OLG Köln, Urteil vom 29.11.2011 - 9 U 95/11
Fundstelle
openJur 2012, 83299
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11.4.2011 verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 339/10 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I. Der Kläger ist Mitglied der F. H., die seit 2000 unter der Bezeichnung U. auftritt. Er macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Gruppenrechtsschutzversicherung geltend.

Die U. Gewerkschaft H., der der Kläger den Streit verkündet hat, unterhielt seit 1980 bei der Beklagten eine Gruppenversicherung. Diese sah für die Gewerkschaftsmitglieder eine Familien-Rechtsschutzversicherung vor.

Einzelheiten dazu regelte die Satzung der Streitverkündeten vom 26.11.1996 (Bl. 17 ff).

In § 20 heißt es in Auszügen:

„1. Für die Mitglieder der H. ist als Gruppenversicherung eine Familien-Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, deren Versicherungsschutz sich auf alle Mitglieder erstreckt, die an der Versicherung teilnehmen, mindestens drei Monate der H. angehören und satzungsgemäße Beiträge nach § 12 zahlen.

Die Wartezeit von drei Monaten wird durch bei Übertritt gemäß § 8 der Satzung anzurechnende Mitgliedschaftszeiten erfüllt.

Mitglieder, die mit ihrem Gewerkschaftsbeitrag mehr als zwei Monate in Verzug sind,  haben keinen Anspruch auf Versicherungsleistungen

2. Sofern Mitglieder sich entscheiden, an der Familien-Rechtsschutzversicherung nicht teilzunehmen, wird ihnen  in Form einer einmaligen Zahlung zum Jahresende ein Teil des Mitgliedsbeitrags erstattet.

…

4. Die Versicherungsbedingungen und Leistungen richten sich  im einzelnen und im übrigen nach dem mit dem Versicherungsträger abgeschlossenen Gruppenversicherungsvertrag  und den Versicherungsbedingungen. Sie sind in dem Versicherungsausweis enthalten, der dem Mitglied ausgehändigt wird.“

Im Jahre 1995 wurde der Gruppenversicherungsvertrag neu gefasst. In § 5 Nr. 3 ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen die Bedingungen geändert oder ersetzt werden können. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage KE 7, Bl. 214 ff) Bezug genommen.

Der Kläger erhielt mit Schreiben vom 14.11.1996 von der Streitverkündeten verschiedene Unterlagen als Mitglied, u.a. einen Versicherungsausweis (Bl. 27 ff).

Zunächst waren die ARB/G 94 (Bl. 27 ff) Gegenstand des Versicherungsvertrages. Darin heißt es unter § 4 Abs. 3 b):

„Es besteht kein Rechtsschutz, wenn der Anspruch auf Rechtsschutz erstmals später als drei Jahre nach Beendigung des Versicherungsschutzes für den betroffenen Gegenstand bei der Versicherung geltend gemacht wird.“

In der Folgezeit änderte die Beklagte ihr Bedingungswerk. Zunächst galten die E.-ARB 2000 (Bl. 95 ff), später die ARB/G 2007 (Bl. 118 ff).

In § 3 Abs. 2 f) bb) ARB/G2007  wurde ein neuer Risikoausschluss eingeführt.

Darin heißt es:

„Rechtsschutz besteht nicht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit ….

dem Ankauf, der Veräußerung, der Verwaltung von

- Wertpapieren (z.B. Aktien, Rentenwerte, Fondsanteile)

- Wertrechten, die Wertpapieren gleichstehen

- Beteiligungen …“

In § 5 des von der Beklagten in Auszügen vorgelegten  Gruppenversicherungsvertrages vom 27.8.2007 (Bl. 196 ff) heißt es u.a. :

„Grundlage des Gruppenversicherungsvertrages sind im übrigen die

- Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB/G 2007),

- die gesetzlichen Bestimmungen und

-die nachfolgenden Vereinbarungen, die den gedruckten Bedingungen vorgehen:

a) Für die Leistungen des Versicherers bildet die vereinbarte Versicherungssumme - 26.000 Euro - die Höchstgrenze bei jedem Rechtsschutzfall. …“

