OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.12.2011 - 16 E 723/11
Fundstelle
openJur 2012, 83566
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 9. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren des Klägers abgelehnt, da die Klage entgegen § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Es spricht weit Überwiegendes dagegen, dass der Kläger zum Kreis derjenigen Personen zählt, die Leistungen nach dem Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen, neugefasst durch Bekanntmachung vom 25. Juni 2009 (BGBl. I S. 1537; im folgenden ContStifG), beanspruchen können. Sowohl in § 2 ContStifG (Stiftungszweck) als auch in § 12 Abs. 1 ContStifG (Leistungsberechtigte Personen) ist der Kreis der anspruchsberechtigten Personen weit gefasst (behinderte Menschen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können), um zugunsten etwaiger Betroffener der Unmöglichkeit einer über jeden Zweifel erhabenen Kausalitätsfeststellung Rechnung zu tragen. Gleichwohl fehlt es beim Kläger an hinreichenden Anhaltspunkten für eine Verbindung zwischen der Einnahme thalidomidhaltiger Arzneien durch seine Mutter und den bei ihm aufgetretenen Fehlbildungen an Armen und Händen. Dabei lässt der Senat mangels eigener oder vermittelter Sachkunde dahinstehen, ob wie die Beklagte unter Berufung auf eine eingeholte medizinische Stellungnahme vorträgt schon die Art der beim Kläger vorliegenden Missbildungen aus dem Schema thalidomidtypischer Schädigungsfolgen herausfällt. Jedenfalls kann aufgrund der zeitlichen Abfolge ausgeschlossen werden, dass die Mutter des im Juli 1955 geborenen Klägers während der ersten drei Schwangerschaftsmonate, also etwa zwischen Oktober 1954 und Januar 1955, ein von der Fa. Grünenthal GmbH vertriebenes thalidomidhaltiges Präparat eingenommen hat. Denn nach der unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Beklagten, die sich mit zahlreichen Veröffentlichungen deckt, ist zu dieser Zeit noch kein Medikament mit diesem Wirkstoff auf dem Markt gewesen. Der Wirkstoff Thalidomid ist im Jahr 1954 entwickelt worden, 1955 in die Erprobungsphase und am 1. Oktober 1957 in Deutschland vor allem als Schlaf und Beruhigungsmittel Contergan in den Handel gelangt.

Vgl. etwa Roth, in: Chemie unserer Zeit, 2005, 212 bis 217 (= www.kfaktor.com/contergan/files/ unendliche_geschichte.pdf), sowie www.gruenenthalopfer.de/Vorgeschichte; Widukind Lenz, The History of Thalidomide, www.thalidomide.ca.

Daneben enthielten auch andere zu jener Zeit in den Handel gelangte Medikamente wie etwa das Grippemittel Grippex den Wirkstoff Thalidomid. Thalidomidhaltige Arzneimittel wurden, überwiegend aufgrund vergebener Lizenzen, auch im Ausland vertrieben; allerdings wird in einer kanadischen Fachveröffentlichung, die sich auflistend mit der weltweiten Verbreitung solcher Medikamente befasst, ein Vertrieb auch in Polen nicht erwähnt und allgemein die Verfügbarkeit derartiger Mittel im Ausland für die Zeit vor dem 1. Oktober 1957 ausgeschlossen.

Vgl. Warren, The Many Faces of Thalidomide (from 1957 to 1966), www.thalidomide.ca.

Selbst wenn indessen in einzelnen Ländern thalidomidhaltige Arzneimittel schon vor dem 1. Oktober 1957 offiziell oder inoffiziell vertrieben worden sein sollten, wie dies sinngemäß der Kläger behauptet, könnte sich das in seinem Fall - ausgehend von seinen eigenen Angaben nicht ausgewirkt haben. Denn danach hat seine Mutter das während der Schwangerschaft eingenommene Medikament von einer Nachbarin bekommen, die es wiederum per Paket aus der Bundesrepublik Deutschland erhalten habe. Dass in (West)Deutschland Contergan erst im Herbst 1957 auf den Markt gekommen ist, muss indessen nach Quellenlage als gesichert betrachtet werden; der Kläger benennt auch keine Beweismittel, die insoweit zu einer abweichenden Erkenntnis führen könnten. Er beruft sich vielmehr auf ärztliche Stellungnahmen, die aufgrund der Art seiner Missbildungen einen Zusammenhang mit dem Erscheinungsbild einer thalidomidverursachten Schädigung herstellen, aber nicht auf die Unstimmigkeit eingehen, die sich aus der dargestellten zeitlichen Abfolge ergibt. In diesem Zusammenhang ist schließlich auch darauf hinzuweisen, dass Missbildungen sowohl spontan ohne erkennbare Ursache auftreten, genetisch bedingt oder durch verschiedenste Umwelteinflüsse ausgelöst sein können, wobei möglicherweise sogar der geringere Teil derartiger Fälle auf exogene Ursachen zurückzuführen ist.

Vgl. Pschyrembel, Medizinisches Wörterbuch, 260. Aufl., Stichwort "Fehlbildung, kongenitale" (S. 557).

Sonstige Gesichtspunkte, aus denen sich Abweichendes ergeben könnte oder die Anlass für eine erfolgversprechende Beweiserhebung sein könnten, hat der Kläger nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 188 Satz 2 VwGO sowie auf § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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