OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.05.2011 - I-9 U 164/10
Fundstelle
openJur 2012, 80031
  • Rkr:
Tenor

für R e c h t erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 20.05.2010 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.417,32 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 10.335,41 € seit dem 29.07.2009 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig und bis auf einen Teil der geltend gemachten Zinsen auch begründet.

I.

Die Beklagte schuldet dem Kläger den zugesprochenen Betrag.

1.

Dem Kläger gebühren in der Hauptsache 9.842,15 € als Schadensersatz gemäß § 826 BGB sowie die begehrten 2.081,91 € an ausgerechneten Zinsen. Nach dieser Bestimmung macht sich schadensersatzpflichtig, wer als Anlageberater vorsätzlich oder grob fahrlässig (leichtfertig) ungeeignete Empfehlungen ausspricht und die Schädigung des Anlegers billigend in Kauf nimmt (für alle Palandt-Sprau, § 826 Rz. 30 m.w.N.). So lag es hier.

a)

Durch die Gespräche der Parteien, die schließlich zu der Zeichnung einer atypischen stillen Beteiligung an der F1… AG durch den Kläger am 20.05.2001 führten, wurde ein Beratungsvertrag begründet. Das ergibt sich bereits aus dem unstreitigen Umstand, dass die Beklagte dem Kläger eine Beratung über finanzielle Anlagemöglichkeiten anbot und ihm anschließend unter Bezugnahme auf eine durchgeführte Finanzanalyse mitteilte, er trage eine unnötig hohe Steuerlast und könne durch die angebotene Geldanlage erhebliche Steuervorteile erzielen.

Dieser Beratungsvertrag kam auf Beraterseite zwar nicht mit der Beklagten persönlich zustande, sondern mit der F2… AG, in deren Namen die Beklagte dem Kläger gegenüber auftrat (§ 164 Abs. 1 BGB). Das folgt zur Überzeugung des Gerichts nicht nur aus dem Beratungsbericht vom 18.07.2000 mit dem Aufdruck "F2…, welchen der Kläger bereits im Anschluss an eine frühere Beratung durch die Beklagte unterschrieben hatte, sondern vor allem aus der Aussage der Zeugin P1…, welche glaubhaft bekundet hat, dass die Beklagte sich mit den Worten vorstellte: "Ich arbeite in F2…. Die Vertretungsmacht der Beklagten für die F2… AG ist belegt durch deren Schreiben vom 28.05.2001 (Anl. B 1, Seite 1). Für die deliktische Haftung der Beklagten als der die Beratung durchführenden natürlichen Person ist das aber unerheblich.

b)

Die Beklagte führte die Beratung nicht anleger- und objektgerecht durch.

Vielmehr haben die Zeugen P1… und P2… übereinstimmend bekundet, dass die Beklagte - entgegen der wirklichen Gestaltung mit diversen Risiken, darunter dasjenige eines teilweisen oder sogar vollständigen Verlustes des eingesetzten Kapitals - trotz Nachfragen mit dem Ausdruck der Begeisterung erklärte, die Beteiligung sei sehr sicher und zur Altersvorsorge geeignet, das eingesetzte Kapital würde in jedem Fall zurückfließen, wenn man nur die vereinbarte Zeit geduldig abwarte, wenn es gut gehe, werde man auch noch mehr erhalten, man könne also nichts verlieren. Diese Schilderungen sind glaubhaft. Die Zeugen haben sich in sich stimmig, mit dem nach der vergangenen Zeit noch zu erwartenden Detailreichtum und ohne überschießende Belastungstendenz geäußert. Sie haben auch nicht stereotyp die Behauptungen des Klägers bestätigt. So hatte der Kläger schriftsätzlich großen Wert darauf gelegt, dass die Beklagte im eigenen Namen aufgetreten und der Begriff "F2… zwischen den Parteien kein Thema gewesen sei. Demgegenüber hat die Zeugin P1… auf entsprechende Nachfrage des Beklagtenvertreters sofort geantwortet, dass die Beklagte sich mit den Worten vorstellte, sie arbeite für F2…, und der Zeuge P2… hatte zu diesem Punkt keine Erinnerung mehr.