Die Streitverkündete und die Beklagte schlossen unter dem 27.8.2007 eine „Zusatzvereinbarung“ zu diesem Gruppenvertrag. Darin heißt es in § 1 (Bl. 146 f): „U. und E.-R sind sich darin einig, dass die Erhöhung der Selbstbeteiligung von 102 auf 150 Euro und die neu vereinbarten Risikoausschlüsse (Gewinnzusagen, Kapitalanlagengeschäfte) erst für Rechtsschutzfälle gelten, die ab dem 1.1.2008 gemeldet werden. Die … neu vereinbarten Risikoausschlüsse gelten unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls, d.h. sie kommen für alle ab dem 1.1.2008 gemeldeten Rechtsschutzfälle zum Tragen, auch wenn der Versicherungsfall vor diesem Zeitpunkt eingetreten ist.“

In der Juli - Ausgabe 2007 der Gewerkschaftszeitschrift „J.“ der Streitverkündeten informierte diese über die Änderungen im Bereich der Familien-Rechtsschutzversicherung (Bl. 147, 150).

Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger Freistellung von Verbindlichkeiten aus Kostenrechnungen und Feststellung der Deckung verlangt wegen der Geltendmachung von Schadensersatz im Zusammenhang mit einer gescheiterten Beteiligung aus 1997 mit zwei Zeichnungsscheinen der I.-Beteiligungs-Aktiengesellschaft als atypisch stiller Gesellschafter bei Vertragssummen von 41.580,00 DM und 8.400,00 DM (Anlagen K 6 Bl 41 f). Die Beteiligung erfolgte im Rahmen eines sog. Steigermodells mit Beteiligungen an hintereinandergeschalteten Gesellschaften (vgl. Bl. 4 ff). Es kam zu keinerlei Gewinnen. Über das Vermögen der T. AG und der I. Gruppe Holding wurde 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet.

2007 mandatierte der Kläger seine jetzigen Bevollmächtigten im Hinblick auf die Vertretung im Insolvenzverfahren und Geltendmachung von Schadensersatzansprüche gegen die Anlagegesellschaften. Die Anwälte wandten sich mit Schreiben vom 9.4.2008 an die Beklagte wegen Deckung (Bl. 44 ff, 53 ff).

Diese lehnte mit Schreiben vom 16.4.2008 (Bl. 46) Versicherungsschutz ab unter Hinweis auf den Leistungsausschluss  u.a. für Beteiligungen nach § 3 Abs. 2 f ARB/G 2007.

Mit Forderungsanmeldung vom 3.11.2008 wurden die Ansprüche des Klägers im Insolvenzverfahren der I. Gruppe Holding zur Tabelle angemeldet. Mit Schreiben vom 18.6.2009 wurde der Beklagten eine auf den Kläger ausgestellte Kostenrechnung betreffend die Vertretung im Insolvenzverfahren der I. Gruppe Holding mit der Bitte um Freistellung durch Zahlung an die Anwaltskanzlei übersandt.  Daraufhin lehnte die Beklagte dieses Begehren unter Bezugnahme auf das Ablehnungsschreiben vom 16.4.2008 ausdrücklich ab.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Risikoausschluss greife nicht, weil der Versicherungsfall eingetreten sei, als das Risiko gedeckt gewesen sei.  Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 4.4.2011 hat der Kläger bestritten, dass die Beklagte nachgewiesen habe, dass es im Gruppenversicherungsvertrag zu einer Umstellung der ARB/G 94 auf die ARB/G 2007 gekommen sei.

Soweit eine  Umstellung auf die ARB/G 2007 überhaupt erfolgt sei, sei sie  nach Eintritt des Versicherungsfalles erfolgt. Eine Rückwirkung scheide aus. Die Geltung der ursprünglichen AVB ergebe sich zudem aus dem damaligen Versicherungsausweis. Aus der Vereinbarung vom 27.8.2007 folge nichts anderes. Ohne Änderungsvorbehaltsvereinbarung könne beim Vertrag zugunsten Dritter das Recht des Dritten nicht aufgehoben werden. Zudem sei die Nachmeldefrist zu kurz und damit unwirksam. Die Mitteilung im Magazin „J.“ reiche nicht aus.

