LAG Hamm, Urteil vom 15.12.2011 - 15 Sa 1236/11
Fundstelle
openJur 2012, 83559
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Klägers und die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 05.07.2011 - 2 Ca 1582/11 - werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen das beklagte Land zu 4/7, der Kläger zu 3/7.

Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand

Die Parteien streiten um die rechtliche Wirksamkeit mehrerer von dem beklagten Land erklärter Kündigungen des Arbeitsverhältnisses des Klägers.

Der Kläger war seit August 2001 bei dem beklagten Land als angestellter Lehrer zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 3.900,00 EUR beschäftigt. Er ist 56 Jahre alt, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet.

Zunächst war der Kläger an einer Hauptschule in H2 tätig. In einem Gespräch mit der Schulaufsicht im Februar 2008 war dem Kläger verdeutlicht worden, wie er sich Schülerinnen gegenüber zu verhalten habe und dass er insbesondere im Sportunterricht verfängliche Situationen zu meiden habe. Im November 2008 war ihm dann vorgeworfen worden, er habe sich beim Sportunterricht (Handball) mit seinem Glied an Schülerinnen gerieben. Nach einem dienstlichen Gespräch erfolgte unter dem 21.11.2008 die Freistellung des Klägers. Die Bezirksregierung A1 erstattete zudem wenige Tage später Anzeige gegen den Kläger; die Staatsanwaltschaft Bochum leitete ein Ermittlungsverfahren ein.

Mit Wirkung zum 12.01.2009 wurde der Kläger unter Aufhebung seiner Freistellung an die Hauptschule M1 versetzt. Zu Beginn seiner Versetzung wies der Schulleiter der Hauptschule den Kläger ausdrücklich an, Sport nur in gemischten Gruppen zu unterrichten.

Durch Schreiben vom 16.04.2009 wies die Bezirksregierung A1 den Kläger darauf hin, dass ihr die Staatsanwaltschaft Bochum mitgeteilt habe, "dass im Zusammenhang mit o.g. Vorwürfen Anklage gegen Sie erhoben wurde. Unter Bezugnahme auf mein Schreiben vom 13.03.2009 muss ich Sie daher darauf hinweisen, dass ich das strafrechtliche Verfahren gegen Sie abwarten und anschließend - unabhängig vom Ausgang des Verfahrens - eine arbeitsrechtliche Entscheidung wegen der gegen Sie vorgebrachten Vorwürfe treffen werde. Insoweit behalte ich mir weiterhin ausdrücklich entsprechende arbeitsrechtliche Schritte (u.a. Abmahnung, Kündigung) gegen Sie vor.

Vorsorglich weise ich Sie nachdrücklich darauf hin, dass Sie zu allen Schülerinnen und Schülern eine angemessene professionelle Distanz aufzubauen und zu wahren haben und in keiner Weise auch nur den Anschein erwecken dürfen, diesen verbal oder gar körperlich zu nahe zu kommen. Sollten mir diesbezüglich (weitere oder neue) Verhaltensauffälligkeiten Ihrerseits - auch vor Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens - bekannt werden, müssen Sie mit sofortigen arbeitsrechtlichen Maßnahmen (ggfls. Kündigung) rechnen."

Das Strafverfahren gegen den Kläger wurde anschließend vorläufig nach § 153 a Abs. 2 StPO eingestellt unter der Auflage, dass der Kläger innerhalb von drei Monaten einen Betrag von 1.500,00 EUR an den V1 W2 B2 e.V. zahle. Von dem strafrechtlich relevanten Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern hatte das Amtsgericht Bochum den Kläger zuvor freigesprochen. Es hatte in seinem Urteil festgestellt, dass der Kläger den Rücken und das Gesäß einer Schülerin berührt habe und es zudem Berührungen einer weiteren Schülerin im Verlaufe eines Handballspiels gekommen sei.

Nachdem die Bezirksregierung etwa Mitte März 2010 Einsicht in die Strafakte nehmen konnte, erteilte sie dem Kläger unter dem 31.03.2010 eine schriftliche Abmahnung des nachstehenden Wortlauts:

"Personalangelegenheiten von Lehrkräften an Hauptschulen

Abmahnung

Sehr geehrter Herr G1,

nach meinen Feststellungen besteht Anlass, Sie auf die Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten während Ihrer Tätigkeit an der H4-T1-S3 in H2 hinzuweisen.

Laut dem Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 29.10.2009 - AZ.: 28 Ls-36 Js 598/08-67/09 - wurden Sie zwar von dem strafrechtlich relevanten Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern freigesprochen. Allerdings wurde auch festgestellt, dass Sie den Rücken sowie das Gesäß der Schülerin L1 P1 berührt und damit eine grob aufdringliche Zudringlichkeit begangen haben. Darüber hinaus ist es laut dem v.g. Urteil Ihrerseits auch zu Berührungen der Schülerin H3 E1 u.a. im Rahmen eines Handballspiels in der 6. Klasse gekommen. Dabei ist es unerheblich, dass Sie lediglich eingeräumt haben, dass es evtl. nur unbewusst und nur im Rahmen des Sportunterrichts während eines Handballspiels zu den Berührungen gekommen sein könne.

Aufgrund der seitens der Staatsanwaltschaft Bochum eingelegten Berufung gegen das o.a. Urteil des Amtsgerichts Bochum hat das Landgericht Bochum mit Beschluss vom 22.02.2010 - AZ.: II-8 Ns 36 Js 598/08 - 36/09 - das Verfahren gegen die Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 1.500,00 EUR an W2 B2 e.V. gem. § 153 a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Darüber hinaus liegen mir glaubhafte Aussagen von den Schülerinnen in schriftlicher Form vor. Außerdem verweise ich ausdrücklich auf das Ihnen übersandte Protokoll des am 21. November 2008 mit Ihnen geführten Dienstgesprächs. Nach alledem steht fest, dass Sie sich den Schülerinnen L1 P1 und H3 E1 durch die v.g. körperlichen Berührungen unangemessen genähert bzw. distanzlos verhalten haben.

