OLG Köln, Urteil vom 15.12.2011 - 18 U 188/11
Fundstelle
openJur 2012, 83594
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 05.05.2011 wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 45.832,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.06.2010 zu zahlen. Dem Beklagten bleibt vorbehalten, nach Erstattung an die Masse seine Rechte gegen den Kläger wegen der unter II.1.c) dieses Urteils aufgeführten Forderungen zu verfolgen, wobei sich der ihm zustehende Anspruch nach Rang und Höhe mit dem Betrag deckt, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der N2 GmbH & Co. B2 KG (künftig: Schuldnerin), an der der Beklagte als Kommanditist beteiligt ist. Er nimmt diesen als faktischen Geschäftsführer der Schuldnerin auf Ersatz von nach Insolvenzreife geleisteten Zahlungen in Anspruch.

Die Schuldnerin wurde im März 2008 gegründet. Komplementärin ist die bereits 2003 gegründete N2 GmbH, deren Geschäftsführerin Frau X ist. Der Beklagte, der vielfältig im Bereich der Gastronomie tätig ist, u. a. betreibt er das Lokal „E2“, ist sowohl Kommanditist der Schuldnerin als auch Gesellschafter der Komplementärin.

Die Schuldnerin übernahm im Juni 2008 das Lokal „B“ in Q2-T2. In diesem Lokal betätigte sich auch Herr H Q, der mit der Geschäftsführerin X verschwägert ist. Diesem warf der Beklagte im Herbst 2008 Veruntreuungen vor. In der Folgezeit wurden von dem Verpächter die Schlösser des Lokals ausgewechselt, sodass Herr Q und die Geschäftsführerin keinen Zugang mehr hatten. Während der Zahlungsverkehr der Schuldnerin zunächst über ein für diese vom Beklagten eingerichtetes Konto bei der T3 abgewickelt wurde, erfolgte er ab Dezember 2008 über das Konto mit der Nummer 00000000 bei der T4, dessen Inhaberin die L2 mbH ist. Alleingesellschafter der L2 mbH ist der Beklagte; bis zum 15.12.2008 war er auch deren Geschäftsführer. Auf Antrag einer Krankenkasse vom 11.02.2009 wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 01.05.2009 (73 IN 71/09) das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Kläger hat behauptet: Die Schuldnerin sei seit November 2008 zahlungsunfähig gewesen. Dies ergebe sich daraus, dass unstreitig im November 2008 fällige Verbindlichkeiten der Schuldnerin in Höhe von 32.656,59 € - wegen der Einzelheiten wird auf die Aufstellung in der Anlage K 3 zur Klageschrift (Bl. 13 d. A.) verwiesen - bis zur Insolvenzeröffnung nicht erfüllt worden seien. Diese hätten jeweils mehr als 10 % der fälligen Verbindlichkeiten der Schuldnerin ausgemacht. Jedenfalls ab Dezember 2008 sei der Beklagte der faktische Gesellschafter der Schuldnerin gewesen, denn er habe die Gaststätte nach dem Austausch der Schlösser in Besitz gehabt, einen neuen Betriebsleiter bestellt, Anmeldungen der Mitarbeiter zur Krankenversicherung veranlasst und den Zahlungsverkehr der Schuldnerin abgewickelt. Der Kläger nimmt den Beklagten für die in der Zeit ab dem 01.02.2009 erfolgten Überweisungen in Höhe von 23.061,29 € - wegen der einzelnen Zahlungen und ihrer Empfänger wird auf die Anlage K 4 zur Klageschrift (Bl. 14f. d. A.) Bezug genommen - sowie Barzahlungen in Höhe von 22.770,94 € - insoweit wird auf das als Anlage K 7 zum Schriftsatz des Klägers vom 25.08.2010 vorgelegte Kassenbuch der Schuldnerin für die Zeit ab Februar 2009 (Bl. 122 ff. d. A.) verwiesen - insgesamt also 45.832,23 € in Anspruch.