Der Kläger hat beantragt,

1.  die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der Verbindlichkeit aus  der Kostenrechnung der Kanzlei N. C. G. vom 18.6.2009,  

Rechnungs - Nr. 2009002xxx, in Höhe von 558,11 € nebst Zinsenhieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab

Rechtshängigkeit freizustellen;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der Verbindlichkeit ausder Kostenrechnung der Kanzlei N. C. G. vom 18.6.2009,

Rechnungs-Nr. 2009002xxx, in Höhe von 558,11 € nebst Zinsen hierausin Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab

Rechtshängigkeit freizustellen;

3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der Verbindlichkeit ausder Kostenrechnung der Kanzlei N. C. G. vom 8.6.2010,

Rechnungs - Nr. 2010003xxx, in Höhe von 985,56 € nebst Zinsenhieraus  in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab

Rechtshängigkeit freizustellen;

4. festzustellen, dass die Beklagte aus dem Gruppenversicherungsvertragmit der U. Gewerkschaft H. verpflichtet ist, dem Kläger für

die gerichtliche Durchsetzung seiner Ansprüche gegen die Konzeptantenund Konzernverantwortlichen der T. I.Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG und der I.Gruppe Vermögens- und Finanzholding GmbH & Co. KG aA, Herrn Dipl.-Kfm. K. A. und Herrn L. V., Kostenschutz für die I.Instanz zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen. 

Die Beklagte hat sich darauf berufen, dass der Kläger zu spät die Ansprüche gemeldet habe, und zwar erstmalig am 9.4.2008. Für die Änderung habe es keiner Zustimmung des Klägers bedurft. Der Kläger sei nicht Versicherungsnehmer, sondern als Mitglied in den Geltungsbereich der Gruppenversicherung einbezogen. Die Streitverkündete habe in der Deckung von Streitigkeiten im Bereich von Spekulations- und Kapitalanlagegeschäften keine gewerkschaftliche Aufgabe gesehen, so dass einvernehmlich die Neufassung ARB/G 2007 zugrunde gelegt worden sei. Das Magazin „J.“ sei das offizielle Publikationsorgan der Streitverkündeten. Die Vorankündigungsfrist sei ausreichend gewesen.  Die §§ 305 ff BGB fänden keine Anwendung auf Änderungen der Gruppenversicherung.

Das Landgericht  hat  der Klage stattgegeben.   Es hat ausgeführt, der ursprünglich vorhandene Deckungsschutz sei nicht nachträglich entfallen.  Zu Unrecht berufe sich die Beklagte auf die Zusatzvereinbarung vom 27.8.2007. Die Ausschlussfrist für Versicherungsfälle, welche noch unter ARB / G 94   eingetreten seien und unter den Risikoausschluss der Kaptalanlagen fielen, sei  im Hinblick auf § 328 Abs. 2 BGB unwirksam. Unstreitig sei, dass kein Gruppenversicherungsvertrag vor Abschluss der Zusatzvereinbarung ausdrücklich geregelt habe, dass eine Änderung der Ausschlussfrist vereinbart werden könne.  Dazu verhalte sich auch nicht der Änderungs- und Ersetzungsvorbehalt in der Fassung des Gruppenversicherungsvertrages vom 23.1./21.2.1995.  Ein stillschweigend ausbedungener Änderungsvorbehalt könne nicht angenommen werden. Er ergebe sich nicht aus Sinn und Zweck der Gruppenversicherung.

Es sei nicht erkennbar, woraus eine von beiden Parteien der Gruppenversicherung gebilligte Interessenlage bestanden haben solle, nach der eine nachträgliche Änderung der Ausschlussfrist stillschweigend abgedeckt gewesen sein könne.  Es sei im übrigen anerkannt, dass ein Änderungsvorbehalt zu Lasten des Begünstigten, der auch den Fall erfasst, dass das Recht eines Dritten bereits entstanden sei, im Zweifel nicht anzunehmen sei.

Da im übrigen keine Einwendungen gegen den Deckungsanspruch erhoben seien, sei der Klage voll stattzugeben.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie fehlerhafte Rechtsanwendung rügt. Sie vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und macht geltend,  die Deckungsanfrage des Klägers vom 9.4.2008 sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, als  aufgrund des Risikoausschlusses kein Deckungsschutz bestanden habe.