Ich weise Sie daher ausdrücklich darauf hin, dass Sie durch Ihr Verhalten Ihre arbeitsvertragliche Pflicht aus § 3 Abs. 1 S. 1 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länger (TV-L) i.V.m. §§ 241, 242 und 611 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verletzt haben. Hiernach unterliegen Sie neben Ihren eigentlichen Hauptpflichten auch arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, nach denen Sie verpflichtet sind, die Interessen des Arbeitgebers zu wahren und zu schützen. Aus diesem Pflichtenkanon folgt auch, dass Sie zu den Ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schülern stets eine angemessene Distanz aufzubauen und zu wahren sowie körperliche Berührungen strikt zu unterlassen haben. Indem Sie die o.g. Schülerinnen körperlich berührten, haben Sie eine Distanzlosigkeit in besonders hohem Ausmaß betrieben.

Ich missbillige daher Ihr Verhalten ausdrücklich und fordere Sie in aller Ernsthaftigkeit und mit allem Nachdruck auf, künftig Ihren arbeitsvertraglichen Pflichten ohne Einschränkung nachzukommen. Zukünftig müssen Sie zu allen Schülerinnen und Schülern eine angemessene professionelle Distanz aufbauen und wahren. Diesbezüglich haben Sie jede Form von Distanzlosigkeit oder gar körperlichen Berührungen zu minderjährigen bzw. Ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schülern strikt zu unterlassen und dürfen in keiner Weise den Anschein erwecken, Schülerinnen und Schülern verbal, körperlich oder in irgendeiner anderen Form zu nahe zu kommen.

Sollten Sie zukünftig erneut gegen diese arbeitsvertragliche Pflicht verstoßen, müssen Sie mit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen.

Das beigefügte Empfangsbekenntnis erbitte ich umgehend von Ihnen unterschrieben zurück. Abschließend teile ich Ihnen mit, dass dieses Schreiben zu Ihrer Personalakte genommen wird. Sie können hierzu innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens gem. § 3 Abs. 6 TV-L schriftlich Stellung nehmen. Sollten Sie sich mir gegenüber innerhalb dieser Frist nicht geäußert haben, gehe ich davon aus, dass eine Stellungnahme Ihrerseits nicht erfolgen wird.

Hochachtungsvoll

Im Auftrag

(K3 - P2 für Lehrkräfte an Hauptschulen)."

Im März 2011 äußerte ein Schüler während eines Unterrichtsganges einer 10. Klasse seiner Klassenlehrerin gegenüber, der Kläger sei pädophil; er halte insbesondere zu Schülerinnen keinen angemessenen Abstand, trenne gelegentlich den Sportunterricht nach Geschlechtern und habe sich mit der Schülerin K4 über deren Jungfräulichkeit unterhalten und diese nach der Schule zum Essen getroffen, nach vorheriger Kontaktaufnahme per Handy. Der Schüler und die von ihm angesprochene Lehrerin fertigten entsprechende Gesprächsvermerke, auf deren Inhalt verwiesen wird (Bl. 31, 32 d.A.).

Nachdem der Schulleiter der Hauptschule M1 der Bezirksregierung den Bericht der Lehrerin übermittelt hatte, erfolgte am 24.03.2011 eine Befragung des Schulleiters sowie verschiedener Lehrer und Schüler; hierüber wurden Gesprächsprotokolle erstellt (Bl. 33 ff. d.A.).

Nach dem erstinstanzlichen Urteil waren folgende Verhaltensweisen des Klägers unstreitig:

- Nach seiner Versetzung an die Hauptschule M1 führte der Kläger den Sportunterricht mindestens einmal getrennt nach Geschlechtern durch.

- An Weiberfastnacht 2011 ließ sich der Kläger von Schülerinnen und Schülern stark im Gesicht bemalen, u.a. mit Herzchen.

- Insbesondere die Schülerin K4, die im Januar 2010 an die Hauptschule M1 wechselte, umarmte der Kläger - erstmals im März 2010 - und fasste sie an den Schultern an; äußerte bei diesen Gelegenheiten ihr gegenüber "und schon lächelst Du wieder" und "da ist mein Sonnenschein wieder".

- Gegenüber einer anderen Schülerin ließ der Klägerin im Beisein der Schülerin K4 verlauten, "nur weil sie einen geilen Arsch hat und blond ist, glaubt sie alles machen zu können".

- U.a. per Handy befragte der Kläger die Schülerin K4 nach privaten Dingen wie "hast Du Familienprobleme? Du kannst mir ruhig alles anvertrauen und erzählen" und "hast Du einen Freund?"

- Im Herbst 2010 absolvierte die Schülerin K4 ein Praktikum. Nach Ende der Arbeitszeit lud der Kläger die Schülerin zu einem Essen in ein Schnellrestaurant (Mc Donalds) ein.

- Der Kläger fragte die Schülerin K4, ob sie noch Jungfrau sei. Auf ihre bejahende Antwort erwiderte der Kläger, "ja komm schon. Du kannst mir ruhig die Wahrheit sagen."

- Als die Schülerin K4 verspätet zum Unterricht erschien, fragte der Kläger sie "hast Du bei Deinem Freund gepennt?"

Mit Faxschreiben vom 25.03.2011 wurde der Kläger zu einem dienstlichen Gespräch für Montag, den 28.03.2011, eingeladen. Der Kläger, der die Einladung am Morgen des 25.03.2011 erhielt, meldete sich anschließend arbeitsunfähig und nahm den Gesprächstermin nicht wahr. Mit Schreiben vom 27.03.2011 beantragte der Kläger Akteneinsicht und erklärte, sich anschließend äußern zu wollen. Über seinen Prozessbevollmächtigten erhielt der Kläger am 29.03.2011 sämtliche Gesprächsprotokolle nebst Anschreiben, in welchen die Vorwürfe zusammengefasst waren mit der Aufforderung, bis zum 04.04.2011 Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme des Klägers blieb aus.

