VG Minden, Beschluss vom 08.09.2011 - 9 L 352/11
Fundstelle
openJur 2012, 82178
  • Rkr:
Tenor

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsbestimmung bewilligt und Rechtsanwalt H. aus S. beigeordnet.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 20.7.2011 (9 K 1659/11) gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 8.7.2011 wird hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, M, L und S (Ziff. I der Ordnungsverfügung) wiederhergestellt, im Óbrigen angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. aus S. (§ 166 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i.V.m. §§ 114 Satz 1, 121 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO -) ist zulässig und begründet. Denn der Antragsteller kann nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen und der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, für den die Prozesskostenhilfe begehrt wird, hat aus den nachstehenden Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig.

Der sinngemäß gestellte Antrag

die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 20.7.2011 (9 K 1659/11) gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 8.7.2011 hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, M, L und S (Ziff. I der Ordnungsverfügung) wiederherzustellen und im Óbrigen anzuordnen,

ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere hat sich die Zwangsgeldandrohung (Ziff. III der Ordnungsverfügung) noch nicht erledigt, weil der Antragsteller der zugrunde liegenden Anordnung, seinen Führerschein beim Antragsgegner abzugeben, bislang nicht nachgekommen ist.

Der Antrag ist auch begründet.

Das Gericht kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn - wie hier hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 Satz 1 des Justizgesetzes NRW (JustG NRW) und hinsichtlich der Gebührenfestsetzung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO - die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes entfällt. Es kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage wiederherstellen, wenn - wie hier hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung - gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts angeordnet worden ist. Hierbei hat das Gericht jeweils eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Durchsetzung des Verwaltungsakts vorläufig verschont zu bleiben, ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts gegenüberzustellen. Ausgangspunkt dieser Interessenabwägung ist eine - im Rahmen des Eilrechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Ergibt diese Prüfung, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und ist deshalb die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen bzw. wiederherzustellen. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kann grundsätzlich kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Erweist sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, in Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO allerdings nur dann, wenn zusätzlich ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Denn die behördliche Vollziehungsanordnung stellt eine Ausnahme vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO dar und bedarf deswegen einer besonderen Rechtfertigung. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, ist die Entscheidung auf der Grundlage einer umfassenden Folgenabwägung zu treffen. Hat die Behörde die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes angeordnet, hat der Antrag unabhängig von einer Interessenabwägung Erfolg, wenn die Vollziehungsanordnung formell rechtswidrig ist.

Die gebotene Interessenabwägung geht vorliegend zugunsten des Antragstellers aus. Die Entziehung der Fahrerlaubnis erweist sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig.

Sie lässt sich nicht auf § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV - stützten, die allein als Rechtsgrundlage in Betracht kommen. Danach hat, erweist sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, die Fahrerlaubnisbehörde ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nichteignung ist gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann gegeben, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Anders als der Antragsgegner meint, ist der Antragsteller nicht deshalb als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, weil er sich geweigert hat, der Aufforderung des Antragsgegners vom 2.5.2011 zur Beibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinischpsychologisches Gutachten, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV) Folge zu leisten. Die Fahrerlaubnisbehörde darf zwar gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV dann auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser eine Untersuchung verweigert oder ein gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Das setzt allerdings voraus, dass die Gutachtenanordnung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war und für nicht fristgerechte Beibringung kein ausreichender Grund besteht

vgl. BVerwG, Urteil vom 9.6.2005 - 3 C 25.04 -, NJW 2005, 3081 = Juris, Rn. 19; OVG NRW, Beschlüsse vom 4.9.2000

- 19 B 1134/00 -, NZV 2001, 95 = Juris, Rn. 3, und vom 22.11.2001 - 19 B 814/01 -, NZV 2002, 427 = Juris, Rn. 4; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage 2011, § 11 FeV Rn. 22, 24

An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Der Antragsgegner war zu der Gutachtenanordnung nicht berechtigt.

Bei einer Alkoholproblematik, wie sie hier aufgrund des Vorfalls vom 5.4.2011 in Rede steht, bei dem der Antragsteller alkoholbedingt hilflos in seiner Wohnung aufgefunden und in der Folge in ein Krankenhaus verbracht wurde, kann eine Nichteignung nach Nrn. 8.1 und 8.3 der Anlage 4 zur FeV vorliegen. Danach ist zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Regel ungeeignet, wer das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann - Alkoholmissbrauch - oder wer alkoholabhängig ist. Bei diesbezüglichen Eignungszweifeln ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis nach Maßgabe von § 46 Abs. 3 i.V.m. § 13 FeV die Beibringung eines ärztlichen oder eines medizinischpsychologischen Gutachtens an. Als Rechtsgrundlage der vorliegend in Rede stehende Gutachtenanordnung kommt allein § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, 2. Alt. FeV in Betracht, wonach die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens anordnet, wenn Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. An solchen Tatsachen fehlt es hier.