Der Beklagte hat bestritten, die Geschäfte der Schuldnerin jemals geführt zu haben. Soweit er aktiv geworden sei, habe er nur seine Rechte als Kommanditist wahrgenommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Aus dem Vortrag des Klägers ergebe sich nicht, dass der Beklagte faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung, des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien sowie der gestellten Anträge wird auf das Urteil vom 05.05.2011 Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers, mit der er sein ursprüngliches Begehren weiter verfolgt. Er führt eine Reihe - teilweise bestrittener - Umstände an, aus denen sich ergebe, dass der Beklagte doch faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Beklagte verurteilt wird, an ihn 45.832,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.06.2010 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt weiterhin der Behauptung entgegen, er sei faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin gewesen und bestreitet außerdem die Insolvenzreife der Schuldnerin.

Der Senat hat Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 20.09.2011 durch Vernehmung der Zeugen X, Dr. I und G. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10.11.2011 Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig und im Wesentlichen auch begründet.

1. Der Beklagte haftet für die von der Schuldnerin in der Zeit ab dem 01.02.2009 noch geleisteten Zahlungen gemäß § 130a Abs. 2 S. 1 HGB.

a) Der Senat muss davon ausgehen, dass die Schuldnerin bereits seit November 2008 insolvenzreif war. Auf der Grundlage des Vortrags des Klägers lag bei der Schuldnerin seit Anfang November 2008 der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit in der Form der Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 S. 2 InsO) vor. Eine solche Zahlungseinstellung liegt trotz der fortlaufenden Zahlung auf einzelne Forderungen schon dann vor, wenn ein erheblicher Teil der fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlt wird. Erheblich sind die nicht bezahlten fälligen Forderungen dann, wenn sie mindestens 10 % aller fälligen Forderungen ausmachen. Dauert die Nichtzahlung länger als drei Wochen, handelt es sich auch nicht nur um eine Liquiditätslücke (vgl. BGH, Urteil vom 21.06.2007 - IX ZR 231/04 -, Rn 29 ff.).

Der Kläger hat dargelegt, dass bereits im November 2008 fällige Forderungen in einer Größenordnung von mindestens 32.656,59 € gegen die Schuldnerin bestanden, die bis zur erst Monate danach erfolgten Insolvenzanmeldung nicht bezahlt wurden. Diese Forderungen sind „erheblich“ im vorstehend beschriebenen Sinne, denn es ist unbestritten, dass zu keinem Zeitpunkt vor Insolvenzeröffnung fällige Forderungen in Höhe von über 300.000 € bestanden haben, sodass die bis zur Insolvenzeröffnung bestehen gebliebenen Forderungen nur weniger als 10 % der gesamten fälligen Verbindlichkeiten der Schuldnerin ausgemacht hätten.

Die vom Beklagten gegen die Insolvenzreife der Schuldnerin vorgetragenen Einwände vermögen an dieser Bewertung nichts zu ändern. Er richtet sich mit seiner Argumentation im Wesentlichen gegen die Annahme einer Überschuldung der Schuldnerin i. S. des § 19 InsO; nur hierfür kann es auf den Bilanzverlust, offene, aber nicht berücksichtigte Forderungen und/oder die Fortbestehensprognose ankommen. Für den Insolvenzgrund der Zahlungseinstellung sind diese Faktoren dagegen unerheblich, sodass es auch nicht der Vernehmung der hierzu vom Beklagten benannten Zeugen E und Dr. X2 bedurfte. Der vom Beklagten noch angeführte Umstand, dass auch in dem hier fraglichen Zeitraum noch Zahlungen erfolgt sind, betrifft zwar den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit, ihm kommt jedoch keine erhebliche Bedeutung zu. Dies beruht darauf, dass aus den vorstehend dargelegten Gründen der Insolvenzgrund der Zahlungseinstellung es nicht erfordert, dass gar keine Zahlungen mehr geleistet werden, sondern es schon ausreicht, wenn ein „erheblicher“ Teil der fälligen Verbindlichkeiten nicht erfüllt wird.