Mit Schreiben vom 06.04.2011 hörte das beklagte Land den Personalrat für Lehrerinnen und Lehrer an Hauptschulen bei der Bezirksregierung A1 zu einer beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung an. Für die Einzelheiten des Anhörungsschreibens wird verwiesen auf Bl. 83 ff. d.A.. Der Personalrat stimmte der Maßnahme am 07.04.2011 zu.

Unter dem 07.04.2011 erklärte das beklagte Land schriftlich die außerordentliche fristlose Kündigung, die dem Kläger am 09.04.2011 zuging. Für den Inhalt des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 4 - 11 d.A. verwiesen. Das Kündigungsschreiben ist unterzeichnet: "Im Auftrag (Unterschrift) (S2-A3)".

Mit weiterem Schreiben vom 27.04.2011 erklärte das beklagte Land nach vorheriger Anhörung des Personalrats und ihm vorliegender Zustimmung des Integrationsamtes vorsorglich erneut die außerordentliche fristlose Kündigung, nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, er habe einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt. Das Kündigungsschreiben unterzeichnete der Abteilungsdirektor A2 als Urlaubsvertreter des Schulabteilungsdirektors S2.

Der Kläger ist nicht als schwerbehinderter Mensch anerkannt.

Durch Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 10.04.2011 ließ der Kläger die ihm am 09.04.2011 zugegangene Kündigung ebenso gemäß § 174 BGB zurückweisen wie die Kündigung vom 27.04.2011, dem Kläger am selben Tag zugegangen und durch anwaltliches Schreiben vom selben Tag zurückgewiesen, jeweils mit der Begründung, die Vertretungsbefugnis sei nicht nachgewiesen.

Nach Anhörung des Personalrats unter dem 03.05.2011 zu einer beabsichtigten hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses (zu den Einzelheiten der Anhörung s. Bl. 137 ff. d.A.) und nach Zustimmung des Personalrats unter dem 05.05.2011 erklärte das beklagte Land schriftlich am 26.05.2011 die hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30.09.2011.

Der Kläger hat sich mit am 13.04.2011 eingegangener und mit durch Schriftsätze vom 02.05.2011 und 01.06.2011 erweiterter Klage gegen die Rechtswirksamkeit der Kündigungen gewehrt.

Er hat gemeint, die ersten beiden Kündigungen seien bereits deshalb unwirksam, weil er diese nach § 174 BGB zurückgewiesen habe. Den Kündigungen, die nicht von dem Behördenleiter unterzeichnet seien, habe eine Originalvollmacht nicht beigelegen.

Der Kläger hat Umarmungen von Schülerinnen bestritten, insbesondere solche, die über eine "kumpelhafte" Geste hinausgegangen seien. Ein eventuelles seitliches Umarmen der Schülerin K4 habe eine sympathische Gesinnung als Hintergrund gehabt mit der Zielrichtung, Hürden zwischen Lehrer und Schüler durch Begegnung auf kollegialer Ebene zu vermeiden.

Der Kläger hat weiter behauptet, es sei die Schülerin K4 gewesen, die ihm angeboten habe, sie gelegentlich während ihres Praktikums zu besuchen. Der Besuch bei Mc Donalds habe zusammen mit dem Freund der Schülerin K4 stattgefunden. Als Vertrauenslehrer genieße er besonderen Respekt bei den Schülerinnen und Schülern, mit denen er nicht autoritär, sondern kollegial umgehe. Auch gelte nach dem Verlauf des Strafverfahrens durch zwei Instanzen für ihn weiterhin die Unschuldsvermutung.

Die nach Geschlechtern durchgeführte Sportstunde habe er auf ausdrücklichen Wunsch insbesondere von korpulenteren Schülerinnen durchgeführt.

Das Gespräch mit der Schülerin K4 zu deren Jungfräulichkeit sei völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Die Schülerin habe sich wegen familiärer Probleme bezogen auf ihren Freund an ihn gewandt. Er habe die Schülerin weder aus Neugier noch aus sexuellem Interesse nach ihrer Jungfräulichkeit befragt.

Die der Kündigung vorausgegangene Abmahnung sei seiner Auffassung nach als nicht bestimmt genug unwirksam.

Darüber hinaus hat der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des "Betriebsrats" zu allen Kündigungen bestritten.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 07.04.2011 nicht aufgelöst worden ist und über den 09.04.2011 fortbesteht;

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 27.04.2011 nicht aufgelöst worden ist und über den 27.04.2011 fortbesteht;

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 26.05.2011 nicht aufgelöst worden ist und über den 30.09.2011 fortbesteht;

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag als Lehrer weiter zu beschäftigen;

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat die Rechtsansicht vertreten, dadurch, dass die Kündigung vom 07.04.2011 von dem Abteilungsdirektor S2 als Leiter der Personalabteilung für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen im Regierungsbezirk A1 unterzeichnet worden sei, sei der Kläger davon in Kenntnis gesetzt gewesen, dass die Kündigungsberechtigung vorliege. Entsprechendes gelte für die Kündigung vom 27.04.2011.