Der vorletzte Textabsatz des Zeichnungsscheins oberhalb der Unterschriftszeile ("Bei der Beteiligung handelt es sich ... Beteiligung umwandele", Bl. 27 GA) und der zweite Spiegelstrich des vom Kläger unterzeichneten Beratungsberichts vom 20.05.2001 ("Ich wurde darüber aufgeklärt ... Chancen und Risiken handelt", Bl. 91 GA) helfen der Beklagten nicht. Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob diese Textpassagen für sich betrachtet eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung enthalten. Selbst ausreichende schriftliche Erläuterungen sind doch kein Freibrief für den Beratenden, Risiken mündlich abweichend davon darzustellen und ein Bild zu zeichnen, das die schriftlichen Hinweise entwertet oder für die Entscheidungsbildung des Anlegers mindert (BGH 12.07.2007, NJW-RR 2007, 1690, 1691). So wäre es hier aber durch die festgestellten mündlichen Erklärungen der Beklagten (s. voriger Absatz) geschehen.

Die Beklagte handelte vorsätzlich. Sie wusste, dass der Anleger durchaus sein eingesetztes Kapital verlieren konnte, will sie doch auf das Totalverlustrisiko hingewiesen haben; zudem kannte sie unstreitig den Emissionsprospekt.

c)

Der kausale Schaden des Klägers besteht darin, dass er Geldmittel hergab für die atypische stille Beteiligung, die für seine Zwecke - sichere Altervorsorge - nicht geeignet war. Die Ursächlichkeit der Fehlberatung hierfür folgt aus der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, der die Beklagte nichts Erhebliches entgegenhält.

d)

Die Anspruchshöhe beläuft sich auf insgesamt 11.924,06 €.

aa)

Der Schaden beträgt 9.842,15 €. Das ist der Betrag, den der Kläger letztlich von seinem eingezahlten Geld verlor.

Unstreitig zahlte er an die F1… AG insgesamt 11.579 €.

Hiervon gehen schadensmindernd ab die 1.736,85 €, welche die F1… AG bzw. ihre Rechtsnachfolgerin, die D…. AG, nach Vortrag des Klägers im Zuge eines Vergleichs gegen sein Ausscheiden aus der atypischen stillen Gesellschaft an ihn zurückzahlte. Dass die Beklagte das Zustandekommen eines solchen Vergleichs bestreitet, ist dabei unerheblich.

In diesem Zusammenhang kann dem Kläger auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er durch den von ihm selbst angegebenen Vergleich den Ursachenzusammenhang unterbrochen oder den Schaden vergrößert hätte. Ein entstandener Schaden bleibt dem Schädiger zurechenbar, wenn der Geschädigte unter vertretbarer Würdigung der Sach- und Rechtslage einen Vergleich schließt (Palandt-Heinrichs, vor § 249 Rz. 81). So lag es hier. Der Kläger hatte aufgrund der fehlerhaften Beratung durch die Beklagte eine langfristige und dabei risikoreiche Kapitalanlage gezeichnet, die nicht seinen Interessen entsprach. Ihm war daher verständlicherweise daran gelegen, vorzeitig aus seiner Stellung als atypischer stiller Gesellschafter entlassen zu werden, zumal er bis dahin zur monatlichen Zahlung von Einlagen verpflichtet war, die bei seinem Einkommen als Kraftfahrer bei der Müllabfuhr durchaus belastend spürbar waren. Hinzu kommt, dass der Kläger mit einem erheblichen Prozessrisiko rechnen musste, da er für die Falschberatung sowie die Umstände, die eine Haftung der Beklagten begründen, die Beweislast trägt. Wenn der Kläger in dieser Situation einen Vergleich abschloss, um ohne Rechtsstreit aus der weiteren Zahlungspflicht entlassen zu werden und wenigstens einen Teil des angelegten Geldes zu retten, ist ihm das nicht vorzuwerfen.

bb)

Die Beklagte schuldet dem Kläger weiter vorverzugliche Zinsen mit dem begehrten Betrag von 2.081,91 €.

