allerdings mit der endgültigen Aufgabe der Nutzung der Katstelle für landwirtschaftliche Zwecke - als Wohnstelle eines Landarbeiters - Ende der 1960er Jahre endgültig aufgegeben. In der Folgezeit erfolgte zunächst durch den Vater der Klägerin und dann durch diese selbst lediglich eine Nutzung als "Wochenend- und Freizeithaus" - also quasi vergleichbar einem "Schrebergarten". Eine (dauerhafte) Wohnnutzung fand dagegen nicht statt und wird von der Klägerin auch nicht substantiiert geltend gemacht. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus dem Wertgutachten des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Dr.-Ing. W2. vom 1. Februar 2010. In diesem Wertgutachten wird - was die von dem Sachverständigen gefertigten Fotos des Innenausbauzustands belegen - festgestellt, dass in dem Gebäude allenfalls "provisorisches Wohnen möglich" sei. Im Übrigen wurde dem Vater der Klägerin mit bestandskräftiger Ordnungsverfügung des seinerzeit zuständigen Oberkreisdirektors des Kreises N. vom 6. März 1972 die Fortführung von Bauarbeiten zur Errichtung eines Brunnens, einer Kläranlage und eines Wochenendhauses untersagt. Des Weiteren lehnte der Oberkreisdirektor des Kreises N. mit bestandskräftigem Bescheid vom 20. Oktober 1970 den von dem Vater der Klägerin beantragten "Um- und Ausbau des ehemaligen Landarbeiterwohnhauses" ab, nachdem die Beklagte seinerzeit ihr Einvernehmen mit der Begründung verweigert hatte, es handele sich um eine nach § 35 BBauG unzulässige (Wohn-)Nutzung. Auch in der Folgezeit ist eine baurechtliche Genehmigung für eine Nutzung des Gebäudes zu Wohnzwecken nicht erteilt worden. Im Zeitpunkt der Errichtung des Kavernenkopfes Anfang der 1980er Jahre bestand für den Betreiber daher keine Veranlassung, auf eine bestandsgeschützte Wohnnutzung der ehemaligen Katstelle Rücksicht zu nehmen.

Eine Rücksichtnahmepflicht der Beigeladenen gegenüber der Klägerin dergestalt, dass sie die Wohnnutzung der ehemaligen Katstelle hinnehmen müsste, lässt sich auch nicht dem von dem Vater der Klägerin und der ehemaligen Beigeladenen geschlossenen Nutzungsvertrag vom 1. Juli 1977 und dem Kaufvertrag vom 25. Oktober 1979 entnehmen. Soweit dem Vater der Klägerin in § 4 des Kaufvertrags ein Recht zu Nutzung der X2.----straße - welches durch eine Dienstbarkeit abgesichert werden soll - eingeräumt wird, enthält dies keinen Verzicht der (ehemaligen) Beigeladenen auf etwaige Abwehransprüche gegen eine zukünftige Wohnnutzung. § 6 des Nutzungsvertrags regelt alleine die Haftung für entstehende Schäden, schließt aber keine nachbarlichen Abwehransprüche aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.