Durch die wiederholten Verstöße des Klägers gegen alle Gebote der Distanz insbesondere gegenüber Schülerinnen sei ein Punkt erreicht worden, der einer Kündigung aus wichtigem Grund bei sofortiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfordert habe. Das Wohl der ihm anvertrauten Schüler und insbesondere Schülerinnen sei durch das unprofessionelle und wiederkehrend distanzlose Verhalten des Klägers beeinträchtigt worden. Sämtliche Warnungen in Form von diversen Schreiben, Dienstgesprächen, Abmahnung sowie das bis zum Landgericht geführte Strafverfahren und der anschließende Schulwechsel hätten keine Änderung des klägerischen Verhaltens bewirkt. Bei einer Weiterbeschäftigung seien mangels Einsichtsfähigkeit des Klägers fortlaufend weitere Distanzverletzungen zu befürchten. Das Vertrauen in den Kläger sei daher unwiederbringlich zerstört, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 05.07.2011 den Feststellungsanträgen des Klägers gegen die Kündigungen vom 07.04. und 27.04.2011 stattgegeben. Nicht stattgegeben hat es dem Klagebegehren hinsichtlich der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 26.05.2011 zum 30.09.2011. Gleichzeitig hat das erstinstanzliche Gericht das beklagte Land zur Weiterbeschäftigung des Klägers längstens bis zum 30.09.2011 sowie zur Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses verurteilt.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts beruht im Wesentlichen auf den nachstehenden Gründen:

Die außerordentlichen Kündigungen vom 07.04. und 27.04.2011 seien gemäß § 174 S. 1 BGB wegen fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde unwirksam. Zwar seien beide Abteilungsdirektoren jeweils zur Kündigungserklärung bevollmächtigt gewesen. Doch hätten sie vor Ausspruch der Kündigungen den Kläger nicht von der bestehenden Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt. Die Zurückweisung der Kündigungen durch den Kläger sei daher nicht nach § 174 S. 2 BGB ausgeschlossen gewesen. Den Kläger als Erklärungsempfänger habe auch keine Nachforschungspflicht getroffen. Der Vertretene habe vielmehr durch sein Handeln den Erklärungsempfänger informierend in Kenntnis zu setzen. Das bloße Ausführen einer Tätigkeit im Rahmen einer Vertretung genüge insoweit nicht.

Doch sei das Arbeitsverhältnis durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30.09.2011 aufgelöst, § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG, da einer Weiterbeschäftigung des Klägers verhaltensbedingte Gründe entgegen stünden. Die unstreitig feststehenden Verhaltensweisen des Klägers berechtigten das beklagte Land jedenfalls zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung.

Der Kläger habe gegen die ausdrückliche Anweisung, nach Geschlechtern getrennten Sportunterricht durchzuführen, verstoßen, sowie gegen die ausdrückliche Anweisung, Distanz zu Schülern zu wahren und insbesondere körperliche Berührungen zu unterlassen. Er verhalte sich sexistisch, wenn er verbal auf den Körper einer Schülerin abstelle. Insbesondere mit der Frage nach der Jungfräulichkeit einer Schülerin habe der Kläger möglicherweise sogar einen Grund für eine außerordentliche Kündigung gesetzt. Hier habe der Kläger die Intimsphäre der Schülerin eklatant verletzt. Dies gelte vor allem unter Berücksichtigung der wegen des Berührens zweier Schülerinnen - in einem Fall des Berührens am Gesäß - zuvor erteilten Abmahnung. Auch in weiteren Situationen habe der Kläger die gebotene professionelle Distanz verletzt. Der Kläger sei in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen worden, prekäre Situationen im Sportunterricht zu vermeiden und eine professionelle Distanz - verbal und körperlich - insbesondere Schülerinnen gegenüber einzuhalten. Das Verhalten des Klägers sei geeignet, das Ansehen des beklagten Landes in der Öffentlichkeit zu schädigen.

Die vorzunehmende Interessenabwägung gehe zu Lasten des Klägers aus. Trotz seines Lebensalters und der knapp zehnjährigen Betriebszugehörigkeit überwiege die Schwere der Pflichtverletzung. Es sei dabei unbeachtlich, dass der genaue Zeitpunkt der Pflichtverletzungen jeweils nicht habe festgestellt werden können.

Vor Ausspruch der streitigen Kündigung sei eine Abmahnung rechtlich nicht erforderlich gewesen, so dass die Wirksamkeit der unter dem 31.03.2010 erteilten Abmahnung dahinstehen könne. Es sei nämlich für den Kläger aufgrund der Dienstgespräche, der schriftlichen Anweisung und letztlich auch der Abmahnung ohne weiteres erkennbar gewesen, dass das beklagte Land Verletzungen der professionellen Distanz ernst nehme und nicht bereit sei, solche Pflichtverletzungen hinzunehmen.

Der Personalrat sei zu der Kündigung vom 26.05.2011 mit Schreiben vom 03.05.2011 ordnungsgemäß angehört worden, das Beteiligungsverfahren aufgrund der Stellungnahme der Personalvertretung vom 05.05.2011 vor Kündigungszugang abgeschlossen gewesen. Substantiierte Einwendungen gegen die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens habe der Kläger nicht erhoben.

Der Kläger hat gegen das ihm am 01.08.2011 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts mit am 13.08.2011 bei dem Landesarbeitsgericht eingereichtem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 08.09.2011 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Das beklagte Land hat gegen das ihm am 29.07.2011 zugestellte Urteil mit am 25.08.2011 eingereichtem Schriftsatz Berufung eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 29.09.2011, beim Berufungsgericht am 04.10.2011 eingegangen, beantragte das beklagte Land, die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 31.10.2011 zu verlängern. Mit weiterem Schriftsatz vom 04.10.2011 beantragte das Land wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, welche ihm durch Beschluss vom 12.10.2011 gewährt wurde (Bl. 309 ff. d.A.). Mit Beschluss vom 11.10.2011 wurde die Berufungsbegründung für das beklagte Land bis zum 09.11.2011 verlängert. Die Berufungsbegründung ging sodann am 10.10.2011 bzw. 04.11.2011 beim Landesarbeitsgericht ein (Bl. 319 ff., 337 ff. d.A.).

Der Kläger meint, die im Wesentlichen unsubstantiierten Behauptungen des beklagten Landes seien keineswegs unstreitig.

Die Durchführung eines einzelnen Sportunterrichts getrennt nach Geschlechtern sei auf ausdrücklichen Wunsch und zum Schutz der weiblichen Schülerinnen erfolgt. Das Bemalen im Gesicht - neben anderen Kollegen - stelle nicht einmal ansatzweise eine Pflichtverletzung dar, schon gar nicht, wenn ein Vertrauenslehrer den Spass der Schüler in der Karnevalszeit mitmache. Der Kläger bestreitet, die Schülerin K4 umarmt zu haben. Es erschließe sich auch nicht, was an der Formulierung "und schon lächelst Du wieder" distanzlos sein solle. Der Kläger bestreitet auch, die Äußerung getan zu haben "nur weil sie einen geilen Arsch hat und blond ist, glaubt sie alles machen zu können".