Die Streitverkündete habe über die Änderungen auf dem Gewerkschaftstag 2007 unter Beteiligung der Mitglieder beraten und die Beschlüsse im Heft „ J.“ veröffentlicht. Damit seien die Mitglieder informiert worden. Der Kläger habe, anwaltlich vertreten seit Juli 2007, vor dem 1.1.2008 um Deckung nachsuchen können, ohne dass sich die Beklagte auf den Risikoausschluss hätte berufen können.  Die Beklagte habe dargelegt, dass der gewährte Rechtsschutz nach der Satzung an die Mitgliedschaft gebunden sei.  Gleiches bestimme der Gruppenversicherungsvertrag vom 27.8.2007. Der Kläger habe die Kopplung gekannt.  Eine unangemessene überraschende Benachteiligung könne nicht angenommen werden.  Die Gewerkschaft habe es nicht als ihre Aufgabe angesehen,  den Versicherungsschutz für zunehmende Kapitalanlagenstreitigkeiten ihren Mitgliedern anzubieten.  Es erscheine nicht sachgerecht, der Beklagten sowie der Streitverkündeten, die freie Bestimmbarkeit des Vertragsinhalts zu nehmen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils, die Klage abzuweisen.

Der Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene  Urteil und macht geltend, es sei bestritten, dass die Änderung des Gruppenversicherungsvertrages tatsächlich erfolgt sei. Ein Änderungsvorbehalt habe nicht bestanden. Eine neue Risikokalkulation der Beklagten hätte sich allenfalls auf künftige Versicherungsbeiträge auswirken können. Schließlich  sei die Zusatzvereinbarung vom 27.8.2007 auch überraschend  und unwirksam.  Die Regelung hätte ab 1.1.2008 einen vollständigen Wegfall der Nachmeldefrist zur Folge, denn bis 31.12.2007 habe Versicherungsschutz für Kapitalanlagen bestanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Beklagten ist begründet. 

1.  Dem Kläger steht aus dem Gruppenversicherungsvertrag in Verbindung mit § 20 Nr. 4 der Satzung der Streitverkündeten sowie den §§ 17, 2a), 2 c) ARB/G94 ein Anspruch gegen die Beklagte auf Versicherungsschutz wegen der Vertretung im Insolvenzverfahren und der Durchsetzung seiner Ansprüche gegen die Konzeptanten und Konzernverantwortlichen der T. I. Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG und der I. Gruppe Vermögens - und Finanzholding GmbH & Co. KG aA, Herrn Dipl.-Kfm. A. und Herrn L. V., nicht zu.

2. a)  Dass für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Klägers im Zusammenhang mit Schäden aus der  Beteiligung gemäß Zeichnungsschein des stillen Gesellschafters gegenüber der I. Beteiligungs - Aktiengesellschaft ursprünglich die ARB/G94 galten, ist zwischen den Parteien nicht streitig.

Der Versicherungsschutz ist jedoch gemäß § 3 Abs. 2 f) ARB/G 2007 entfallen.

Nach dieser Bestimmung besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit dem Ankauf, der Veräußerung, der Verwaltung von Wertpapieren (z.B. Aktien, Rentenwerte, Fondsanteile), Wertrechten, die Wertpapieren gleichstehen, und Beteiligungen. Letzteres ist vorliegend der Fall.

Gegen die grundsätzliche Wirksamkeit dieses Leistungsausschlusses, jedenfalls im Hinblick die hier vorliegende Fassung betreffend  „Beteiligungen“,  bestehen keine Bedenken.

Der Begriff der Beteiligungen ist so zu verstehen, dass mit dem aufgewendeten Kapital eine Vermögensanlage in einer Handelsgesellschaft erworben wird (vgl. Maier in Harbauer, ARB, 8. Aufl., § 3 ARB 2000 Rn 233; Münkel in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 2. Aufl., § 3 ARB 2010 Rn 15). Der Beitritt des Klägers als atypisch stiller Gesellschafter der I. Beteiligungs - Aktiengesellschaft ist damit vom Leistungsausschluss erfasst.

Zu diesem Ergebnis gelangt bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs der Versicherungsbedingungen auch ein durchschnittlicher,  juristisch nicht vorgebildeter Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung (vgl. zur Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen BGH  VersR 2011, 1119;  BGHZ 123, 83; VersR 2003, 720; BGHZ 103, 370).