Zwar kann der Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt des entgangenen Gewinns eine Verzinsung der vereinbarten Einzahlungen über zehn Jahre mit 2 % jährlich und Zinseszinseffekt verlangen. Es lässt sich nicht feststellen, dass er ohne die atypische stille Beteiligung an der F1… AG eine solche Rendite erzielt hätte. Der Kläger hatte die Anlagebeträge dadurch flüssig gemacht, dass er Lebensversicherungen auflöste, und welche Rendite diese abgeworfen hätten, wenn sie weitergeführt worden wären, ist nicht bekannt oder auch nur nach § 287 ZPO schätzbar.

Dem Kläger steht jedoch nach § 849 BGB, der auch für die Überweisung von Geld gilt, ab dem jeweiligen Einzahlungsdatum bis zur Teil-Rückzahlung durch die D… AG frühestens am 19.06.2008 und im übrigen bis zum Verzugsbeginn die gesetzliche Verzinsung von 4 % jährlich ohne Zinseszinseffekt zu. Diese summiert sich auf mehr als 2.081,91 €.

e)

Dass dem Kläger außergewöhnlich hohe Steuervorteile verblieben wären, ist nicht ersichtlich.

2.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Anspruch im Vergleichswege abgegolten worden wäre. Die Beklagte hat eine solche Möglichkeit erstmals in der mündlichen Verhandlung am 18.04.2011 mit dem Vortrag thematisiert, in Vergleichen zwischen der D…. AG und ihren atypischen stillen Gesellschaftern seien in manchen Fällen auch die Ansprüche gegen den Vermittler zu dessen Gunsten erledigt worden, weshalb sie der Text des nach Vortrag des Klägers zwischen ihm und der D… AG geschlossenen Vergleichs interessiere. Die hierin sinngemäß liegende und vom Kläger sinngemäß bestrittene Behauptung der Beklagten, dass vorliegend eine solche Vereinbarung zugunsten der Beklagten getroffen worden sei, verbunden mit dem Antrag, dem Kläger die Vorlage des Vergleichsschriftstücks aufzugeben, konnte nach §§ 530, 520, 296 Abs. 1 ZPO nicht zugelassen werden, nachdem der Kläger das Schriftstück erklärtermaßen nicht parat hatte und der Rechtsstreit im übrigen entscheidungsreif war.

3.

Der Anspruch ist nicht verjährt. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor dem 01.01.2006 die seinen Anspruch begründenden Umstände und die Person der Beklagten als Schuldnerin kannte oder nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Eine in diesem Sinne grob fahrlässige Unkenntnis entstand insbesondere nicht dadurch, dass der Kläger nach seiner eigenen Darstellung weder vor noch nach seiner Unterschriftsleistung die Angaben im Zeichnungsschein zur Kenntnis nahm noch die ihm überlassenen Prospekte durcharbeitete. Die Schädigungshandlung der Beklagten lag gerade darin, dass sie durch ihre mündlichen Ausführungen ungeachtet der schriftlichen Warnungen den Eindruck hervorrief, die empfohlene Beteiligung sei sicher (s.o. 1 b, 3. Absatz). Vertraut aber der Anleger auf den Rat und die Angaben des Beratenden und sieht er deshalb davon ab, die ihm zur Verfügung gestellten Texte durchzusehen und auszuwerten bzw. ernst zu nehmen, so kann darin vorbehaltlich besonderer Umstände - die hier nicht gegeben sind - kein in subjektiver und objektiver Hinsicht "grobes Verschulden gegen sich selbst" gesehen werden (BGH 22.07.2010 - III ZR 203/09 -, Rz. 15).