Das Thema Jungfräulichkeit werde völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Die Schülerin K4 habe ihm als Vertrauenslehrer ihre Angst offenbart, dass ihr Vater sie mit Gewalt zu sich zurückholen wolle. Er habe ihr die Angst nehmen wollen und ihr aufgezeigt, dass es nicht so einfach sei, dass ein Vater seine Tochter gegen ihren und den Willen ihrer Mutter zu sich holen könne. Man könne im Hinblick auf die Bräuche aus der Heimat ihres Vaters zu Themen Kopftuch, Rolle der Frau, Tradition, Hochzeit, Jungfräulichkeit unterschiedlicher Meinung sein. Sie, die Schülerin, trage ja weder Kopftuch noch rauche sie noch sei ihre Mutter "streng türkisch". Er habe der Schülerin K4 dann mit Rücksicht auf den strengen Bruder versprochen, über das Gespräch nicht zu reden und ihr für das Eintreten eines bedrohlichen Falles Hilfe angeboten. Dementsprechend habe er die Schülerin nicht nach ihrer Jungfräulichkeit gefragt.

Der Kläger bestreitet, die Schülerin K4 gefragt zu haben, ob sie "bei ihrem Freund gepennt" habe. Die Schülerin selbst habe, von ihm angesprochen auf ein morgendliches Zuspätkommen, erklärt, sie habe bei ihrem Freund übernachtet.

Ihm sei insbesondere unter Berücksichtigung seines Selbstverständnisses als Vertrauenslehrer weder eine besonders schwere Pflichtverletzung vorwerfbar, noch sei eine Abmahnung entbehrlich gewesen.

Schließlich meint der Kläger, die Anhörung des Personalrats sei nicht ordnungsgemäß gewesen. Dem Personalrat seien keine konkreten zeitlichen Daten zu den beanstandeten Verhaltensweisen mitgeteilt worden. Ebenso wenig sei dem Personalrat davon Kenntnis gegeben worden, dass er als Vertrauenslehrer durchaus für die persönlichen Belange der Schüler zuständig gewesen sei. Hierzu hätte es der Durchführung einer Beweisaufnahme bedurft.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 05.07.2011 - 2 Ca 1582/11 - abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die Kündigung vom 26.05.2011 nicht aufgelöst wurde und über den 30.09.2011 hinaus fortbesteht,

2. das beklagte Land zu verurteilen, den Kläger über den 30.09.2011 hinaus weiter zu beschäftigen.

3. die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen.

Das beklagte Land beantragt,

1. die Berufung des Klägers kostenpflichtig zurückzuweisen;

2. die angefochtene Entscheidung teilweise abzuändern und die Klage über die Verurteilung des beklagten Landes, dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen, abzuweisen.

Das Land meint, das erstinstanzliche Urteil gehe zwar zutreffend von der Bevollmächtigung des Abteilungsleiters S2 und des Abteilungsleiters A2 aus und ebenfalls davon, dass nach dem Aufbau der Bezirksregierung ausschließlich die Abteilung 4 "Schule" für alle Belange im Zusammenhang mit der schulischen und außerschulischen Bildung junger Menschen und ihrer Lehrer zuständig sei. Es sei jedoch darüber hinaus der Abteilungsleiter S2 in eine Stellung berufen, mit der das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden ist. Gleiches gelte für den Abteilungsleiter A2. Auch seien die Kündigungen veranlasst auf dem Briefbogen der Bezirksregierung A1; aus Aktenzeichen und Betreff sei erkennbar, dass es sich um eine Angelegenheit des Dezernats 47 "Personalangelegenheiten von Lehrkräften" handele. Da nach der Geschäftsordnung für Bezirksregierungen die Abteilungsleitungen der Behördenleitung angehören und den Regierungspräsidenten vertreten, habe es der Vorlage einer gesonderten Vollmacht bei Ausspruch der Kündigungen nicht bedurft.

Das Land hält die Berufung des Klägers für unbegründet. Die überwiegend unstreitigen Vorwürfe gegenüber dem Kläger seien geeignet, sogar eine außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Der Kläger sei hinreichend gewarnt gewesen, sich nicht in eine unangemessene Nähe zu Schülerinnen zu begeben. Auch seine Stellung als Vertrauenslehrer könnte die Verstöße gegen die unmissverständlichen Handlungsaufforderungen nicht entschuldigen. Die verbalen sexuellen Anspielungen seien Ausdruck einer völligen Distanzlosigkeit des Klägers. Die außerordentliche Kündigung sei bereits gerechtfertigt aufgrund des sexuellen Ausforschens der Schülerin K4 zu deren Jungfräulichkeit. Einer vorherigen Abmahnung - die im Übrigen unter dem 31.03.2010 erteilt worden sei - habe es nicht bedurft.

Wegen des weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien wird verwiesen auf deren wechselseitige Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der öffentlichen Sitzungen, die insgesamt Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

Die Berufungen des Klägers und des beklagten Landes sind zulässig, jedoch unbegründet.

Die Berufung des Klägers und die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 05.07.2011 sind gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 Buchst. c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO an sich statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie sind somit zulässig.

Zulässig ist insbesondere auch die Berufung des beklagten Landes vom 25.08.2011 gegen das ihm am 29.07.2011 zugestellte erstinstanzliche Urteil, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 29.08.2011 (Bl. 266 d.A.).

Mit am 04.10.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz hatte das beklagte Land beantragt, die Berufungsbegründungsfrist bis zum 31.10.2011 zu verlängern. Nach mit am 04.10.2011 eingereichtem Schriftsatz vom 04.10.2011 hatte das beklagte Land wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, welche ihm durch Beschluss vom 12.10.2011 gewährt wurde. Das beklagte Land begründete die Berufung sodann mit Schriftsätzen vom 10.10.2011 (Bl. 320 ff. d.A.) und vom 31.10.2011 (Bl. 339 ff. d.A.).