Bedenken an der Wirksamkeit der vorliegenden Fassung der sog. Kapitalanlagenklausel im Hinblick auf § 307 Abs. 1 BGB bestehen nicht. Eine Unklarheit oder unangemessene Benachteiligung ist nicht anzunehmen (vgl. Maier in Harbauer, ARB, 8. Aufl., § 3 ARB 2000 Rn 233; Münkel in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 2. Aufl., § 3 ARB 2010 Rn 15).

Der verständige durchschnittliche  Versicherungsnehmer wird erkennen, dass die rechtliche Interessenwahrnehmung im Zusammenhang mit einer Beteiligung an einer Gesellschaft - wie in den Zeichnungsscheinen vom 8.6.1997 verbrieft -  nicht in die Deckung fällt.

Anders mag es zu beurteilen sein, wenn eine derartige Klausel über den Leistungsausschluss bei Kapitalanlagen in ihrer Reichweite unklare Zusätze wie eine Bezugnahme auf die „Grundsätze der Prospekthaftung“ oder nicht eindeutige Begriffe wie „Effekten“ enthalten sollte (vgl.  dazu OLG München, Urteil vom 22.9.2011 - 29 U 589/11- zitiert bei juris). Das ist aber bei der vorliegenden Klauselfassung nicht der Fall.

b)  Der Leistungsausschluss ist auch im Verhältnis zum Kläger wirksam geworden.

Versicherungsschutz für Beteiligungen ist nämlich durch die Zusatzvereinbarung vom 27.8.2007 zwischen der Streitverkündeten und der Beklagten (Bl. 146) in Verbindung mit § 5 des Gruppenversicherungsvertrages vom 27.8.2007 (Bl. 198) entfallen.

In § 1 der Zusatzvereinbarung vom 27.8.2007 ist bestimmt, dass die neu vereinbarten Risikoausschlüsse  (Gewinnzusagen, Kapitalanlagengeschäfte)  für Rechtschutzfälle gelten, die ab dem 1.1.2008 gemeldet werden.  Das  führt vorliegend zum Leistungsausschluss, weil die Meldung nach dem Stichtag erfolgt ist.

c) Die Zusatzvereinbarung vom 27.8.2007 entfaltet ihre Wirkung auch im Verhältnis der Parteien.

Bei der hier vereinbarten Gruppenversicherung ist der Versicherungsnehmer nicht gleichzeitig Versicherter. Der Interessenverband versichert als Versicherungsnehmer  kollektiv seine Mitglieder (vgl. Brömmelmeyer in VersRHdb, 2. Aufl., § 42 Rn 22; Rogler in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 2. Aufl. § 206 Rn 15; Schneider in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 150 Rn 31; Wilhelm u. Fahl VersR 2007, 1338; Franz VersR 2008, 1565). Es handelt sich um einen Versicherungsvertrag für fremde Rechnung gemäß § 43 VVG.  Der Versicherte erwirbt einen unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherer, § 11 ARB/G 2007 (Bl. 126); bzw. §14 ARB 2000 (Bl.102); § 11 ARB 94 (Bl.35) (vgl. Cornelius-Winkler in Harbauer, ARB, 8 Aufl., § 15 ARB 2000 Rn 2). Der Versicherte wird aber nicht „Herr des Vertrages“ in der Gruppenversicherung; diese Funktion bleibt bei der Gruppenspitze (vgl. Brand in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 44 Rn 8).

In einem solchen Fall ist § 328 BGB anzuwenden (vgl. BGH NJW 2006, 1434, 1437; OLG Karlsruhe VersR 1978, 416). Nach § 328 Abs. 2 BGB ist in Ermangelung einer besonderen Bestimmung aus den Umständen, insbesondere aus dem Zweck des Vertrages,  zu entnehmen, ob der Dritte das Recht erwerben, ob das Recht des Dritten sofort oder nur unter gewissen Voraussetzungen entstehen und ob den Vertragschließenden die Befugnis vorbehalten sein soll, das Recht des Dritten ohne dessen Zustimmung aufzuheben oder zu ändern.