Alkoholmissbrauch liegt nach der Legaldefinition in Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV nicht - was dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechen mag - bereits dann vor, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber nicht nur gelegentlich große Mengen an Alkohol zu sich nimmt; entscheidend ist vielmehr, dass der Betroffene nicht hinreichend sicher zwischen dem Führen von Fahrzeugen und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum trennen kann. Dementsprechend kann einem Fahrerlaubnisinhaber die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens zur Abklärung eines möglichen Alkoholmissbrauch nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, 2. Alt. FeV nur aufgegeben werden, wenn der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht besteht, dass er künftig ein Fahrzeug führen könnte, obwohl er hierzu wegen alkoholbedingter Beeinträchtigungen nicht mehr uneingeschränkt in der Lage ist. Die Annahme derartiger Tatsachen setzt zwar nicht zwingend voraus, dass eine aufgetretene Alkoholauffälligkeit des Betroffenen im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr steht.

Vgl. VGH BW, Beschluss vom 24.6.2002 - 10 S 985/02 -, NZV 2002, 580 = Juris, Rn. 20; OVG Rhl.-Pflz., Urteil vom 5.6.2007 - 10 A 100062/07 -, Juris, Rn. 36; OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 12.11.2008 - 3 M 503/08 -, NJW 2009, 1829 = Juris, Rn. 6; Dauer, a.a.O., § 13 FeV Rn. 21 m.w.N.

Eine außerhalb des Straßenverkehrs zu Tage getretene Alkoholauffälligkeit muss jedoch nach den Gesamtumständen Zweifel rechtfertigen, dass der Betroffene das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht sicher Trennen kann. Allein erheblicher Alkoholkonsum oder massive Alkoholgewöhnung genügen hierfür nicht.

Vgl. VGH BW, Beschluss vom 24.6.2002 - 10 S 985/02 -, a.a.O.; OVG Rhl.-Pflz., Urteil vom 5.6.2007 - 10 A 100062/07 -, a.a.O., Rn. 35; OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 12.11.2008

- 3 M 503/08 -, a.a.O., Rn. 6 f.; VG Augsburg, Beschluss vom 9.3.2005 - Au 3 S 05.167 -, DAR 2005, 711 = Juris, Rn. 19; VG Sigmaringen, Beschluss vom 19.1.2001 - 2 K 59/01 -, NVwZ-RR 2002, 116 = Juris, Rn. 15; Dauer, a.a.O. Offengelassen von OVG NRW, Beschluss vom 4.2.2004 - 19 A 94/03 -, Juris, Rn. 17.

Denn es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Personen, die zwar - nach Trinkmenge und Trinkhäufigkeit - in einem überdurchschnittlich hohen Maße Alkohol zu sich nehmen, zu denen jedoch bislang jegliche Hinweise auf eine schon einmal vorgekommene Verkehrsteilnahme unter Alkoholeinfluss fehlen, eher als "Alkoholnormalverbraucher" nach einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht die nötige Selbstkontrolle aufbringen könnten, um von einer Teilnahme am Straßenverkehr abzusehen.

Vgl. OVG Rhl.-Pflz., Urteil vom 5.6.2007 - 10 A 100062/07 -, a.a.O.; OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 12.11.2008

- 3 M 503/08 -, a.a.O., Rn. 7.

Nicht im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr stehende Alkoholauffälligkeiten begründen einen die Anordnung eines medizinischpsychologischen Gutachtens rechtfertigenden Verdacht des Alkoholmissbrauchs deshalb nur dann, wenn zusätzlich besondere tatsächliche Umstände vorliegen, die den Schluss nahe legen, der Betroffene werde künftig trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit ein Fahrzeug führen. Derartige besondere Umstände hat die Rechtsprechung beispielsweise bei Berufskraftfahrern und Taxifahrern bejaht, da diese Personen täglich am Straßenverkehr teilnehmen "müssen" und damit ein Dauerkonflikt zwischen erheblichem Alkoholkonsum und dem Nüchternheitsgebot bei der Verkehrsteilnahme vorliegt.

Vgl. VGH BW, Beschluss vom 24.6.2002 - 10 S 985/02 -, a.a.O.; VG Sigmaringen, Beschluss vom 19.1.2001 - 2 K 59/01 -, a.a.O., Rn. 16.

Gleiches kann der Fall sein, wenn der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen auf die regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.5.2003 - 19 B 779/03 -, Juris, Rn. 22 f.

Auch wer zuvor im Straßenverkehr mit Alkohol aufgefallen war und im privaten Bereich ohne Verkehrsteilnahme eine erhebliche Alkoholisierung erreicht, kann ein solches Aufklärungsbedürfnis begründen.

Vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 9.3.2005 - Au 3 S 05.167 -, a.a.O.

Eine derartige oder vergleichbare Fallkonstellation ist hier nach den vorliegenden Unterlagen nicht gegeben. Der Antragsteller ist weder im Zusammenhang mit den Ereignissen am 5.4.2011 noch jemals zuvor in alkoholisiertem Zustand im Straßenverkehr aufgefallen. Er ist auch weder aus beruflichen noch aus privaten Gründen derart regelmäßig auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen, dass er einem ständigen Konflikt ausgesetzt wäre, erheblich von der Norm abweichende Trinkgewohnheiten mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr in Einklang zu bringen. Der Antragsteller ist arbeitslos. Er besitzt nach eigenen Angaben keinen eigenen Pkw, benutzt aber häufig den Pkw seines Sohnes. Allein daraus ergibt sich freilich noch kein Dauerkonflikt zwischen Alkoholkonsum und Straßenverkehrsteilnahme, der bei einem beruflichen oder sonstigen Angewiesensein auf die Fahrzeugnutzung die Annahme eines hinreichenden Verdachts des Alkoholmissbrauchs rechtfertigt. Der Antragsteller ist völlig frei darin, ob und wann er Auto fährt. Auch darauf, dass es bereits am 11.7.2008, 13.1.2010 und 21.8.2010, jeweils zu ähnlichen Vorfällen wie am 5.4.2011 gekommen ist, lässt sich die Gutachtenanordnung nicht stützen. Ausweislich des Berichts der Kreispolizeibehörde H1. vom 5.4.2011 war der Antragsteller auch an diesen Tagen derart betrunken, dass er nicht in der Lage war, sich selbstständig aufzurichten und zu laufen. Auch insoweit fehlte es freilich an zu der bloßen Tatsache eines erheblichen Alkoholkonsums hinzutretenden besonderen Umständen, die die Annahme eines Alkoholmissbrauchs, d.h. der unzureichenden Trennung von Trinken und Fahren, begründen könnten. Solche Umstände sind auch nicht darin zu sehen, dass der Antragsteller an diesen Tagen jeweils durch Missbrauch von Notfällen auffällig geworden ist. Denn für die Annahme von Alkoholmissbrauch genügt nach dem Dafürhalten der Kammer nicht jedes Verhalten des Fahrerlaubnisinhabers, das ganz allgemein fehlendes Verantwortungsbewusstsein nach erheblichem Alkoholgenuss erkennen lässt.

So aber wohl VGH BW, Beschluss vom 22.1.2001

- 10 S 2032/00 -, Juris, Rn. 5 (nächtlicher Bar-Aufenthalt einer erheblich alkoholisierten Frau in Begleitung eines vierjährigen Kindes, die freilich - worauf der VGH BW zusätzlich abhebt - früher bereits einmal mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,79 Promille ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hatte); offengelassen von OVG NRW, Beschluss vom 22.5.2003

- 19 B 779/03 -, a.a.O., Rn. 17 ff.

Das verantwortungslose Verhalten muss vielmehr erwarten lassen, dass sich der Betroffene auch dadurch über schutzwürdige Interessen der Allgemeinheit sowie einzelner dritter Verkehrsteilnehmer hinwegsetzen könnte, dass er trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führt. Das ist bei den hier in Rede stehenden Notrufmissbräuchen nicht der Fall.

Abgesehen davon ist die Gutachtenanordnung auch deshalb rechtswidrig, weil sie nicht in vollem Umfang anlassbezogen ist.

Wegen des mit einer Begutachtung verbundenen Eingriffs in das allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -)

vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 24.6.1993 - 1 BvR 689/92 -, BVerfGE 89, 69 = Juris, Rn. 50 ff.

hat sich aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die Gutachtenanordnung auf die Abklärung solcher Eignungsmängel zu beschränken, für die hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Die Gutachtenanordnung muss in diesem Sinne anlassbezogen sein.

BVerwG, Urteile vom 13.11.1997 - 3 C 1.97 -, NZV 1998, 300 = Juris, Rn. 17; vom 9.6.2005 - 3 C 25.04 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2001 - 19 B 814/01 -, a.a.O., Rn. 4 ff.

Daran fehlt es hier. Aufgrund des Vorfalls am 5.4.2011 und der vergleichbaren Vorfälle in der Vergangenheit konnten - allenfalls - alkoholbedingte Zweifel an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen. Óber diesen Anlass geht die Gutachtenanordnung insoweit hinaus, als darin die der Begutachtung zugrunde zu legende Fragestellung nicht auf die Abklärung eines - vom Antragsteller angenommenen - möglichen Alkoholmissbrauchs beschränkt ist, sondern darüber hinaus nach dem Vorliegen von für die Fahreignung erhebliche Gesundheitsstörungen oder Krankheiten gefragt wird. Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen derartiger Eignungsmängel sind aber weder in der Gutachtenanordnung benannt noch sonst ersichtlich.