In der Sache sind sowohl die Berufung des Klägers als auch die Berufung des beklagten Landes unbegründet. Zutreffend hat das Arbeitsgericht den außerordentlichen Kündigungen vom 07.04. und 27.04.2011 die rechtliche Anerkennung versagt, hingegen die hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers vom 26.05.2011 zum 30.09.2011 nicht für sozial ungerechtfertigt erachtet.

I.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde nicht aufgelöst durch die von dem beklagten Land erklärten außerordentlichen Kündigungen vom 07.04. und 27.04.2011. Beide Kündigungen verstoßen gegen § 174 S. 1 BGB, weil ihnen keine Vollmachtsurkunde beigefügt war und der Kläger die Kündigungen deswegen unverzüglich zurückgewiesen hat. Das Zurückweisungsrecht des Klägers war nicht nach § 174 S. 2 BGB ausgeschlossen, denn das beklagte Land hat den Kläger über die Kündigungsbefugnis der Abteilungsleiter S2 und A2 nicht ausreichend in Kenntnis gesetzt.

1. § 174 S. 1 BGB bestimmt, dass ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, rechtsunwirksam ist, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Das Recht zur Zurückweisung ist nach § 174 S. 2 BGB nur dann ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber dem Erklärungsempfänger die Bevollmächtigung vorher mitgeteilt hat.

Rechtsfolge der Zurückweisung nach § 174 S. 1 BGB ist - und zwar unabhängig davon, ob eine Vollmacht besteht - die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts. Eine Heilung oder Genehmigung nach § 177 BGB scheidet aus (BAG vom 20.09.2006 - 6 AZR 82/06, BAGE 119, 311; BAG vom 14.04.2011 - 6 AZR 727/09, NZA 2011, 683).

2. Der Kündigungserklärung des beklagten Landes im Schreiben vom 07.04.2011, unter zeichnet durch den Abteilungsleiter S2, war eine auf ihn lautende Vollmachtsurkunde nicht beigefügt. Der Kläger hat die ihm am 09.04.2011 zugegangene Kündigung aus diesem Grunde durch Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 10.04.2011 und damit unverzüglich im Sinne des § 174 S. 1 BGB zurückgewiesen.

Gleiches gilt für die weitere Kündigung vom 27.04.2011, unterzeichnet durch den Abteilungsleiter A2. Auch dieser Kündigungserklärung lag eine Vollmachtsurkunde nicht bei. Die Zurückweisung durch den Kläger erfolgte mit Schreiben vom 27.04.2011 und damit mangels Vorliegens von Umständen, die auf ein schuldhaftes Zögern des Klägers schließen lassen, unverzüglich im Sinne des Gesetzes.

3. Das Zurückweisungsrecht des Klägers war nicht gemäß § 174 S. 2 BGB ausgeschlossen.

a) Zwar war die Vertretung des beklagten Landes durch die mit Vertretungsmacht ausgestatteten Abteilungsleiter zulässig. Doch hatte der Kläger ohne Nachweis dieser Vollmacht keine Kenntnis darüber, ob das ihm gegenüber vorgenommene einseitige Rechtsgeschäft wirksam ist. Diese mangelnde Gewissheit von der wirklichen Bevollmächtigung berechtigt den Empfänger zur Zurückweisung hier der Kündigungen. Auch muss der Empfänger der einseitigen Willenserklärung nicht seinerseits nachforschen, welche Stellung der Erklärende hat und ob damit das Recht zur Kündigung verbunden ist oder üblicherweise verbunden zu sein pflegt. Das Inkenntnissetzen nach § 174 S. 2 BGB muss daher ein gleichwertiger Ersatz für die fehlende Vorlage der Vollmachtsurkunde sein (BAG vom 14.04.2011, a.a.0.; BAG vom 20.08.1997 - 2 AZR 518/96, EzA BGB § 174 Nr. 12).

b) Ein Inkenntnissetzen liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit 30.05.1972 - 2 AZR 298/71, BAGE 24, 273) vor, wenn der Arbeitgeber bestimmte Personen etwa durch Bestellung zum Generalbevollmächtigten, Prokuristen oder Personalleiter in eine Stelle berufen hat, die üblicherweise mit dem Kündigungsrecht verbunden ist und diese Funktionsübertragung im Betrieb ersichtlich ist oder bekannt gemacht wurde. Somit verlangt ein Inkenntnissetzen im Sinne des § 174 S. 2 BGB begriffsnotwendig auch einen äußeren Vorgang, der diesen inneren Vorgang offensichtlich macht.

c) Im Falle des öffentlich bekannt gemachten Erlasses, nach welchem mit einer bestimmten Funktion die Kündigungsbefugnis verbunden ist, muss sich zwar der Kündigungsempfänger die Kenntnis des Erlasses zurechnen lassen (BAG vom 20.09.2006, a.a.0.). Das betrifft vorliegend die mit Runderlass des Innenministeriums - 52.18.01.03 - vom 26.03.2008 bekannt gemachte Geschäftsordnung für die Bezirksregierungen (Bl. 341 ff. d.A.). Doch ist den Anforderungen des § 174 S. 2 BGB auch bei dieser Konstellation erst dann genügt, wenn der Erklärungsempfänger von der Person des Stelleninhabers in Kenntnis gesetzt ist. Hierfür genügt es nicht, dass sich die Zuordnung der Person zu der Funktion aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Erforderlich ist ein zusätzliches Handeln des Vertretenen zur Information des Arbeitnehmers. Dieses kann darin bestehen, den Arbeitnehmer aufzufordern, sich über die Organisationsstruktur etwa aus dem ihm zugänglichen Intranet zu informieren, wenn dieses Inhalte und Aussagen darüber enthält, wer die mit der Vertretungsmacht verbundene Funktion konkret bekleidet (BAG vom 14.04.2011, a.a.0. m. Hinweis auf BAG vom 20.09.2006, a.a.0.).