b) Der Beklagte haftet für die seit Februar 2009 aus dem Vermögen der Schuldnerin noch geleisteten Zahlungen, weil er im fraglichen Zeitraum deren faktischer Geschäftsführer war. Es entspricht zu Recht ganz herrschender Meinung, dass die Insolvenzantragspflicht auch den faktischen Geschäftsführer trifft (BGH, Urteil vom 11.07.2005 - II ZR 235/03 -, Rn 8 - 11; ebenso Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG 19. Aufl., 2010, § 64 Rn 9; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., 2009, Anh. § 64 Rn 67; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, 10. Aufl., 2010, Anh. § 64 Rn 22; Strohn, DB 2011, 158, 166)

Für den Senat steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Beklagte zumindest seit Anfang November 2008 die Geschicke der Schuldnerin gelenkt hat. Für die Beurteilung, ob eine Person im Rahmen des Haftungstatbestandes des § 64 GmbHG - für die hier maßgebliche Parallelvorschrift des § 130a HGB kann nichts anderes gelten - als faktischer Geschäftsführer anzusehen ist, kommt es im Rahmen einer Gesamtschau darauf an, „ob der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft - und zwar nicht nur durch interne Einwirkung auf die satzungsmäßigen Geschäftsführer, sondern durch eigenes, auch nach außen hervortretendes Handeln - so maßgeblich in die Hand genommen hat, dass ihm auch die Verantwortung für die rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags zufällt“, wobei es nicht darauf ankommen soll, ob der bestellte Geschäftsführer völlig aus seiner Position verdrängt wird (BGH, Urteil vom 21.03.1988 - II ZR 194/87 -, BGHZ 104, 44, 47). Soweit der Beklagte in seinem letzten Schriftsatz auf weitere Kriterien abstellt, entstammen diese strafrechtlichen Entscheidungen, die nicht ohne Weiteres auf die hier zu entscheidende zivilrechtliche Haftungsfrage zu übertragen sind.

Der Senat stützt seine Überzeugung von der Stellung des Beklagten als faktischem Geschäftsführer auf folgende unstreitige oder bewiesene Indizien:

-          Die nominelle Geschäftsführerin, Frau X, ist nach der insoweit glaubhaften Darstellung des Zeugen Dr. I am 03.11.2008 zusammen mit Herrn Q von Personen aus der Begleitung des Beklagten zwar freundlich, aber doch bestimmt aus dem Lokal entfernt worden. Dieser Darstellung des Zeugen hat der bei der Vernehmung anwesende Beklagte im Unterschied etwa zu der weiteren Aussage des Zeugen bezüglich des Austauschs der Schlösser nicht widersprochen. Am selben Tag wurden - sei es durch den Beklagten, sei es durch den Zeugen Dr. I - die Schlösser der Gaststätte ausgetauscht. Weder die Geschäftsführerin X noch der für sie tätige Herr Q erhielten Schlüssel zu den neuen Schlössern. Sie hatten im Unterschied zum Beklagten, der die Gaststätte zunächst über eine andere Gesellschaft, nämlich die L2 GmbH fortführen wollte, von diesem Tag an keinen ungehinderten Zugang mehr zu der Gaststätte. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sie diese danach überhaupt noch einmal betreten haben. Ihre Aktivitäten in der Folgezeit beschränkten sich im Wesentlichen darauf, dass sie namens der Schuldnerin Rechtsanwälte beauftragte, um gegen die Kündigung des Pachtvertrages seitens des Zeugen Dr. I vorzugehen und eine Gesellschafterversammlung einzuberufen. Damit konnte sie keinen nennenswerten Einfluss auf die Geschicke der Schuldnerin mehr nehmen.