Auch wenn sich die Gutachtenanordnung danach als rechtswidrig erweist und der Antragsgegner deshalb nicht berechtigt war, von der vom Antragsteller verweigerten Gutachtenbeibringung auf dessen Nichteignung zu schließen, sieht die Kammer Anlass zu dem Hinweis, dass nach den Gesamtumständen durch Tatsachen begründete Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers im Hinblick auf eine mögliche Alkoholabhängigkeit bestehen dürften, zu deren Abklärung gemäß § 13 Nr. 1 FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen wäre.

Ein Abhängigkeitssyndrom liegt nach der Nr. 2 des Vorspanns zu den Abschnitten F 10 bis F 19 der ICD-10 vor, wenn eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen besteht, die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln. Typischerweise bestehen ein starker Wunsch, die Substanz einzunehmen, Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren, und anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen. Dem Substanzgebrauch wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben; es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom.

Zitiert nach BayVGH, Beschluss vom 20.12.2004

- 11 CS 03.3412 -, Juris, Rn. 21.

In Óbereinstimmung mit diesem Definitionsansatz von "Abhängigkeit" halten die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheit (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 115, Februar 2000) fest, dass die sichere Diagnose einer Abhängigkeit nur gestellt werden sollte, wenn während des letzten Jahres vor der Diagnose drei oder mehr der sechs in Abschnitt 3.11.2 der Begutachtungsleitlinien aufgeführten Kriterien (sie übernehmen die beschreibenden Merkmale der ICD-10 und konkretisieren sie z.T. näher) gleichzeitig erfüllt waren.

Bei dem Antragsteller gibt es Hinweise auf eine verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums von Alkohol (Kriterium 2 in Abschnitt 3.11.2 der Begutachtungsleitlinien). Er wurde wiederholt in einem mit körperlichem Kontrollverlust verbundenen alkoholisierten Zustand angetroffen (kein selbstständiges Aufrichten und Laufen möglich, keine Verständigung möglich, Urin und Erbrochenes auf dem Boden der Wohnung). Auch gibt es Anzeichen für eine Vernachlässigung anderer Verrichtungen zugunsten des Alkoholkonsums (Kriterium 5 in Abschnitt 3.11.2 der Begutachtungsleitlinien). Am 5.4.2011 befand sich vor der Wohnungstür des Antragstellers die Post von mehreren Tagen. Die Kreispolizeibehörde H1. beschreibt die Verhältnisse vor Ort dahingehend, dass aufgrund des wohnlichen Gesamtbildes der Antragsteller offenbar nicht in der Lage sei, sich um sich selbst oder um den Zustand seiner Wohnung zu kümmern. Dass sowohl am 5.4.2011 als auch bei den vorausgegangenen Vorfällen in den Jahren 2008 und 2010 jeweils ein übermäßiger Alkoholkonsum ursächlich war, hält die Kammer - obwohl jeweils keine Atem- oder Blutalkoholkonzentration festgestellt wurde - aufgrund der in dem Bericht der Kreispolizeibehörde H1. vom 5.4.2011 niedergelegten Eindrücke bzw. Erinnerungen der vor Ort eingesetzten Beamten für zweifelsfrei. Dass es sich - wie der Antragsteller insinuiert - bei dem Vorfall am 5.4.2011 um ein außergewöhnliches, maßgeblich durch Wechselwirkungen von Alkohol und Medikamenten bedingtes Ereignis gehandelt haben könnte, ist im Hinblick auf die vergleichbaren Vorfälle in der Vergangenheit sowie die Tatsache, dass der Antragsteller die von ihm angegebenen Medikamente zur Behandlung einer Nierenerkrankung sowie von Harnsteinen bereits seit längerer Zeit einnimmt (die vorgelegten Medikamentenverordnungspläne datieren vom 22. und 23.9.2010), nicht plausibel. Im Óbrigen bestätigt auch die in dem vorgenannten Polizeibericht dokumentierte Einschätzung der Nachbarin des Antragstellers, bei diesem handle es sich "um einen starken Alkoholiker", das Bestehen einer Alkoholproblematik. Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann dem eine gewisse indizielle Bedeutung nicht abgesprochen werden kann.

2. Da die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen war, fehlt der Anordnung zur Abgabe des Führerscheins sowie der hierauf bezogenen Zwangsmittelandrohung (Ziff. III der Ordnungsverfügung) sowie der Gebührenfestsetzung (Ziff. IV der Ordnungsverfügung) derzeit die rechtliche Grundlage. Insoweit war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf §§ 52 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes

- GKG -.