4.

Der Schadensersatzanspruch umfasst weiter 493,26 € für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten des Klägers.

Als Gegenstandswert für die Geschäftsgebühr können zwar nur 9.842,15 € zugrunde gelegt werden. Das ist die berechtigte, kostenrelevante Hauptforderung (s.o. 1 d). Anders als der Kläger rechnet, ist jedoch nicht die Verfahrens- auf die Geschäftsgebühr, sondern die Geschäfts- auf die Verfahrensgebühr teilweise anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 4 VV-RVG und dazu Hartmann, Kostengesetze, VV 3100 Rz. 55 m.w.N.); die Geschäftsgebühr steht dem Geschädigten voll zu und wird bei der Festsetzung der Verfahrensgebühr im gesetzlich vorgesehenen Umfang abgezogen werden (§ 15a Abs. 2 RVG). Eine 1,5 Geschäftsgebühr, die angesichts der Schwierigkeit der Materie angemessen ist, beträgt bei 9.842,15 € mehr als den geforderten Betrag, nämlich einschließlich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer 891,31 €.

Unschädlich ist, dass der Kläger erklärtermaßen rechtsschutzversichert ist und seine Rechtsschutzversicherung nach seiner eigenen Angabe auf die Gesamtsumme aus Geschäftsgebühr sowie Verfahrensgebühr und Gerichtskosten der ersten Instanz bereits einen Teilbetrag geleistet hat, so dass insoweit ein Übergang des Ersatzanspruchs auf den Rechtsschutzversicherer in Betracht kommt. In diesem Fall wäre der Kläger im Wege einer sogenannten Einziehungsermächtigung (s. Zöller-Vollkommer, Vor § 50 Rz. 51) als Fall der gewillkürten Prozessstandschaft weiterhin zur Geltendmachung des Anspruchs berechtigt. Es ist gerichtsbekanntermaßen ein sehr häufiges und übliches Vorgehen, dass auch rechtsschutzversicherte Parteien die vorprozessualen Rechtsanwaltskosten selbst und zur Zahlung an sich als Nebenforderung einklagen und die Abrechnung mit ihrem Versicherer dem Innenverhältnis vorbehalten bleibt. Solange der Rechtsschutzversicherer dem nicht widerspricht, ist das vernünftigerweise als Einverständnis mit diesem prozessökonomischen Vorgehen aufzufassen (§§ 133, 157 BGB). Das erforderliche rechtliche Eigeninteresse des Versicherungsnehmers (hier: Klägers) als Prozessstandschafter liegt in seinem legitimen Bestreben, seinen Vertrag möglichst "schadensfrei" zu halten (vgl. OLG Köln 29.06.1993, JurBüro 1994, 668).

Auf der anderen Seite wäre es ebenso unschädlich, wenn gerade die Geschäftsgebühr von der Zahlung der Rechtsschutzversicherung nicht abgedeckt sein sollte. In diesem Fall würde der Kläger den offenen Teil seinen Prozessbevollmächtigten noch schulden und wäre um eben diesen Betrag ärmer.

5+.

Die Zinsforderung ab dem 29.07.2009 ist auf die zugesprochene Hauptsache und die vorprozessualen Rechtsanwaltskosten begründet aus Verzugsgesichtspunkten, nachdem die Klägervertreter mit Schreiben vom 07.07.2009 ein Anerkenntnis über beides bis zum 28.07.2009 gefordert hatten und die Beklagte unter dem 22.07.2009 eine Haftung schon dem Grunde nach ernsthaft und endgültig ablehnen ließ. Auf die gesetzliche Verzinsung können dagegen keine weiteren Zinsen gefordert werden (§ 289 Satz 1 BGB).

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht erfüllt.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 11.924,06 €

Dr. S…