-          Bereits vor November 2008 war der bargeldlose Zahlungsverkehr der Schuldnerin über ein vom Beklagten eingerichtetes Konto, über das er allein verfügen konnte, abgewickelt worden. Nachdem dieses Konto gepfändet worden war, erfolgte der bargeldlose Zahlungsverkehr über ein Konto der L2, deren Alleingesellschafter der Beklagte ist und deren Geschäftsführer er bis zum 15.12.2008 war. Auf dieses Konto wurde auf Veranlassung des Beklagten auch der Kreditkartenterminal im „B2“ umgestellt. Selbst wenn dies im Vorgriff auf eine geplante Übernahme des Lokals durch die L2 geschehen sein sollte, zeigt dies doch, dass der Beklagte auch insoweit über einen für die Finanzwirtschaft bei der Schuldnerin wesentlichen Faktor nach Belieben verfügen konnte.

-          Nachdem der Restaurantleiter Fragnelli im November/Dezember 2008 ausgeschieden war, war es eine dem Beklagten jedenfalls zuzurechnende Entscheidung, als neuen Restaurantleiter Herrn N einzusetzen. Selbst wenn es so wäre, dass die Zeugin G die Idee gehabt hatte, Herrn N aus einer anderen Gaststätte des Beklagten, der „D“ in den „B2“ zu versetzen und sie auch die diesbezüglichen Absprachen getroffen hatte, ist diese Entscheidung dem Beklagten zuzurechnen. Frau G ist seine Mitarbeiterin. Ihr Arbeitsplatz ist in dem Gebäude der vom Beklagten betriebenen „E2“. Formal war sie damals bei einem Unternehmen „D2“ angestellt, das auch zum Unternehmensbereich des Beklagten gehört, auch wenn er seit 2004 nicht mehr dessen Geschäftsführer gewesen sein mag. Ihre Aufgabe betraf aber die Verwaltung auch anderer Gaststätten, an denen der Beklagte maßgeblich beteiligt war und ist. Für die Zeugin G war nach ihrer überzeugenden Darstellung, der der auch bei dieser Aussage anwesende Beklagte nicht widersprochen hat, allein der Beklagte derjenige, der ihr Weisungen erteilen konnte. Von daher ist es auch überzeugend, wenn die Zeugin angibt, dass der Beklagte über die Versetzung des Herrn N in den „B2“ zumindest zeitnah von ihr informiert worden sei und er diese Entscheidung gebilligt habe. Für die Stellung eines faktischen Geschäftsführers ist es aber nicht erforderlich, dass bestimmte Maßnahmen eigenhändig getroffen werden, es reicht vielmehr aus, dass sie im Herrschafts- und Verantwortungsbereich erfolgen und deshalb zuzurechnen sind. Dies folgt bereits daraus, dass auch ein ordentlich bestellter Geschäftsführer nicht alle Maßnahmen selbst trifft, sondern im Rahmen seiner Verantwortung auch Aufgaben delegieren kann.

-          Es war auch der Beklagte, der von Außenstehenden in der Folgezeit als der maßgebliche Ansprechpartner auf Seiten der Schuldnerin angesehen wurde. Dies galt insbesondere für den Zeugen Dr. I. Dieser wandte sich wegen außenstehender Pachtzahlungen Ende 2008 an den Beklagten und erlangte von diesem die Zusage, dass die Zahlung erfolgen werde. Tatsächlich erfolgte diese dann auch über das unter der Kontrolle des Beklagten stehende Konto der L2. Der Beklagte ist auch gegenüber weiteren Personen als die maßgebliche Person im „B2“ aufgetreten. So heißt es in einem Schreiben des Beklagten an die C-Brauerei vom 02.12.2008:

„Zurzeit wird das Objekt von mir als Gesellschafter betrieben.“ (Anlage K 2 zur Klageschrift; Bl. 11 d. A.)

und in einem Schreiben seines jetzigen Prozessbevollmächtigten ohne Datum

„Herr L hat mitgeteilt, dass er den Besitz an dem Objekt nach wie vor für die N2 GmbH & Co. B2 KG hält.“ (Anlage K 5 zum Schriftsatz des Klägers vom 25.08.2010; Bl. 99 d. A.)