Vorliegend ist nach dem Inhalt der Vereinbarungen von einem - jedenfalls stillschweigenden - vertraglichen Änderungsvorbehalt auszugehen (vgl. dazu BGH WM 1982, 902; OLG Frankfurt NJW-RR 2002, 54; MünchKomm-BGB-Gottwald, 5. Aufl., § 328 Rn 35; zum Recht der Vertragsänderung durch Versicherungsnehmer und Versicherer auch Brand, a.a.O., § 44 Rn 8).

In § 20 Nr. 4 der Satzung der Streitverkündeten heißt es, dass die Versicherungsbedingungen und Leistungen sich im einzelnen und im übrigen nach dem mit dem Versicherungsträger abgeschlossenen Gruppenversicherungsvertrag und den Versicherungsbedingungen richten.  Es wird sodann auf den Versicherungsausweis Bezug genommen.  In dem Versicherungsausweis ist auf Seite 12 bestimmt: „Versichert sind Sie ab Beginn Ihrer Mittgliedschaft in der U. Gewerkschaft und Teilnahme am Gruppenversicherungsvertrag. Solange diese beiden Voraussetzungen vorliegen, haben Sie Rechtschutz für Rechtsschutzfälle, die nach dem Beginnzeitpunkt bzw. Ablauf der 3-monatigen Wartefrist erstmals eintreten“. Weiter ist dort vereinbart, dass bei Ende der Mitgliedschaft auch die Teilnahme am Gruppenversicherungsvertrag und der Versicherungsschutz endet. § 17 Nr. 11 der Satzung der Streitverkündeten regelt darüber hinaus, dass bei Ausscheiden eines Mitglieds der Rechtsschutz sofort ohne Nachwirkung beendet ist.

Dem entsprechend heißt es in § 3 Nr. 2 des  Gruppenversicherungsvertrages vom 27.8.2007 (KE 9), dass die „Vertragsteilnahme und der Versicherungsschutz“ für das Mitglied erlischt, wenn die Mitgliedschaft in der Streitverkündeten endet.

Bereits im Gruppenversicherungsvertrag vom 23.1.1995 ist in § 5 Nr. 3 geregelt, dass für den Fall, dass Bestimmungen des Gruppenversicherungsvertrages bzw. der zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen ergänzt oder ersetzt werden können unter anderem bei Gesetzesänderungen, auf denen die Vertragsbestimmungen beruhen, und bei unmittelbar den Versicherungsvertrag betreffenden Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung die H. sich verpflichtet, einvernehmlich an einer Änderung mitzuwirken.

Daraus ergibt sich in einer Gesamtbetrachtung, dass jedenfalls ein stillschweigender Änderungsvorbehalt vorliegt, so dass der Versicherungsschutz vom jeweiligen Gruppenversicherungsvertrag abhängig und also auch an etwaige Änderungen auf vereinbarter Basis daran gekoppelt ist.

Demnach ist es in diesem Zusammenhang nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Risikoausschluss für Kapitalanlagestreitigkeiten auf dem Gewerkschaftstag in Fulda am 11.7.2007 unter Beteiligung der Delegierten den Mitgliedern  bekannt gemacht und die  Information über die Vertragsänderung  in der Mitgliederzeitschrift „J.“ gelesen wurde.

Auf eine zusätzliche schriftliche Erklärung der versicherten Mitglieder nach § 2  des Vertrages vom 27.8.2007 kommt es nicht an.

d) Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Vertragszweck und der Interessenlage. Diese Gesichtspunkte sprechen vielmehr für eine Änderungsmöglichkeit.

Die Beklagte hat dazu dargelegt, dass die Streitverkündete es nicht als ihre Aufgabe angesehen hat, den Versicherungsschutz für zunehmende Kapitalanlagestreitigkeiten ihren Mitgliedern über die gewerkschaftliche Gruppenversicherung anzubieten. Es habe eine Abwägung stattgefunden, inwieweit eine nicht in den gewerkschaftlichen Aufgabenbereich fallende Finanzierung von Kapitalanlagestreitigkeiten zu Lasten der Gewerkschaftsmitglieder über den Gewerkschaftsbeitrag aller finanziert werde. Die Beklagte hat insoweit vorgetragen, dass die im Vergleich zu der Gesamtzahl der Gewerkschaftsmitglieder geringe Anzahl von Rechtsschutzfällen im Kapitalanlagenbereich zur Folge gehabt hätte, dass  die Versicherungsprämien im Rahmen der Gruppenversicherung nicht unerheblich angestiegen wären, soweit Kapitalanlagestreitigkeiten weiterhin durch die Beklagte weiterhin auch im Hinblick auf rückwirkende Rechtsschutzfälle zu finanzieren wären. Insoweit ist zudem zu berücksichtigen, dass der Risikoausschluss für Kapitalanlagestreitigkeiten allgemein aus dem Bereich der Deckung herausgenommen wurde (vgl. Maier in Harbauer, a.a.O.,  3 ARB 2000 Rn 229).