d) Gemessen an der so verstandenen Auslegung des § 174 S. 2 BGB hat das beklagte Land den Kläger nicht ausreichend von der Bevollmächtigung der Abteilungsleiter S2 und A2 in Kenntnis gesetzt. Das Land hat dem Kläger bis zur Kündigungserklärung nicht mitgeteilt, dass die unterzeichneten Abteilungsleiter kündigungsberechtigte Funktion haben. Es hat - was ausreichend für ein Inkenntnissetzen gewesen wäre - dem Kläger auch keinen Weg aufgezeigt, auf welchem dieser vor Zugang der Kündigung unschwer hätte erfahren können, welche Person die Position innehat, Kündigungen rechtswirksam zu erklären. Der erstinstanzliche Hinweis des beklagten Landes, der Kläger hätte unschwer die entsprechenden Informationen dem Internet/Intranet entnehmen können, verfängt nicht. Zu Nachforschungen über die rechtliche Stellung des die Kündigung Erklärenden, wie ausgeführt, war der Kläger nämlich nicht verpflichtet.

Im Übrigen wird auf die insgesamt zutreffenden Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils (S. 13 - 15, Bl. 241 - 243 d.A.) zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

II.

Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die hilfsweise erklärte Kündigung vom 26.05.2011 fristgerecht mit dem 30.09.2011 aus verhaltensbedingten Gründen aufgelöst ist. Das Berufungsgericht folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung, § 69 Abs. 2 ArbGG. Die Berufung gibt Anlass zu folgenden ergänzenden Ausführungen:

1. Eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist gem. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht schuldhaft verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine dem Arbeitgeber zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint (BAG vom 12.01.2006 - 2 AZR 21/05, DB 2006, 1566).

a) Eine Verletzung vertraglicher Pflichten stellt gem. § 7 Abs. 3 AGG auch eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG dar. Sie ist "an sich" geeignet, als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB (BAG vom 25.03.2004 - 2 AZR 341/03, EzA BGB 2002, § 626 Nr. 6). Von den Umständen des Einzelfalles, von ihrem Umfang und ihrer Intensität, hängt ab, ob die sexuelle Belästigung zur außerordentlichen Kündigung berechtigt.

b) Der Kläger hat die Schülerin K4 - das ist auch in der Berufungsinstanz letztlich unstreitig geblieben - umarmt und dabei geäußert "und schon lächelst Du wieder" bzw. "da ist mein Sonnenschein wieder". Dass er die Schülerin als "Sonnenschein" bezeichnet hat, bestreitet der Kläger in der Berufung erstmals. Er hat dieselbe Schülerin gefragt, ob sie noch Jungfrau sei und auf ihre bejahende Antwort erwidert, "ja, komm schon. Du kannst mir ruhig die Wahrheit sagen". Erstmals zweitinstanzlich bestreitet der Kläger auch, im Beisein der Schülerin K4 gegenüber einer anderen Schülerin geäußert zu haben, "nur weil sei einen geilen Arsch hat und blond ist, glaubt sie alles machen zu können".

aa) Eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen können im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen (BAG vom 09.06.2011 - 2 AZR 323/10, NZA 2011, 1342).

bb) Die Verhaltensweisen des Klägers stellen danach sexuelle Belästigungen im Sinne des Gesetzes dar.

(1) Die körperlichen Berührungen und/bzw. die Bemerkungen hatten einen sexuellen Inhalt.

(aa) Die Umarmung der Schülerin K4 im Zusammenhang mit den Äußerungen, wobei es nicht entscheidend ist, ob die Bezeichnung "Sonnenschein" tatsächlich formuliert wurde, stellt ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten dar. Der Kläger kann für sein Verhalten erfolgreich keine "pädagogischen Gründe" ins Feld führen. Diese sind zum einen nicht ansatzweise erkennbar und von dem Kläger auch nicht weiter erläutert worden. Durch die Umarmung und diese begleitende Äußerung "und schon lächelst Du wieder" wird vielmehr in dem von persönlicher Abhängigkeit gekennzeichneten Verhältnis Lehrer/Schülerin ein Umfeld geschaffen, das sehr leicht zumindest zu Einschüchterungen führen kann. Gerade für den Kläger als Vertrauenslehrer, aber auch nach seinem durchaus als einschlägig zu bezeichnenden Erfahrungen in der beruflichen Vergangenheit musste die Unerwünschtheit seines Verhaltens im Zusammenhang mit der/den Bemerkung(en) ohne weiteres erkennbar sein. Das Gesamtverhalten stellt sich im Übrigen aber auch als objektiv unerwünscht dar. Ohne dass es, wie ausgeführt, darauf ankommt, ob die betroffene Person, hier die Schülerin K4, ihre ablehnende Einstellung zu den Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht, ist die Umarmung einer Schülerin durch ihren Lehrer, begleitet von den Worten "und schon lächelst Du wieder", objektiv unerwünscht. Körperliche Nähe mit körperlicher Berührung und korrespondierenden Bemerkungen der Art "weil ich dich berührt/umarmt habe, lächelst Du wieder" sind unter nahezu keinen denkbaren Umständen ein geeignetes Mittel der Schulpädagogik, auf welches ein Lehrer im Verhältnis zu seiner Schülerin der Klasse 10 zurückgreifen darf.

(bb) Sehr viel deutlicher stellt sich die Frage des Klägers an die Schülerin K4, ob sie noch Jungfrau sei, als sexuelle Belästigung dar. Die Frage, deren Gegenstand der Kläger nach bejahender Antwort zu vertiefen suchte durch die Bemerkung "ja, komm schon. Du kannst mir ruhig die Wahrheit sagen", spricht die Schülerin auf ihre Sexualität und ihr Sexualleben an. Sie ist ohne weiteres objektiv unerwünscht und verletzt zugleich die Würde der Schülerin.