-          Schließlich war es der Beklagte, der seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der Steuerberatung für die Schuldnerin betraut hat, nachdem der frühere Steuerberater, S E, seine Tätigkeit eingestellt hatte. Auch hierbei handelt es sich um eine grundlegende Entscheidung für die Gesellschaft, die typischerweise deren Vertretungsorganen vorbehalten ist.

Insgesamt ergibt sich aus der Summierung dieser Indizien für den Senat, dass nach dem 03.11.2008 bei der Schuldnerin ohne den Beklagten „nichts mehr gegangen wäre“. Diese hätte nur noch den Betrieb einstellen können und schon zu diesem Zeitpunkt Insolvenz anmelden müssen. Aufgrund dieser beherrschenden Stellung des Beklagten ist es dann aber auch sachgerecht, ihn im Rahmen der Haftung des § 130a HGB die Verantwortung dafür tragen zu lassen, dass bis zur Insolvenzeröffnung noch in erheblichem Umfang Zahlungen von der Schuldnerin erfolgt sind.

Auf die Vernehmung der weiteren im Beweisbeschluss des Senats aufgeführten Zeugen kommt es hierbei nicht an. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass er die Beweisaufnahme nicht fortsetzen wolle, weil nicht erkennbar sei, welche erheblichen Indizien die noch nicht vernommenen Zeugen bekunden sollten. Es ist weiterhin nicht erkennbar, dass die noch nicht vernommenen Zeugen irgendetwas bekunden sollen, aufgrund dessen der Senat hinsichtlich der faktischen Geschäftsführerstellung zu einem anderen Ergebnis kommen könnte. Dies gilt insbesondere für den Vortrag, dass der Zeuge N bekunden könne, der Beklagte habe sich nicht um den laufenden Geschäftsbetrieb gekümmert. Angesichts des Umstandes, dass Herr N als Restaurantleiter eingesetzt worden war, der das Tagesgeschäft zu erledigen hatte, ist dieser Umstand für die Feststellung des Senats, dass der Beklagte der faktische Geschäftsführer war, ohne Bedeutung, sodass es auf die Aussage des Zeugen nicht ankommt.

Der Beklagte selbst hatte im Rahmen der Beweisaufnahme jederzeit die Möglichkeit, sich zu den Zeugenaussagen und den aus Sicht des Senats erheblichen Tatsachenfragen zu äußern und er hat hiervon auch Gebrauch gemacht. Von daher ist genau das geschehen, was der Senat mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beklagten bezweckt hatte; weiterer Fragebedarf bestand aus Sicht des Senats nicht; auch andere Verfahrensbeteiligte haben nicht zu erkennen gegeben, dass  sie noch Fragen an den Beklagten hatten. Einer Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers bedurfte es nicht, weil nicht ersichtlich ist, dass er zu der entscheidungserheblichen, im Beweisbeschluss benannten Frage aus eigenem Wissen etwas Erhebliches erklären könnte.