Bedenken an der Verfahrensweise der Streitverkündeten und der Beklagten im Hinblick auf wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte (vgl. BGH  VersR 1990, 670) bestehen nicht. Vorsorgemaßnahmen hinsichtlich der Versicherung von Mitgliedern gehören zu den gewerkschaftlichen  Aufgaben. Die Satzung der Streitverkündeten berücksichtigt die Möglichkeit der Erstattung eines Teil des Mitgliedsbeitrages für diejenigen Mitglieder, die sich entscheiden, an der Familien-Rechtsschutzversicherung nicht teilzunehmen, in angemessener Weise.

e) Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, dass die Änderung des Gruppenversicherungsvertrages tatsächlich gar nicht erfolgt sei und statt der dem Kläger bekannt gemachten Versicherungsbedingungen neue eingeführt worden seien.

Dazu heißt es im angegriffenen Urteil, dass der Kläger im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 4.4.2011 bestritten habe, dass die Beklagte nachgewiesen habe, dass es im Gruppenversicherungsvertrag zu einer Umstellung von ARB/G 94 auf die ARB/G 2007 gekommen sei. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 4.4.2011 den diesen Vortrag des Klägers  betreffenden Antrag auf Tatbestandsberichtigung zurückgewiesen.  Es hat dazu ausgeführt, die Darstellung im erstinstanzlichen Urteil sei nicht falsch gewesen, da der Kläger erstmals im Schriftsatz vom 4.4.2011 bestritten habe, dass Gegenstand der Regelung des Gruppenversicherungsvertrages die Umstellung auf die ARB/G 2007 gewesen sei. Im Schriftsatz vom 31.1.2011 sei die die Wirksamkeit der Umstellung auf die neuen ARB in Frage gestellt, nicht jedoch, dass es überhaupt eine Regelung zwischen der Beklagten und der Streitverkündeten gegeben habe, die dies angestrebt habe. Davon hat der Senat nach den §§ 314, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auszugehen (vgl. Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 529 Rn 1).

Soweit der Kläger nunmehr in zweiter Instanz bestritten hat, dass die Umstellung der Versicherungsbedingungen erfolgt sei, muss dieses Vorbringen - wenn man es überhaupt angesichts des Inhalts der vorgelegten Urkunde vom 27.8.2007 (KE 6) als substanziiert ansieht -  jedenfalls an der Novensperre des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO scheitern.

f) Die Zusatzvereinbarung vom 27.8.2007 (Bl. 146) im Rahmen des Gruppenversicherungsvertrages ist  auch nicht aus anderen Gründen unwirksam. Darin ist geregelt,  dass die neu vereinbarten Risikoausschlüsse für die Rechtsschutzfälle gelten, die ab 1.1.2008 gemeldet werden.  Es handelt sich um eine eigens ausgehandelte Individualvereinbarung zur Regelung der Nachmeldung anlässlich der neu eingeführten Leistungsausschlüsse. Eine solche Regelung ist weder sittenwidrig (§ 138 BGB) noch als unzulässige Rechtsausübung anzusehen. Eine unangemessene Fristregelung ist nicht anzunehmen.

III. Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2  ZPO liegen  vor. Die Entscheidung hat wegen nach Klägervortrag zahlreicher Anspruchsteller über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Zulässigkeit von nachträgliche Vereinbarungen von Leistungsausschlüssen in der hier vorliegenden Fassung hinsichtlich der Interessenwahrnehmung bei Kapitalanlagen in Gruppenrechtsschutzversicherungsverträgen.

Streitwert für das Berufungsverfahren:  5.459,53 €