(2) Der Kläger hat die sexuellen Belästigungen der Schülerin auch im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG "bewirkt". Es kommt insoweit nicht darauf an, wie er selbst sein Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte (so ausdrücklich BAG vom 09.06.2011, a.a.0.). Wenn der Kläger, wie er vorträgt, der Schülerin K4 die Angst nehmen wollte vor dem Vater, der sie gegen ihren Willen zu sich zurückholen wolle, gibt es hierfür andere Mittel und Wege als dezidiertes Fragen nach der Jungfräulichkeit der Schülerin. Diese Frage hat mit der in Rede stehenden Problematik nicht das Geringste zu tun und verdeutlicht die völlige Distanzlosigkeit des Klägers in sexuellen Dingen Schülerinnen gegenüber.

c) Jedenfalls die ordentliche Kündigung ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt.

aa) Ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen bereits abgemahnt worden und verletzt er seine vertraglichen Pflichten gleichwohl erneut, kann in der Regel angenommen werden, es werde auch künftig zu Störungen des Arbeitsvertrages kommen (BAG vom 13.12.2007 - 2 AZR 818/06, EzA KSchG § 4 n.F. Nr. 82). Es reicht hierbei aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnungs- und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen.

bb) Hiervon ausgehend bestand zwischen der der schriftlichen Abmahnung vom 31.10.2010 zugrunde liegenden Pflichtverletzung und den zur Kündigung führenden Pflichtverstößen ein ausreichender innerer Zusammenhang.

Es kann dahinstehen, ob sich die in der Abmahnung gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe als dezidiert sexuelle Belästigungen im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG darstellen. Jedenfalls trat mit den zur Kündigung führenden sexuellen Belästigungen eine gleichartige Grenzüberschreitung des Klägers zu Tage.

cc) Der nochmalige Ausspruch nur einer Abmahnung war kein dem beklagten Land zumutbares milderes Mittel. Der Kläger hatte sich weder verschiedene dienstliche Gespräche noch die Versetzung an eine andere Schule wegen des Vorwurfs einer sexuellen Belästigung noch ein in diesem Zusammenhang gegen ihn eingeleitetes Strafverfahren über zwei Instanzen noch die schriftliche Abmahnung vom 31.10.2010 zur Warnung gereichen lassen. Allein die Abmahnung vom 31.10.2010, deren rechtliche Qualifizierung als Abmahnung dahinstehen kann, hätte dem Kläger vor Augen führen müssen, dass er für den Fall einer erneuten sexuellen Belästigung mit der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zu rechnen hatte. Auch seine knapp zehnjährige Betriebszugehörigkeit war nach alledem nicht mehr geeignet, positive Erwartungen in seine künftige Zuverlässigkeit zu begründen.

Im Übrigen spricht in Ansehung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.06.2011 (a.a.0.) viel dafür, dass die streitige Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG ist. Dies kann indes dahinstehen.

2. Die Kündigung vom 26.05.2011 verstößt nicht gegen § 74 Abs. 5 LPVG NW, wie das erstinstanzliche Gericht zu Recht erkannt hat.

a) Die Einwendungen des Klägers in der Berufung gegen die ordnungsgemäße Unterrichtung des Personalrats verfangen nicht.

An die Mitteilungspflicht im Anhörungsverfahren mit der Personalvertretung sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungen des Arbeitgebers im Prozess. Es gilt der Grundsatz der "subjektiven Determinierung". Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände und Gründe für die Kündigung unterbreitet hat (BAG vom 22.04.2010 - 2 AZR 991/08, AP BetrVG 1972, § 102 Nr. 163; BAG vom 23.10.2008 - 2 AZR 163/07, EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 16).

b) Danach hat das beklagte Land den Personalrat mit seinem Schreiben vom 03.05.2011 ausreichend informiert. Es hat ihm in umfassender Weise das Verhalten des Klägers geschildert und damit die aus seiner Sicht tragenden Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterbreitet. Darüber hinaus hat das beklagte Land den Personalrat auch an die Sachverhalte sowie einschlägigen Hinweise, Dienstgespräche, das Strafverfahren sowie die mit Datum vom 31.03.2010 ausgesprochene Abmahnung erinnert. Aus seiner Sicht enthielt das Schreiben keine unrichtigen Informationen.

Insbesondere konnte das Land keine konkreteren Datumsangaben machen als geschehen, da solche nicht bekannt waren. Auch die Nichtmitteilung der Tatsache, dass der Kläger die Funktion des Vertrauenslehrers innehatte, macht die Anhörung nicht unwirksam. Wie bereits ausgeführt, sind die an einen Vertrauenslehrer zu stellenden Verhaltensanforderungen im Umgang mit Schülerinnen und Schülern, für deren persönliche Belange dieser in umfassender Weise zuständig ist, einem besonders strengen Maßstab unterworfen. Grenzüberschreitungen werden in solch heraus- gehobener Stellung noch weniger toleriert als bei Lehrpersonen ohne diese Funktion.

Wenn indes das Land darauf verzichtet hat, dem Personalrat mitzuteilen, dass der Kläger als Vertrauenslehrer fungierte, unterließ es das beklagte Land lediglich, dem Personalrat weitergehend von der Schwere der Pflichtwidrigkeit in Kenntnis zu setzen. Dadurch wird die Anhörung nicht bewusst unrichtig oder unvollständig und damit irreführend.

III.

Da die Kündigung das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf des 30.09.2011 aufgelöst hat, bestand ein Anspruch des Klägers auf seine Weiterbeschäftigung bis zu diesem Datum (BAG vom 27.02.1985 - GS 1/84, BAGE 48, 122).

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Kosten waren entsprechend dem wechselseitigen Obsiegen und Unterliegen zwischen den Parteien im Verhältnis 4/7 (zu Lasten des beklagten Landes) und 3/7 (zu Lasten des Klägers) zu quoteln.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ebenso wenig lagen Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.