Die Auffassung des Beklagten, dass faktischer Geschäftsführer nur sein könne, wer die Geschäfte der Gesellschaft mit dem Willen der Gesellschafter führe, was für ihn unstreitig gerade nicht zutreffe, teilt der Senat nicht. Auch dieses Erfordernis entstammt der strafrechtlichen Rechtsprechung (BGH NJW 2000, 2285f.; OLG Karlsruhe NJW 2006, 1364f.), zivilrechtliche Rechtsprechung zu dieser Frage liegt dagegen nicht vor. Im zivilrechtlichen Schrifttum wird diese Frage unterschiedlich beantwortet. Es überwiegt die Auffassung, dass es hierauf für die Haftung gemäß § 64 GmbHG bzw. § 130a HGB nicht ankomme (K. Schmidt, in: Scholz, a. a. O., Anh. § 64 Rn 22; Strohn, DB 2011, 158, 163; a. A. Haas, in: Baumbach/Hueck, a. a. O., § 64 Rn 9). Dem schließt sich der Senat an. Für die Strafbarkeit wegen unterlassener Insolvenzantragstellung kommt es darauf an, ob überhaupt die Berechtigung zur Insolvenzantragstellung besteht. Das wird man für einen faktischen Geschäftsführer, der nicht zumindest von der Gesellschaftermehrheit getragen wird, verneinen müssen, weil er die Gesellschaft weder formell noch materiell vertreten darf. Das kann man aber für die Pflicht zur Masseerhaltung anders beurteilen. Hier ist es durchaus sachgerecht, dass denjenigen die Haftung trifft, der rein faktisch über die Möglichkeit zur Erhaltung der Masse verfügt. Von daher steht auch der Umstand, dass der Beklagte wohl nicht von einer Gesellschaftermehrheit getragen worden ist, einer Haftung nicht entgegen.

c) In der Zeit seit dem 01.02.2009 sind unter der Verantwortung des Beklagten folgende Zahlungen vom Konto der L2, das unstreitig nur aus Einzahlungen der Schuldnerin gespeist worden war, geleistet worden:

Datum

Empfänger

Betrag in €

02.02.2009

Dr. I Hausverwaltung

3.570,00

05.02.2009

S2

42,09

09.02.2009

Steuerberater Dr. X2

1.110,01

12.02.2009

S2

36,08

D2

13,88

16.02.2010

Gerichtskasse L7

161,84

Gerichtskasse L7

89,00

Notar D3

89,85

Gewerbesteuer

50,00

17.02.2009

E3 GmbH

736,21

789,12

H2 Gasversorgung

1.000,00

C2 & U GmbH

471,75

239,51

19.02.2009

S2

28,36

25.02.2009

S3 AG

135,00

7,60

98,62

E3 GmbH

658,29

482,21

I2 GmbH & Co. KG

643,28

148,75

C2 & U GmbH

165,39

254,34

L3GmbH & Co. KG

150,54

37,13

U2 AG

68,35

26.02.2009

S2

81,12

03.03.2009

T3 L4

500,00

05.03.2009

S3 AG

1.146,91

J GmbH

1.683,46

I2 GmbH & Co. KG

1.178,52

J GmbH

347,10

678,89

09.03.2009

H2 GmbH

1.729,05

C2 & U GmbH

230,62

26,03

I2 GmbH & Co. KG

615,45

L5GmbH & Co. KG

338,26

367,72

L3GmbH & Co. KG

103,30

16.03.2009

I2 GmbH & Co. KG

1.615,87

J GmbH

1.095,77

17.03.2009

D2

46,02

23.061,29

Außerdem erfolgten folgende Barzahlungen:

Datum

Empfänger

Betrag in €

01.02.2009

20,01

C3W

732,00

283,90

111,20

02.02.2009

C3W

93,50

B3 O

50,00

D4 P

60,00

319,60

57,00

03.02.2009

I2

40,05

40,80

125,00

165,80

04.02.2009

T3 L4

50,00

K N 01/09

2.000,00

46,90

126,50

05.02.2009

48,00

06.02.2009

I2

9,51

68,85

49,90

T3 L4

500,00

65,30

104,20

07.02.2009

15,54

I2 N2

700,00

63,00

543,20

55,90

08.02.2009

T3 L4

100,00

265,00

149,00

10.02.2009

233,60

335,63

11.02.2009

213,90

174,90

12.02.2009

I2

11,92

31,28

I2

123,03

0,10

L6

9,00

49,90

13,27

271,30

13.02.2009

Reinigung C4

21,75

B4 T4

36,00

258,80

14.02.2009

I2

65,23

X3 O2

112,00

Rückzahlung Leihgabe

2.500,00

590,40

91,40

744,20

15.02.2009

195,50

17.02.2009

Schürzen + Handtücher

28,76

37,58

T3 L4

200,00

68,60

242,20

175,40

18.02.2009

49,90

65,90

112,00

19.02.2009

Cafe C5

516,90

B3 O

50,00

D4 P

80,00

205,30

2.141,70

20.02.2009

80,86

I2

83,27

X3 O2

38,50

55,90

375,00

58,60

21.02.2009

68,85

B4 T4

60,00

158,00

139,70

22.02.2009

I2 N2

200,00

70,90

149,90

110,10

D4 P

350,00

71,90

25.02.2009

D4 P

300,00

26.02.2009

S4 Reinigung

46,50

20,02

I2

30,78

D4 P

350,00

182,00

27.02.2009

49,90

Reinigung C4

21,75

D4 P

350,00

I2 N2

700,00

230,30

400,60

28.02.2009

N2 S5

562,20

62,70

61,20

214,50

22.770,94

Dies sind sämtliche in dem Kassenbuch der Schuldnerin seit dem 01.02.2009 verzeichneten Zahlungen mit zwei Ausnahmen, nämlich der Zahlung in Höhe von 3.000,00 € am 15.02.2009 und in Höhe von 1.000,00 € am 24.02.2009. Diese hat der Kläger aus dem geltend gemachten Anspruch ausgenommen, weil die entsprechenden Beträge auf das Konto der L2 eingezahlt wurden, von dem aus Überweisungen für die Schuldnerin erfolgt sind.

Weder aus dem Vortrag des Beklagten noch sonst ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die vorgenannten Zahlungen der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters entsprachen (§ 130a Abs. 2 S. 2 HGB). Auch bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die jeweilige Gegenleistung bei Insolvenzantragstellung noch ungeschmälert im Vermögen der Schuldnerin befunden hat, was ebenfalls zu einem Haftungsausschluss führen könnte (vgl. Strohn, NZG 2011, 1161, 1164).

2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in dieser Sache hat dem Beklagten spätestens am 23.06.2010 vorgelegen, denn an diesem Tag beantragte sein jetziger Prozessbevollmächtigter eine Verlängerung der Stellungnahmefrist. Die Übersendung dieses Antrags zur Stellungnahme stellt eine konkludente Mahnung dar (Grüneberg, in: Palandt, BGB, 70. Aufl., 2011, § 286 Rn 18). Die Wirkung des Verzugs trat damit jedenfalls am 24.06.2010 ein; ein früherer Zugang des Antrags auf Prozesskostenhilfe mit der Folge, dass sich der Beklagte bereits am 23.06.2010 in Verzug befunden hätte, ist nicht feststellbar.

3. Der auch hier geltende schadenrechtliche Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung führt dazu, dass dem Beklagten vorzubehalten ist, die Ansprüche gegen die Schuldnerin, die durch die von ihm geleisteten Zahlungen erfüllt worden sind, mit gleichem Rang als Insolvenzforderung geltend machen zu können. Anderenfalls würde die Masse durch die vom Beklagten zu leistenden Ersatzzahlungen ungerechtfertigt bereichert. Der Umstand, dass hinsichtlich eines Teils der Barzahlungen unklar ist, auf welche Forderung geleistet wurde, geht zu Lasten des Beklagten, weil er es zu verantworten hat, dass Zahlungen geleistet wurden, ohne diese buchhalterisch hinreichend zu erfassen.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Die Voraussetzungen, unter denen die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen ist, liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Die Beantwortung der entscheidenden Frage, ob der Beklagte faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin war, hängt allein von der Bewertung der feststehenden oder bewiesenen Indiztatsachen und damit den konkreten Umständen des Einzelfalles ab.

V.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 45.832,23 € festgesetzt.